Bildung, Kultur und Kasinokapitalismus
Der Zusammenhang zwischen der Ausweitung des Glücksspielangebotes und gesellschaftlicher Krisenerscheinungen ist augenscheinlich. Je mehr Menschen in ihrer Verunsicherung und damit verbundener Orientierungslosigkeit die Fähigkeit abhanden kommt, ihr Schicksal in der eigenen Hand zu halten, sind sie geneigt, sich ihrem Schicksal auszuliefern, das zumindest ihren Glauben auf das große Glücksversprechen aufrechterhalten soll. Wer je einen Bauarbeiter Freitagabend aus einem dunklen „Spielsalon“ hat stolpern sehen, wo er gerade seine Wochenlosung in die Wunschmaschine geworfen hat, erfährt unmittelbar, wem deren Betrieb nützt – und wem nicht.
Bei ihren Versuchen der Markteroberung erweist sich die Glücksspielindustrie als durchaus kreativ und ideenreich. In der Vergangenheit machte sie auch vor Korruptionsversuchen gegenüber den immergleichen Grassers und Meischbergers nicht halt, etwa wenn es um die Auflösung des staatlichen Glückspielmonopols im Bereich der elektronischen Verbreitung ging. Und es war nur der standhaften Sektion 8 innerhalb der SPÖ zu verdanken, dass sie die Stadt Wien zu einem, wenn auch sehr zeitverzögerten Verbot des „kleinen Glücksspiels“ durchzuringen vermochte, das alle Gasthäuser Wiens zu Spielhallen für Krisenverlierer mit angeschlossenem Schankbetrieb gemacht hätte.
Lustig geht die Welt unter
Die grassierende Spielleidenschaft fällt zusammen mit einer Phase der gesellschaftlichen Entwicklung, die zuletzt Markus Metz und Georg Seeßlen in ihrem jüngst erschienenen polemischen Traktat „Kapitalismus als Spektakel“ als „Kasinokapitalismus“ bezeichnet haben. Sie diagnostizieren dabei eine immer umfassendere Hegemonie des Finanzkapitals, das mittlerweile entscheidender als die Realwirtschaft die kulturellen, moralischen und auch politischen Wertvorstellungen unterminiere bzw. ihre Ressourcen für seine Zwecke nutze. Als Zwangsverpflichtete der Finanzjongleure hechelten die führenden PolitikerInnen von einem Gipfel zum nächsten, um einmal mehr und gerade noch einmal die Fortsetzung eines alternativlos gehandelten Vabanque-Spiels sicherzustellen.
Wieder zu Hause zwingen sie die BürgerInnen, „das geldbedürftige Kasino“ zu unterstützen, indem sie ihnen „Sparprogramme“ in Form zusätzlicher Steuern, die aus der Gesellschaft Sicherheit und Gerechtigkeit abziehen, darüber hinaus Privatisierung von Vorsorge und Versicherung aufzwingen, mit der Konsequenz, sie als politische Subjekte zu entmündigen bzw. damit verbunden neue gesellschaftliche Perspektiven erst gar nicht entstehen zu lassen.
Der hegemoniale Charakter dieser Form der materiellen und immateriellen Enteignung würde durch Metz/Seeßlen mit Hilfe einer neuen Qualität der Verknüpfung von Unterhaltung und Ökonomie hergestellt. In einem Konzept des „Econotainments“ käme den Medien als „Blödmaschinen“ zentrale Bedeutung zu. Ihre Aufgabe wäre es, den ihrer Lebenschancen Beraubten die Teilnahme an diesem Blindflug als einzig verbleibende Möglichkeit zu suggerieren. Und so bemessen sich die medialen Qualitätsansprüche vorrangig an der Fähigkeit, „in Fröhlichkeit und Hysterie zu vermitteln, dass die Menschen diesen Prozess genießen, lustig und spannend, wie er ist, denn in ihm waltet das Schicksal, geht es menschlich zu, spielt das Leben“.
Metz/Seeßlen verdeutlichen diesen Prozess exemplarisch am Siegeszug von „Red Bull“. Ursprünglich als Produkt in Form eines Softdrinks gestartet, liege die überragende Marktkraft von „Red Bull“ heute in seiner immateriellen Nutzung. Mateschitz und Co sei es gelungen, eine Distributionsdominanz in Form der Verknüpfung eines Produkts mit seinen medialen Anwendungsformen herzustellen. Die Wirkung ergibt sich nicht aus dem materiellen Konsum (Trinken), sondern erst in der Verbindung mit kontrollier- und übernehmbaren Events (Dabeisein): „Die Distributionsdominanz kann sich auf dem Freizeit- und Kulturmarkt in dem Maß realisieren, wie Medien, Spektakel und kulturelle Institutionen zu „Blödmaschinen“ werden und sich zur Herstellung und Festigung oligarchischer Interessen benutzen lassen. Dabei geht es nicht allein um die „Kultivierung“ einer Marke wie „Red Bull“, sondern um die „Redbullisierung“ kultureller Institutionen“ (wie weit dieser Prozess mittlerweile fortgeschritten ist, konnte man jüngst anlässlich des Red Bull Programms „Flying Steps“ im Burgtheater nachvollziehen).
