EDUCULT im Gespräch mit Golnar Shahyar und Mahan Mirarab
Die Sängerin Golnar Shahyar und der Gitarrist Mahan Mirarab sind aus der Szene der sogenannten „Weltmusik“ nicht mehr wegzudenken. Im Iran geboren und aufgewachsen, hat der Wunsch als professionelle Musiker tätig zu sein, die beiden nach Wien kommen lassen. Seit einigen Jahren sind sie in unterschiedlichen musikalischen Formationen (Golnar & Mahan, Aseman, Sehrang, Choub, Vienna World Music Orchestra u.v.m.) auf den Bühnen in Europa zu erleben und erzählen dabei „Geschichten mit Musik aus der Welt, in verschiedenen Sprachen“. Den nächsten Auftritt in Wien absolvieren sie gemeinsam mit André Heller am 26. Jänner 2017 im Wiener Burgtheater.
Welchen Stellenwert Jazzmusik im Iran hat und wie die beiden über die oft gebrauchte Schublade „Weltmusik“ denken, haben sie im Gespräch mit EDUCULT verraten.
EDUCULT: Was hat Sie nach Österreich geführt?
Golnar Shahyar: Die Musik. Bevor ich hierhergekommen bin, habe ich fast sieben Jahre in Toronto gelebt. Dort habe ich Biologie studiert, aber mich dann dazu entschlossen, dass ich Musik machen möchte, da es meine Leidenschaft ist. Meine Eltern wohnten damals schon aus beruflichen Gründen in Wien. Ich bin dann zu ihnen gekommen und damit ins Land der klassischen Musik, das mich damals sehr interessiert hat und in dem ich studieren wollte.
Mahan Mirarab: Bei mir war es ähnlich. Im Iran habe ich das Gefühl gehabt, dass für Musiker viele Türen verschlossen sind. Ich wollte mir eine Zukunft aufbauen und habe mich dazu entschieden, wegen der Musik nach Wien zu kommen. Hier habe ich langsam als selbstständiger Musiker angefangen. Ich habe nicht nur Jazz gespielt, sondern auch traditionelle iranische Musik. Ich wollte nur frei und ohne Stress arbeiten und habe es Schritt für Schritt geschafft, mir hier ein neues Leben aufzubauen.
EDUCULT: Sie haben sich auch im Iran mit Jazzmusik beschäftigt?
Mahan Mirarab: Ja, aber das war sehr schwer, man kann dort mit Jazz nicht überleben. Die Szene ist ganz klein und „underground“, aber sehr interessant. Ich habe für mich dort aber keine Zukunft gesehen, um mich weiterzuentwickeln. Die Mentalitäten vor allem von klassischen und traditionellen iranischen MusikerInnen sind sehr konservativ und es ist schwierig, etwas anderes machen zu wollen.
Golnar Shahyar: Es gibt im Iran keine offizielle Szene für Jazz oder alternative Musik, die sich weiterentwickelt. Obwohl es so viele Elemente gibt, obwohl es so viel Potenzial gibt, wird es nicht genutzt, das viele Talent. Die MusikerInnen und KünstlerInnen brauchen finanzielle Unterstützung um weiterarbeiten zu können. Sie brauchen offizielle Organisationen in denen sie miteinander Austausch haben und sich gemeinsam entwickeln können. Solche Möglichkeiten gibt es einfach nicht im Iran. Es ist leider sogar umgekehrt. Die KünstlerInnen sind ständig mit Zensur und politisch und kultureller Unterdrückung konfrontiert.
EDUCULT: Gibt es eine Ausbildung für Jazzmusiker im Iran?
Mahan Mirarab: Nein, für Jazz gibt es die nicht.
EDUCULT: Das heißt, es gibt eine explizite Kulturpolitik, die sagt, das kann zwar irgendwie zu Hause oder im Kleinen gemacht werden, aber es ist kein Bestandteil der iranischen Kultur?
Mahan Mirarab: Genau, Jazz ist „underground“ und es gibt eigentlich kein Gesetz dazu. Das ist das Problem. Im Iran gibt es kein klares Gesetz, was erlaubt ist und was nicht.
Golnar Shahyar: Alleine die Bezeichnung „Jazz“ ist oft schon problematisch, wahrscheinlich weil sie aus den USA kommt.
