EDUCULT im Gespräch mit Agnieszka und Maciej Salamon
Das polnischstämmige Schauspielerpaar Agnieszka und Maciej Salamon lebt seit 18 Jahren – mit zwischenzeitlich längeren Unterbrechungen – in Wien. EDUCULT hat mit ihnen über ihre Geschichte, ihr Leben in Wien, die Schauspielszene in Polen und Wien und was die momentanen politischen Veränderungen in Polen und Österreich für die Künstler*innenszene bedeutet, gesprochen.
EDUCULT: Woher kommt ihr künstlerisch und wie seid ihr ausgebildet?
Maciej Salamon: Ich bin in Polen geboren, dann ab meinem 12. Lebensjahr in Deutschland aufgewachsen. Ich stamme aus einer Künstlerfamilie. Ich bin in Deutschland zur Schule gegangen, nach dem Abitur habe ich Physik studiert. Das war aber nichts für mich, ich habe es abgebrochen und bin zum Schauspielen gekommen. Nach nicht erfolgreichen Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen bin ich von einer Musicalschule in Polen gleich angenommen worden. Während der Ausbildung habe ich nach Hamburg an die Stella Academy gewechselt. Nach dem Abschluss dort habe ich zwölf Jahre am Stück Musicals gespielt. Da hat man acht Shows in der Woche, immer das Gleiche, man empfindet es doch irgendwann als Trott. Dann ist unser Kind zur Welt gekommen und wir sind uns darüber klar geworden, dass es nicht so weitergehen kann. Mit einem Kind kann man nicht jedes Jahr den Wohnort wechseln. Unser gemeinsames Leben war in Wien verankert, da ich meine ersten großen Engagements an den Vereinigten Bühnen hatte, zwei Jahre „Jekyll & Hyde“ und ein Jahr „Barbarella“. Da waren wir drei Jahre am Stück in Wien. Agnieszka hat damals angefangen ihre Kontakte zu knüpfen. Wir hatten immer einen Bezug zu Wien und einen Wohnort in Wien. Wir sind deshalb hierher zurückgekommen und mussten einiges an unserem Leben ändern. Momentan mache ich als Künstler nicht mehr so viel wie früher. Musicals nur, wenn ich sie hier machen kann oder kürzere Gastspiele auswärts. Letztes Jahr habe ich ein halbes Jahr beim Tanz der Vampire gespielt. Das war nach 8 Jahren Pause. Ich gehe zu Vorsingen, wenn hier etwas ist, aber ich kann es mir nicht erlauben für ein Jahr nach Deutschland zu fahren. Ich versuche so oft wie möglich zu drehen, wenn sich etwas anbietet. Ansonsten bin ich offiziell mehr Handwerker als Künstler, weil ich sehr viele Sprachaufnahmen im Voiceover-Bereich mache. Ich empfinde es als künstlerische Arbeit, aber rein formell wird es als Handwerk bezeichnet.
Ist das auch Synchronisierung?
Maciej Salamon: Eigentlich weniger. Für Synchronisierung gibt es zwei, drei Zentren, wo man das für den deutschsprachigen Bereich macht. Das ist eher in Berlin, vielleicht Köln, Hamburg, München. In Wien wird kaum synchronisiert.
Was für Voiceovers sind das dann?
Maciej Salamon: Alles, von (im besten Fall) Werbung oder Computerspiele bis zu Sicherheitsanleitungen für Bauarbeiter. In der EU braucht man wahnsinnig viele mehrsprachige Aufnahmen in allen möglichen Sparten. Ich nehme Deutsch und Polnisch auf, teilweise auch Englisch. Über Image-Filme, Ansageschleifen für Firmen, solche Geschichten. Das machen wir oft zusammen, weil Agnieszka auch Sprecherin ist. Der „Tagesjob“ sind Sprachaufnahmen, dann kommen irgendwelche Filme /TV Serien und wenn ich Glück habe, wie letztes Jahr, dass ich lokal als Musicaldarsteller was machen kann, ist es super. In der freien Szene war ich auch hin und wieder, aber das ist selten.
