EDUCULT im Gespräch mit Johnny Mhanna
Johnny Mhanna ist 24 Jahre alt und stammt aus Syrien. Im Bürgerkrieg hat er bereits seinen Vater verloren, das Assad Regime hat ihn einfach verschwinden lassen. Er selbst wäre zum Kriegsdienst gezwungen worden, was ihn 2012 in die Flucht getrieben hat.
Als professioneller Schauspieler spielte Johnny Mhanna bereits in zahlreichen Theater- und Filmproduktionen in Syrien und im Libanon, bevor er im August 2015 nach Österreich kam und nun auch hier seinen Traum weiterverfolgt. Bis heute nimmt er in jedem Theater, das er betritt, dasselbe Parfüm wahr, das er bei seinem ersten Theaterbesuch mit acht Jahren gerochen hat. Für ihn ist es das Parfüm der Freiheit.
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EDUCULT: Bitte erzählen Sie uns ein wenig über sich selbst!
Johnny Mhanna: Ich bin glücklich, dass ich bereits in drei Ländern als Schauspieler aktiv sein konnte. Ich habe Syrien zu Weihnachten 2012 verlassen und bin für über drei Jahre in den Libanon. Dort werden zahlreich TV Serien und Filme produziert und sie haben großartige Theater. Wir sprechen die gleiche Sprache, aber mit einem unterschiedlichen Akzent. Ich brauchte ungefähr drei Wochen, um diesen Akzent zu lernen.
In Beirut war ich auf einem Casting von einer der besten TheaterregisseurInnen der arabischen Welt, Lina Abyad. Sie engagierte mich für ein Stück an der LAU (Lebanese American University) für drei Monate. Aber danach musste ich neun Monate lang bei McDonalds arbeiten. Aber ich spielte weitere sechs Stücke an der LAU und wirkte in 20 Kurzfilmen von Studierenden mit. Auch im bekannten Sunflower Theatre spielte ich in einem Bühnenstück und für zwei Science Fiction Filme und eine TV Serie stand ich vor der Kamera.
Diese drei Jahre als Schauspieler im Libanon waren die beste Zeit für mich. Weil ich den libanesischen Akzent sehr gut beherrschte, konnte ich richtig viel arbeiten. Ich spielte in wichtigen Produktionen und lernte sehr viel.
EDUCULT: Und warum haben Sie den Libanon verlassen?
Johnny Mhanna: Weil du im Libanon, egal was du tust, auch wenn du Superman wärst, keine Zukunft hast. Auch für Libanesen gibt es im Libanon keine Zukunft. Dann können Sie sich vorstellen, wie das für Syrer ist.
Das zweite Problem war, dass sich in meinem letzten Jahr dort die Migrationsgesetze verändert haben. Das war vor allem für Syrer ein Desaster. Plötzlich brauchtest du ein Visum um in den Libanon einreisen zu dürfen. Ich war ja bereits da und sollte auf einmal einen einheimischen Bürgen aufweisen, um bleiben zu dürfen. Nachdem ich keinen solchen Förderer fand, war ich plötzlich illegal ohne offizielle Papiere im Land. Nach zwei Monaten entschied ich mich dafür, mich bei der UN als Flüchtling eintragen zu lassen. Mit diesen Papieren ging ich zur libanesischen Botschaft um neue Papiere für einen legalen Aufenthalt zu bekommen. Aber mit diesem Status als Flüchtling war es mir gleichzeitig nicht mehr erlaubt zu arbeiten. Und weil ich in Beirut lebte und nicht in einem der Lager der UN bekam ich auch von der UN keine finanzielle Unterstützung. Das ist einer der Gründe, warum ich den Libanon verlassen habe.
Ein weiterer Grund ist, dass du im Libanon wirklich das schlimmste Leben hast, das es gibt. Es ist kein stabiler Staat. Zum Beispiel ist das Land seit Mai 2014 ohne Staatsoberhaupt, das ist eines ihrer Probleme. Traum eines jeden Libanesen ist es, von dort wegzukommen.