Über „Novomatisierung“ von Kunst und Kultur
Beim Lesen dieser Passage ist mir aufgestoßen, dass bei den gegenwärtigen Rückzugsgefechten auch namhafter Kunst- und Kultursponsoren aus der Wirtschaft ein Unternehmen signifikant heraussticht. „Novomatic“ als größter privater Glücksspielanbieter in Österreich bietet in nahezu aggressiver Weise dem Kunst- und Kulturbereich seine Dienste an. Das muss einen besonderen Grund haben, wenn die persönlichen Hintergründe des Managements neben den unmittelbar ökonomischen eher auf sportliche als auf kulturelle Interessen schließen lassen.
Vordergründig bietet sich die Erklärung an, das Unternehmen könne damit am Prestige von Kunst- und Kulturevents partizipieren, wenn es darum geht, neue Zielgruppen anzusprechen bzw. dem Image der gesellschaftlichen Schmuddelecke zu entkommen. Entlang der Überlegungen von Metz und Seeßlen bietet sich darüber hinaus aber noch eine weitere Interpretation an. Sie könnte – jedenfalls in den Köpfen der Novomatic-Strategen – in einer weitgehenden Übereinstimmung der Erwartung von Glücksspiel und Kunst- und Kulturangebot bestehen, der im Begriff des „Spektakels“ seine Gemeinsamkeit findet.
Es geht also um von Inhalten möglichst befreite „Action“; dass überhaupt etwas passiert, dass Gefühle hochkommen und so Menschen zumindest für eine kurze Zeit ihre Sorgen vergessen und in einen Hoffnungsraum einzutauchen vermögen, der alles verspricht und nichts zu halten braucht. Es geht, nach der Phase der „Redbullisierung“ um die „Novomatisierung“ von Kunst und Kultur.
Eine ganz ähnliche Assoziation ist mir anlässlich einer Veranstaltung zu „Kulturvermittlung“ gekommen, bei der einmal mehr dafür geworben wurde, dass möglichst viele Schulen mit, nein (noch) nicht mit der Glücksspielindustrie, sondern mit Kunst- und Kultureinrichtungen zusammenarbeiten sollen. Weitgehend ausgeklammert blieb aus diesem Zusammenhang die inhaltliche Spezifikation, damit die Frage, was mit dieser Form der Kooperation bewirkt werden will bzw. was konkret dabei gelernt werden kann und soll.
Mit kultureller Bildung alle Sorgen vergessen?
Allein, da war niemand, der die Frage beantworten wollte. Stattdessen hatte ich den Eindruck, sie sei – zumindest an dieser Stelle – unwillkommen, wenn nicht gar unangemessen bzw. deren Beantwortung verstehe sich doch von selbst. Immerhin würde der gute Wille aller Beteiligten mehr als ausreichen, dass „etwas passiert“, was in jedem Fall besser ist, als wenn „nichts passiert“. Und wer es nicht glaubt, der soll doch einfach „die Gesichter hunderter Kinder anschauen, die am Tag nach dem Opernball die „Zauberflöte für Kinder“ in der Staatsoper miterleben“ (zitiert aus einem bmukk Newsletter).
Und so sollen wir uns auf die Realisierung einer „Kultur des Gelingens“ konzentrieren, die das, was gelingen soll, in einem interesselosen Wohlgefallen aufgehen lässt. Und es entsteht das Gruppenbild furchtbar netter Leute, die es besonders gut verstehen, ebenso wortreich wie inhaltsleer deutlich zu machen, dass sie vom Willen getragen sind, Kindern Gutes zu tun. Angesichts von so viel Wohlwollen läuft die bisherige Diskussion zu Zielen und Gelingensbedingungen, die die Grundlage für die pädagogische Professionalisierung auch und gerade in diesem Bereich darstellt, einfach ins Leere.
Als langjähriger Streiter für die Sache der kulturellen Bildung tue ich mir schwer, diese Hoffnung auf eine kulturelle Bildung, im Rahmen derer die Welt noch in Ordnung ist, Menschen ganz unmittelbar miteinander verkehren und all die kultur- und bildungspolitischen Zwänge außer Kraft gesetzt sind, nicht zu teilen.
Die Erwartung aber, kulturelle Bildung als zentrale kultur- und bildungspolitische Maßnahme ließe sich auf die Leistung eines „Beitrags zur Begeisterung für Opern-, aber auch Musicalaufführungen“ reduzieren, hat mich stutzig gemacht. Kann sich der Hauptauftrag der öffentlichen Hand wirklich darauf beschränken, junge Menschen zu guten KonsumentInnen eines Kunst- und Kulturspektakels auszubilden, dessen Lernergebnisse sich – im Sinn einer bedingungslosen Affirmierung des Bestehenden – nolens volens darauf beschränken, das eigene Leben – wie es die „Blödmaschinen“ vorschreiben“ – als ein umfassendes Glücksspiel zu akzeptieren (das mir zwar immer schlechtere Lebenschancen zuweist, aber mich zumindest einmal im Leben in die Oper führt).