Agnieszka Salamon: Ich bin in Polen geboren. Meine Eltern waren beide auch Schauspieler. Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, in einer relativ kleinen Stadt in der Mitte von Polen. Ich habe nach meiner Matura ein Jahr polnische Sprachwissenschaft studiert. Eigentlich wollte ich aber immer schon Schauspielerin werden und habe ein Jahr lang eine private Schauspielschule besucht. In dieser Schule haben wir uns beide bei einem Vorbereitungskurs für Aufnahmeprüfungen für die staatlichen Schulen kennengelernt. In Krakau war das eine der ersten privaten Schauspielunterrichtsmöglichkeiten. Nach einem Jahr auf der privaten Schule wurde ich bei einer staatlichen Schauspielschule in Breslau angenommen. Das war ein Ableger der Schauspielschule Krakau, Abteilung Puppenspiele. Nach meiner Ausbildung zur Schauspielerin und Puppenspielerin habe ich ein Jahr in Polen an einem staatlichen Figurentheater gearbeitet. In Österreich gibt es solche Häuser eigentlich nicht. Maciek hat dann einen Job bei den Vereinigten Bühnen Wien bekommen. Ich habe in Polen keine gute Stelle gehabt, nichts, das mich interessiert hätte. Wir haben uns entschieden, dass ich aus Polen zu ihm nach Wien ziehe.
Wann wart ihr das erste Mal in Wien?
Agnieszka Salamon: 2001. Polen war damals noch nicht in der EU.
Maciej Salamon: Ich hatte in Deutschland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, da ich seit meiner Kindheit dort durchgehend einen Wohnsitz hatte. In Österreich war es auch kein Problem wegen der Arbeit bei den Vereinigten Bühnen.
Agnieszka Salamon: Bei mir war das nicht der Fall. Ich musste theoretisch nach drei Monaten ausreisen. Im Marionettentheater Schloss Schönbrunn habe ich aber eine Stelle bekommen, keine feste Stelle, es war eine Art Ausbildung. Die haben für mich das Visum beantragt. Es hat ziemlich lange gedauert. Ich habe dort viel gearbeitet und war in Ausbildung. Nach einem halben Jahr habe ich das Visum bekommen. Ich glaube nach zwei Jahren ist dann Polen in die EU gekommen.
Wie habt ihr das wahrgenommen? Wie hast du die Stelle beim Marionettentheater gefunden?
Agnieszka Salamon: Das war totales Glück. Maciek hat, als ich noch studiert habe, „Sweeney Todd“ in Wien gespielt und ich habe ihn besucht. Zur damaligen Zeit habe ich kein Deutsch gesprochen. Wir sind einfach in Schönbrunn spazieren gegangen und dort gab es das Marionettentheater. Wir sind dann hineingegangen, Maciek ist mit den Leitern des Theaters ins Gespräch gekommen. Sie haben gemeint, dass man sich bei ihnen ausbilden lassen kann, man kann auch kleine Jobs machen, sie sind offen für alle Möglichkeiten. Es war nur das, nur das kurze Gespräch. Sie haben uns damals gratis eine Vorstellung anschauen lassen. Das war die Zauberflöte, wirklich wunderschön, sehr klassisch. Eine Art von Marionettenspiel, die sehr mit dem österreichischen Raum verbunden ist. Das hat mit Maria Theresia und dem österreichischen Hof zu tun. Das war mein Eintritt zur Aufenthaltserlaubnis in Österreich. Dann musste ich Deutsch lernen und weiter schauen, was ich machen kann.
Das war eine gute Möglichkeit, weil die deutsche Sprache nicht so wichtig war.
Agnieszka Salamon: Zum Spielen habe ich Deutsch gar nicht gebraucht. Es waren Aufnahmen der Zauberflöte. Da war es irrelevant. Zum Lernen und Kommunizieren musste ich es erlernen.
Als ihr hierher kamt, musstest du einen Job finden. Bei dir war das ähnlich, als es bei den Vereinigten Bühnen vorbei war.
