
Der Alte und die Politik
Als Topthema der österreichischen Innenpolitik hat sich zuletzt der Einstieg eines agilen Greises in die Parteienlandschaft erwiesen. Mit Frank Stronach verfügt nunmehr auch Österreich endlich über einen Oligarchen, der sich anschickt, mit Hilfe des Boulevards (vulgo „Kravallzeitungen“, Zitat Thurnher) dem politischen System das Fürchten zu lehren. Besseres hätte diesen Aufregermedien nicht passieren können angesichts des zurzeit agierenden politischen Personals, das schon auf Grund seiner Farblosigkeit eine auch nur halbwegs attraktive Wahlberichterstattung unwahrscheinlich erscheinen lässt.
An diesem Hype wollen offensichtlich auch die deutschen Medien partizipieren. Mit ihren Einladungen zur lustigen Selbstdemontage eines spätberufenen Selbstdarstellers verstärken sie den Eindruck einer gewissen Abartigkeit des Kleinstaats Österreichs. Dies umso mehr, als eine beeindruckende Anzahl von ÖsterreicherInnen durchaus bereit erscheint, einem verfestigten Klischeebild zu entsprechen, wenn sie just zum Zeitpunkt des Auseinanderbrechens eines durch und durch korrupten Systems Haider (der als erster zum eigenen Nutzen das populistische Klavier virtuos zu bedienen wusste) laut IMAS Institut zu 39% den Ansichten Stronachs zustimmen und 11–16% auf Anhieb bereit wären, dieses politische Einmann-Unternehmen zu wählen.
Und so hat er die Bühne als autokratischer Alleinunterhalter für sich, wenn er sich als „Hüter der Werte“ aufspielt. Diese erschöpfen sich darin, der Politik seine Wirtschaftslogik überzustülpen und damit Politik für obsolet zu erklären. Er präsentiert sich als ein Nicht-Politiker, der an Politik eigentlich gar nicht anstreifen will: In diesem Anspruch umfassender Entpolitisierung von Politik erweist er sich als ein gelehriger Schüler Jörg Haiders, der sich bereits zu Ende des letzten Jahrhunderts als „Robin Hood“ für die einfachen und fleißigen Leute und gegen das politische Establishment in Stellung zu bringen versucht hat.
Nun haben sich visionslose und korrupte PolitikerInnen in der Vergangenheit immer wieder selbst desavouiert und damit an Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit verloren. Dies geschieht aber auch in anderen Berufsgruppen und doch würde dort niemand damit prahlen, zwar eine elaborierte Leistung erbringen zu wollen (z.B. einen Oberschenkelhalsbruch operieren oder einen Angeklagten vor Gericht vertreten), zugleich aber mit der Berufsgruppe nichts gemein haben zu wollen (der Chirurgen oder Anwälte). Stattdessen wird hier an ein Ressentiment appelliert, wonach Politiker-Sein – zumindest am Stammtisch – ohnehin jeder besser kann als das vorhandene Fachpersonal.
Trotzdem muss man nicht gleich das Ende der Demokratie herbeireden. Vor allem, wenn es Heilsprediger vom Rang eines Frank Stronach sind, die nur darauf warten, das entstehende Vakuum auszufüllen. Immerhin kann der Autoritätsverlust der politischen Klasse auch als ein Zeichen der Emanzipation breiterer Bevölkerungsschichten gedeutet werden, die nicht mehr bereit sind, den Unbedingheitssansprüchen von politischen FührerInnen zu folgen, die den Politikbegriff des 20. Jahrhunderts wesentlich in ihren unterschiedlichen autoritären Ausformungen geprägt haben, nicht ohne damit bislang unvorstellbares Leid zu verursachen.
Auch wenn sie in den Medien keine adäquate Repräsentation finden, gibt es doch eine Reihe von Evidenzen, etwa im Bereich der neuen sozialen Bewegungen. Hier ist zu beobachten, dass immer mehr BürgerInnen den Anspruch stellen, Politik nicht nur zu erleiden, sondern in die Entscheidungsfindungen aktiv eingebunden zu werden und mitgestalten zu können. Die Bildungserfolge der letzten Jahre haben wesentlich dazu beigetragen, einen partizipipationswilligen Mittelstand und mit ihm einen komplexeren Politikbegriff entstehen zu lassen, der sich nicht in den aktuellen Taktiken einer formalen Ausweitung von Formen „direkter Demokratie“ erschöpft.
