Das Gwirxt mit der Kunst
Wenn mich nicht alles täuscht, dann zeichnet sich ein neues Interesse an „Kunst“ im Diskurs kultureller Bildung ab. Gefördert wird dieses u.a. durch die Bereitschaft einer Kulturpolitikforschung, nunmehr auch kulturelle Bildung in den Kanon ihrer Forschungsfelder aufzunehmen. Lange Zeit war das ein Thema, das auf Grund seiner vorrangig advokativen Ausrichtung als nur sehr beschränkt verhandlungswürdig angesehen wurde und den VertreterInnen der akademischen kulturpolitischen Forschung bestenfalls ein mitleidiges Lächeln abzuringen vermochte. In konkreter Umsetzung bemühen sich kulturpolitische Anwälte wie die IG AutorInnen – aufgeschreckt durch den grassierenden Standarisierungswahn – die Beschäftigung mit Literatur in der Schule zu retten: Sie fordern, das Fach „Deutsch“ in „Deutsch und Literatur“ umzubenennen.
Darüber hinaus finden zurzeit eine Reihe einschlägiger Veranstaltungen statt, die versuchen, die Beziehung von Kunst und Bildung neu auszutarieren. Als ein Beispiel sei die Tagung „Im Dazwischen –KünstlerInnen und Künstlerinnen vermitteln“ des deutschen Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung angeführt.
Auch in der jüngst veröffentlichen Denkschrift des Rates für Kulturelle Bildung „Schön, dass ihr alle da seid – Teilhabe und Zugänge“ findet sich ein, wenn auch nur kurzer Hinweis auf die „besondere Bedeutung der Künste für die Kulturelle Bildung“. Sie würden unvergleichliche Erfahrungs- und Bildungswelten (bieten), die das Leben über die gesamte Lebensspanne bereichern und gerade durch ihre Nicht-Alltäglichkeit, ihre Differenz zum Alltag gekennzeichnet“ seien.
Kunst ist nicht gleich Kunst ist nicht gleich Kunst
Das klingt gut. Aber was bedeutet diese Form der Beschwörung in der schulischen Alltagspraxis? Immerhin vermeidet diese Bezugnahme auf einen emphatischen Kunstbegriff jede nähere Bestimmung dessen, was darunter (noch) gemeint sein könnte. Und so ist – das ist meine Befürchtung – der weiteren Verbeliebigung Tür und Tor geöffnet.
Reden wir also von einer „Kunst“, deren Vermarktwirtschaftlichung Georg Seeßlen und Markus Metz zuletzt in ihrem Buch „Geld frisst Kunst- Kunst frisst Geld“ akribisch analysiert haben. Als Wirtschaftsfaktor hat sie mittlerweile ein „irres Geschäft“ hervorgebracht, das von einer kleinen Insider-Gruppe von Galeristen und einer wachsenden (neu)reichen Sammlerszene zunehmend außerhalb Europas beherrscht wird (Diese Kunst hat es gerade auf die Titelseite des Wirtschaftsmagazins trend geschafft).
Oder reden wir von einer „Kunst“, die es – jedenfalls nach dem Künstler, Kurator und Medientheoretiker Peter Weibel – gar nicht mehr gibt, weil „die Kunstszene abgedankt“ und ihr Geschäft den Massenmedien mit ihren immer neuen Hypes um austauschbare Celebrities überlassen hätte?
Oder geht es gar um die künstlerische Wiederaufnahme eines künstlerischen Programms zur Verbesserung der Welt, die „Kunst“ vorrangig als Form der (politischen) Intervention in gesellschaftliche Problemfelder begreift, um – wie das „Zentrum für politische Schönheit“ – traditionelle Vorstellungen von „Kunst“ nachhaltig irritieren ?
Auf der Suche nach Basiskonzepten – Was konkret wollen wir mit Kunst in der Schule erreichen?
Die Geschichte wird möglicher Weise noch komplizierter, wenn wir versuchen, die ästhetischen Diskurse der unterschiedlichen Kunstformen voneinander zu unterscheiden. Und ganz haarig könnte es werden, wenn wir diese auf das Medium Schule bzw. Bildungseinrichtung beziehen. Immerhin gelten hier zum Teil völlig andere Zielsetzungen, die weder darauf hinauslaufen, die Investitionsbedürfnisse einer neureichen Klientel, die Hermetik des ästhetischen Diskurses unter Eingeweihten zu sichern oder eine politische Kampfmoral mit ästhetischen Mitteln zu stärken.