Maciej Salamon: Ja. Das ist aber normal. Das ist nicht mein erster Job überhaupt, sondern mein erster längerfristiger Job gewesen. Das ging zwei Jahre. Ich war zwei Spielzeiten dort und dann habe ich zwischenzeitlich bei den Bregenzer Festspielen gearbeitet, dann direkt wieder bei „Barbarella“. Die zwölf Jahre, die ich durchgehend Musicals gespielt habe, da habe ich wahnsinnig viel Glück gehabt. Im Grunde genommen hatte ich keine Leerlaufzeiten. Wir hatten mal zwei, drei Monate, wo ich gerade nichts hatte, aber doch immer wusste, was als nächstes kommt. Diesen Luxus hat nicht jeder. Andererseits musste ich den Jobs fast immer hinterherfahren und umziehen. Nach Barbarella gab es den ersten Punkt, wo nicht klar war, wie wir weiter machen. Der nächste Job, den ich bekommen habe, war in Füssen, dann Köln, Zürich und so weiter …
Wie ist es dann, wenn man diesen Weg nicht mehr geht? Euer Sohn wurde geboren. Wart ihr dann schon etabliert in der Szene?
Maciej Salamon: Es war sehr schwierig. Wir haben das ein bisschen darauf ankommen lassen. Das war nur deshalb möglich, weil die deutschsprachigen Länder – gerade Deutschland und Österreich auch – ein gutes soziales System und die Möglichkeit haben, einen abzufangen, wenn man arbeitslos oder arbeitssuchend ist. Es war eine Probezeit, stressfrei war es sicher nicht.
Agnieszka Salamon: Bei uns sind es zwei Paar Schuhe. So wie Maciej im Musicalbereich gearbeitet hat, das ist nicht vergleichbar mit der Szene des freien Theaters in Österreich. Die Musicalszene ist internationaler, umfasst eigentlich alle drei Länder. Wie am Theater hat man dort Stufungen – es gibt Leute, die immer kleinere Rollen spielen und solche, die Stars sind. Maciek hat immer kleinere bis mittlere Rollen gespielt und war meistens als Zweitbesetzung für mehrere Rollen beschäftigt. Also sicher kein „Star“. Mein Berufsfeld war total anders. Ich habe in Wien, als nachdem ich die Sprache halbwegs beherrscht habe angefangen, Kontakte zu knüpfen. Es war sehr schwierig und mühsam.
Inwiefern war es schwierig?
Agnieszka Salamon: Weil ich hier nicht studiert habe. Ich glaube, das macht sehr viel aus. Sprache ist eine Sache, aber inzwischen weiß ich, dass es viele Leute gibt, die kein perfektes Deutsch sprechen, aber weil sie hier die Ausbildung gemacht haben, sie von Anfang an Kontakte hatten, Leute kannten, irgendwie gleich ein Begriff waren. Ich war am Anfang als Künstlerin und Schauspielerin für niemanden ein Begriff. Figurentheater in der Form wie in Polen konnte ich hier nicht machen, außer Marionettentheater. Das war aber auch nicht das, was ich für immer machen wollte. Sicher nicht ausschließlich. Es ist immer noch schwierig. So wie ich Deutsch spreche – da habe ich alles gehört von: „Oh mein Gott, Sie haben kaum einen Akzent“ bis zu „Oh mein Gott, Sie haben so einen schweren Akzent“.
Aus dem künstlerischen Umfeld?
Agnieszka Salamon: Ja. Es gibt welche, die meinen, dass es nichts macht, wenn man mit Akzent spricht und die, die meinen, dass es keinen Sinn macht sich bei ihnen zu melden zum Vorsprechen.
Wo kommt das vor, dass es mit dem Akzent nicht geht?
Agnieszka Salamon: Das kann man nicht vorhersehen. Das ist eine subjektive Empfindung der Leute.
Gibt es tatsächlich Stellen oder Theater, wo man auf die deutsche Hochbühnensprache geht?
Agnieszka Salamon: 80%.
Maciej Salamon: Das ist natürlich klar bei fast allen etablierten Bühnen.
Agnieszka Salamon: Inzwischen auch nicht mehr so. In der freien Szene ist es fast wurscht. In der normalen Stadttheaterbühne ist es ganz selten, dass man mit Akzent Chancen hat. Ich habe versucht, zwei- oder dreimal ein Vorsprechen für staatliche Theater zu bekommen und wurde nie eingeladen. Es kann verschiedene Gründe haben. Es ist auf jeden Fall sehr schwierig an Möglichkeiten zu Spielen zu kommen.