Vom Libanon aus war mein nächstes Ziel Österreich, wo ich mittlerweile bereits an drei Theaterproduktionen mitwirken konnte. Mir gefällt die Idee als professioneller Schauspieler in drei verschiedenen Ländern zu spielen und wer weiß, vielleicht kommt in den nächsten Jahren ein viertes Land dazu? Vielleicht bin ich ein Schauspieler ohne Grenzen.
EDUCULT: Das ist eine schöne Idee. Aber gibt es wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Schauspielerei in Syrien, im Libanon, in Österreich? Gibt es verschiedene Theatertraditionen in diesen Ländern? Oder andere Methoden?
Johnny Mhanna: Eigentlich nicht, ein Schauspieler ist ein Schauspieler – überall. Einem Publikum auf der Bühne gegenüberzutreten, das ist dasselbe. Aber ein Unterschied liegt in der Sprache. Ein österreichischer Schauspieler spricht Deutsch und ein syrischer Schauspieler Arabisch. Aber die Art zu denken ist nicht verschieden. Wenn zum Beispiel zwei österreichische Schauspieler Hamlet von Shakespeare spielen, wird jeder von ihnen die Rolle auf seine Art interpretieren. Und wenn zwei syrische Schauspieler die gleiche Rolle haben, werden sie diese wiederum individuell spielen.
EDUCULT: Sie haben Shakespeare erwähnt, einen sehr europäischen Autor oder vielleicht ist er ein globaler Autor?
Johnny Mhanna: Ja, Shakespeare ist international. Es hat weniger mit den verschiedenen Ländern zu tun, im Grunde liegt es an den jeweiligen Regisseuren, wie ein Stück erarbeitet wird. Klar, es gibt Unterschiede zwischen einem syrischen und einem österreichischen Regisseur, weil sie unterschiedliche Ausbildungen, Kultur und Art des Denkens haben. Die Syrer in Syrien denken nicht gleich wie die Österreicher in Österreich. Ein syrischer Regisseur wird Hamlet so interpretieren, wie er ihn sieht. Auch in Amerika oder England, jeder Regisseur wird dasselbe Stück auf seine ganz individuelle Weise aufführen.
Aber sicher gibt es Unterschiede in der Theaterszene, die auf die jeweilige Kultur des Landes zurückzuführen sind. Die Szene in Syrien ist der österreichischen Theaterlandschaft jedoch sehr ähnlich. Wie die Akteure leben, wie sie Gelegenheiten hinterherlaufen, finanziell ständig prekär – all das ist ganz ähnlich.
Vor dem Krieg in Syrien hatten wir sehr viele TV Produktionen, viel mehr als hier in Österreich. Jedes Jahr wurden 30 bis 35 TV Serien und drei bis vier Filme produziert. Und wir hatten Theater. Es gab viel mehr Möglichkeiten als Schauspieler aktiv zu sein als das hier der Fall ist. Wenn du nicht in einem Theater gearbeitet hast, warst du beim Fernsehen oder beim Film. Während in Österreich das Kino eher eine Minderheiten-Kultur ist, hier dreht sich alles um das Theater.
Auf der anderen Seite haben wir in Syrien keine Häuser für Musicals. Nur alle drei bis vier Jahre wird eine Musical Produktion aufgeführt. Dieses Genre ist dem syrischen Publikum nicht so vertraut.
EDUCULT: Wie würden Sie das Leben in Syrien mit dem Leben hier in Österreich vergleichen? Gibt es Unterschiede im Denken oder im Alltag?
Johnny Mhanna: Es gibt einen kulturellen Unterschied. Das Alltagsleben ist nicht dasselbe wie hier in Österreich. Aber auch innerhalb Syriens gibt es regionale Unterschiede. Das Leben in Damaskus ist nicht dasselbe wie in Aleppo, Homs oder Hama. Syrien ist ein großes Land, flächenmäßig mehr als doppelt so groß wie Österreich.
