Das Theater als Spiegel der Gesellschaft
Wenn Sie einen Programmzettel der Wiener Staatsoper zur Hand nehmen, dann machen bereits die Namen der SängerInnen eindrucksvoll deutlich, wie sehr sich der Opernbetrieb internationalisiert hat. Die Aufzählung der Akteure läßt Assoziationen zu, die nicht nur nach dem traditionellen Opernland Italien weisen sondern ebenso nach dem Baltikum, nach Russland, nach den Vereinigten Staaten oder Lateinamerika. Und so etwas wie ein typisch österreichischer Name stellt mittlerweile die Ausnahme dar.
Dasselbe gilt für Tanzkompanien. Auch hier kommen die TänzerInnen in der Regel aus allen Ecken der Welt. Im Ensemble von Pina Bausch, dem Wim Wenders zuletzt in seinem Film pina – tanzt, tanzt sonst sind wir verloren ebenso ausdrucksstarke wie vielfältige Stimmen gegeben hat, finden sich KünstlerInnen aus Ostasien und Lateinamerika ebenso wie aus Griechenland und der Türkei. Sie alle hat es allen auf Grund der überragenden Stellung von Pina Bausch ausgerechnet nach Wuppertal (und von dort gemeinsam in die ganze Welt) verschlagen, von wo aus sie ihre Tourneen wiederum in die ganze Welt unternehmen.
Im Theater ist das ganz offensichtlich anders. Hier scheint der ethnische Hintergrund nach wie vor ein entscheidendes Auswahlkriterium zu sein, um auf deutschsprachigen Bühnen mitspielen zu dürfen oder nicht. Vordergründig argumentiert wird diese anhaltende Hermetik mit dem Argument der deutschen Sprachmächtigkeit, die darüber entscheiden würde, ob jemand geeignet erscheine, aufzutreten oder eben nicht. Daran ändern auch Skurrilitäten wie diese nichts, dass SchauspielerInnen aus z.B. türkischstämmigen Familien zwar in Österreich geboren sein können, nach einer professionellen Schauspielerausbildung die deutsche Sprache perfekt beherrschen doch auf Grund ihres Namens abgelehnt werden (empfohlen wird da schon mal, sich einfach einen klingenderen Künstlernamen zuzulegen).
Und schon wähnen wir uns in die Zeiten Josefs II zurückversetzt, der das Burgtheater vor mehr als 200 Jahren von einer Hofbühne zum Nationaltheater umwidmete, um so den Weg zur ersten deutschsprachigen Bühne zu ebnen. In der Folge sollte hier das deutsche Theaterschaffen sein unhinterfragbares Referenzmedium finden; eine Zuschreibung, die die grundlegenden politischen Veränderungen im Laufe des 20. Jahrhunderts weitgehend unbeschadet überdauern sollte. Und so ist es nicht verwunderlich, dass diese Anwaltschaft bis heute nachwirkt, wenn der gegenwärtige Burgtheaterdirektor auf die Frage, warum SchauspielerInnen mit migrantischem Hintergrund auf seinen Bühnen bestenfalls Statistenrollen übernehmen dürfen, lapidar ausrichten lässt, er hätte dazu nichts zu sagen. (Die Konsequenzen dieses Schweigens zeigen sich in der Ensemble-Liste, die mittlerweile zwar tschechische und polnische Namen wie Dvorak und Lyssewski als Ausdruck erfolgreicher Integration früherer Einwanderungswellen beinhalten, nicht aber solche, die auf türkische oder arabische Herkunft hindeuten)
Die Frage an Hartmann wurde nicht zufällig gerade jetzt gestellt. Sie ist unmittelbarer Ausdruck eines demographischen Wandels, der sich nicht nur darin ausdrückt, dass mittlerweile rund 50% aller Wiener VolksschülerInnen über eine migrantische Herkunftsgeschichte verfügen sondern auch in der schieren Existenz einer wachsenden Zahl von SchauspielerInnen, RegisseurInnen und anderen Bühnenberufen mit denselben Herkunftsattributen, die darauf drängen, ihren Beruf einfach auszuüben und doch vieler Orten auf geschlossene Türen treffen.
Der Eindruck überwiegt, dass es vor allem an den großen Bühnen bislang noch ganz wenig Bewusstsein darüber gibt, welch fundamentalen Änderungen die nationalen Gesellschaften im Moment durchlaufen. Entsprechend bescheiden spiegeln sich diese sowohl in der Organisation als auch im Programminhalt derselben.
Und selbst bei den VertreterInnen von Traditionshäusern, die bereit und willig sind, sich auf diesbezügliche Diskussionen einzulassen, überwiegt die Angst, die zur Zeit noch mit Erklärungen zur Unmöglichkeit, darauf adäquat zu reagieren im Zaum gehalten wird. Als Beispiel dafür muss der Intendant des Theaters der Jugend Thomas Birkmeir herhalten, der bei einer Diskussion zum Thema „Migrant/Innen spielen auf den Sprechbühnen keine Rolle“ vorige Woche in der Garage X (wo zur Zeit eine Projekt-Reihe zu „Postmigrantischen Positionen“ von daskunst „Pimp my Integration“ stattfindet) wiederholt Sätze damit begonnen hat,: „Er persönlich habe ja keinerlei Berührungsängste gegenüber Schauspielern mit Migrationshintergrund, aber….“ Als Erklärung führte Birkmeir, dessen Auftrag darin besteht, jungen Menschen aus möglichst allen Gruppen der Gesellschaft einen Zugang zum Theater zu eröffnen, den Umstand an, migrante Eltern würden den Theaterbesuch ihrer Kinder unterbinden, um sie auf diese Weise vor den Einflüssen der Wiener Kultur zu schützen. Entsprechend gering sei der Anteil an migranten Jugendlichen im Publikum und so auch der Bedarf an mirgranten Identifikationsfiguren auf der Bühne.