Du bist vor allem in der freien Szene unterwegs – wie nimmst du die Szene wahr, wie nimmt die Szene dich auf? Gibt es da eine Community, in der du dich bewegst?
Agnieszka Salamon: Ja, aber ich selber würde eher sagen, dass ich mich am Rande befinde. Ich gehöre schon dazu, ich kenne inzwischen viele Menschen. Aber durch unsere gemeinsame Biographie, weil wir immer zusammen unterwegs waren, war ich sehr oft nicht da. Von den 20 Jahren habe ich sicher sieben bis acht nicht in Wien verbracht. Bis zu dem Moment, wo ich schwanger geworden bin, war ich relativ gut unterwegs. Ich hatte Jahre, wo ich drei Theater- oder Performanceproduktionen mitgemacht habe. Dann war ich drei Jahre weg wegen dem Kind und es war sehr schwierig, wieder reinzukommen. Die Generationen haben gewechselt. Für manche in der freien Szene bin ich einfach schon zu alt. Wenn ich durchgehend in Wien geblieben wäre, könnte ich mir vorstellen, dass meine Position in der freien Szene jetzt eine andere wäre. Aber ich weiß es nicht.
Maciej Salamon: Man muss auch sagen, dass die freie Szene teilweise davon beeinflusst wird, was gerade ein angesagtes Thema ist. Die letzten Jahre ist die Flüchtlingsthematik sehr groß und daher geht vieles in diese Richtung. Wir haben zwar einen migrantischen Hintergrund, sind aber mittlerweile EU Bürger. Obwohl die politische Lage in Polen problematisch ist – die ist zwar deutlich schlimmer als das, was wir hier haben, aber es ist eine Schattierung von dem Gleichen. Die Leute, die hier in Österreich an die Macht gekommen sind, sind sehr ähnlich denen, die in Polen an der Macht sind, eine andere Färbung von der gleichen politischen Richtung. Man kann also kaum etwas mitbringen, was man hier gerade sowieso nicht kennt.
Agnieszka Salamon: Ich bin meistens als Ausländerin besetzt worden. Einerseits ist es in Ordnung, weil ich nicht so tun kann als wäre ich eine eingesessene Österreicherin, da ich einen Akzent habe. Es ist aber eine extrem schwierige Sache, es ist eine Gratwanderung zwischen dem Erzählen einer Geschichte und für eine Geschichte benutzt zu werden.
Hat sich etwas geändert seit 2001? Damals das erste Mal schwarz-blau, jetzt wieder. Ist das anders was wir jetzt gesellschaftlich erleben?
Maciej Salamon: Ja, auf jeden Fall. Damals als das erste Mal schwarz-blau kam, war es ein Riesending. Die ganze EU hat sich quergestellt. Derzeit ist es (leider) fast Norm. Es kommt überall vor. Im Grunde genommen wissen alle, dass das zu nichts Gutem führt und den Bach hinunter gehen kann. Die Leute tun ja alles andere als das, was sie auf ihre Wahlplakate schreiben. Ich habe das Gefühl, die soziale Situation wird schwieriger– wie ich vorhin sagte: wir hatten, nachdem wir unser Kind bekommen haben, eine Abfangmöglichkeit. Wenn man jetzt hört, dass Notstandshilfe abgeschafft werden soll – es gibt ganz breite Bereiche der Bevölkerung, da gehören auch wahnsinnig viele Künstler dazu, die dann auf einmal vor existenziellen Problemen stehen. Eben nicht nur Migrant*innen, sondern genauso viele Österreicher*innen. Ich weiß nicht inwiefern uns das jemals betreffen wird. Ich hoffe nicht. Ich hatte in der letzten Zeit einige Filmprojekte. Es ist nicht viel Arbeit zeitmäßig aber beim Film verdient man nicht schlecht. Wenn ich, wie letztens, einen Film mit 10 Drehtagen habe, dann haben wir für ein halbes Jahr Boden unter den Füßen. Aber wenn es mal schlechter läuft, dann steht man da und fragt sich, was man jetzt macht. Stabilität ist in dieser Branche nicht geschaffen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Migrant*innen sind, denn es betrifft die österreichischen Kolleg*innen genauso wie uns. Wir sind als EU-Bürger*innen den Inländer*innen gleich gestellt. Alles was uns betrifft, betrifft mittlerweile genauso die Österreicher*innen. Die ganze Kulturwelt, außer den Menschen, welche Glück haben und sehr häufig drehen, oder fest angestellt an einem großen Theater sind. Bei kleineren städtischen Theatern bekommen die Leute ja auch Hungerlöhne. Es geht in eine Richtung, wo man irgendwann richtig Angst kriegt.