Mahan Mirarab: Ich habe hier in Wien ein Album aufgenommen und wollte es auch im Iran veröffentlichen. Es heißt „Persian Side Of Jazz“. Vieles musste ich aber ändern, den Text, den Titel, das Cover usw.
EDUCULT: Das heißt, die Autoritäten mischen sich in die Details ein, nicht nur was produziert wird, sondern auch wie es dann veröffentlicht wird?
Mahan Mirarab: Genau.
EDUCULT: Sie haben zuerst gesagt, Sie kamen aus Kanada zurück, um klassische Musik zu studieren. Und jetzt ist es doch ein Stück weit anders gekommen…
Golnar Shahyar: Total anders. Als ich 17 Jahre alt war und mit meiner ganzen Familie nach Kanada emigriert bin, habe ich nur die traditionellen bzw. klassischen Musikformen bisher wirklich ernst genommen. Ich habe damals Jazz auch noch nicht gekannt.
EDUCULT: Hier in Wien haben Sie dann auch klassische Musik studiert?
Golnar Shahyar: Nein, nicht sofort. Ich habe es probiert, aber ich habe hier zuerst niemanden gekannt. Über ein paar Bekannte habe ich dann einen Lehrer gefunden, der klassisch unterrichtet, aber seine Art zu unterrichten und seine Mentalität lag mir nicht. Es hatte nichts mit dem ursprünglichen Grund zu tun, warum ich mich dazu entschieden habe, Musik zu machen. Für mich war Musik etwas sehr heiliges, sehr persönliches und ich glaube damals war ich auf der Suche nach einer Identität. Musik hat sehr viel mit meiner eigenen Identität zu tun und dieser Unterricht half mir dabei nicht. Dann habe ich eine andere Lehrerin gefunden. Sie war sie selbst. Sie hat ihre eigene Musik macht und davon leben können. Sie hat ihre eigene Persönlichkeit auch in ihrer Musik ausgedrückt. Das hat mich extrem inspiriert.
EDUCULT: Wie ist Ihrer Meinung nach ein Einstieg in die österreichische Musikszene mit Ihrem Hintergrund allgemein möglich? Sie waren bisher schon sehr erfolgreich und haben Preise gewonnen. Hat die österreichische Musikszene schon auf Sie gewartet?
Mahan Mirarab: Eigentlich gibt es für mich ganz positive Seiten, aber auch negative Seiten. Die positive Seite ist, dass ich hier sehr viele gute MusikerInnen kenne, die auch tolle Menschen sind, offene Menschen. Ich fühle mich zu Hause, wenn ich mit diesen MusikerInnen musiziere und mich einfach mit ihnen unterhalte. Aber es gibt auch Konkurrenz mit österreichischen wie auch nicht-österreichischen MusikerInnen und man muss wirklich um seinen Platz in der Szene kämpfen.
EDUCULT: Woran machen Sie diesen Konflikt fest? Liegt es daran, dass Sie eine andere Musik machen? Oder liegt es ganz persönlich an Ihrer Herkunft?
Mahan Mirarab: Die VeranstalterInnen wollen die Musik so einfach wie möglich verkaufen und dabei so viel wie möglich verdienen. Und unsere Musik ist nicht so vertraut für österreichische Ohren. Die ÖsterreicherInnen haben viel Balkanmusik gehört und auch viel österreichische Volksmusik, aber orientalische Musik ist ihnen noch etwas neu. Manche sagen nach dem Konzert zum Beispiel, die Töne klingen ein bisschen komisch. Das verstehe ich auch. Aber man muss sich einfach daran gewöhnen, zuhören und offen sein. Mit den vielen geflüchteten Menschen, wie z.B. aus Irak oder Syrien, sind auch viele gute MusikerInnen nach Österreich gekommen.
EDUCULT: Würden Sie sagen, dass sich mit Ihnen die österreichische Musikszene ein Stück weit verändert hat?
