Nichts geht mehr – geht nichts mehr?
Die österreichische Medienpolitik der letzten Wochen war geprägt vom Versuch des ORF-Generaldirektors, just am 22. Dezember des Vorjahrs, eine Reihe von wichtigen Positionen zu besetzen. Die Auswahl war ganz offensichtlich mit den politischen Parteien, die Alexander Wrabetz’ zur Wiederwahl verholfen haben, akkordiert. Insbesondere die Bestellung des 25-jährigen Nico Pelinka, der bis dato im Stiftungsrat die SPÖ-Interessen koordiniert hatte, sorgte dafür, dass sich von einem Tag zum anderen eine ganze Nation in einen Club von MedienbetriebsexpertInnen verwandelte, die sich darin überboten, eine drohende parteipolitische Einflussnahme zu verhindern.
Und – siehe da – sie konnten sich durchsetzen. Nico Pelinka hat mittlerweile seine Bewerbung zurückgezogen. So weit ich weiß, gilt das nicht für Nutznießer der anderen parteipolitischen Bestellungen; ihre DrahtzieherInnen sind offenbar klüger vorgegangen und vermochten im Getöse um Nico Pelinka unbemerkt ihre Tücher ins Trockene bringen (auf diesen sitzen sie jetzt und können der Galionsfigur Nico die lange Nase zeigen).
Und so finde ich heute in den Sonntagsblättern den Bericht, 61% der ÖsterreicherInnen seien der Meinung, der ORF werde – nein, nicht von den Parteien in ihrer Gesamtheit, sondern – ausschließlich von der SPÖ „regiert“.
Was wir daraus lernen: Die ÖVP versteht es allemal noch besser, ihre Personalinteressen durchzusetzen, während die SPÖ einmal mehr eindrucksvoll ihr handwerkliches Ungeschick unter Beweis gestellt hat. Ihre StrategInnen (und nur sie) werden künftig – vor allem von einer, weitgehend in konservativen Händen befindlichen Presse – beobachtet werden, wenn sie versuchen, ihre Interessen im ORF durchzusetzen. Und sie muss sich überdies mit dem Image, einer Reihe von ebenso abgehobenen wie ideologiefreien Jungfunktionären die Karriereleiter zu halten, zurande kommen.
Eine besondere Brisanz haben die Auseinandersetzungen um den Postenschacher im ORF durch die Proteste vieler RedakteurInnen erhalten. In ihrem Kampf um den Erhalt ihrer in den letzten Jahren errungenen Unabhängigkeit haben sich die MitarbeiterInnen dieses mittlerweile durchaus „alten“ Mediums vor allem mit Hilfe der „neuen“ Medien reüssiert. Ein Protestvideo auf YouTube erreichte ungeahnte Verbreitung und zwang letzten Endes den desavouierten Generaldirektor zum geordneten Rückzug.
Das Video zeigt die solidarischen RedakteurInnen at its best. Sie fordern in ebenso bestimmten wie einfach gehaltenen Worten nicht mehr und nicht weniger als professionelle Rahmenbedingungen, um ihre Aufgaben frei von äußeren Einflüssen wahrnehmen zu können. Sie machten damit den Anspruch deutlich, dass es noch andere als parteipolitische Interessen gibt und diese nicht nur klammheimlich hinter verschlossenen Türen verhandelt werden müssen. Und sie gaben einen Beleg dafür, dass Demokratie eine sehr lebendige Sache sein kann, deren Entscheidungsverfahren nicht per se tröge, intransparent, mühsam und grauslich sein müssen, sondern auch Energie und Mut geben können.
Der deutsche Politikwissenschafter Herfried Münkler hat 2010 den Band „Mitte und Maß – Der Kampf um die richtige Ordnung“ herausgegeben. Darin weist er auf ein spezifisches Problem hin, wenn Gesellschaften allzu sehr versuchen, sich auf eine gemeinsame Mitte zu beziehen. Nun liegen die Vorteile auf der Hand, wenn eine Gesellschaft nicht allzu sehr in verschiedene gesellschaftlich-ideologische Lager gespalten erscheint (gerade die Entwicklung Österreichs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiß davon ein leidvolles Lied zu singen). Wenn aber – nicht nur in Österreich – die verschiedenen politischen Lager drauf und dran sind, zu weitgehend ideologiefreien Volksparteien zu mutieren, die ihren Wählerwillen aus einem vermeintlichen Zentrum ziehen, dann können sich schon unangenehme Nebeneffekte ergeben.
Der eine begründet sich auf der Fehlannahme, die Mitte der Gesellschaft ließe sich anhand spezifischer Wertvorstellungen des bestimmenden Teils der Gesellschaft ein für alle Mal festlegen. Dem ist aber ganz offensichtlich nicht, wenn vieles dafür spricht, dass sich die Mitte in den letzten Jahren nachhaltig verlagert hat und dabei nach rechts gerückt ist. Das zeigt nicht nur der offenbar unaufhaltbare Aufstieg rechtspopulistischer Parteien (die sich durchaus als Parteien des Volkes und damit einer neu verorteten Mitte anbieten) sondern auch im mehrheitlichen Stillschweigen angesichts des aktuellen sozialen Auseinanderdriften, das zu bekämpfen noch vor wenigen Jahren als vorrangiges politisches Ziel angesehen worden wäre (- erinnern wir uns an den berühmten Ausspruch Bruno Kreiskys: „Mir machen ein paar Milliarden Schilling Schulden weniger Kopfzerbrechen als ein paar hundert tausend Arbeitslose“).
