EDUCULT im Gespräch mit Ulduz Ahmadzadeh
Geboren 1981 in Teheran, ging Ulduz Ahmadzadeh schon früh ihrer, im Iran verbotenen Leidenschaft des Tanzens nach. Heimlich nahm sie privaten Tanzunterricht und schaffte es mit der Gruppe Harekat als Tänzerin aufzutreten (1999-2004), woraufhin sie inhaftiert wurde. Nach einem abgelegten Versprechen nicht wieder tänzerisch tätig zu werden, gelang es ihr später unter dem Decknamen „Theater ohne Dialog“ als Choreografin Erfahrungen mit unterschiedlichen Tanzensembles zu sammeln. 2007 absolvierte sie das Studium der Regie an der Kunstuniversität Soureh in Teheran. Seit 2008 lebt sie in Wien und arbeitet als Tanzpädagogin, Tänzerin und Choreografin. Seit 2012 leitet sie die zeitgenössische Tanzkompanie tanz.labor.labyrinth. Aktuell arbeitet sie an der postmodernen Tanzperformance „FremdKörper“ mit TänzerInnen und MigrantInnen, das sich mit Themen wie Weiblichkeit, Fremdheit, Kulturelle Identität und sexualisierte Macht beschäftigt und voraussichtlich im Jänner 2017 aufgeführt wird.
EDUCULT: Was hat Sie vom Iran nach Österreich geführt? Mit welchen Erwartungen sind Sie hier angekommen?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich wollte eine neue Kultur kennenlernen und meinen Horizont erweitern. Auch wenn ich hier in Österreich geboren wäre, wäre ich wohl irgendwann von hier weggegangen. Natürlich war es einer meiner Gründe, dass Tanz im Iran verboten war. Das ist gerade nach Österreich gekommen bin, war ein Zufall. Ich habe zwei Onkel in Deutschland und habe im Iran Deutsch gelernt, weil ich zu ihnen auswandern wollte. Für Deutschland habe ich aber kein Visum bekommen, in Österreich hat es dann geklappt.
Im Iran, wo ich aufgewachsen bin, gab es keine richtige Tanzszene. Ich bin zu Beginn des Ersten Golfkrieges zwischen dem Iran und Irak geboren, das heißt die ersten Jahre meines Lebens waren von Krieg und einer totalen Geschlossenheit des Landes bestimmt. Tanz war verboten. Ich hatte gar keine Vorstellung davon, dass Tänzerin auch ein Beruf ist. Mit Tanz als Kunstform bin ich das erste Mal über eine Videokassette in Kontakt gekommen. Damals musste man die VHS-Geräte zuhause verstecken, weil es auch nicht erlaubt war, Videokassetten und Filme anzuschauen. Dabei habe ich dann das erste Mal ein modernes Ballett gesehen. Natürlich habe ich auch im Familienkontext als Kind viel getanzt und zuhause haben wir auch sehr viel in Gesellschaft getanzt.
EDUCULT: Man durfte also im familiären Kontext tanzen und sich körperlich ausdrücken, aber im öffentlichen Raum war es verboten?
Ulduz Ahmadzadeh: Es ist immer schwierig zu sagen, was erlaubt ist und was nicht. Im Prinzip war Tanz nicht erlaubt, aber im Koran findet sich dazu keine klare Aussage. Jeder Islamwissenschafter interpretiert das anders. Man w sich aber darin einig, dass Tanz eine abscheuliche Sache sei und besser vermieden werden soll. Manche sagen aber auch, dass Frauen unter Frauen und Männer unter Männern tanzen dürfen, oder dass eine Frau für ihren Ehemann tanzen darf. Die islamische Sichtweise besteht im Iran noch nicht so lange. In Persien gibt es auch eine andere Kultur, die viel älter ist als der Islam, und da spielt auch Tanzen und Zelebrieren eine Rolle. In Teheran kann man die coolsten Partys feiern, aber das passiert alles im Untergrund.
EDUCULT: Sie sind in einem familiären Umfeld aufgewachsen, das Tanz akzeptiert und geschätzt hat?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich wurde von meiner Familie vollkommen unterstützt. Ich komme nicht aus einer traditionell gläubigen Familie. Sie haben mich in meinem Weg unterstützt, sogar als ich später Film studiert und in Räumen der Universität meine Tanzproben gemacht habe. Dort wurden wir dann rausgeschmissen, weil wir unsere Kopftücher nicht richtig gebunden hatten.
