EDUCULT im Gespräch mit Monika Piorkowska
Die bildende Künstlerin Monika Piorkowska, geboren und aufgewachsen im polnischen Krakau, lebt und arbeitet seit 2003 in Wien. Zuvor studierte sie an der Akademie der Bildenden Künste in Krakau und schloss diese 2003 mit Auszeichnung ab. Daraufhin besuchte sie die Universität für Angewandte Kunst in Wien und graduierte dort ebenfalls mit Auszeichnung. Ihre transmedialen Arbeiten sind ein künstlerisches Zusammenspiel aus Conceptart, Objectart, Installation, Photographie, Druck, Malerei und Performance, die sich gesellschaftspolitisch relevanten Themen widmen. 2010 wurde sie für ihr Projekt „Time Boxes“, welches mehrmals in Wien und Umgebung ausgestellt wurde, mit dem Preis der Kunsthalle Wien ausgezeichnet. In ihrer aktuellen Installation „Liquid Democracy“, die in der Galerie Steinek in Wien zu sehen war, arbeitet Monika Piorkowska mit Seife als Material und vermag es, eine mehrdimensionale und multiperspektivische Auseinandersetzung mit dem Status Quo und der Transformation des Demokratiebegriffs und mit dem sich damit verändernden politischen Bewusstseins zu kreieren.
In einem spannenden Gespräch mit EDUCULT berichtet Monika Piorkowska über ihre persönliche und künstlerische Herkunft, ihre künstlerische Laufbahn und ihre aktuelle Ausstellung. Zudem sprechen wir über aktuelle politische Veränderungsprozesse hinsichtlich des Demokratieverständnisses in Europa, die Deutung und Verantwortung des Heimatbegriffs und wie Kunst und Kultur beiträgt, gesellschaftspolitische Werte und Themen zu prägen.
EDUCULT: Vielen Dank, dass Sie Zeit gefunden haben für ein Gespräch mit EDUCULT! Beginnen möchte ich mit der aktuellen politischen Lage in Polen. Die polnische Demokratie ist momentan in weiterer Bedrohung und es werden Gesetze erlassen, die tief in die Rechtsprechung eingreifen. Ich kenne Sie als sehr politisch bewusste Künstlerin, wie geht es Ihnen mit dieser Situation?
Monika Piorkowska: Also um ehrlich zu sein, ich bin ein wenig verzweifelt, weil ich sehe zu wenig Bewegung in Polen, vor allem von der Opposition. Es gibt keine Bewegung, die junge Leute anspricht. Ich sehe eine große Gefahr in Polen, die sich widerspiegelt im Rechtspopulismus, der sich sehr schnell verbreitet und junge Leute mitnimmt. Und ich beobachtete die letzten Tage die Demonstrationen in Polen. Man kann schon fast behaupten, dass sich Polen mit den neuen Gesetzen von einem demokratischen Rechtstaat entfernt. Also es geht alles in die Richtung eines Kaczy?ski-Regimes und einer Diktatur. Daher bin ich überrascht, dass so wenig junge Leute in Polen darauf reagieren. Das sehe ich mit großer persönlicher Sorge. Ich hätte mir mehr Protest von jungen Leuten gewünscht.
EDUCULT: Wenn es nicht die jungen Leute sind, wer sind die, die dann demonstrieren?
Monika Piorkowska: Das sind die Intellektuellen, die KünstlerInnen, die Generation über 35. Ich sehe wirklich wenig Bewegung in der jungen Generation über und unter 20, auch bei den ganz jungen Menschen, die das Wahlrecht haben. Sie fühlen sich aus meiner Sicht nicht angesprochen. Ich weiß nicht genau, was der Grund ist. Ob es an der Faulheit, der Propaganda, oder an einem Gefühl des „Es wird schon alles gut werden“ liegt, ich weiß es nicht.
EDUCULT: Jetzt sagen Sie, es demonstrieren auch kulturell Interessierte, KünstlerInnen und Intellektuelle, haben die den Kontakt zu den jungen Leuten verloren?