Golnar Shahyar: Das kann ich noch nicht beantworten. Ich glaube, die Veränderung findet in Österreich sehr langsam statt. Es gibt kleine Szenen, die sich überhaupt nicht miteinander vermischen. Es ist wie bei unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die auch unter sich bleiben. Unsere ist die Weltmusikszene, die von ein paar VeranstalterInnen bestimmt wird. Meiner Meinung nach ist bei vielen von ihnen das Verständnis von Musik, die aus einem anderen Land kommt oder anders klingt, sehr oberflächlich. In Österreich zählt das Konzept sehr, sehr viel – zum Beispiel jenes der Multikulturalität. Es reicht manchmal schon, mehrere Leute aus verschiedenen Ländern zu haben. Aber ob die Musik wirklich von der Qualität her zusammenpasst und funktioniert, wirklich einen neuen Klang oder einen Dialog zwischen Menschen herstellt, steht an zweiter Stelle. Ich denke, manche der VeranstalterInnen wollen das Risiko nicht eingehen und sie kennen sich auch wenig damit aus, was international musikalisch so noch passiert. Und viele MusikerInnen machen da mit. Man muss auch irgendwie überleben.
EDUCULT: Machen Sie österreichische Musik mit persischem Hintergrund oder persische Musik in Österreich?
Golnar Shahyar: Keines von beidem. Ich persönlich habe meine musikalischen Ursprünge nicht nur in der traditionellen iranischen Musik. Ich habe sie immer gehört, und habe sie immer im Ohr, aber ich habe auch in Kanada und aber auch in Österreich gelebt. Ich habe Einflüsse von all diesen Ländern und ich bin eine Person, die sich gerne alles anhört, das mich interessiert. Also ich bin nicht in iranischer, traditioneller Musik spezialisiert.
Mahan Mirarab: Es gibt die persische, klassische Musik, also eine traditionelle Musik, die ihre eigenen Regeln hat. Und die andere Seite ist die Volksmusik, die man in Dörfern spielt.
Golnar Shahyar: Und die beiden sind sehr unterschiedlich. Im Iran gibt es viele Ethnien und Kulturen. Es ist wirklich ein musikalischer Reichtum, ein Schatz, den der Iran an Volksmusik beherbergt.
Mahan Mirarab: Wir haben viel gelernt aus Einzelprojekten und Kollaborationen mit anderen MusikerInnen, kubanischen, afrikanischen, indischen, österreichischen, arabischen, usw. Das zeigt sich jetzt auch in unserer Musik. Wir beschränken uns nicht auf „Iraner“ oder „persische Musik“ oder Jazz.
EDUCULT: Aber Sie singen auf Farsi?
Golnar Shahyar: Ich singe meistens auf Farsi, aber jetzt beginne ich auch viel auf Englisch zu singen, weil ich nicht im Iran auftreten kann. Ich möchte mit meinem Publikum auf eine andere Art und Weise in Verbindung treten. Es ist anders, wenn sie auch verstehen, was ich singe. Aber ich habe auch das Bedürfnis, auf Farsi zu singen, weil das bin ich, das ist meine Kultur und ich habe so viel zu erzählen auf Farsi. Wenn mich etwas interessiert und wenn ich ein Lied in einer anderen Sprache mag, dann lerne ich es. Also singe ich auch auf Kurdisch, Arabisch, Türkisch, Sephardisch oder Spanisch.
EDUCULT: Denken Sie bei Ihrer Musik an eine spezifische Zielgruppe, wie z.B. Menschen iranischer Herkunft oder nach Europa geflüchtete Menschen, die Farsi verstehen und sprechen?
Mahan Mirarab: Nein, das kann man so nicht sagen. Ein Beispiel: Wir wurden in die Schweiz eingeladen, um für geflüchtete Menschen zu spielen und diese waren dann total enttäuscht von unserer Musik. Ich glaube, wir müssten viel an unserer Musik ändern, damit wir den Geschmack einer nach Herkunft definierten Zielgruppe treffen.
Golnar Shahyar: Unsere Musik liegt zwischen den Welten, genau wie wir selbst. Wir gehören nicht zum iranischen Publikum, wir gehören hier nicht her, wir gehören nirgendwo wirklich dazu. Es ist eine musikalische Identität, die eigentlich nirgendwo ein Zuhause hat. Wenn wir das ändern wollen, müssten auch wir uns verändern. Das heißt, wenn ich mich nach dem Geschmack eines bestimmten Publikums richten würde, hätte ich das Gefühl, dass ich meine eigene künstlerische Identität verstecken müsste. Ich bin eine Mischung aus all diesen Erfahrungen, die ich gemacht habe, und allen zukünftigen. Wir machen nichts spezifisch für eine Zielgruppe. Wir sind, wer wir sind.