Ich habe Schule immer als eine staatliche Institution verstanden, deren Auftrag es ist, über die bestehenden Verhältnisse hinauszuweisen. Die SchülerInnen sollten nicht nur lernen, sich in einem „Meer von Dummheit, Ignoranz und Korruption“ (André Heller in einem Radiointerview) wenn schon nicht lustvoll, so doch zumindest ergeben einzufügen. Sie sollten darüber hinaus Schule als einen Ort kennen lernen, der es ihnen erlaubt, eine eigenständige, solidarische und kritische Haltung zu entwickeln, um so der universellen „Blödmaschine“ auf gescheite, kluge und wohl auch widerborstige Weise Eigensinn entgegen zu setzen. Und dazu kann die Beschäftigung mit Kunst und Kultur beitragen. Sie tut es aber nicht per se, wie uns die Gläubigen der kulturellen Bildungskirche glauben machen wollen.
In Ermangelung eines umfassenden bildungspolitischen Reformprogramms ist Schule heute in besonderem Maße dem wachsenden Sog ausgeliefert, soziale Widersprüche auch und gerade mit kulturellen Mitteln zu kaschieren. Darüber nicht zu reden ist die Aufgabe jeglichen politischen Anspruchs. Entsprechend entkommen wir der durchaus beunruhigenden Frage nicht, was Maßnahmen kultureller Bildung unter welchen Umständen für wen bewirken bzw. bewirken können, wenn es um mehr geht als um das freudige Ergebnis, dass „es hat allen Spaß gemacht“ hat.
Wussten Sie, dass sich in den letzten Jahren die Chancen, als Kind eines hoch qualifizierten Vaters selbst hoch qualifiziert zu werden um das Sechzehnfache gestiegen sind, während sich dieser Prozentsatz bei den niedrig Qualifizierten um das selbe Ausmaß verschlechtert hat (Information aus Bernd Schilcher: Bildung nervt!)? Dass die Glücksspielindustrie kein Interesse daran hat, die immer ungleicher werdenden Verhältnisse zu ändern, ist nachvollziehbar. Sie kann dabei mit dem stillschweigenden Einvernehmen weiter Teile eines zunehmend auf Sponsormittel angewiesenen Kunst- und Kulturbetriebs rechnen.
Für den Bereich der Schule als einer öffentlichen Einrichtung sollten wir das nicht so einfach gelten lassen und stattdessen hellhörig reagieren. Entsprechend erscheint eine genauere inhaltliche Bestimmung dessen, was mit der Forderung nach mehr Kooperation mit Kunst- und Kultureinrichtungen vermittelt werden soll, unabdingbar, will man politisch nicht zulassen, dass Schule zur zentralen Zurichtungsinstanz für die Erfordernisse des oben skizzierten Kasinokapitalismus mutiert, dessen Radikalisierung die führenden politischen Kräfte zur Zeit weitgehend alternativlos in Kauf nehmen (jedenfalls in ihren politischen Analysen nicht mehr konterkarieren).
Was steht gegen einen bildungspolitischen Schwerpunkt zugunsten der Berufsschulen?
Und noch etwas ist mir durch den Kopf gegangen: Unternehmen beklagen, dass Absolventen von Berufsschulen immer weniger über entscheidende Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben, Rechnen, darüber hinaus Sozialverhalten verfügen. In dem Zusammenhang fällt auf, dass in den letzten Jahren der Schwerpunkt der öffentlichen Ausbildungsdiskussion auf der Weiterentwicklung des tertiären Sektors gelegen ist. Vor dem Anspruch in Europa, immer höhere Akademikerquoten zu produzieren, wurden jede Menge neuer Fachhochschulen eröffnet, die mithelfen sollen, hoch- und höchst qualifizierte Kräfte für die Arbeitsmärkte von morgen auszubilden.
Gesucht werden aber zunehmend Fachkräfte in traditionellen Gewerbebereichen, die ganz offensichtlich von den bestehenden Berufsschulen in immer geringerem Ausmaß adäquat ausgebildet werden. Warum also keine umfassende Erneuerung nicht nur im Bereich der Fachhochschulen, sondern auch und ganz besonders im Bereich der Berufsschulen. Sie werden immerhin von rund 40% der jungen Menschen im Alter zwischen 15 und 18/19 Jahren besucht. Ein diesbezüglicher Schwerpunkt (der endlich auch der (inter-)kulturellen Bildung den Platz einräumen sollte, der ihr gebührt) könnte sich durchaus als entscheidend erweisen, wenn es darum geht, die in Europa grassierende Jugendarbeitslosigkeit in Österreich weiterhin niedrig zu halten.
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