Die Österreicher fokussieren sehr stark auf ihre Arbeit. Sie arbeiten, arbeiten, arbeiten den ganzen Tag und gehen am Wochenende fort. Das ist ihre tägliche Routine. Zum Beispiel in Damaskus haben wir eine solche Routine nicht. Das Nachtleben ist dort viel wichtiger als in Wien. Die Geschäfte schließen nicht so früh und du kannst Supermärkte finden, die 24 Stunden offen haben. So kannst du um fünf in der Früh alles kaufen, was du willst. Und wir kennen diese besondere Bedeutung von Wochenende nicht. Wir sagen nicht, „lass‘ uns am Freitag oder am Wochenende treffen“. Nein, wir treffen uns an jedem Tag.
Und die Menschen in Syrien zeigen ihre Emotionen offener. Zum Beispiel kennst du in den Straßen jeden, der in den Geschäften dort arbeitet und sagst „Hi“ zu ihnen. Die Menschen sind einfach, aber nicht auf eine negative Art und Weise. Es ist positiv, dass sie sich viel näher sind und mehr Emotion in ihren Herzen haben. Das ist auf unsere Kultur zurückzuführen. Wir haben einen Mix aus verschiedenen Religionen und du kannst kleine Plätze finden, die nur mit einer Religionsgemeinschaft verbunden sind. Es gibt verschiedene Gewohnheiten und unterschiedliche Arten zu leben.
EDUCULT: Warum sind Sie Schauspieler geworden? Was waren Ihre Motive?
Johnny Mhanna: Das ist eine schwierige Frage. Als ich acht Jahre alt war nahm mich meine Tante das erste Mal zu einer Theatervorstellung mit. In dem Moment, in dem ich in den Theatersaal reinkam, roch ich ein Parfüm. Ich weiß nicht, was es war, aber ich rieche diesen Geruch bis heute jedes Mal, wenn ich ein Theater betrete – in Syrien, im Libanon und auch hier in Österreich. Deshalb ist auch „Das Parfüm“ von Patrick Süskind mein Lieblingsroman. Und der Hauptdarsteller des Romans der Charakter meiner Träume. Das Stück würde ich sehr gerne spielen.
Als ich mit 18 Jahren dann mein Bakkalaureat absolvierte, begann ich im Theaterklub der Universität zu spielen. Ich liebe am Schauspielen, dass man in jede Rolle schlüpfen kann. Du kannst ein Obdachloser sein und du kannst ein König sein. Ein Doktor oder eine Sekretärin. Darum liebe ich das Schauspielen und jeder der gerne schauspielt kann auch spielen. Zumindest kannst du einen Charakter spielen, ohne die Schauspielerei erlernen zu müssen – dich selbst.
Beim Spielen einer Rolle kann man Menschen emotional berühren. Vielleicht erreichst du in einem Publikum von 400 Menschen nur fünf von ihnen, aber wenn du diese fünf richtig berühren kannst, ist das genug. Wenn sich das Publikum mit deiner Rolle identifizieren kann, erreichst du sie, weil du ihnen in diesem Moment ihre eigene Rolle vorlebst. Und das ist, was ich am Schauspielen und auf der Bühne sein so mag: mit anderen Menschen in Berührung kommen.
EDUCULT: War ihre Ausbildung zum Schauspieler ein wichtiger Part in Ihrem Leben?
Johnny Mhanna: Das wichtigste für mich als Schauspieler ist Menschen zu beobachten. Wenn ich auf einem öffentlichen Platz bin und ich höre einen seltsamen Ton oder eine fremdartige Stimme, dann höre ich genau hin und probiere es später zuhause zu kopieren. Es ist eine Art „stehlen“ von anderen Leuten. Ich „stehle“ Bewegungen von Menschen, wie sie ihre Hände bewegen, wie sie aussehen, wie sie gehen. Reale Menschen zu kopieren verschafft dir eine große Auswahl beim Spielen eines Charakters und öffnet für dich selbst neue Räume.
