Alles privatisieren!
Die jüngst beschlossene außerordentliche Subvention an die Vereinigten Bühnen Wien hat Staub aufgewirbelt. Immerhin. Zu offensichtlich wurde da die haarsträubende Ungleichbehandlung des etablierten Kulturbetriebs durch die offizielle Kulturpolitik im Vergleich zu einer prekarisierten Freien Szene. Auch wenn der für Kultur zuständige Wiener Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny zur öffentlichen Verteidigung angetreten ist: Die VertreterInnen der Freien Theaterszene wollen immer weniger verstehen, warum MitarbeiterInnen der Vereinigten Bühnen Wien mit Bonus-Zahlungen verwöhnt werden, während ihre eigenen die Produktionsbedingungen mittlerweile ohne Zuschüsse des Arbeitsmarktservice zusammenbrechen würden. Immerhin werden temporär arbeitslose KünstlerInnen so zu überdurchschnittlich häufigen NutzerInnen des „Kulturpasses“ der Aktion „Hunger auf Kunst und Kultur“.
Eigentlich wurde es uns ja anders versprochen. Seit nunmehr 50 Jahren formulieren Parteiprogramme ebenso wie Regierungserklärungen eine kulturpolitische Schwerpunktverlagerung zugunsten des zeitgenössischen Kunstschaffens. Jetzt kann man darüber streiten, ob das, was auf den Bühnen der Vereinigten Bühnen Wien geboten wird, per se als „zeitgenössisch“ einzustufen ist. Das, was mit dem Begriff immer verbunden ist – ein Anspruch auf Innovation, auf Experiment und auf eine (gesellschafts-)kritische Haltung – wird man der millionenschweren aktuellen Produktion „Natürlich Blond“, die zur Zeit im Ronacher läuft, nicht unbedingt attestieren wollen. Also soll in diesem Fall die demokratische Karte stechen, wonach – folgt man Mailath-Pokornys 14 Thesen – einem Kulturpolitiker gar nichts anderes übrig bleibe, als den Wünschen des Publikums zu entsprechen. Dass es in all den Jahren nicht gelungen ist, selbst innerhalb seiner, der sozialdemokratischen Partei die – um es vorsichtig zu sagen – Reserviertheit gegenüber der Vielfalt von Gegenwartkunst zu verringern, hat er bei der Gelegenheit nicht hinzugefügt.
Alle sollen etwas vom wachsenden Kuchen erhalten
Damit stellt sich erst jetzt in vollem Ausmaß heraus, dass es sich die Kulturpolitik der prosperierenden Nachkriegszeit einfach gemacht hat. Um einen Widerspruch zwischen der Aufrechterhaltung kulturbetrieblicher Traditionen und der Förderung neuer künstlerischer Ausdrucksformen erst gar nicht aufkommen zu lassen, sollte der Gedanke an Umverteilung zum Tabu erklärt werden. Kritik gegen die wachsenden Mittelansprüchen der privilegierten Strukturen, die den überwiegenden Teil der Kunst- und Kulturförderung ausmachen, sollte mit dem Aufsetzen von zusätzlichen, wenn auch vergleichsweise kleinen Förderprogrammen für die Freie Szene schon im Keim erstickt werden. Alle sollten – wenn auch ungleich verteilt – etwas vom Förderkuchen abbekommen. Die Zukunft einer auf ewige Zeiten prosperierenden „Kulturnation Österreich“ schien gesichert.
Spätestens mit dem Ende jährlich wachsender Budgets kann diese Taktik zur Verschleierung struktureller Ungleichheit nicht mehr zu funktionieren. Was aber geschieht, wenn zwei ungleich starke (und darüber hinaus ungleich gut organisierte) Partner ohne steuernde Einflussnahme ihren Anteil an einem real sinkenden Budget beanspruchen?