EDUCULT: Gab es ein künstlerisches Umfeld oder bestimmte Vorbilder, die Sie auf Ihrem Weg als Tänzerin geprägt haben?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich habe als Kind angefangen zu tanzen und war sehr begeistert von den Videos, die ich gesehen habe, auch später habe ich sogar von Sasha Waltz ein Video gehabt und das war für mich eine Offenbarung. Ich wollte genau das machen. Später habe ich meine Tanzlehrerin kennengelernt, die vor der Revolution im nationalen Ballett als Solotänzerin getanzt hatte. Sie hat uns trainiert, aber nur bei sich zuhause. Ich war fast jeden Tag bei ihr und habe dort Tanzunterricht genommen, sowohl Volkstänze als auch Ballett getanzt, aber nie zeitgenössischen Tanz. Andererseits wurde ich von Theater, Film und den abstrakten Formen zeitgenössischer Kunst beeinflusst. Im Iran gibt es eine starke intellektuelle Szene. Es gibt auch sehr viele unglaublich gute KünstlerInnen. Ich hatte sehr viele Ressourcen, sowohl intellektuell, politisch als auch literarisch. Aber es gab keinen Künstler, wo ich sagen könnte, der war mein Vorbild oder der hat mir gezeigt, wie mein Weg sein soll. Es war alles eine eigene Entdeckungsreise.
EDUCULT: Gab es auch öffentliche Räume, wo Sie getanzt haben, wo Performances stattfinden konnten und es auch ein Publikum dafür gab?
Ulduz Ahmadzadeh: Ja, aber wir haben dann nicht gesagt, dass es Tanz ist, sondern „Theater ohne Dialog“. Wir sind damit natürlich an Grenzen gegangen. Es ist dann immer jemand gekommen, der sich das Stück angesehen und dann z.B. gemeint hat, die Frauen seien nicht richtig gekleidet oder sie dürfen sich nicht berühren. Es gibt mehrere Behörden, die da mitreden und auch unterschiedlich entscheiden. Einmal wurden wir festgenommen, obwohl wir eine Erlaubnis für die Aufführung hatten.
EDUCULT: Woher kommt diese außerordentliche Körperfeindlichkeit des Regimes? Was ist das spezifisch Gefährliche am körperlichen Ausdruck und wovor fürchtet es sich da?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich glaube, es hat viel mit den Frauen, dem weiblichen Körper und dem Gefühl von Freiheit zu tun. Es hat mit Macht und Kontrolle zu tun. Diese Menschen, die jetzt an der Macht sind, haben persönliche Probleme damit. Ich glaube, die können einfach keine Frau sehen, die sich frei bewegt und fürchten sich vor einer freien Frau und sicher auch einem freien Mann. Ihre Frauen müssen zuhause bleiben und dürfen sich nicht zeigen, warum sollen es andere Frauen können?
EDUCULT: Wie würden Sie die aktuelle Situation im Iran beschreiben? Gibt es hier auch ein Spannungsverhältnis zwischen der lebendigen, intellektuellen und modernen Stadt Teheran und der Situation außerhalb der Städte, mit dem die Politik spielt?
Ulduz Ahmadzadeh: Viele haben Angst vor einem Bürgerkrieg und sind gegen eine Revolution. Derzeit scheint es der einzige Weg zu sein, Schritt für Schritt eine Änderung herbeizuführen, sonst kommen wir in eine Unruhe und Instabilität des Landes. Das wäre für viele noch schlimmer als die jetzige Situation und das wollen wir nicht. Es gibt eine große Mittelschicht, die auch nicht verlieren will, was sie hat. Man lebt in diesem Kompromiss.
EDUCULT: Das ist eigentlich auch ein Deal mit dem Regime. Wenn man sich nicht allzu sehr beschwert, bekommt man auch private Freiräume.
Ulduz Ahmadzadeh: Ja, wenn man Geld hat, ist eigentlich alles möglich. In deinen privaten Räumen kannst du machen, was du willst und wenn die Polizei kommt, kannst du sie z.B. auch bestechen. Für uns KünstlerInnen ist es natürlich nicht so leicht, obwohl es auch da Leute gibt, die ihre Kontakte haben und so finanziert werden. Oder sie gehen zu Festivals außerhalb und machen dort ihre Karrieren. Das ist alles sehr komplex und mit Geld und Macht verbunden.
EDUCULT: Szenenwechsel. Was ist in Österreich anders?