In den Workshops im Theaterklub der Universität wurden wir auf das Dasein als Schauspieler vorbereitet. Wir hatten viele Einheiten und Übungen zu Theaterspielen, Gedächtnistraining, Imagination, Lesen, Aussprache und die Geschichte des Theaters.
Jede Übung, aber auch alles andere was du im Leben machst, kann dir bei der Schauspielerei helfen. Du kannst nie wissen, ob das Erlebte einmal für eine bestimmte Rolle hilfreich sein kann. Ein Schauspieler zu sein bedeutet bei A zu starten und bis Z zu gehen. Du musst Dinge lernen, erfahren, dir Wissen aneignen und dies dann zusammensetzen. Je mehr Charaktere du in deiner Arbeit einstudierst, desto mehr Wissen eignest du dir an.
EDUCULT: Wie funktioniert das Bildungssystem in Syrien? Spielt Kunst eine Rolle im täglichen Schulleben? Spielen Musik, Theater und Tanz eine Rolle in der Bildung?
Johnny Mhanna: Nein. Aber seit 2002 gibt es Musikunterricht an den Schulen über die Geschichte von Musik und wichtige Musiker und Komponisten. Und es gibt Zeichenunterricht. Aber kein Theater oder ähnliches. Wenn sich ein Jugendlicher für Theater interessiert hat er die Möglichkeit außerhalb der Schule in Gruppen Theater zu spielen und dafür gibt es auch ein eigenes Theaterfestival jedes Jahr. Aber nur wenige Jugendliche nutzen diese Chance.
EDUCULT: Ich kann mir vorstellen, dass einige dieser Errungenschaften und Veränderungen im Bildungssystem derzeit zerstört werden oder bereits sind. Gibt es im Moment überhaupt regulären Unterricht in Syrien?
Johnny Mhanna: Ja, es gibt noch immer ein paar sichere Regionen, zum Beispiel im Zentrum von Damaskus – und das Zentrum von Damaskus ist nicht klein. Aber außerhalb von Damaskus ist alles zerstört. Oder die Stadt Tartus am Mittelmeer im Westen von Syrien – da gibt es keinen Krieg und die Menschen leben ganz normal. Sie feiern Party, lernen, gehen auf die Universität – so als ob Tartus nicht in Syrien wäre.
EDUCULT: Darf ich Sie nach Ihrer Situation hier in Österreich fragen? Haben Sie Pläne für weitere Theaterproduktionen?
Johnny Mhanna: Ich habe eine weiße Karte und ich warte auf meinen Termin für ein weiteres Interview um eine Aufenthaltserlaubnis und einen Reisepass zu bekommen. Mit meinem aktuellen Status im laufenden Asylverfahren habe ich keine Arbeitserlaubnis. Wenn ich für ein Theaterstück engagiert werde, muss ich es gratis machen. Ich darf im Moment kein eigenes Geld verdienen.
EDUCULT: Wollen Sie für längere Zeit in Österreich bleiben?
Johnny Mhanna: Ja, ich kam gezielt nach Österreich. Ich wollte nicht nach Deutschland oder Schweden.
EDUCULT: Eine große Frage für mich, und ich glaube für viele Menschen in Österreich, ist: Wollen Sie zurück nach Syrien gehen, wenn die Konflikte beendet sind? Oder planen Sie hier in Österreich ein neues Leben zu starten?
Johnny Mhanna: Ich weiß nicht, ob ich zurückgehe, wenn der Krieg beendet ist. Ich möchte nicht lügen und sagen „Ja, ich gehe dann zurück“. Ich weiß es wirklich nicht.
EDUCULT: Fühlen Sie sich darauf vorbereitet, irgendwo anders ein neues Leben zu starten? Ich kann mir vorstellen, das ist nicht einfach?