Die Künstlerin und Kunstvermittlerin Carmen Mörsch hat in ihrer „kurzen Geschichte von KünstlerInnen in der Schule“ auf die beträchtlichen Widersprüche hingewiesen, die mit der Einbeziehung von KünstlerInnen im schulischen Unterricht bereits in den 1970er Jahren entstanden sind. Sie sollten den Kindern einerseits „Freude und Frohsinn“ bescheren und sie vom Schulstress entlasten. Andererseits sollten die KünstlerInnen mithelfen, die bestehenden hierarchischen Schulstrukturen zu irritieren und damit neue Formen des Lehrens und Lernens aufzuzeigen. Diese weitgehend unvereinbaren Ansprüche gelten auch heute noch. Es sind aber viele neue dazu gekommen, etwa wenn es um die Förderung der Kreativität der SchülerInnen, der Befähigung zur sozialen Integration und Multikulturalität oder einem positiven Transfer in möglichst alle, tendenziell als wichtiger angesehene Lernfelder geht.
Also was jetzt, könnte man ausrufen. Die Beantwortung der Frage wird nicht leichter, wenn man die Erfahrungen diesbezüglicher Bemühungen der letzten 40 Jahre einbezieht, die mehr als vermuten lassen, dass sich die Beschäftigung mit Kunst bzw. die Teilnahme von KünstlerInnen am Unterricht so ungefähr als das am wenigsten probate Mittel erwiesen hat, um Schulentwicklung auf struktureller Ebene voranzutreiben (Als einer, der im Rahmen des Österreichischen Kultur-Service viele Jahre lang versucht hat, den Dialog zwischen KünstlerInnen, LehrerInnen und SchülerInnen zu fördern, sage ich nicht, dass alles umsonst war. Immerhin wurden KünstlerInnen instand gesetzt, ihre oft prekären Lebensverhältnisse mit einem kleinen Zubrot aufzubessern. Dazu bleibt die Erinnerung an wunderbare Begegnungen, die bei einzelnen eine lebenslange Leidenschaft für Kunst hervorzurufen vermochte. Diese Erfolgsgeschichten ändern nichts an der Frage, ob es ausgerechnet KünstlerInnen sind, denen man die Herkulesaufgabe nachhaltiger Schulentwicklung aufbürden sollte).
Die überzogenen Hoffnungen auf Verflüssigung erstarrter Strukturen durch „Kunst“ und ihren RepräsentantInnen mögen mit einer grundlegenden Fehlsicht zusammen hängen, KünstlerInnen würden einen außergewöhnlichen Grad an Freiheit repräsentieren, der sich produktiv auf die Zerschlagung des ehernen Schulgehäuses auswirken würde. Unbedacht bleibt dabei, dass sich eine hierarchischere, manchmal sogar despotischere Organisationsform als der Kulturbetrieb (und damit verbundener mentaler Verfasstheit ihrer Akteure) kaum denken lässt. Der jüngst aus dem Amt gejagte Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann mag dafür als gutes Beispiel dienen: Wir können nur ahnen, was er als nunmehr „Freier Kunstschaffender“ dem System Schule mitzuteilen hätte.
Ist Kunst in der Schule heute „zum Vergessen“?
Die Unmöglichkeit, die Frage nach Funktion und Wirkung von „Kunst“ zu lösen, hat bislang zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen geführt. Die einfachste scheint mir nach wie vor die dominanteste: Weiter wie bisher, die Fahne der Kunst hochzuhalten, keine Widersprüche aufkommen lassen. Es gibt aber auch die diametral entgegen gesetzte Variante: Sie kommt aus der Richtung einer Fachdidaktik, die – wie der Salzburger Franz Billmayer – meint, „Kunst“ sei „zum Vergessen“. Weil sie sich heute überhaupt nicht mehr festmachen lasse; ihr wohnten keinerlei geistige oder moralische Qualitäten mehr inne; sie könne tendenziell alles sein und mutiere so zu einer gesellschaftlichen Gebrauchsanweisung, die vom Kunstsystem verwaltet würde (). Als solche aber sei sie für den schulischen Unterricht weitgehend obsolet geworden. Bildnerische ErzieherInnen sollten sich stattdessen vorrangig um die „Verbildlichung des Alltags“ annehmen. Gar keine so radikale Forderung, wenn man bedenkt, dass bereits in den 1970er Jahren Kampfschriften gegen den Kunstunterricht (Heino R. Möller) erschienen sind, die sich damals gegen die Unantastbarkeit eins bürgerlichen Kunstbegriffs gewandt haben, dessen Emanationen keinerlei „Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge und damit auch keine Aufklärung und Emanzipation (mehr) bewerkstelligen“ könne.
Ist Kunst im Leben etwas anderes als in der Schule?