Monika Piorkowska: Ich glaube die KünstlerInnen versuchen diesen Kontakt wieder aufzunehmen, aber die PolitkerInnen nicht, da fehlt der Anschluss momentan. Ich kann mir das nicht genau erklären, weil ich stamme aus einer Generation, die ein großes politisches Bewusstsein hatte. Ich bin aufgewachsen im ehemaligen kommunistischen Krakau und wir waren uns als junge Menschen bewusst, welche Veränderungen in Polen kommen können, und daher haben wir uns sehr politisch interessiert. Da spielt natürlich auch die katholische Kirche in Polen eine Rolle, die im Zuge der Transformation eine sehr progressive Kraft war. Zur Zeit des Kommunismus gab es Solidarnosz, deren Mitglieder sich nach Freiheit und Demokratie gesehnt haben. Momentan aber unterstützen wesentliche Teile der Katholischen Kirche die RechtspopulistInnen. Darin sehe ich auch eine Gefahr, die junge Leute sehr beeinflusst. Ich glaube, dass die Kirche vor allem in kleinen Ortschaften und Orten sehr prägend ist. Es werden große Feindbilder durch die Propaganda geschaffen und es werden Schuldige gefunden, warum die Jugendlichen keinen Job, keine Wohnung, keine Perspektive, usw. haben. Und die Propaganda funktioniert hervorragend. Auch die Programme, die die rechtspopulistische PiS-Partei – gemeint ist die Partei für Recht und Gerechtigkeit- eingeführt haben, sind ein sehr gutes Zuckerl für die jungen Familien. Zum Beispiel das Programm 500 Zloty plus, in dem Familien monatlich 500 Zloty für jedes Kind überwiesen bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Natürlich ist das für eine Familie, die vier Kinder hat ein starkes Argument, PIS zu unterstützen, weil sie erhält 2000 Zloty im Monat. Und man gewöhnt sich auch daran. Gleichzeitig sinkt das kulturelle und bildungspolitische Niveau, da die polnische Regierung keine Museen, keine Ausstellungen und keine kulturellen Projekte unterstützt. In diesem Sektor wird enorm gespart. Meiner Meinung nach ist das ein taktischer und frecher Trick, die Bevölkerung unwissend zu halten. Jüngst wurde in polnischen Schulen sogar die Evolutionslehre Darwins aus den Schulbüchern gestrichen. Für mich ist es unvorstellbar, dass im Jahr 2017 die Kinder nicht über Darwin lernen dürfen.
EDUCULT: Das ist so ähnlich wie in der Türkei momentan.
Monika Piorkowska: Ich beobachte diese zwei Länder und es wirkt so, dass sich Polen von Erdogans Regierung einiges abgeschaut hat. Die ganzen Zuckerl und Geschenke an die Bevölkerung, die kurzfristig helfen und wodurch vieles anderes verdrängt wird. Es gibt keine freien Medien, die von der polnischen Regierung unterstützt werden. Die Gazeta Wyborcza, eine der größten polnischen Tageszeitungen, kämpft gerade ums Überleben. Und im polnischen öffentlichen Fernsehen findet man weit und breit pro Kaczy?ski- Propaganda, wo auch größtenteils Feindbilder geschaffen werden. In Polen leben kaum Flüchtlinge. Trotzdem wurden sie zum Hauptthema in der polnischen Propaganda gemacht worden, weil sie die polnische Heimat bedrohen würden. Auch der Islam wird politisiert in Polen, obwohl kaum Muslime in Polen leben.
EDUCULT: Sie leben seit 2003 in Österreich und haben eine gute Vergleichsmöglichkeit zwischen Österreich und Polen. Auch in Österreich war ursprünglich die Rolle der katholischen Kirche sehr stark. Zudem gibt es hier Tendenzen zu einer rechten bzw. rechtsradikalen Position. Wo liegen die Ähnlichkeiten, wo die Unterschiede?