Ihr würdet nicht sagen, dass ihr das Klima hier als Migrant*innen spürt?
Maciej Salamon: Nein, nicht direkt. Wir bewegen uns in einer Blase. Alle Leute, mit denen wir arbeiten und unsere Freunde sind Menschen, die denken wie wir.
Agnieszka Salamon: Wir unterscheiden uns auf den ersten Blick gar nicht von Österreicher*innen. Ganz am Anfang meines Aufenthalts hier habe ich mehr Kleinigkeiten gespürt, weil ich nur schlecht oder wenig Deutsch gesprochen habe. Da dachte ich öfters, was ist jetzt los. Aber das waren auch selten.
Maciej Salamon: Du redest jetzt mehr Österreichisch als ich. Du bist kulturell integrierter.
Agnieszka Salamon: Ich kann solche Situationen immer mehr mit einem österreichischen Schmäh auffangen und ich sehe eben nicht so aus wie jemand, der nicht von hier kommt.
Maciej Salamon: Mich halten die Leute immer für einen Deutschen.
Agnieszka Salamon: In der freien Szene bin ich eine polnische Schauspielerin. Ich werde nie als eine österreichische Schauspielerin mit polnischem Hintergrund gesehen.
Woran liegt das, dass man dich nicht als Österreicherin mit polnischem Hintergrund sieht?
Agnieszka Salamon: Das ist eine gute Frage.
Maciej Salamon: Das liegt an der Sprache.
Agnieszka Salamon: Ich frage mich eher – warum kann ich nicht eine polnische Ärztin, die in Österreich arbeitet, spielen? Wenn, dann bin ich eine Krankenschwester, Pflegerin oder Putzfrau. Und dann auch nur als Nebenrolle. Eine absurde Sache, die ich einmal gehört habe: „Magda macht das schon“, das ist eine Serie über eine polnische Altenpflegerin, die von einer Österreicherin gespielt wird, die mit einem aufgesetzten polnischen Akzent, der auf lustig gemacht wird, diese Rolle verkörpert. Sie kann nicht mal ihren polnischen Namen richtig aussprechen. Das ist rassistisch. Keiner kam auf die Idee, polnische Frauen für die Hauptrolle zu casten, sondern man hat eine deutschsprachige Schauspielerin genommen und sie extra getrimmt, dass sie daraus einen Witz macht.
Maciej Salamon: Das ist das Problem der kommerziellen Medien. Sie bedienen eine gewisse Zielgruppe, die gewisse Klischees und Vorurteile haben, die sie bedient haben wollen. Man könnte sich darüber aufregen. Aber andererseits bringt genau das uns immer wieder Arbeit. Ich spiele auch meistens entweder Polen oder andere Osteuropäer. Es ist eine Nische.
Agnieszka Salamon: Wir leben auch von diesem Klischee.
Maciej Salamon: Es geht um die Sachen, die einem angeboten werden. Wenn man das Label Ausländer hat, sind nur bestimmte Rollenfächer da. Das Denken ist da eng. Am Ende ist es der Bauarbeiter oder der Verbrecher. Wenn man Glück hat, der Pfarrer.
Agnieszka Salamon: Es ist total spannend. Ein Kollege von mir – jung, ein syrischer Flüchtling, Schauspieler, wird noch mehr in Schubladen gesteckt als wir… Er hat eine Schauspielschule besucht und macht diese Arbeit sehr gut. Die Frage ist jetzt, ob er – weil er 20 Jahre jünger ist als wir – vielleicht die Klischees durchbrechen kann.