Mahan Mirarab: Die Frage ist auch, ob es den Menschen wirklich hilft, wenn wir uns ändern und eine Musik machen, die sich nach ihrem Geschmack richtet.
Golnar Shahyar: Es ist auch die Frage, ob man Musik als Entertainment denkt oder als kulturelle Erweiterung, als eine Brücke zwischen den Menschen und Kulturen. Wollen wir wirklich eine Entertainment-Musik machen, bei der es nur ums Verkaufen geht, oder haben wir eine Message, die wir über die Musik transportieren wollen?
EDUCULT: Musik als Teil von Heimat und der eigenen Identität löst vielleicht keine Probleme, aber schafft Momente von Vertrauen, Zuversicht und hat dann auch etwas mit Unterhaltung zu tun. Wie geht es Ihnen damit, ein ganz eigenes, individuelles, künstlerisches Profil aus all den unterschiedlichen Facetten heraus zu entwickeln?
Golnar Shahyar: Die Erfahrung, sein Heimatland zu verlassen, ist unglaublich schwer, vor allem wenn man keine bessere Wahl hat. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Im Iran habe ich nie traditionelle Musik gehört, habe mich nie für iranische Popmusik interessiert, aber in Toronto jeden Tag. Ich habe meinen Weg zur iranischen Musik erst außerhalb des Irans gefunden. Das ist total natürlich, die Musik weckt Erinnerungen und du fühlst dich wohl. Das hat schon seinen Sinn. Aber seit fünfzehn Jahren lebe ich nicht mehr im Iran und ich glaube, ich bin nun ein Stück weiter. Man muss sich irgendwann einmal anpassen und das Neue kennenlernen. Es gibt aber auch einige Menschen, die sich damit schwer tun und das nicht machen, jahrelang. Ich war aber auch jünger und dadurch flexibler.
EDUCULT: Sind Sie Iranerin, sind Sie Österreicherin oder sehen Sie sich als Kosmopolitin?
Golnar Shahyar: Das ist eine sehr schwierige Frage. Meine Wurzeln wie die Muttersprache und manche Eigenschaften sind vom Iran geprägt und alles andere ändert sich ständig. Also, ich sehe mich als eine Kosmopolitin.
Mahan Mirarab: Ich fühle mich als Iraner, aber ich bin in Teheran, einer Stadt, aufgewachsen und meine Umgebung war geprägt von sowohl westlicher Musik und Kunst, als auch iranischen Traditionen. Ich bin kein richtiger iranisch-traditioneller Musiker. Aber auch kein richtiger Jazzmusiker. Ich lebte vier Jahre auch im Norden des Irans in einer sehr konservativen, religiösen Kleinstadt. Ich habe also auch solche Sachen gesehen und kenne damit viele Aspekte der iranischen Kultur. Aber ich habe überall, wohin ich komme, das Gefühl, hier bin ich zu Hause. Wir verreisen auch viel und ich bin sehr interessiert an verschiedenen Kulturen und möchte neue Sachen kennenlernen.
EDUCULT: Sie haben nun einige Jahre Erfahrung nicht nur in Österreich, sondern auch international, wo Sie auftreten. Würden Sie etwas typisch Österreichisches benennen wollen im Unterschied zur Musikszene in anderen Ländern wie den USA, der Schweiz usw.? Gibt es andere Spielregeln?
Golnar Shahyar: Ja, überall gibt es andere Spielregeln. Manchmal gibt es große Unterschiede. In Ländern, in denen Transkulturalität viel erfolgreicher gelebt wird, sind diese Regeln weniger einschränkend. Dort gibt es ein viel besseres Verständnis von dem Fremden und deshalb weniger Verurteilungen und Kategorisierungen.
EDUCULT: Was ist das Besondere an der kleinen österreichischen Szene? Was fällt Ihnen in Bezug zum Musikbetrieb hier besonders auf? Was lässt Sie auch hierbleiben? Sie könnten wahrscheinlich auch morgen nach Deutschland oder nach Frankreich gehen.
Golnar Shahyar: Es ist nicht so einfach. Noch einmal wohin auszuwandern ist wirklich eine große Entscheidung. Die Szene in Österreich ist klein und in sich geschlossen. Das bringt natürlich einen großen Wettbewerb mit sich. Das Bedürfnis sich zu öffnen, Dinge anders zu erlernen, ist eine große Investition an Energie und auch Geld, die viele nicht leisten wollen. Um das Fremde kennenzulernen, muss man etwas geben und kann dadurch aber auch etwas zurückbekommen.