Johnny Mhanna: Ja, es ist wirklich schwer. Aber sobald du diesen Schritt wagst und dich dafür entscheidest als illegaler Einwanderer diesen ganzen schwierigen Weg auf dich zu nehmen, kannst du nicht mehr zurück. Wenn du das Ticket für die Türkei kaufst, solltest du deine Vergangenheit vergessen. Weil du nicht wissen kannst, wie lange der Krieg in Syrien dauern wird. Er wird nicht vor zehn Jahren beendet werden. Ich hoffe das zwar nicht, ich glaube er wird noch sehr lange andauern.
EDUCULT: Aber fühlen Sie sich darauf vorbereitet?
Johnny Mhanna: Ja. Es ist sogar etwas Schönes neue Sprachen zu lernen und neue Leute zu treffen, neue Freundschaften einzugehen. Und ich hatte diese Erfahrung ja auch schon zuvor, als ich von Syrien in den Libanon gegangen bin. Da habe ich auch ein neues Leben beginnen müssen, auch wenn es wegen der arabischen Sprache einfacher war. Aber ein neues Leben zu starten ist nichts ganz Neues für mich.
Und Deutsch zu lernen macht mir Spaß. Auf meinem Weg hierher dachte ich, ich muss die Schauspielerei für vier oder fünf Jahre aufgeben, wegen der Sprache. Aber nach zehn Tagen in Österreich begann ich mit der Gruppe „Die Schweigende Mehrheit“ in der Musikschule von Traiskirchen zu proben. Ich kam am 28. August 2015 an und stand am 12. September bereits mit einer Premiere auf der Bühne der Arena Wien, nur 15 Tage nachdem ich Österreich betreten habe.
Und später half mir mein Englisch eine Rolle in einem anderen Stück zu bekommen. Dort spielte ich auch neun Sätze in Deutsch, das war meine Idee und der Regisseur war damit einverstanden. Und das ist Schauspielen. Ich muss immer neue Sätze lernen. Wenn ich auf Arabisch spiele, muss ich mehr darüber nachdenken, wie ich es exakt sage, da es meine erste Sprache ist. Aber jetzt war es einfacher für mich auf Englisch oder auf Deutsch zu spielen. Dann spiele ich, diese neue Sprache zu sprechen und das ist eine weitere Ebene der Schauspielerei.
EDUCULT: Das könnte eine „gefährliche“ Frage sein und wir haben hier eine breite öffentliche Diskussion darüber: Flüchtlinge, die nach Österreich oder Deutschland kommen, sollten mit uns gemeinsame Werte teilen, was auch immer das bedeutet. Die Debatte wurde auch lauter nach den Ereignissen in Köln. Es gibt unterschiedliche Einstellungen hinsichtlich Gleichberechtigung der Geschlechter und Stellenwert von Religion. Was würden Sie aus Ihrer Erfahrung sagen: Teilen wir gemeinsame Werte?
Johnny Mhanna: Tatsächlich ist diese Frage schwer zu beantworten. Ich bin nicht streng gläubig, ich bin nicht sehr religiös, aber ich bin christlich aufgewachsen. Und das macht manche Dinge für mich einfacher, als für einen Muslimen der auf österreichische Christen trifft. Ich sage nicht, dass das gut oder schlecht ist, es ist einfach Fakt. Auf die eine oder andere Weise kann ich das Leben der Österreicher komplett verstehen. Und das nicht nur wegen der Religion, sondern wegen meinem Leben in Damaskus. Du kannst dich mit mir nicht auf die gleiche Weise auseinandersetzen wie mit einem Menschen aus Deir ez-Zur im Osten von Syrien.
EDUCULT: Sie meinen die kulturellen Unterschiede beginnen bereits in Syrien und nicht erst in Europa?
Johnny Mhanna: Ja. Ich habe in der Hauptstadt gelebt und wenn ich nach Deir ez-Zur fahren würde, wäre ich dort einzigartig. Ich wäre so etwas wie ein Tourist für die Menschen dort, weil ich aus Damaskus bin. Es wäre schwierig anzuknüpfen. So können Sie sich vorstellen, wie schwer es für einen Flüchtling aus dieser Region ist, Zugang zu Wienern zu finden. Sogar für mich ist es auf die eine oder andere Weise schwierig mit Wienern Kontakt aufzunehmen.