Richtig! Im Moment spricht fast alles dafür, dass sich angesichts einer schwachen Kulturpolitik die materiellen Interessen der großen Kulturtanker durchsetzen werden. Die öffentlichen Mittel für den Freien Bereich hingegen werden sinken bzw. es wird der Tag kommen, an dem der Staat seinem Auftrag als Förderer des nicht an etablierte Institutionen gebundenen künstlerischen Schaffens nicht mehr erfüllen kann. Wer immer dann noch im Bereich der Gegenwartskunst tätig sein will, wird von ihm auf den freien Markt verwiesen. Anders ausgedrückt: Das Freie Kunstschaffen wird privatisiert.
Zu diesem Szenario vom Abschied des Staates als Garant einer künstlerisch-kritischen Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse gäbe es zumindest zwei Gegenentwürfe. Der erste wäre vergleichsweise einfach und würde darauf hinauslaufen, die Kunst- und Kulturbudget – gerade in Zeiten der Krise – kräftig zu erhöhen, um sowohl den wachsenden Ansprüchen einer traditionellen Kulturpflege als auch eine nicht ausschließlich marktkonforme künstlerische Labortätigkeit zu ermöglichen. Auf diese Weise würden die Voraussetzungen dafür geschaffen, nicht nur privaten, sondern auch und gerade in der Krise überlebenswichtigen gesellschaftlichen Nutzen aus dem aktuellen Kunstschaffen ziehen zu können.
Der zweite ist zugegeben schwieriger zu erklären und bedarf eines kleinen historischen Exkurses. Darauf hingewiesen hat mich die aktuelle Diskussion um das Gedenkjahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs und das daraus resultierenden Ende der Habsburger Monarchie.
Wie der Kleinstaat Österreich per Zufall zur Großmacht in Sachen Kultur wurde
Dieser Anlass hat mich nochmals an den Umstand erinnert, dass weite Teile der kulturellen Infrastruktur, die Österreich international bis heute zu einem Sonderfall machen, einer gezielten (kultur-)politischen Absicht Kaiser Franz Josephs als Repräsentant einer europäischen Zentralmacht mit mehr als 50 Mio. Menschen geschuldet sind. Mit der Errichtung eines beeindruckenden Kulturbetriebs zielte der Kaiser darauf ab, der verschärften sozialen Lage und der Zuspitzung der Nationalitätenfrage im Vielvölkerstaat „die versöhnende Kraft der Kunst“ entgegen zu stellen und sie in den „Dienst des inneren Friedens“ zu nehmen. Insbesondere die gebildeten und offiziellen Kreise der Monarchie sollten dadurch zu einer „erhöhten Kunstpflege“ angehalten werden.
Die ihr damit zugewiesene Aufgabe hat „die Kunst“ ganz offensichtlich nicht erfolgreich erfüllt. Stattdessen mündete das Aufbrechen der vom alten Kaiser niedergehaltenen gesellschaftlichen Widersprüche in bislang für unmöglich gehaltene Grausamkeiten eines vier Jahre währenden „Kulturkampfes“ (Klaus Leggewie) und an dessen Ende in einen Kleinstaat Deutsch-Österreich, an den niemand glauben wollte.
In den Auseinandersetzungen um Kontinuität und Diskontinuität des kaum überlebensfähigen Rests der Habsburger-Monarchie war es vor allem den persönlichen Bemühungen des Museumsbeamten Hans Tietze (und damit eigentlich einem Zufall) zu verdanken, dass dieses nunmehr kleine (und politisch unbedeutende) Österreich die Rechtsnachfolge über weite Teile des kulturellen Erbes der vormaligen Großmacht antreten konnte. Tietze setzte sich sowohl gegen Abtretungen von Kunstwerken an die Siegermächte und an die „Nachfolgestaaten“ als auch gegen eigene Politiker durch, die durch Verkäufe von Kunstwerken die Not der leidenden Bevölkerung in den Hungerwintern unmittelbar nach dem Kriegsende lindern wollten.
Seine Bemühungen trugen wesentlich dazu bei, die materielle Basis für die Prädikatisierung Österreichs als einer „Kulturnation“ zu schaffen, die PolitikerInnen im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer wieder für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchten. Am Anfang aber stand freilich die Notwendigkeit einer inhaltlichen Neuausrichtung des Kulturbetriebs, der ursprünglich dazu errichtet wurde, bei aller Vielfalt der Nationen deren Gemeinsamkeit zu repräsentieren.