Mahan Mirarab: Man muss auch sagen, Wien ist eine super Stadt mit hoher Lebensqualität. Ich habe viele gute Freunde hier, ich bin sehr glücklich mit meinem Freundeskreis, und versuche für mich persönlich langsam Brücken zu bauen. Nicht nur musikalische, sondern auch menschliche. Es geht nicht darum, wie gut eine Person spielt, es geht darum, wie gut wir zusammenspielen. Es kommen viele Flüchtlinge aus dem Iran, viele unterschiedliche Menschen kommen zusammen, ob aus Österreich, Südamerika oder Afrika, und ich habe das Gefühl, dass ich etwas mache, hier in meinem kleinen Bezirk. Das macht mich glücklich.
EDUCULT: Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Wohin geht die Reise?
Mahan Mirarab: Wir haben ein Album aufgenommen, das bald veröffentlich wird. Wir haben auch ein neues Projekt mit der israelischen Flötistin Hadar Noiberg begonnen, das für mich sehr interessant ist. Im Iran ist es beispielsweise ein Tabu, mit einer Israelin zusammen zu arbeiten. Wir lernen auch musikalisch sehr viel voneinander. Ich habe meine eigene Band, ein Quartett und wir haben auch international viele Konzerte.
EDUCULT: Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Lebensmittelpunkt in Österreich bleibt?
Golnar Shahyar: Das ist eine Frage, die wir uns auch oft stellen. Ehrlich gesagt, ist es schwer zu sagen, weil ich noch nirgendwo anders als Musikerin gelebt habe. Ich weiß es nicht. Aber so wie ich es sehe, ist es schwierig, mit unserer Musik hier eine Anerkennung zu bekommen. Es gibt zum Beispiel die Austrian World Music Awards, aber das ist genau das, worüber ich zuvor gesprochen habe. Es ist eine Art Schublade und sehr oberflächlich, was dort evaluiert wird. Ich habe das Gefühl, dass wir dort nur zeigen sollen, dass es Vielfalt gibt. Es ist schwierig hier, aber auf der anderen Seite haben wir es bis jetzt auch irgendwie geschafft. Wir leben von unserer Musik. Vielleicht wird es einfacher. Trotz allem finde ich, dass in vielen europäischen Städten wie Wien die Kultur einen sehr hohen Stellenwert hat und ich erlebe es nicht als Selbstverständlichkeit. Ich bin mir dessen bewusst und schätze es sehr.
Mahan Mirarab: Manchmal denke ich, ich verlasse Wien, ich will woanders leben. Aber ich will erst meine Balance finden und dann eine Entscheidung treffen.
EDUCULT: Sie sprechen immer wieder von schwierigen Verhältnissen, Balancen zu finden, Sie erzählen von Ihren mutigen Versuchen, mit einer israelischen Künstlerin zusammenzuarbeiten. Wie geht es Ihnen aber mit dem gesellschaftlichen und politischen Umfeld hier in Österreich?
Golnar Shahyar: Ich habe schon das Gefühl, dass wir immer wieder ein exotisches Label bekommen und keiner sieht, wer wir wirklich sind. Wir haben es noch nicht so richtig geschafft, eine Verbindung mit dem österreichischen und besonders mit einem jungen Publikum herzustellen. Natürlich gibt es auch immer wieder einzelne, die sich wirklich auskennen. Ich denke, ein ganz wichtiger Aspekt, um sich zu Hause zu fühlen, ist das Gefühl von Verbundenheit mit der Umgebung. Es gibt aber auch diese Wände, die es sehr schwer machen. Es ist schwer von diesen Schubladen und Labels wegzukommen. Manchmal habe ich das Gefühl dass ich mich langsam selbst in so einer Schublade sehe.
Mahan Mirarab: Ich glaube, die PolitikerInnen in Wien und die VeranstalterInnen könnten schon etwas dazu beitragen, um eine gute Verbindung zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft herzustellen. Aber leider beobachte ich, dass es viele Projekte mit großem Budget gibt, bei denen die AusländerInnen als Objekte ausgenutzt werden. Sie spielen ein Konzert und das war es dann. Nach dem Konzert wollen wir mit den Leuten reden, wir wollen ein Feedback bekommen, aber das gibt es in Österreich nur ganz wenig.