A propos Identifikation: Einen offensiveren Weg der Beschäftigung mit dem Phänomen der Zuwanderung wählte zuletzt das Wiener Volkstheater mit der Produktion „Die Reise“. Unter Anleitung der Regisseurin der Initiative „wenn es soweit ist“ Jacqueline Kornmüller erzählen 30 Menschen ihre schrecklichen Erlebnisse in ihren Heimatländern und den Umständen, die zu ihrer Flucht nach Österreich geführt haben.
Die Flüchtlinge, die da auf der Bühne Zeugnis ihrer Unterdrückung geben, sind keine SchauspielerInnen. So eindrücklich und bewegend jede einzelne, nur sehr provisorisch von einem dramaturgischen Gedanken zusammengehaltene Schilderung ist, so wenig hat das Ganze mit „Theater“ als einem künstlerischen Anspruch zu tun. Das tut freilich der Wirkung keinen Abbruch. Immerhin verschafft es dem Publikum zumindest für einen Abend lang die Gelegenheit, sich mit den „Geknechteten dieser Erde“ um den bescheidenen Preis einer Eintrittskarte zu solidarisieren. Am Ende ist es mit dem Theater vollends vorbei, wenn die unermüdliche Flüchtlingsaktivistin Ute Bock mit ihrem Auftritt den Beifall für die Akteure absticht und um Spenden ersucht.
Es ist schwer, mit dieser Kritik nicht missverstanden zu werden. Immerhin ist all denen, die soviel Leid und Unbill erlitten haben, von Herzen zu gönnen, dass sie zumindest für einige wenige Abende ins Rampenlicht treten dürfen, um die Akklamationen des Publikums entgegen zu nehmen. Der Ärger, der während der Aufführung in mir hochgekommen ist, bezog sich naturgemäß nicht auf die Akteure auf der Bühne, sondern auf eine Dramaturgie, die es bar jedes eigenen künstlerischen Anspruchs zulässt, das Menschen auf ihre je individuelle Opferrolle reduziert werden, ohne zu einer darüber hinausgehenden Aussage zu finden.
Und so erfahren wir, dass Flüchtlinge auch auf der Bühne arm sind (und dabei doch – wie schön – ihren Lebensmut nicht verlieren) und erhalten zudem die Gelegenheit, sie zu bedauern und ihnen zu helfen. Fazit: Es bleibt alles beim Alten – aber wir fühlen uns zumindest für zwei Stunden irgendwie besser.
In diesem Bühnenarrangement bleiben all die Aspekte, die Menschen mit und ohne Flüchtlingserfahrung auszeichnen, wenn sie versuchen, in Österreich Fuß zu fassen, ausgeblendet und aus dem Blick genommen (z.B. die Qualität mancher von ihnen, gute und erfolgreiche SchauspielerInnen sein). Migrante sind nicht nur Opfer. Sie haben auch etwas zu bieten. Und die Reaktion der „Einheimischen“ auf das, was rund um sie passiert, kann sich auf Dauer auch nicht darauf beschränken, kollektiv zurückzuweisen und individuell zu bedauern und allenfalls zu helfen. Sie werden früher oder später nicht umhin können, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich unser Gesellschaft grundlegend geändert hat, damit vielfältiger geworden ist und nicht mehr verstanden werden kann, wenn wir uns auf die Wiederholung altbekannter Geschichten unter Aufbieten der immergleichen Gesichter – auf der Bühne und anderswo – beschränken.
Auf der bereits erwähnten Diskussion hat der Erfolgsregisseur Nurkan Erpulat (sein Erfolgsstück „Verrücktes Blut“ wird im Jänner in der Garage X gezeigt) die Forderung von William Shakespeare aufgegriffen, die Bühne habe als Spiegelbild der Gesellschaft zu fungieren. Um dem zu entsprechen, haben zumal die Wiener Bühnen noch einen langen Weg vor sich. Dieser reicht von einem beträchtlichen Wandel der Belegschaften (die zur Zeit weder organisatorisch noch künstlerisch den demographischen Realitäten entsprechen) bis hin zu einer Programmentwicklung, die diejenigen Geschichten aufgreift, die das Leben der vielfältigen Zuwanderergruppen erzählt.
Bis dahin werden SchauspielerInnen mit Migrationshintergrund, die zur Zeit mehr oder weniger brüsk zurückgewiesen werden, nach Alternativen suchen. Ein aufgebrachter Diskutant aus dem Publikum meinte: „Scheiß drauf, wenn die uns nicht wollen, dann machen wir eben unser eigenes Ding“.
Dieser Ausspruch war es dann, der möglicherweise zum eigentlichen Erfolg des Abends führte. Thomas Birkmeir meldete sich noch einmal zu Wort und meinte, letztere Aussage habe ihn zum Nachdenken gebracht. Vielleicht sollte er doch noch einmal die strategische Ausrichtung seines Hauses überdenken. Die Hoffnung auf einen Programmzettel des Theaters der Jugend, der zumindest in der Vielfalt der Namen der Wiener Staatsoper gleicht, ist also noch nicht begraben. Der Beifall war Birkmeir sicher.
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