Monika Piorkowska: Also ich glaube, dass viele Menschen in Österreich nach der Wahl von van der Bellen entspannter sind, weil damit noch einmal ein liberaler Politiker gewonnen hat und sich Österreich damit- zumindest kurzfristig – ein wenig von der Umklammerung des Rechtspopulismus zu lösen vermocht hat. Jetzt sind wir vor den Wahlen im Oktober und ich sehe die Gefahren -ähnlich wie In Polen- des Überhandnehmens von rechten Parteien. Momentan kann man etwas ausatmen, aber die Situation kann schnell kippen. Wir erleben eine Polarisierung, die in ganz Europa vorherrscht, in den Niederlanden, in Frankreich mit der LePen-Partei, die gerade noch zurückgedrängt wurde. Ich glaube, dass die Unzufriedenheit in den größten Teilen der Bevölkerung einen verhängnisvollen Spielraum für rechtsradikalen Populismus bietet; viele Menschen fühlen sich von ihnen angesprochen.
EDUCULT: Sie sind Künstlerin, Sie spüren sehr sensibel Stimmungslagen. Wie erfahren Sie die Situation in Österreich, was spüren Sie?
Monika Piorkowska: Also ich hoffe, dass es nach der Wahl im Oktober keine türkis-blaue Regierung geben wird. Das würde ich allen ÖsterreicherInnen wünschen. Wir brauchen auch in Zukunft eine offene Gesellschaft; die Demokratie soll belebt und nicht eingeschränkt werden.
EDUCULT: Finden Sie das in den Gesprächen mit Ihrem künstlerischem Umfeld bestätig? Sie sagten auch, dass in Polen die jungen Leute nicht mehr aufstehen würden, um sich diesen falschen Entwicklungen entgegen stellen. Wie schätzen Sie im Vergleich dazu die österreichische Situation ein?
Monika Piorkowska: Ich glaube, dass das in Österreich ein wenig anders ist. Die jungen ÖsterreicherInnen sind politisch aktiver, vielleicht auch politikbewusster. Sie sind nicht so müde, was mir Hoffnung gibt. Somit sehe ich darin einen großen Unterschied. Auch viele junge StudentInnen und KünstlerInnen versuchen aktiv teilzunehmen und bewusst wählen zu gehen. Und zudem erkenne ich in Österreich viel größere Hilfsbereitschaft; die Kulturschaffenden unterstützen sich gegenseitig.
EDUCULT: Sie waren in gewissermaßen Kind eines umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozesses gewesen sind und, wie Sie sagten, hat Sie das politisiert hat. Wie konnte es nach 1989 zur aktuellen politischen Situation in Polen kommen?
Monika Piorkowska: Ich glaube, dass sich nach den ersten Jahren des Aufbruchs ein großer Frust breitgemacht hat. Wenn ich mir bespielweise die Generation von meinen Großeltern veranschauliche, die den ersten und zweiten Weltkrieg und ihren umfassenden Zerstörungen, sowie den Kommunismus miterlebt haben. Sie mussten Polen buchstäblich von Grund auf wieder aufbauen: die Straßen, die Häuser waren kaputt. Und dann ist die Wende gekommen, mit ihr die Demokratie aber auch die Härte kapitalistischen Wirtschaftens, deren bittere Konsequenzen viele PolInnen nicht verkraftet haben. Das ist der Grund, warum so viel Frust herrscht und warum die rechte Partei so erfolgreich werden konnte. Es gibt einfach zu viel Unzufriedenheit.
EDUCULT: Nach dieser Interpretation hat sich das große Versprechen, eine kapitalistische Dynamik würde es allen Leuten besser gehen lassen, nicht erfüllt. Aber es gibt Regionen, wenn ich an Schlesien mit 10% Wirtschaftswachstum denke, die wirtschaftlich sehr erfolgreich sind.