Es blieb ein frommer Wunsch seit hundert Jahren: Der Kulturbetrieb als Einrichtung zur Volkserziehung
1919 war Tietze noch voller Hoffnung: „Der neue Staat, den das neu gewordene deutsch-österreichische Volk mit lebendiger Tätigkeit erfüllen soll, wird, wie immer sich seine Regierungsformen im Einzelnen gestalten mögen, ein demokratischer sein…Diese Umgestaltung bietet zu tiefer Verzagtheit und zu überschwänglichen Hoffnungen Anlass; sie ist in diesen Tagen stürmischen Wechsels zunächst eine Tatsache, mit der sich jeder abzufinden hat, dann aber ein steiniges Neuland, an dessen Fruchtbarmachung im Kreise seines sonstigen Wirkens mitzuhelfen jedermanns Pflicht ist. Alle, die mit Kunst zu tun haben, müssen sich überlegen, wie das Verhältnis dieses Neuen zur Kunst erscheint, muss diese doch eine national verwurzelte und sozial bedingte Funktion unzweifelhaft und unmittelbar davon berührt sein“ (Hans Tietze, Die bildende Künste II Band 1919). Für Tietze ergab sich daraus die zentrale Schlussfolgerung, dass die neu geordneten Museen vor allem der Volkserziehung dienen sollten; eine Zuschreibung, die auch noch nach knapp 70 Jahren demokratischer Entwicklung nach 1945 auf ihre umfassende Einlösung wartet.
Und ja, die Konstruktion des österreichischen Menschen
Nicht nur für Tietze galt es als ein unabdingbares Unterfangen, dem Kulturbetrieb angesichts der tiefen nationalen Verunsicherung eine spezifisch österreichische Konnotation zu verpassen. Herausgekommen ist eine aus der Not rührende „Verösterreicherung“ (siehe dazu den Essay von Oskar Schmitz aus 1924: „Der österreichische Mensch“). Von dieser sollten die Austrofaschisten ebenso profitieren wie die KulturpolitikerInnen nach dem Zweiten Weltkrieg, als es darum ging, nach 1918 ein weiteres Mal die nationale Identität des kleinen Verliererstaates wider Willen zu befestigen und dabei auch gleich die Beteiligung vieler ÖsterreicherInnen am Nazi-Terror mit den Mitteln des Kulturbetriebs vergessen zu machen.
Tietze musste sich aber nicht nur mit inhaltlichen, sondern auch organisatorischen Transformation herumschlagen, an denen er spätestens 1925 scheitern sollte. Immerhin rührte die Verwaltung des Kulturbetriebs aus vordemokratischen Zeiten. Seinen Hoffnungen auf umfassende Demokratisierung folgend bemühte er sich um eine Neuordnung vor allem der staatlichen Kunstsammlungen, um auf die lapidare Feststellung zurück geworfen zu werden: „ Das Kollegium sprach sich einstimmig für die Beibehaltung der bestehenden Geschäftsordnung aus, die sich bestens bewährt hat“.
Aus heutiger Sicht lässt sich aus dieser Geschichte folgendes ableiten: Da ist zum einen die Existenz einer kulturellen Infrastruktur im Kleinstaat Österreich, die sich den politischen Intentionen einer Großmacht verdankt. Die daraus resultierende kulturpolitische Dominanz eines hypertrophen Betriebes hat der nationalen Identitätspflege Österreichs gute Dienste geleistet. Heute ist sie angesichts einer weitgehenden Zustimmung der Bevölkerung zur Staatlichkeit Österreichs (noch mehr im Zuge einer weiteren europäischen Integration) weitgehend obsolet geworden. Dafür braucht der Staat den Kulturbetrieb nicht mehr. Stattdessen würde im Zuge einer überfälligen Zukunftsorientierung eine weitere Aufrechterhaltung dieser überdimensionieren Infrastruktur ein ebenso überdurchschnittliches kulturpolitisches Engagement für das heutige, das gegenwärtige und nicht institutionell abgesicherte Kunstschaffen erforderlich machen.