Es gibt ein paar Flüchtlinge, die blind ihrer Religion folgen und sie sind in ihrer gesellschaftlichen Einstellung nicht sehr offen, wegen der Religion. Und das ist ein Problem. Jedes europäisches Land – ich meine nicht Ungarn oder Kroatien – aber jedes europäische Land ist besser als Syrien oder der Irak, das ist klar. Weil die Leute sich gegenseitig respektieren und wegen ihrer Art zu leben.
Es gibt ein paar Flüchtlinge, die hierher kommen und die Sprache nicht lernen wollen. Oder sich nicht mit österreichischen Leuten abgeben wollen. Sie wollen nur mit ihrer eigenen Kultur beschäftigen und diese auch hier verbreiten. Aber das ist nicht der Weg. Du kommst in dieses Land um sicher zu sein oder um besser leben zu können. Wenn du hier ein besseres Leben möchtest, musst du leben wie die Menschen hier leben, und nicht, wie du in Syrien gelebt hast. Das ist unmöglich. Du dein Gegenüber verstehen, damit dieser dann dich verstehen kann.
EDUCULT: Wie sollen wir mit diesen Flüchtlingen umgehen, die nicht an unserer Lebensweise teilhaben möchten?
Johnny Mhanna: Eine schwierige Frage. Wenn jemand die Sprache nicht zumindest auf einem Basisniveau erlernen möchte, kannst du ihn nicht zwingen. Er wird es nie lernen und das ist sein Problem. Einige glauben, sie werden bald ihre Aufenthaltsbewilligungen bekommen und dann erhalten sie vom Staat Mindestsicherung von etwa € 850. Und sie denken sie können dann in ihren Wohnungen bleiben und mit diesem Geld Monat für Monat auskommen. So denken manche Flüchtlinge, natürlich längst nicht alle von ihnen. Aber das ist ein Problem, ich weiß nicht, ob die Regierung einfach nur still bleibt und ihnen monatlich das Geld gibt oder ob sie die Leute dann abschiebt.
Ich würde gratis arbeiten, nur um rauszukommen und ein soziales Leben zu haben. Aber manche Leute können den ganzen Tag zu Hause herumsitzen.
EDUCULT: Wie würden Sie das kulturelle Leben in Österreich beschreiben? Was sind Ihre Erfahrungen?
Johnny Mhanna: Was ich hier in Österreich sehr schätze ist der Respekt. Hier respektieren die Menschen einander mehr als ich es aus Syrien gewohnt war. Ich habe im Stück „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ einen Platz eingenommen und als die Leute der Theatergruppe mich und mein Talent mochten, habe ich deren Respekt gewonnen. Und das öffnete mir hunderte Türen im Sozialleben. Wegen ihrer Netzwerke, aufgrund ihrer Hilfe und dem Stück selbst. Wenn mich Menschen auf der Bühne erlebten, zeigten sie mir ihren Respekt und das ist wunderbar. Und die Leute mit denen ich arbeitete vergessen dich auch nach der Produktion nicht. Sie wurden richtig enge Freunde von mir. Sie können mich um Mitternacht anrufen, wenn sie gerade über eine künstlerische Idee nachdenken. Das ist nur mit gegenseitigem Respekt möglich.
EDUCULT: Ich fürchte, nicht alle ÖsterreicherInnen sind so, aber es ist großartig, dass Sie diese Erfahrung gemacht haben.
Johnny Mhanna: Ich habe noch keinen schlechten Österreicher kennengelernt.
EDUCULT: Wenn Sie Asyl bekommen, was wären Ihre nächsten Schritte?
Johnny Mhanna: Dann würde ich jeden Tag gratis zum Deutschkurs gehen können. Das wäre richtig gut.
Vielen Dank für das Gespräch!
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