Monika Piorkowska: Wenn man sich die Statistiken ansieht, ist es auch nicht so, dass gut Gebildete und wirtschaftlich Erfolgreiche weniger anfällig wären, rechtsradikale Parteien zu wählen. Daher bin ich auch etwas überfordert, da ich mir auch nicht ganz erklären kann, warum gebildete Menschen eine Partei wählen, die ihre demokratischen Rechte einschränkt. Es ist aber leider so. Das ist auch der Punkt, was mich auch künstlerisch interessiert. Deswegen habe ich auch die Seifen-Installation gemacht: Liquid-Democracy. Man kann die Demokratie hierbei von zwei Seiten betrachten: Liquidisierung und Liquidierung. Mich interessiert der gesellschaftliche Moment, bei dem man sich bewusst wird, welche Folgen eine rechtsradikale Regierung haben kann, was wir auch aus dem geschichtlichen Kontext gut kennen. Wir sprechen quasi über einen humanistischen Niedergang, über Ausschwitz, Hiroshima, etc. Es gibt Unmengen an Beispielen in der Geschichte, in welcher Weise solche Propagandamechanismen funktionieren. Das ist es, was mich persönlich interessiert.
EDUCULT: Ich stolpere die ganze Zeit über Ihr Seifenprojekt „Liquid Democracy“, wobei Seife für mich ein Ausdruck ist, etwas Oberflächliches abzuwaschen.
Monika Piorkowska: „Liquid Democracy“ ist aus meiner Sicht ein mehrschichtiges Projekt. Es geht sicher darum, dass man Demokratie oberflächlich betrachten kann und seine Hände oberflächlich abwaschen kann. Es geht aber auch um den verordneten Anspruch, dass man immer schön „sauber“ bleiben soll, was ich natürlich zynisch meine. Viele Menschen glauben, dass sie wählen gegangen sind und die Sache ist erledigt -aber für mich ist sie es nicht. Denn das Politische hat mit dem Privaten zu tun. Das alles beeinflusst sich gegenseitig und deswegen ist es ein Projekt, das versucht, für die Bedeutung der Demokratie zu sensibilisieren. Einer Sensibiliserung dafür, uns aktiv für unsere Rechte einzusetzen oder unsere Hände in Unschuld zu waschen.
EDUCULT: Darf ich zu Ihrer persönlichen Geschichte auch das eine oder andere erfragen? Warum gibt es Sie hier in Österreich?
Monika Piorkowska: Zufällig. Ich habe auf der Akademie der Bildenden Künste in Krakau studiert und wollte raus aus Polen. Da habe ich mich für einen Erasmus-Studienaustausch in Barcelona/Spanien beworben, aber dort keinen Platz gekommen. Da saß ich dann ganz traurig auf der Treppe und habe eine Tschick geraucht und dann ist eine Studentin aus einer anderen Klasse gekommen, die zu mir sagte: „Monika sei nicht traurig. Es gibt einen freien Platz in Wien.“ Da dachte an Wittgenstein und Freud – und sagte mir, dass es nicht so schlimm werden könnte, auch wenn ich damals kein einziges Wort Deutsch gesprochen habe. Ich bin an der Universität für Angewandte Kunst gelandet und war in der Malerei Klasse, bin aber dann zu Druckgrafik gewechselt. Und so habe ich beschlossen, hier zu bleiben.
EDUCULT: Was waren denn neben den persönlichen Motiven die Gründe, die Sie hier einen künstlerischen Schwerpunkt haben bilden lassen?
Monika Piorkowska: Also ich war an dem Tag in Wien, als das MuseumsQuartier eröffnet wurde und da habe ich mir gedacht, dass ich in dieser Stadt leben will. In einer Stadt, die so viel Aufwand und Aufmerksamkeit für die Kunst aufbringt, würde ich gerne arbeiten. Es ist auch die Reibung, da ich ein Mensch bin, der Kontraste und Spannungen braucht, die für mich eine notwendige Inspiration darstellen. In Wien war es anfangs sehr schwer, um ehrlich zu sein. Auch mit der deutschen Sprache und hier Freunde zu finden, war nicht so einfach.