Österreich im Mittelfeld: Immer mehr für die Kunstpflege, immer weniger für künstlerische Innovationen
In dem Zusammenhang fällt auf, dass Österreich – was die Größenordnungen seiner Leistungen im Bereich der Kunst- und Kulturförderung betrifft – international bestenfalls im Mittelfeld liegt (die zugehörigen Vergleichsdaten finden sich auf Compendium). Das aber bedeutet, dass das Land im Vergleich kulturpolitisch – jedenfalls was die Förderung künstlerischer Innovationen betrifft – trotz aller gutmeinenden Rhetorik nur sehr beschränkt handlungsfähig ist. Diese Knebelung durch den etablierten Kulturbetrieb wird noch einmal verstärkt durch die tradierte Dominanz eines habsburgischen Verwaltungshandelns, an dem schon Tietzes Bemühungen abgeprallt sind. An dieser Form der geförderten Selbstreferenzialität haben auch die Bemühungen von Claudia Schmied in Sachen „new governance“ bislang kaum etwas zu ändern vermocht.
Ein Gedankenexperiment: Nicht die Freie Szene, sondern den Kulturbetrieb privatisieren
Zurück also zu einem zweiten möglichen Szenario: Wie wäre es, nicht die Freie Szene weiterem Privatisierungsdruck auszusetzen sondern stattdessen den etablierten Kulturbetrieb. Was braucht es (noch), um ihn für private Investoren attraktiv zu machen? Immerhin konnte er in den letzten Jahren schon einige wertvolle Erfahrungen im Rahmen der Realisierung seiner Vollrechtsfähigkeit zur Verbesserung seiner Position in der Standortkonkurrenz sammeln. Dazu kommt, dass Private Kunst- und Kulturförderer wie Karl-Heinz Essl zeigen, wie es – inklusive einem breiten und elaborierten Vermittlungskonzept – gehen könnte.
Wenn der Kulturstadtrat sein kulturpolitisches Engagement mit den Wünschen des Publikums begründet, dann lässt sich das weit besser auf dem freien Markt als mittels staatlicher Interventionen realisieren. Dazu wie gesagt: kulturpolitisch stereotyp gehegte Hoffnungen auf eine weitere Stabilisierung nationaler bzw. in Wien lokaler Identität wird niemand mit Hilfe von „Natürlich Blond“ weiter aufrechterhalten wollen.
Mein Vorschlag also: Den aktuellen Forderungen der ÖVP im Rahmen der Koalitionsverhandlungen nach weiteren Privatisierungen entsprechend spricht (fast) alles dafür, ein umfassendes Privatisierungsprogramm des etablierten Kulturbetriebs in Gang zu setzen. Die Erfolgschancen stehen gut, wie das das Management der Vereinigten Bühnen beweist: die hohen Bonusforderungen belegen eindrucksvoll, wie sehr sie bereits in der Marktwirtschaft angekommen sind. Es spricht also nichts dagegen, diesen Fähigkeiten zugehörige Taten in Bezug auf die Etablierung marktauglicher Rechtsträgerschaften folgen zu lassen.
Die Idee einer Österreichischen Stiftung zugunsten der Vielfalt von Gegenwartskunst wird wahr
Und jetzt noch eine gute Nachricht für die Kulturpolitik, die uns in den letzten Regierungserklärungen immer wieder eine Stiftung für zeitgenössische Kunst versprochen hat: Aus den, sich aus den Privatisierungen ergebenden Erlösen ließe sich ein Fonds speisen, der ausschließlich der Förderung von Gegenwartskunst gewidmet ist. Und Hubsi Kramar müsste nicht mehr ausrücken und den Rücktritt des Wiener Bürgermeisters fordern, sondern könnte sich voll und ganz auf sein Kunstschaffen konzentrieren.
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