Ulduz Ahmadzadeh: Wo soll ich jetzt anfangen? Anders ist, dass die Grenzen und die Regeln nicht so überschaubar sind wie im Iran, d.h. man wird mit freundlichen Gesichtern aufgenommen und man denkt, alles sei möglich, bis man dann aber bald an Grenzen und Widerstände stößt. Sie sind nicht gleich sichtbar, aber trotzdem da. Als ich hier angekommen bin, war ich total euphorisch. Ich dachte, ich bin endlich frei und kann alles machen. Ich habe nun fünf Jahre lang eine Produktion nach der anderen gemacht in der Hoffnung, dass ich irgendwann endlich in die Szene reinkomme und die gewünschte Unterstützung bekommen werde. Ehrlich gesagt, habe ich aufgegeben. Es war einfach sehr schwierig. Es gibt ganz starke Filter. Es gibt sehr starke Geschmäcker und bestimmte künstlerische und politische Positionierungen der großen Häuser. Die meisten Gelder fließen in diese Institutionen und ihre Produktionen, und es gibt ganz wenig Budget und Spielraum für unabhängige KünstlerInnen.
EDUCULT: Der freie Sektor hat es schwer. Wer nicht in einer der großen Institutionen unterkommt, ist gezwungen, laufend Projektanträge zu stellen und auch da werden die Ressourcen immer weniger. Würden Sie sagen, dass es da auch einen Unterschied gibt zwischen Ihnen und jemandem, der in Österreich aufgewachsen ist und eine österreichische Ausbildung hat?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich habe ja auch hier meine Ausbildung gemacht, aber ich denke, das ist schon ein interessanter Punkt. Ich habe auch schon von Leuten hier gehört, dass sie doch auch keine Schlüsselpositionen im Orient bekommen würden. Aber andererseits sieht man, dass in Dubai, Saudi-Arabien usw. die EuropäerInnen sehr wohl gute Jobs haben. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich habe immer versucht, mit künstlerischer Qualität zu überzeugen und in dem Sinne geht es mir nicht anders als ÖsterreicherInnen. Ich hätte natürlich von Anfang an eine Opferhaltung einnehmen und sagen können, wie arm ich nicht sei, dass ich nicht tanzen durfte im Iran und ein Kopftuch tragen musste usw., aber ich wollte das nie zum Mittel machen, um Karriere zu machen. Das wäre gegen meine Würde. Wenn ich in der Kunst weiterkommen will, dann möchte ich, dass meine Kunst und Qualität der Grund dafür sind und nicht nur meine persönliche Geschichte.
EDUCULT: Es geht Ihnen darum, nicht nur als „iranische“ Künstlerin, sondern vor allem als „gute“ Künstlerin gesehen zu werden. Wie ist aber der Blick der Szene auf Sie?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich glaube, dass ich mit meiner Geschichte meinen Weg viel einfacher finden könnte. Es gibt da schon ein Interesse an solchen Erarbeitungen der Geschichte und ich habe immer wieder das Gefühl, dass ich auch manchmal instrumentalisiert werde, um zu sagen, schaut mal, wie schrecklich es im Orient ist, wie schlimm die Frauen behandelt werden. Natürlich stimmt auch vieles davon und sexuelle Belästigung ist z.B. ein großes Problem, aber ich will das nicht zu einem Aushängeschild für meine Kunst machen.
EDUCULT: Sie sind durch einen Politisierungsprozess gegangen und haben in prekären, gesellschaftlichen Umständen ihren künstlerischen Weg gefunden. Das könnte auch ein großes Asset sein, also ein Vorteil. Wie haben Sie Ihre spezifischen Erfahrungen geprägt?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich bin durch meine Erfahrungen sehr stur geworden. Bei allem, was von mir verlangt wird, bin ich im ersten Moment dagegen. Im Iran musste ich einem gewissen Rollenbild entsprechen. Das wollte ich nicht. Hier ist es aber ähnlich. Ich soll mit meiner Geschichte in eine Schublade reinpassen und will aber etwas ganz anderes machen. Ich habe jetzt ein Solo angefangen, bei dem es mir genau um die Auseinandersetzungen mit kulturellen Identitäten geht. Wer bin ich? Wer bin ich dort? Wer bin ich hier als Frau? Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, es aufzuführen.
EDUCULT: Dieses Gefühl von Widerstand ist ganz offensichtlich eine Motivation, treibt Sie an und gibt Ihnen eine entsprechende Energie. Sie haben schon angesprochen haben, dass die Widerstände im Iran auch in Form von Zensur umfassender und präsenter sind. Was bringt Sie in Österreich in Ihrer Arbeit an Ihre Grenzen?