EDUCULT:. Können Sie diese Szene, in die Sie da hineingewachsen sind, interpretieren? Wie erleben Sie sich im Kunstbetrieb als Zugewanderte? Spielt dieser Status überhaupt eine Rolle?
Monika Piorkowska: Also für mich hat am Anfang natürlich die deutsche Sprache die größte Rolle gespielt. Wenn man die Sprache nicht beherrscht, ist man ausgeschlossen. So ist das. Nicht alle wollen auf Englisch reden und die Sprache ist die Welt, wie Wittgenstein geschrieben hat. Ich tue mich schwer, eine neue Sprache zu erlernen. Aber dann erkannte ich, welche neuen Horizonte sich da für mich auftaten. So habe ich auch hier die Philosophie entdeckt und deswegen auch angefangen, Deutsch zu lernen. Ich habe auf einer Akademie in Krakau studiert zu einem Moment, an dem ich den Eindruck hatte, dass die ProfessorInnen nicht wussten, was sie tun sollten. Also ist die große Wende gekommen und in dem Zuge der freie Markt. Und es war früher peinlich anzusprechen, dass KünstlerInnen eigentlich ihre Werke verkaufen sollten. Das war ein Tabu. Für viele ProfessorInnen war das ein Absurdum, über das man nicht gesprochen hat. Und hier habe ich den Kontrast erlebt, indem die KünstlerInnen und StudentInnen fragten, in welcher Galerie man sei und ob man schon was verkauft hätte. Ich war schockiert, weil hier spricht man darüber, ob man schon etwas verkauft hat. Das war ein enormer Unterschied. Und auch der Zugang zu Wissen ist ein ganz anderer.
EDUCULT: Verfolgen Sie überhaupt noch die polnische Kunstszene? Haben sich auch dort den letzten 10-15 Jahren, die Verhältnisse geändert? Kriegen Sie das noch mit?
Monika Piorkowska: Ja ich bekomme das noch mit, es hat sich alles verändert. Es ist nicht so wie zu meinen Studienzeiten. Es ist alles viel offener. Es ähnelt den Verhältnissen in Österreich. In den letzten Jahren, vor allem nach dem EU-Beitritt, hat es sich in einem raschen Tempo weiterentwickelt. Und auch die StudentInnen sind sehr progressiv, sie haben ein schnelles Tempo, sie möchten schaffen, es gibt sehr viele private Initiativen. Eine Galerie zusammen zu gründen oder einen Space zu kreieren, wo man ausstellen oder ein Diskussionsforum abhalten kann, stellt ein aktives Moment in Polen dar. Allerdings ist das der Fall gewesen bis vor zwei Jahren, bis PiS an die Macht gekommen ist, weil jetzt gibt es für so etwas keine staatlichen Förderungen mehr. Und da kann so etwas nicht überleben und es bildet sich alles wieder zurück, weil die Finanzen und das Interesse der Regierung nicht vorhanden sind.
EDUCULT: Gehen daraufhin mehr Menschen weg aus Polen?
Monika Piorkowska: Ich denke schon, ja. Zumindest fangen sie an, darüber nachzudenken.
EDUCULT: Wenn ich auch eine etwas heiklere Frage stellen darf: Sie sind ja jetzt schon eine Zeit lang hier und Teil des österreichischen und darüber hinaus des internationalen Kunstbetriebs. Zugleich erfahren Sie hier in Österreich eine Verschärfung des öffentlichen Diskurses zu Fragen der Migration. Wie nehmen Sie diesen wahr? Fühlen Sie sich noch angesprochen, wie geht es Ihnen damit?