Weil sich die Gesellschaft vielleicht doch verändern wird.
Agnieszka Salamon: Das hoffe ich.
Habt ihr Kontakt zu polnischen Theaterschaffenden? Wie ist es da mit der Entwicklung in Polen?
Maciej Salamon: Man muss sagen, dass die Kulturszene in Polen sich größtenteils extrem stark gegen das jetzige politische Klima stellt. Man kann teilweise an die 80er Jahre zurückdenken, wo die Kulturszene auch einen Kampf gegen das totalitäre System geführt hat. Die Künstler*innen waren an vorderster Front, haben gegen das Regime und System gekämpft und etwas gemacht. Heute sind die Themen etwas anders, es geht viel um Frauenrechte, LGBT-Freiheit, Trennung von Staat und Kirche, aber das Gefühl von Widerstand gegen eine Art Regime wird immer ähnlicher.
Agnieszka Salamon: Aber es gibt in Polen auch etwas, was ich in Österreich nicht wirklich getroffen habe, zumindest nicht in der freien Szene: es gibt richtig politisch rechte Schauspieler*innen. Es gibt eine breite, große Szene an Leuten, die sich mit diesen Werten, die jetzt vertreten sind, total identifizieren. Aber das ist nicht volkstümlich oder so, sondern Leute, die daran glauben, hohe Kunst zu machen. Persönlich kenne ich dort ziemlich viele. In den kleineren Städten ist das mehr vertreten, als in großen Kulturzentren.
Maciej Salamon: Polen hat eine andere Kulturgeschichte als Österreich. In Polen, einem geteilten Land, welches zweihundert Jahre nicht auf der Landkarte war, gab es einen starken patriotischen Drang in der Kultur. Als einen Anker für ein Bewusstsein als Nation. Auch in der „hohen Literatur“ und im Theater gibt es deshalb viel, das sehr patriotisch ist. Fast alle Klassiker aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg drehen sich um den Kampf um die unterdrückte Freiheit. Hierzulande ist das weniger vertreten, weil man das wahrscheinlich als zu nationalistisch empfinden würde. In Polen ist das über Jahrzehnte gepflegt worden. Schlimm ist, dass es sehr leicht ist, so etwas ins Extreme zu holen und daraus im Grunde genommen faschistoide Geschichten zu machen. Was aber eine Perversion des eigentlichen Gedanken dieser Werke ist.
Agnieszka Salamon: Dadurch, dass ich seit 20 Jahren in Österreich lebe und sehr viel im Ausland war, verändern sich die Wahrnehmungen. Ich bin in Polen bis zu meinem 27. Lebensjahr aufgewachsen und habe mich mit diesem Nationalstolz auch identifiziert. Wenn man drinnen ist, hat man keinen Blick nach draußen. Das hat sich bei mir durch die Arbeit mit österreichischen Künstler*innen und internationalen Künstler*innen total verändert. Wenn ich jetzt nach Polen komme und die Situation dort sehe, bekomme ich immer mehr einen Schock. Es entwickelt sich nicht nach vorne, sondern wieder zurück. Sie kommen bald ins 19. Jahrhundert. Es gibt bei vielen Personen z.B. ein richtiges Rassendenken. Die sozialen Errungenschaften in Europa von heute – z.B., dass man nicht über Homosexualität lacht, oder es als etwas Krankhaftes bezeichnet – gehen in Polen heute total verloren. Und dabei gab es schon eine Phase, wo es sich geöffnet hat.
Maciej Salamon: Das läuft dann auch im staatlichen Fernsehen. Man kriegt das blanke Entsetzen. Aber dann gibt es eine sehr starke Bewegung, die dagegensteht. Und dann passieren auch solche Dinge: Vor zwei Jahren, es war nach der letzten Wahl, eine Inszenierung von einem Klassiker eines großen polnischen Nationalschriftstellers, die sehr modern und antiklerikal inszeniert war. Die Kirche wurde stark kritisiert, es wurde mit zum Teil sehr starken Bildern gearbeitet. Die Reaktionen reichten von Protesten bis dazu, dass im Theater eine ätzende Flüssigkeit versprüht wurde, wegen der dann Mitarbeiter ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Oder es wurde versucht, Rauchfackeln im Zuschauerraum anzuzünden. Richtig aggressives Verhalten.
