Otmar Wagner
Die Arbeit ‚Ästhetik der Absperrung‘ ist eine mental map, an der der Künstler während des Ausstellungszeitraums weiterarbeiten wird. Die bildnerische Auseinandersetzung mit world wide border walls / fences und ihren Ästhetiken basiert auf mehreren Essay-Performances, die Otmar Wagner von 2016 bis 2019 unter dem gleichnamigen Titel in mehreren Varianten und an verschiedenen Orten gezeigt hat. Das Sujet ist ufer- und grenzenlos, die künstlerische Methode verfolgt eine Strategie der Ambivalenz (Stephan Schmidt-Wulffen), äußert sich als delirischer Assoziationstrip (Otmar Wagner) und kennt kein Ende.
„Als mich der Kurator Osama Zatar um einen Beitrag für die Ausstellung mit dem Titel NON DEGRADABLE bat, dachte ich: Oje, schon wieder so eine Themenausstellung mit am Ende
politisch korrekten, hübschen künstlerischen Arbeiten zu Plastikmüll und Ölkatastrophen. Deshalb habe ich hinter das ’non degradable‘ erstmal ein Fragezeichen gesetzt. Das gefiel mir sehr, weil die Setzung ihren Determinismus verlor und sich in verschiedene Richtungen öffnete – bis hin zur Auseinandersetzung mit persönlichen mentalen Konstitutionen: Sind mein Stress, meine Aggressionen und Depressionen als privilegierter Systemarbeiter und funktionierender Selbstausbeuter in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft abbaubar, und wenn ja, wie? Sind Vorurteile, Rassismus, Neo-Kolonialismus in mir (als heterosexueller, weißer, alternder Mann) abbaubar, und wenn ja, wie? Tolle Themen, die aber besser in Selbsthilfegruppen und Therapiesitzungen aufgehoben sind. Aufgewachsen bin ich in einem erzkatholischen kleinen Dorf im deutschen Grenzgebiet zwischen Bayern, Hessen, und der Kurpfalz, inmitten des Kalten Kriegs. Meine Grenzbesuche und Grenzüberschreitungen (in der Rhön, in Berlin) hatten – weil ich mich auf der privilegierten Seite der Mauer befand – einen gewissen erotischen Reiz. Das kann man scheiße finden, war aber so. Seit 1989, dem Abbau einer Grenzbefestigung, ist die Zahl der errichteten Mauern und Zäune um etwa das 5-fache gestiegen. Die künstlerische Verarbeitung des unendlichen Elends, der Schrecken, des Leids, der Verzweiflung, der Schmerzen, des Tods in und an den Todesstreifen bedeutet immer auch Ästhetisierung, und ist daher grundsätzlich zynisch. Und doch, trotz Adornos vielzitierter Bemerkung ’nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch‘, werden weiterhin Gedichte geschrieben, Opern gesungen, Bilder gemalt. Alles hat ein Ende, nur die Hoffnung keins. Mit der Arbeit ÄSTHETIK DER ABSPERRUNG setze ich das Niemandsland zwischen l’art pour l’art und politischer Kunst ins Spiel.“
Otmar Wagner
geboren 1966 in Deutschland, lebt seit 2008 in Wien.
Als freischaffender Performancekünstler entwickelt er vorwiegend Konzert-Performances (dabei geht es ihm um ‚mentale Territorien, die gesungen werden müssen‘) und multimediale Essay-Performances (ein Begriff, den er für bestimmte Formen des performativ-aktionistischen Diskurses geprägt hat). Daneben arbeitet er als Bühnenbildner, Dramaturg und Darsteller, realisiert Hörspiele und Rauminstallationen und wirkt in zahlreichen Kollaborationen. Derzeit ist er Lehrbeauftragter für Performance-Theorie an der Kunstuniversität Graz.
Jüngste Arbeiten (Auswahl):
- KABINETT DER ERSCHÖPFUNG. Environment / Aktionen / Performances. (WUK performing arts in der Kunsthalle Exnergasse Wien, 2022)
- AUSFLUG INS UNGEWISSE. Installation / performative Wanderung in 12 Stationen mit Instruction Pieces und philosophischen Diskurspartikeln (Kahlgrund bei Frankfurt/Main, Juli – Sept. 2021)
- HYPEROBJEKTE? Wagner und Feigl arbeiten dran… Blech & Gewebe I-VII. Ein Projekt der Wagner-Feigl-Forschung/-Festspiele (Sophiensäle Berlin, 2020)
- PPP presents: TOYS OF JOYLESSNESS or DISTURBANCE & DEBILITY. Virtual-Reality-Performance (liveart.dk, Kopenhagen, 2021)
- KRANK IN EUROPA. Environment / Konzert-Performance. (WUK performing arts Wien, 2019)
- WUNDE WELT #1-3 + WUNDE WELT #Ende. Essay-Performance-Zyklus (div. Orte; 2017-2019)
- Sport Kunst Politik. Hörspiel für die Impulse-Akademie; im Stadion von Fortuna Köln (Köln, 2018), Radio-Ursendung des Hörspiels in Deutschlandfunk Kultur (2019)