Monika Piorkowska: Also ich fühle mich jeden Tag angesprochen, weil ich ein politisch bewusster Mensch bin. Und dass ich aus einem osteuropäischen Land komme, verschont mich hier vor gar nichts. Wenn ich sehe, dass auch in Österreich diese große Debatte, vor allem von Sebastian Kurz und der neuen türkisen Partei sehe, denke ich, dass dies eine sehr mehrschichtige Problematik ist, die hierorts sehr politisiert wird, um an der Macht zu bleiben. Es werden wieder Feindbilder geschaffen: „Die OsteuropäerInnen kommen in unser System, wollen von uns mindestens Lohn haben und wollen uns ausnutzen.“ So ähnlich ist es auch in Polen, wobei der große Unterschied darin liegt, dass Österreich Flüchtlinge aufnimmt, während das Polen in dieser Frage jede Form der europäischen Solidarität vermissen lässt. Ich frage mich, warum Länder wie Polen und Ungarn nach wie vor Subventionen von der EU bekommen. Ich betrachte die Europäische Union als eine, auf wechselseitigen Verpflichtungen beruhende Gemeinschaft und bin der Meinung, dass vor allem die Länder, die früher auf westliche Hilfe angewiesen waren, davon heute zumindest ein Stück zurückgeben sollten. Die gegenwärtige Staatsführung aber ist dazu nicht bereit und es gibt keine Konsequenzen.
In Österreich wird der Islam sehr politisiert, worin ich eine sehr große Gefahr sehe. Ich glaube, dass die Diskussionen in Österreich über den Islam als Instrument für rechte Parteien dienen, die an die Macht kommen bzw. für PolitkerInnen, die die Propaganda betreiben und den Großteil der Bevölkerung einschüchtern wollen. Ich behaupte nicht, dass es keinerlei Probleme gibt. Ja, es gibt Integrationsprobleme. Doch man sollte die richtigen Lösungen suchen. Darüber hat auch Zygmunt Bauman geschrieben, dass einen Dialog zu führen keineswegs bedeutet, sich ausschließlich mit Menschen der gleicher Meinung auszutauschen.
EDUCULT: Das würde mich noch zu anderen künstlerischen Arbeiten von Ihnen führen, bei denen Sie ja mit „Time Gates“ immer wieder symbolische Dialoge und Portraits von Menschen in besonderen Situationen inszenieren. Sie folgen damit Zygmunt Bauman, indem Sie versuchen Dialoge mit „Anderen“ in Gang zu setzen. Können Sie uns das Konzept erläutern?
Monika Piorkowska: Ich habe das Zitat von Zygmunt Bauman genommen, weil er die Problematik am besten schildert. Aber ich folge nicht nur Bauman, sondern lasse auch andere soziologische Thesen miteinfließen. In den „Time Gates“ führe ich Dialoge mit den Personen, die ich entweder kenne oder zufällig kennenlerne. Während dieser Gespräche mache ich Fotos, nehme Videos auf und transkribiere die Gespräche. Das sind Personen, die in prekären Situationen am Rande der Gesellschaft leben und den sozialen Anschluss verloren haben. Ich widme diesen Menschen meine Objekte und verleihe meine Stimme an diejenigen, die keine Stimme in der Gesellschaft haben.
EDUCULT: Verbinden Sie mit Ihren Arbeiten gesellschaftspolitische Ansprüche? Wer soll diese Stimmen hören und warum sollen diese gehört werden?
Monika Piorkowska: Ich sehe, dass in solchen Gesprächen das Private, das Politische und das Soziale thematisiert werden. Generell spreche ich damit eine künstlerische offene Einladung für alle Interessierten aus. Ich belehre nicht und sage nicht, was gut oder schlecht ist, sondern kreiere ein offenes Kunstwerk.
EDUCULT: Würden Sie diese Dialoge auch mit Neoautoritären oder Rechtsradikalen führen?
Monika Piorkowska: Ich habe mir das neuerdings auch überlegt und ein Stück Seife an den PiS-Vorsitzenden Jaros?aw Kaczy?ski geschickt, aber keine Antwort bekommen. Und an eine Reihe anderer PoltikerInnen auch.