Ihre Mitwirkung bedarf nicht eines Herrn Stronach sondern neuer Formen der politischen Kommunikation, in der auch die BürgerInnen auf dem langen Marsch in die Emanzipation neu gefordert sind. Nicht zu Unrecht weist Robert Menasse darauf hin, dass „eine Demokratie von Idioten […] das Ende von Demokratie“ (Artikel „Die Demokratie der blöden Tiere“) darstellt. Im konkreten Fall bedeutet dies, sich von der veröffentlichten Meinung rund um einen Demagogen, der nicht weiß, was er auf seine alten Tage mit seinem Reichtum machen soll, nicht aufs Glatteis führen zu lassen.
Der Primat der Politik und die Macht der Wirtschaft
Die Gefährlichkeit seines politischen Angebots besteht vor allem im Anspruch einer umfassenden Durchdringung der politischen Sphäre mit Wertvorstellungen, die aus der Wirtschaft kommen. Dies macht vergessen, dass Politik einst aufgebrochen ist, dem Totalitarismus des Ökonomischen die Durchsetzung gesellschaftlicher Vorstellungen gegenüberzustellen, in der jeder Mensch, ungeachtet seiner Stellung in der ökonomischen Hierarchie, sich in seinem Gemeinwesen an einer sinnstiftenden Lebensgestaltung beteiligen kann. Dazu aber schien es notwendig, die Wirtschaft zu „zähmen“, sie in ihre Schranken zu verweisen und Orte freizuhalten, die nicht der unmittelbaren ökonomischen Verwertung unterworfen sind (z.B. Kunst und Kultur).
Dabei hat der weltanschauliche Paradigmenwechsel bereits mit Altkanzler Franz Vranitzky begonnen, der seinerzeit mit seinem Sager, er wolle „Österreich wie ein Unternehmen führen“, noch auf heftigen politischen Widerstand gestoßen ist. Seither haben immer wieder Wirtschaftstreibende versucht, Politik nicht nur von außen zu beeinflussen oder gar zu bestimmen, sondern selbst politische Rollen zu übernehmen. Unter ihnen der Bauindustrielle Haselsteiner, der eine neue Partei gründete oder der Bauunternehmer Lugner, der gerne Bundespräsident geworden wäre.
Falsche Illusionen pflastern ihren Weg
Das Institut für Jugendkulturforschung hat zuletzt die Ergebnisse ihrer „Jugend-Wertestudie 2012“ veröffentlicht. In ihrem Befund sehen sich die AutorInnen mit massiven Auswirkungen des Primats des Ökonomischen auf das Sozialverhalten konfrontiert. Sie sprechen von einem „massenhaften Entstehen eines Sozialcharakters, der in der Unterordnung und der stillen Kritiklosigkeit sein Heil sucht“. Dies würde im Wesentlichen durch das Unterrichtsangebot der Bildungsinstitutionen verursacht, das einen Verhaltenstypus ermutige, „der das tut, was man ihm sagt, und der, so gut es geht, versucht, unterhalb des institutionellen Aufmerksamkeitsradar durchzusegeln“. Entsprechend stimmten fast 50% der Wiener Jugendlichen im Alter zwischen 16 und19 Jahren der Aussage zu, „dass man am besten das macht, was von LehrerInnen und Vorgesetzten verlangt wird, egal ob man es für richtig oder falsch hält“. Damit ginge den Jugendlichen eine der wichtigsten Kompetenzen ab, die für die Aufrechterhaltung demokratischer Verhältnisse essentiell ist: die Fähigkeit „Nein“ zu sagen.
Zuletzt war bildungspolitisch viel davon die Rede, die individiduellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der jungen Menschen zu fördern. Besonderer Wert sollte dabei auf die Förderung von Kreativität, Autonomie und Eigeninitiative zur Aufrechterhaltung einer permanenten Lern- und Leistungsbereitschaft gelegt werden. Geht es nach dem Institut für Jugendkulturforschung, hätten diesbezügliche Bemühungen eine Form des Individualismus begünstigt, der ein „unvollständiges, halbiertes Individuum verlangt, […] das immer dann aufgerufen wird, wenn es um persönliche Leistungsfähigkeit und individuelle Verantwortung geht“. Hingegen würde den Individuen bedeutet, ruhig, zurückhaltend und bestenfalls konventionell aktiv zu sein, wenn es um politische oder wirtschaftliche Entscheidungen und Auseinandersetzungen und um die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge geht.