Eleganter ziehen sich da schon die beiden Lehrstuhlinhaber für Pädagogik Eckart Liebau und Jörg Zitas mit ihrem Buch „Die Kunst der Schule“ aus der Affäre, wenn sie eine kategoriale Trennung versuchen, die das professionelle Kunstsystem einer Laienkunst und einer Kunst der Schule gegenüberzustellen versucht. Alle drei seien mit unterschiedlichen Logiken, damit unterschiedlichen Erwartungen, Zielsetzungen, Konzepten und Ausdrucksformen ausgestattet, die sich zum Teil nur sehr peripher überschneiden würden. Da haben wir es also wieder, das „Dazwischen“. Und so kann widerspruchsfrei im einen Feld die Idee der künstlerischen Autonomie ungebrochen aufrechterhalten werden, während sich in der Schule jeglicher künstlerische Ausdruck einem pädagogischen Primat zu unterwerfen habe.
Ich bin mir nicht sicher, ob das immer so war, wenn sich jedenfalls die höheren Schulen des 19. und wohl auch noch des 20. Jahrhunderts in Bezug auf ihren Kunstanspruch als Teil eines Systems kommunizierender Gefäße zusammen verstanden haben, deren vorrangige Aufgabe es im Zusammenwirken mit den Kultureinrichtungen war, die SchülerInnen in die Welt der großen Kunst einzuführen und auf die Erfahrung mit „Kunst“ als einem nur mit den Wissenschaften vergleichbaren Ausdrucks-, Erkenntnis- und Gestaltungsmedium vorzubereiten.
Diese Symbiose (von der freilich die Mehrheit der SchülerInnen seit jeher ausgeschlossen geblieben ist) scheint heute weitgehend aufgekündigt. Noch versucht eine wachsende Gruppe von Vermittlerinnen zumindest in den größeren Kultureinrichtungen den Kontakt junger Menschen mit dem jeweiligen Kunstangebot aufrecht zu erhalten. Das Gros der Jugendlichen erreichen die Einrichtungen aber schon lange nicht mehr. Diese folgen stattdessen – wie Peter Weibel bedauert – der Losung der Dadaisten „Alle Macht den Amateuren“ und gestalten sich ihre ästhetischen Umwelten – ganz ohne Genierer – nach ihrem Gusto nicht gemäß den Vorgaben des Kunstbetriebs, sondern eines mediatisierten Lifestyle-Angebots.
„Kunst“ als eine besondere Errungenschaft europäischer Aufklärung hat die Schule verlassen – Ihr bleibt Zurichtung auf den Arbeitsmarkt und sei es mit ästhetischen Mitteln
Der Schule, so meine Vermutung, ist darüber die Idee von „Kunst“ in seiner ganzen Vielfalt (samt der Notwendigkeit, sich auf ihre Spielformen ebenso mühevoll, wie zeitraubend – jedenfalls aber leidenschaftlich einzulassen) verloren gegangen. Gemeinplätze zur Beschwörung der Wichtigkeit von „Kunst“ vermögen diesen Trend kaum mehr zu verschleiern, auch deshalb – siehe oben – weil wir gar nicht mehr wissen (wollen) wovon wir reden, wenn wir das Wort „Kunst“ in den Mund nehmen.
Geschweige denn lässt sich mit den Akteuren ein konzeptiver Diskurs dazu führen. Zu verklebt erscheint unsere Rede vom „süßen Brei“ scheinbar immer mehr werdender affirmativer Beschwörungen (Wie schwer es ist, noch einmal einen handhabbaren Begriff von „Kunst“ im Rahmen von kulturellen Bildungsbemühungen zu entwickeln, ist mir zuletzt anlässlich der Abfassung eines Gutachtens zur Einrichtung sogenannter „Kunstlabore“ aufgefallen).
Fragen Sie doch einmal ihre Lehrer-KollegInnen, was sie über „Kunst“ denken, was sie ihnen persönlich bedeutet und welchen Stellenwert sie innerhalb und außerhalb der Schule einnimmt. Wir haben zuletzt mit SchülerInnen über ihr Künstlerbild gesprochen. Ihre Assoziationen lassen sich auf das Klischee des seltsamen Pariser Genremalers mit gestreiftem Leibchen, Halstuch, Pfeife und Barett reduzieren. Die Gestaltung ihrer ästhetischen Umwelten würden sie diesem schrägen Vogel nur sehr bedingt anvertrauen wollen. Dafür gibt es attraktivere Quellen.
Und jetzt sagen Sie mir noch, was der Typ zur laufenden Schulentwicklung beizutragen vermag?
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