EDUCULT: Sie haben also diese Seife an politisch Verantwortliche gesandt mit der Bitte um Rückmeldung?
Monika Piorkowska: Nein, ohne eine Bitte. Ich habe auch -ehrlich gesagt- keine Antwort erwartet. Es ging mehr um einen künstlerischen Akt als um eine Antwort. Das ist mein künstlerisches Statement und meine Art des Protests bzw. meine Anspielung. Die Seife ist kein beleidigendes Projekt. Sie ist für jeden offen interpretierbar. Ich möchte keine PolitkerInnen oder Privatpersonen beleidigen, sondern kommuniziere nur ein Statement meiner Interpretation. Ob Kaczy?ski es versteht oder nicht, sei dahingestellt. Also ich an seiner Stelle würde darauf reagieren. Das könnte man auch für sich nutzen. Ich habe das wegen einer anderen Geschichte so erfahren, als man im polnischen Kulturinstitut versucht hat, ein anderes Projekt von mir zu politisieren und für Propaganda-Zwecke einzusetzen. Da habe ich als Künstlerin bemerkt, dass ein Kunstwerk immer offen, immer frei ist und in einen anderen Kontext gestellt werden kann, was dann zu anderen Interessen genutzt werden kann. Es ist auch möglich, dass eine Partei das Projekt als patriotisch deklariert und für sich beansprucht. Bei der Seife habe ich versucht, mein Statement so klar abzugrenzen, dass es keine anderen Interpretationen bzw. Verwertungsmöglichkeiten gibt.
Es sollte im polnischen Kulturinstitut ein Projekt stattfinden, bei dem rote und weiße Piroggi am Tisch liegen und bei der Eröffnung als Take-away mitgegeben oder am Ort verspeist werden sollen. Am Anfang hat das dem polnischen Kulturdirektor gepasst, weil er gedacht hat, dass das eine patriotische Arbeit für Polen ist und es an die Nationalfarben Polens und an die polnische Flagge erinnert. Es war solange in Ordnung bis die Kuratorin in ihrem künstlerischen Text eine andere Message vermitteln wollte. Damit konnte es auch als nicht-patriotistisch aufgefasst werden und ich wurde ausgeladen.
EDUCULT: Also eigentlich hat der Text der Kuratorin den Ausschlag gegeben?
Monika Piorkowska: Ja, weil solange es diesen noch nicht zu lesen gab, konnte man das Projekt als eine patriotische Arbeit verkaufen. Ich sehe darin eine große Gefahr für alle KünstlerInnen, aber auch für JournalistInnen.
EDUCULT: Aber das ist ja jetzt noch einmal eine sehr interessante Facette, wenn Sie über die Offenheit eines Kunstwerkes sprechen, die auch immer etwas Subversives haben kann.
Monika Piorkowska: Nach den Erfahrungen, die ich zuletzt gemacht haben, versuche ich mein Statement dazu zu geben: Die Seife symbolisiert eine Bedrohung der Demokratie. Oder in der Flüchtlingsdebatte liegen die Grenzen in uns allen.
EDUCULT: Sie liefern also eine Interpretation mit?
Monika Piorkowska: Aber mir ist bewusst, dass mein Statement auch ignoriert werden und man daraus etwas anderes konstruieren kann, was auch legitim ist.
EDUCULT: Wenn Sie sagen, wir stehen politisch momentan auf der Kippe und im Oktober könnte es auch in Österreich anderes aussehen: Gibt es bestimmte Umstände, unter denen Sie nicht mehr künstlerisch tätig sein könnten?
Monika Piorkowska: Ja sicher unter Zensur. Diese Erfahrung habe ich auch vor kurzem gemacht, als meine ganze Ausstellung zensiert wurde. Ich glaube, dass in einer konservativ-rechtsradikalen Regierung KünstlerInnen, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen, nicht viel ausrichten können. Somit bleibt nur Raum für repräsentative Kunst des Neonationalismus. Ich glaube, dass Freiheit in allen Belangen die Grundbedingung für mein künstlerisches Schaffen ist.
