
„Der große und der kleine Spindi“
„Wir leben eben in einer Mediokratie“, meinte Armin Thurnher in seinem jüngsten Kommentar in der Zeitschrift Falter zum „Kanzlerduell. Das geschwätzigste Schweigen seit Erfindung der Sprache“. Angetan hat es ihm dabei vor allem die Performance des „entfesselten“ ÖVP-Obmannes Michael Spindelegger, der eindrucksvoll vorführte, was ihm seine BeraterInnen auf dem Weg der „Pseudoamerikanisierung des Wahlkampfes“ mitgegeben haben. Ergebnis für Thurnher: Spindelegger sei es gelungen, „die österreichische Kunst der Selbstdegradierung auf die Spitze zu treiben“. Ermutigt dazu wird er ganz offensichtlich durch „Applaus-Automaten“, die der Kurier-Kolumnist Hans Rauscher dieser Tage ins Visier genommen hat. Er vermutet, dass jeder Kandidat, der in der zunehmend unüberschaubaren Anzahl von medial vermittelten Schaukämpfen einen „Satz bedingungsloser Adoranten mitbringen darf, die bei jeder Äußerung ihres geliebten Führers wie verrückt paschen und johlen“. In Antizipation eines vermuteten ZuseherInnen-Verhaltens durch die Medienbetreiber werden wir Zeugen des Versuchs, die öffentliche politische Rede in eine österreichische Version einer Sitcom samt Konservenapplaus umzufunktionieren. Vielleicht aber liegt der Grund auch nur darin, dass ohne diese Form medialen Aufmotzens, von dem, was Politik ausmacht, gar nichts mehr übrigbliebe.
In seinen medialen Auftritten zeichnet sich Michael Spindelegger nicht nur seine Fähigkeit der „Selbstdegradation“ aus – auch „Fremddegradation“. Beschränkte sich der BZÖ Vorsitzende Josef Bucher vor ein paar Tagen noch darauf, seine junge Freundin in der Krone bunt über Seiten vorzuführen, geht Spindelegger einen Schritt weiter: In einer der letzten Sonntagskrone findet sich eine mehrseitige Reportage „Der kleine und der große Spindi auf Stimmenfang“. Darin wird der 13jährige Sohn Matthias als „Assistent“ des Vaters vorgestellt, der „verblüfften älteren Damen die Gummibärchen in die Hand drückt, die er gerade erst selbst geschenkt bekommen hat“. Und wir erfahren, dass Matthias in seiner Eigenschaft als Berater den Sager des Wirtschaftskammerpräsidenten Leitl über den „abgesandelten Wirtschaftsstandort Österreich“ gut findet: „Das ist gut so, gell Papa?!“
Jetzt ist es ja die eine Sache, wenn führende PolitikerInnen Österreichs meinen, sich medial zum Trottel machen zu müssen. Dies aber – um des politischen Erfolges willen – auch seinen nächsten Menschen anzutun, zeugt von einem zunehmenden Hinter-sich-lassen bislang akzeptierter Hemmschwellen des politischen Marketings (jedenfalls bei den Parteien, die sich bislang als staatstragend präsentiert haben). Anstatt einem Plädoyer zugunsten der Integrität von Heranwachsenden, für deren Schutz Eltern Sorge zu tragen haben, werden wir Zeuge des Verkaufs des eigenen Kindes an den Boulevard.
Jetzt mag man die Aktion abtun als Einzelfall eines panischen Politikers, der seine Felle davon schwimmen sieht und noch einmal alle ihm verfügbaren familialen Ressourcen auf den Boulevard wirft. Der Bub wird’s schon aushalten, wenn ihn seine Schulfreunde hänseln und sich über ihn lustig machen.
Das Fallbeispiel erhält aber zusätzliche Brisanz dadurch, dass Michael Spindelegger nicht nur ein Politiker ist, der seine Familie zum Markt trägt, sondern ein ÖVP-Spitzenpolitiker, der die Bildungspolitik des Landes nachhaltig mitbestimmt und damit auch der österreichischen Bevölkerung seine Vorstellungen oktroyiert, wie und in welcher Form junge Menschen erzogen werden sollen.