Ulduz Ahmadzadeh: Das ist eine sehr gute Frage. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ich habe zuletzt für ein Festival für eine Produktion vorgetanzt. Der künstlerische Leiter war sehr begeistert und wollte mich unbedingt engagieren. Im Endeffekt haben sie sich aber gegen mich entschieden, weil die Leitung nicht unbekannte Namen für die Produktion haben wollte. Ich habe das Gefühl, dass das ganze System sehr viel über persönliche Kontakte funktioniert.
Ich bin mit sehr viel Energie her gekommen und habe viele große Produktionen mit wenigen Ressourcen gemacht und alle Leute motiviert ohne Geld zu arbeiten. Ich muss sagen, ich habe nicht viel zurückbekommen. Ich sage nicht, dass es in Österreich nicht möglich ist. Es gibt Wege, aber da muss man hartnäckig graben und tun, bis vielleicht irgendwann so ein Punkt kommt. Ich bin mit 26 Jahren nach Österreich gekommen und habe einen langen Weg hinter mir. Jetzt sehe ich Leute die mit 23 schon auf der Bühne sind und Karriere machen. Die Leute, die hier aufgewachsen sind, haben das Privileg, früher in die Szene reinzukommen, und werden sehr unterstützt, auch von ihren Familien. Als ich nach Österreich gekommen bin, musste ich ab dem ersten Tag arbeiten, um mein Leben zu finanzieren. Alles ist anders. Wir haben andere Herausforderungen.
EDUCULT: Empfinden Sie sich als ein Mitglied der österreichischen Gesellschaft, als Gast oder vielmehr als Teil einer internationalen Kunstbewegung, die an unterschiedlichsten Orten zuhause ist?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich bin ein Teil einer ganz großen nicht nur Künstler- sondern Menschenszene. Ich würde mich überall in der Gesellschaft engagieren. Ich mache für diese Gesellschaft etwas, wieso sollte sie mich also nicht akzeptieren wollen. Obwohl ich viele Probleme mit meinem Visum hatte, habe ich nie Asyl beantragt. Ich wollte nicht vom Staat oder anderen Menschen abhängig sein. Ich kann mein Leben selbst gestalten und will dieser Gesellschaft auch etwas zurückgeben. Ich zähle mich zu einer kosmopolitischen Community.
EDUCULT: Wie nehmen Sie die aktuelle österreichische Situation wahr, gerade auch nach den polarisierenden Wahlauseinandersetzungen im Zuge der Bundespräsidentenwahl?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich nehme eine große Sorge und Angst, auch gerade von Seiten der MigrantInnen wahr. Wir machen uns Sorgen, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Manche interpretieren die Situation so, dass wir in einem Land leben, in dem knapp 50% der Menschen ausländerfeindlich sind. Ich wäre auch froh, wenn man das Wahlergebnis anders interpretieren kann, aber viele empfinden es so. Einige Freunde von mir erzählen, dass sie in die U-Bahn einsteigen und sich denken, die Hälfte der Menschen ist im Grunde gegen uns. Dieses Gefühl ist präsent. Ich habe viele Leute um mich, für die Wien ein neues Zuhause und eine neue Heimat geworden ist und die das Land und diese Stadt auch mitgestalten. Jetzt gibt es zunehmend Sorgen und auch eine Spannung zwischen den neu Angekommenen und den alten MigrantInnen. Das ist unglaublich und ich frage mich, wo wir eigentlich stehen.
EDUCULT: Können Sie sich vorstellen, in den Iran zurückzukehren oder woanders zu leben?
Ulduz Ahmadzadeh: Ich kann mir nicht vorstellen, wieder in den Iran zu gehen, weil ich dort nicht arbeiten kann, aber wenn die Situation und Stimmung hier schlimmer wird, werde ich auch von hier wegziehen. Ich denke mir, ich leiste etwas für die Gesellschaft und wenn sie mich nicht will, dann leiste ich halt nichts mehr hier und gehe woanders hin.
EDUCULT: Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre Zukunft!
LETZTE BEITRÄGE
- EDUCULT im Gespräch mit Karin Cheng
- EDUCULT im Gespräch mit Orwa Saleh
- EDUCULT im Gespräch mit Yun Wang
- EDUCULT im Gespräch mit Reem Jarbou
- EDUCULT im Gespräch mit Sami Ajouri
- EDUCULT im Gespräch mit Phoebe Violet
- EDUCULT im Gespräch mit Bekim Morina
- EDUCULT im Gespräch mit Agnieszka und Maciej Salamon
- EDUCULT im Gespräch mit Eleni Palles
- EDUCULT im Gespräch mit Reynier Diaz