EDUCULT: Sind wir ÖsterreicherInnen kontaktscheu?
Golnar Shahyar: Ja, wenn sie etwas nicht kennen, fühlen sie sich vielleicht ein bisschen unsicher. Aber sobald eine Vertrauensbasis geschaffen ist, dann bleibt die Freundschaft sehr lang und auch ehrlich. Das mag ich besonders an meinen österreichischen FreundInnen sehr. Ich finde, die ÖsterreicherInnen, die schon die Erfahrung gemacht haben, außerhalb Österreichs zu leben, sind anders. Aber weil es den meisten Menschen hier gut geht, haben sie auch nicht das Bedürfnis, das Land zu verlassen. Das ist super, aber das hat auch die negative Seite, dass man sich nicht mit etwas anderem beschäftigt, obwohl das wichtig sein könnte für die gesellschaftliche Entwicklung. Es ist die Realität, besonders Wien ist multikulturell. Es gibt so viele interessante Dinge, aber warum findet diese Kommunikation nicht wirklich statt?
Mahan Mirarab: Es gibt eine afrikanische Gesellschaft, eine chinesische Gesellschaft, eine iranische Gesellschaft und einige Iraner können gar nicht Deutsch, obwohl sie seit 30 Jahren hier leben. Die PolitikerInnen könnten helfen, Brücken zu bauen. Es gibt die Veranstaltungen, es gibt ein Budget, alle bekommen Geld, alle sind fröhlich. Nachher gehen alle nach Hause und vergessen, was wir gemacht haben, was für einen Schritt wir gemacht haben.
Golnar Shahyar: Ich glaube, gerade die EntscheidungsträgerInnen im kulturellen Bereich sollten ein tiefes Verständnis von anderen Kulturen haben. Dann kann auch auf der kulturellen Ebene langsam diese Verbindung stattfinden. Im Moment geht noch zu viel Geld an oberflächliche Projekte.
EDUCULT: Ihre Empfehlung wäre es, dass auch die österreichischen MusikerInnen viel mehr nach draußen gehen sollen, um Erfahrungen sammeln?
Golnar Shahyar: Auf jeden Fall. Also ich kann sagen, die ÖsterreicherInnen, die entweder PartnerInnen haben, die nicht aus Österreich kommen, oder die außerhalb Österreichs gelebt haben, mit denen können wir uns wirklich gut verbinden. Bei den anderen ist es ein bisschen schwierig.
EDUCULT: Was wäre eine schöne Entwicklung für Sie, ein Idealbild in fünf Jahren?
Golnar Shahyar: Ich würde mich gerne mehr mit solchen Fragen beschäftigen. Für mich ist gute Kommunikation besonders wichtig. Mein Ziel ist es, dass sie trotz all dieser Hindernisse immer besser wird. Ich sehe die Wichtigkeit von dem, was ich mache, und ich würde gerne verschiedene Disziplinen zusammenbringen und mit verschiedenen Menschen zusammenarbeiten und dabei mithelfen, ein Grundverständnis zwischen verschiedenen Kulturen herzustellen. Ich bin eben so, ich habe diese verschiedenen Kulturen in mir. Ich wünsche mir, dass man aktiver in diese Richtung hin arbeitet.
Mahan Mirarab: Ich möchte auch gerne mit neuen Leuten zusammenarbeiten, neue Sachen lernen, natürlich mehr verdienen und nicht nur überleben, sondern mir ein qualitätsvolles Leben hier aufbauen.
EDUCULT: Ganz herzlichen Dank für das offene und interessante Gespräch!
Nächste Auftritte in Wien:
- 26. Jänner 2017, Burgtheater Wien: "Erkennt die unsichtbare Schnur, die alle mit allen verbindet" – Ein lebendiges Manifest gegen Xenophobie mit André Heller
- 8. Februar 2017, Café 7Stern: "7*Stern Wohnzimmerkonzert – Mirarab, Wahba & Friends"
- 22. März 2017, Theater Akzent: "In meiner Hand eine Wolke – Für eine Kultur des Miteinander"
- Jeden Donnerstag (außer an Feiertagen), KulturRaum Neruda: Worldmusic Sessions (Leitung: Mahan Mirarab)
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