Die Publizistin Isolde Charim schlägt in diesen Tagen in dieselbe Kerbe, wenn sie in einem Beitrag in der taz „Weniger Ich“ danach fragt, von welcher Art von Subjektvorstellungen sich Bildungsprozesse heute leiten lassen. In ihrer Interpretation der überhandnehmenden neoliberalen Denkungsart habe man dabei immer weniger die Bildung des „Staatsbürgers“ (Citoyen) im Sinn, der bereit und fähig ist, seine Leistungsfähigkeit (auch) in den Dienst des Gemeinwesens zu stellen. Stattdessen habe auch im Bildungsbereich der Primat des Ökonomischen die Oberhand gewonnen, der auf eine „Optimierung des Humankapitals“ hinauslaufe.
Über das Sinnlich-Emotionale und seine wirtschaftliche Verwertbarkeit
Besonders bedenkenswert habe ich dabei die Bemerkung gefunden, dass es den VertreterInnen eines ökonomischen Primats gelungen sei, „die wichtigste Ressource des Humankapitals anzuzapfen: die Seelenkräfte“. Sie seien es, die das Subjekt quasi von selbst funktionieren ließen. Hier wird der Bezug zu kultureller Bildung deutlich, wenn sich die Forderung nach Bezugnahme des Sinnlich-Emotionalen genau auf die Nutzung der „Seelenkräfte“ bezieht, von denen der bildungspolitische Diskurs bedauert, dass sie viel zu lange aus der schulischen Unterrichtspraxis ausgeklammert geblieben sind.
Ganz offensichtlich geht es um die Art und Weise der Befassung mit diesen Kräften angesichts der Gefahr, dass sich Individualisierungsstrategien weniger auf die Emanzipation des Subjekts (bis hin zur „Verhaltensrevolte“) sondern auf dessen optimale Verwertbarkeit im krisengebeutelten Wirtschaftsgetriebe (im Bedarf nach Verwertbarkeit des „ganzen Menschen“) setzt.
Stronach erklärt seinen politischen Machtanspruch aus seiner erfolgreichen wirtschaftlichen Tätigkeit. Und wir erschrecken, wie viele MitbürgerInnen bereit sind, ihm zu folgen. Die Erklärung – die Peter Rabl im Kurier vorgebracht hat – läge im anhaltend autoritären Charakter zumindest von Teilen der österreichischen Bevölkerung. Sie wird vom Befund, den das Institut für Jugendkulturforschung den Bildungseinrichtungen ausstellt, bestätigt und ist doch nur die eine Seite der Medaille.
Denn was angesichts des Aufstieg dieses autoritären Widergängers zu kurz kommt, das ist das Sichtbarmachen von demokratischen Gegenkräften, die zurzeit nur wenig Entsprechung in den etablierten Parteien finden, aber nichtsdestotrotz existieren und in den sich dramatisch verändernden Kommunikationsbedingungen versuchen, ihre Interessen und die ihres Gemeinwesens zu formulieren, zu verknüpfen und zu artikulieren.
Die aktuellen Korruptionsfälle haben für jeden aufgezeigt, wie sich Teile der Politik und der öffentlichen Meinung darauf geeinigt haben, sich auf die Darstellung eines immer kleineren Ausschnitts der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Öffentlichkeit zu beschränken und die Definition davon abhängig zu machen, inwieweit diese sich ebenso politisch wie ökonomisch verwerten lässt. Der immer größere Rest, der durchaus neue Anstöße zur demokratischen Weiterentwicklung des Gemeinwesens geben könnte, bleibt ausgeblendet.
Dass sich das so viele Menschen gefallen lassen, hat auch mit einer Bildungstradition zu tun, die sich an einem Subjektbegriff orientiert, der sich auf die Verinnerlichung ökonomischer Zwänge beschränkt (mit der Konsequenz, keine behindernden und/oder befördernden Bedingungen außerhalb der eigenen Person mehr ausmachen zu können, sondern die Schuld mangelnder Performance ausschließlich bei sich zu suchen).
In Anbetracht der Mediendominanz eines Herrn Stronach wird es Zeit für die besondere Hinwendung zu allen unangepassten und kritischen Geistern, die angesichts der Bedrohlichkeit der aktuellen Krisenerscheinungen in Europa nicht nach einem neuen starken Mann aus der Wirtschaft, der noch einmal unser aller Geschicke lenken will, schreien. Sondern die bereit sind, für ihre Rechte einzustehen und damit – gegen den herrschenden Trend – schon einmal „Nein“ zu dem zu sagen, was uns die herrschende Wirtschaftslogik auf dem Weg in die wachsende Verungleichung als einzigen möglichen Ausweg weiszumachen versucht.
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