Und da meine ich, dass diese öffentlich zur Schau gestellte Verweigerung des Sorgerechts jede weitere bildungspolitische Aussage diskreditiert bzw. alle seine bisherigen in einem neuen Licht zu sehen sind, wenn sie bestätigen, was wir bislang nur vermuten konnten: Dass es gar nicht um die Kinder geht, sondern um die Perpetuierung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse durch das System Schule, die eine Minderheit begünstigen und eine Mehrheit diskriminieren. Entsprechend geht es ihm nicht um das Kindeswohl sondern um die Aufrechterhaltung von LehrerInnen-Privilegien, vorrangig für diejenigen, die es als ihre Aufgabe sehen, diese Form der Ungleichverteilung von Lebens- und Berufschancen aufrechtzuerhalten.
In dem Zusammenhang ist mir einer der vielen Beiträge in diesen Tagen des neuen Schuljahres in besonderer Erinnerung geblieben: Unter dem Titel „Wozu Schule?“ analysiert die Bildungswissenschaftlerin Eva Novotny den Zustand der österreichischen Schule als Ergebnis einer spezifischen Interessenskonstellation. Ihrer
Einschätzung nach sind es nicht einzelne behebbare Fehler, die Schule daran hindern würden, das volle Potential der ihr anvertrauten jungen Menschen zu entdecken und zu entwickeln. Als „zentraler Verteilungsmechanismus von Lebenschancen“ (Schelsky“) müsse Schule in Zeiten offenen Wissens und zunehmendem außerschulischem Kompetenzerwerb zunehmend Schwerarbeit leisten, um ungebrochen der ihr strukturell zugedachten Rolle der massenhaften Chancenvernichtung nachzukommen: „Da bedarf es schon konsequenter Lernbehinderung eines Großteil des Jugend, damit Berechtigungen zu und der Ausschluss von Berufs- und Lebenskarrieren gerechtfertigt erscheinen und trotzdem sozialer Friede aufrechtbleibt.“
Novotny ortet hier einen der zentralen Gründe für die Aufrechterhaltung vieler „für das Lernen bereits allseits als dysfunktional erkannter Rituale“ (50-Minuten-Einheiten, isolierte Lerngegenstände, frühe Selektion, Sitzenbleiben, u.v.m.). An diesen Dysfunktionalitäten wird auch der aktuell in Begutachtung befindliche (und ausdrücklich von ÖVP-Obmann Spindelegger gegen den Willen der Lehrergewerkschaft gutgeheißene) Entwurf des Lehrerdienstrechts wenig bis gar nichts ändern.
Bleiben die schieren Daten: Österreich ist eines der wenigen Ländern, in dem seit 2009 die Leistungen der 15-16jährigen in den drei Grundkompetenzen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften abgenommen haben. Auch die beruflichen Interessen der Jugendlichen im naturwissenschaftlichen Bereich sind in den letzten Jahren (entgegen diversen Versuchen der Gegensteuerung in andern Ministerien, z.B. Talenteförderung des bmvit) signifikant zurückgegangen. Liegen alle Hoffnungen auf Matthias Spindelegger: Auch er – wie denn anders – möchte Politiker werden.
Und noch ein zweites Thema möchte ich ansprechen, das hoffentlich nach der Wahl anders verhandelt wird als vor der Wahl
Vor wenigen Tagen wurde ich vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR eingeladen, an einem Expertentreffen zur Vorbereitung eines Programms zur Förderung von Forschungsvorhaben im Bereich kultureller Bildung teilzunehmen. DLR agiert nicht nur in diesem Zusammenhang als Trägerorganisation für das Deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und wickelt Projekte aller Art in deren Auftrag ab.
Die Richtlinien dieses Förderprogramms zur „Systematisierung und theoretisch/methodischen Entwicklung der Forschung zur kulturellen Bildung als interdisziplinäres Forschungsfeld“, die im Herbst veröffentlicht werden sollen, richten sich gleichermaßen an universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und eröffnen ungeachtet traditionell gewachsener Sonderbeziehungen zu einzelnen ministeriell Zuständigen allen Interessierten die Chance, ihre Vorhaben zu realisieren. Als mögliche Themenstellungen werden u.a. genannt: „Wirkung kultureller Bildung innerhalb der Fachdidaktik und Transfereffekte in andere Lebensbereiche; Bedingungen und Formen der Teilhabe an kultureller Bildung; Entwicklung, Diskussion und Analyse verschiedener Qualitätskriterien der kulturellen Bildung sowie informelle und non-formale Formen der kulturellen Bildung und Kooperationsmodelle.“
Die Ausformulierung des Förderprogramms basiert auf den Ergebnissen einer, vom BMBF ausgerichteten Fachveranstaltung im Juni dieses Jahres „Perspektiven der Forschung kultureller Bildung“ bei der u.a. Eckhart Liebau, Inhaber des UNESCO Lehrstuhls für kulturelle Bildung an der Universität Erlangen Nürnberg, über seine, ebenfalls vom BMBF beauftragte Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation der deutschen Forschungslandschaft zugunsten kultureller Bildung Auskunft gegeben hat.