In Polen gibt es eine politisch aktive Szene. Wie ist das in Österreich? Nehmt ihr die wahr?
Maciej Salamon: Ja, wir kennen persönlich Leute, die sich stark einsetzen. Das Projekt, das du jetzt machst, ist im Rahmen einer ziemlich politischen Veranstaltung. Agnieszka wird im Herbst ein Projekt im Rahmen der WienWoche inszenieren.
Agnieszka Salamon: Ich empfinde es als gut, dass es hier geht. Man kann vielleicht mal Angst bekommen, wenn Identitäre kommen und singen. Aber ich habe immer noch den Eindruck, dass es hier genug Institutionen gibt, welche die Meinungsfreiheit unterstützen. Es gibt genug Zeitungen und Medien. In Polen ist es Hälfte, Hälfte, weil das Staatliche von einer politischen Partei monopolisiert wurde.
Maciej Salamon: Österreich und Wien sind aber zwei unterschiedliche Gebilde. Wenn man sich in Wien bewegt, bekommt man fast nicht mit, dass man in einem türkis-blauen Land lebt. Wien ist nicht türkis-blau. Wenn man hier auf die Straße geht und demonstriert ist das ganz was anderes als wenn man das in Kärnten oder wo auch immer machen würde. In Polen hat man das nicht. Selbst in einer Weltstadt, wie Warschau gibt sehr viele Gruppen, die extrem sind. Die wären bereit, hinauszugehen und jemandem auf offener Straße in die Fresse zu hauen, weil sie glauben, dass sie völlig straffrei sein können. Und teilweise schon sind. Es gibt jedes Jahr am polnischen Nationalfeiertag, am Unabhängigkeitstag, eine große Demo in Warschau. Das war früher eine ganz nette Geschichte, die Feier der Unabhängigkeit. In den letzten Jahren hat sich das aber so entwickelt, dass man denkt: „Das laufen nur noch Nazis“. Da laufen auch Leute mit Hitlergruß, vielleicht keine Hakenkreuze, aber diese keltischen Kreuze und so weiter – im Grunde geht es um das Gleiche. Es ist absurd, wie das funktioniert. Es gab am Ende des Zweiten Weltkriegs den Warschauer Aufstand wo zigtausende Menschen gestorben sind, die gegen die Nazis gekämpft haben. Jetzt stehen aber junge Nationalisten da und tragen nebeneinander ein Symbol der Aufstandskämpfer und diese faschistischen Symbole. Das ist eine Art Schizophrenie. Das wird momentan staatlich geduldet. Im Staatsfernsehen sagt man dann, es wären alles „Patrioten“.
Eine Schlussfrage: wie schaut ihr in die Zukunft?
Agnieszka Salamon: Wir wollen in Österreich bleiben und wir hoffen, dass wir das auch weiter dürfen werden. Wir haben beide keine österreichische Staatsbürgerschaft und haben sie auch nicht gebraucht. Ich bin Polin und werde das auch bleiben.
Maciej Salamon: Ich auch, solange es geht. Wobei ich mich eher als Europäer empfinde und die Staatsbürgerschaft nicht so wichtig für mich ist. Solange Polen in der EU bleibt, zumindest.
Agnieszka Salamon: Unser Sohn wächst hier auf, hat eine polnische Staatsbürgerschaft und spricht beide Sprachen. Er wird sich dann selbst entscheiden, was er ist – Österreicher, Pole, oder auch ein bisschen von beidem. In näherer Zukunft möchte ich in den Projekten, die ich mache, vorwarnen. Ich will weiter meinen Weg hier machen, den ich schon mache und versuchen irgendwann die Ärztin zu spielen und nicht die Krankenschwester oder Putzfrau. Vielleicht schaffe ich es, vielleicht nicht. Ich möchte auch über Polen erzählen. Ich finde die jetzige politische Situation hier immer noch besser, als die polnische. Ich habe aber Angst, dass es sich hier auch verschlechtern kann.
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