Die Mitte und der Kulturpessimismus
Dieser Trend der Mitte, sich nach rechts zu verschieben, hängt auch mit dem Umstand zusammen, dass diejenigen, die nach vielen Aufstiegsmühen in der Mitte angekommen sind, ihre neue Position mit allen Mitteln zu verteidigen trachten. Sie werden alles versuchen, um sicher zu stellen, dass alles so bleibt wie es ist (jedenfalls nicht schlechter wird). Multipliziert wird diese Beharrungstendenz durch den Umstand, dass diese Mitte immer älter wird und somit immer weniger Lust zeigt zu experimentieren und so die gesellschaftliche Dynamik in Gang zu halten.
Kurz gesagt spricht vieles dafür, dass von einer derart verfassten Mitte nur wenig oder gar keine Entwicklungsdynamik ausgeht. Dies umso weniger, als auf diese Mitte immer neue Wellen des Veränderungs- und Entwicklungsanspruchs heranbranden. Ihre VertreterInnen sind vollauf damit beschäftigt, diese niederzuringen, damit alles so bleibt wie es ist. Perpektivische Handlungsoptionen haben da keinen Platz. Ihre ideologischen Grundlagen beschränken sich zunehmend auf kulturpessimistische Worthülsen, die einer defensiven Grundhaltung die Bilder liefert, aus denen sich Zukunftsängste aller Art ergießen.
Und so hören wir Nachrichten nur mehr als die Berichte eines unendlichen Stroms von katastrophalen Ereignissen und Entwicklungen, die – aufmerksam mitgehört – kaum mehr auszuhalten sind (- ich selbst ertappe mich beim Aufdrehen der Nachrichten bei der bangen Frage, ob ich mental hinreichend gerüstet bin, weil diesmal über so etwas wie die ultimative Katastrophe berichtet würde oder wieder nur von mehreren von all den vielen anderen. Die natürliche Konsequenz daraus ist, dass ich immer weniger Nachrichten höre und vor allem junge Menschen – die gerne als apolitisch denunziert werden – immer besser verstehen kann, die gar nicht mehr auf die Idee kommen, eine Beziehung zu dieser Art von veröffentlichten Meinung herzustellen).
Die Frage um diese Form der ebenso beharrenden wie beklemmend niederdrückenden „Mitte“ hat mich beschäftigt, als ich in dem Protestvideo die vielen ORF-RedakteurInnen in einer völlig neuen Rolle und mit einer gänzlich neuen Botschaft gesehen und gehört habe. In ihrem Willen, Widerstand zu leisten gegen diese Form des selbstherrlichen Mitte-Denkens („Mir san mir“) wirkten sie unmittelbar lebendig und motivierend für nächste Schritte zur Überwindung der gegenwärtigen Lähmung.
Daraus ziehe ich zwei Schlüsse: Der eine bezieht sich auf die Vermutung, dass Entwicklung und Innovation etwas mit der Bereitschaft zu tun hat, Widerstand zu leisten. Erst die Bereitschaft über die bestehenden Generalängste hinweg etwas, was als schlecht, überkommen, ungerecht oder auch nur behindernd erkannt worden ist, in Frage zu stellen und zu überwinden, gibt Energie und Kraft, sich nicht mit den Gegebenheiten abzufinden und Neues in die Welt zu setzen.
Und der andere bezieht sich auf das herrschende Selbstverständnis von „Unabhängigkeit“, auf das sich die protestierenden RedakteurInnen bezogen haben. In ihrer Gegenwehr wollten sie sich nicht am parteipolitischen Gängelband eines mit überbordendem Selbstwertgefühl ausgestatteten Karrieristen im Zentrum der ORF-Macht sehen.
Darüber hinaus aber gibt es noch ein anderes, vielleicht sogar weit mächtigeres Gängelband, das nicht aus den Parteizentralen sondern unmittelbar aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Seine Zugkraft bezieht es aus einer Ökonomie der Aufmerksamkeit, die schlechten Nachrichten eindeutig größere Bedeutung zumisst als guten. Und so haben wir es zur Zeit mit einer Berichterstattung zu tun, die sich darin überschlägt, eine Furchtbarkeit an die andere zu reihen und damit an einem Meinungsklima mitwirkt, das darauf gerichtet ist, die bestehenden Beharrenstendenzen mit der Produktion diffuser Zukunftsangst und Frustration zu verstärken, während alle Versuche, sich dagegen zu verwehren und gesellschaftspolitische Alternativen zu fordern, ins Abseits gedrängt werden.
Das erfreulich nassforsche Auftreten der RedakteurInnen hat gezeigt, dass es auch anders geht. Ihr Engagement macht deutlich, dass Widerstand auch in der Präapokalypse möglich ist und sogar zu konkreten Veränderungen führen kann.
Daraus wächst – zumindest bei mir – die Hoffnung, dass diese Erfahrung eine neue Sensibilität in der Berichterstattung bewirkt, die die RedakteurInnen nicht nur weiterhin unabhängig wird agieren lassen, sondern auch ausgeglichen, vor allem wenn es darum geht, die gegenwärtige Hegemonie kulturpessimistischer Sichtweisen einer immer hilfloser um sich schlagender Mitte ins Verhältnis zu ermutigenden Zukunftsentwürfen zu setzen.
Auch die, die nicht in der Mitte angekommen sind, nie ankommen werden und vielleicht auch gar nicht ankommen wollen, haben ein Recht auf Öffentlichkeit. Und da rede ich nicht (mehr) von Nico Pelinka, der wohl auch ohne ORF seinen Weg ins Innere der Mitte finden wird.
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