Ausgestattet werden soll das Förderprogramm mit zumindest fünf Millionen Euro, ein Betrag, der geeignet erscheint, Anreize für eine nachhaltige Verbesserung der Forschungsbedingungen im Feld kultureller Bildung herbeizuführen. Dazu kommen – wie ich in diesen Tagen höre – weitere Mittel, die vom Rat für kulturelle Bildung (einem Zusammenschluss von insgesamt acht deutschen Stiftungen mit dem Schwerpunkt kultureller Bildung) ausgeschüttet werden, vor allem um neue Ansätze der Wirkungsforschung zu motivieren.
Deutschland und Österreich – Sie sagen dasselbe und tun doch ganz unterschiedliches
Deutschland und Österreich eint zurzeit rhetorisch-programmatisch eine kultur- und bildungspolitische Schwerpunktsetzung zugunsten kultureller Bildung. Spätestens mit diesem Versuch einer systematischen Beforschung des neuen Politikfeldes Kulturelle Bildung in Deutschland werden aber auch die Unterschiede der politischen Kultur mehr als deutlich. Diese zeigen sich einerseits in der Kontinuität historischer Zufälligkeiten von Förderbeziehungen, die der einen Forschungsinstitution im freien Ermessen Förderungen zubilligen und der anderen nicht. Und andererseits in der bisherigen Weigerung der politisch Verantwortlichen, den ausgerufenen Schwerpunkt Kulturelle Bildung durch ein entsprechendes Forschungsprogramm begleiten zu lassen.
Nun zeichnet Österreich eine lange Tradition der Wissenschaftsfeindlichkeit aus. Diese äußert sich zuallererst in einem nachgerade ostentativen Desinteresse an der Weiterentwicklung von Forschung und Wissenschaft, wie man es zurzeit sowohl am Niedergang der Universitäten im Allgemeinen und der systematischen Austrocknung der außeruniversitären Forschung im Besonderen beobachten kann. Neu hinzugekommen aber ist die zunehmende Angst der politisch Zuständigen vor Forschungsergebnissen, die Forschungen daher erst gar nicht mehr in Auftrag geben, weil sie Sorge haben, diese könnten nicht die gewünschten Resultate haben und auf diese Weise ihr politisches Standing gefährden.
Und weil auch in Österreich Wahlen anstehen, traue ich mir, einen Wunsch zu äußern. Er besteht schlicht in der Erwartung an die kultur- und bildungspolitischen EntscheidungsträgerInnen (samt ihrer Entourage) der Forschung im Bereich Kultureller Bildung das Interesse gegenüberzubringen, das sie verdient und dessen Konsequenzen wir derzeit nicht nur in unserem Nachbarland studieren können. Bislang hat sich der Slogan von der „evidence based policy“ (und mit ihm alle Vorstellungen einer besseren Strukturierung und Systematisierung des Feldes kulturelle Bildung) weitgehend als Makulatur erwiesen zumal er angesichts der herrschenden Personalisierung von kultur- und bildungspolitischen Entscheidungen im Laufe der Legislaturperiode zunehmend an den Rand gedrängt wurde.
Und so wünsche ich mir für die Zukunft schlicht Kultur- und BildungspolitikerInnen, die die Neugierde beim Handeln u n d beim Denken, die sie bei den Lernenden nicht müde werden, als Ergebnis gelingender kultureller Bildung zu propagieren, auch für sich selbst in Anspruch nehmen.
Es wäre ein Gewinn für die Kulturelle Bildung in Österreich. Und wir müssten uns über den einen oder anderen medial präsenten Politiker nicht mehr ganz so fremdschämen.
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