EDUCULT: Es ist wahrscheinlich nicht möglich, über ihr Herkunftsland Polen und ihren Wohnort Österreich zu sprechen, ohne auf den Heimat-Begriff zurück zu kommen. Wie stehen Sie dazu?
Monika Piorkowska: Ja, gerne können wir darüber sprechen. Ich bin eine in Wien lebende Polin und in meiner Heimat wurde ich beschimpft wegen der Auseinandersetzungen mit dem polnischen Kulturinstitut. Aber nicht nur in Polen, sondern auch in der österreichischen Politik spielt Heimat und seine Bedeutung eine große Rolle. Oberflächlich gesehen ist Heimat für mich der persönliche Bezug eines Menschen zu einem Ort. Und in den letzten Jahren ist Heimat ein Art „Logo“ für die rechtsradikale Politik geworden, die zunehmend erfolgreich versucht, Feindbilder, in Gestalt von ZerstörerInnen der Heimat, zu schaffen. Auf diese Weise wird Heimat wird dem Schutz der eigenen Sprache, dem Ablehnen von Fremden, ImmigrantInnen, Flüchtlinge, usw. verbunden, weil sie vorgeblich das Eigene in Frage stellen würden. Ich finde es interessant, dass wenig darüber gesprochen wird, wie Heimat mit einem Gefühl verknüpft werden kann. Denn wenn man Heimat als Vielfalt der Sprachen oder des gesellschaftlichen Zusammenleben versteht, ist das ein anderer Zugang. Aber das wird sehr wenig in der Öffentlichkeit thematisiert, da es für viele selbstverständlich geworden ist, dass Heimat diese Werte mitbeinhaltet und somit erst gar nicht angesprochen werden muss. Im Gegensatz dazu finde ich es bedenklich, dass ein solcher, auf Vielfalt des Miteinanders beruhender Heimatbegriff für viele Jugendliche nicht mehr selbstverständlich ist. Das trifft für alle für diejenigen zu, die in kleinen Ortschaften aufwachsen, wo es keine Perspektive für das Leben, den Job oder die eigene Sicherheit gibt. Daher glaube ich, dass sie ein Umdenken brauchen.
EDUCULT: Fühlen Sie sich in Wien, in Österreich heimisch?
Monika Piorkowska: Also meine Tochter ist hier geboren, was auch mich verändert hat. Ich bin durch mein Kind und meinen Mann sesshafter geworden. Ich wünsche mir für meine Tochter, dass sie hier glücklich aufwächst. Ich bin aber ein Mensch, der keine Heimat in dem Sinne braucht. Ich fühle mich heimisch, aber lebe gerne in drei Ländern parallel – ich brauche das. Ich könnte mir vorstellen, ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort zu leben. Ich brauche das für meine künstlerische Tätigkeit Und zuhause werden auch viele Sprachen gesprochen, manchmal mehr, manchmal weniger, je nachdem welche Freunde gerade kommen. Und ich freue mich für meine Tochter, dass sie so aufwachsen kann. Aber ihr Weltbild ist natürlich auf Deutsch
EDUCULT: Ihr Wunsch ist es also, dass Ihre Tochter hier eine Heimat findet?
Monika Piorkowska: Ich wünsche ihr das schon, weil ich merke, dass sie mit zweieinhalb schon erste Freunde und Lieblingsorte in Wien gefunden hat. Sie vermisst jetzt schon die Lieblingsorte und die Freunde, die sie hat, weil sie ihr hier Geborgenheit bieten. Je länger man in Wien ist, desto mehr ist man mit dieser Stadt verbunden, so wie mein Mann. Er ist seit ca. 35 Jahren hier. Durch meine Familie werde ich also immer heimischer.
EDUCULT: Monika, vielen herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für dieses interessante Gespräch. Wir wünschen Ihnen noch viel Glück bei Ihrer künstlerischen und privaten Laufbahn in Wien!
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