Der Job ist nicht mehr das Leben
Vor Kurzem erschien im Standard ein Kommentar von Karin Bauer, der mich hellhörig gemacht hat. Sie berichtet von einer aktuellen Umfrage des US-Versicherers Breeze, wonach 65% der Amerikaner*innen bereit wären, auf zumindest fünf Prozent ihres Einkommens zu verzichten, wenn sie im Homeoffice bleiben könnten. 15% würden sogar Einbußen bis zu einem Viertel der Entlohnung hinnehmen. Die Hälfte der traditionellen Bürogeher*innen würde den Job an den Nagel hängen wollen, wenn sie keine Möglichkeit zum Arbeiten von zu Hause aus erhalten (vgl. breeze 2021: To remain remote, employees are ready to give up benefits, PTO, & salary).
Der Einwand kam prompt, die Ergebnisse berücksichtigten zu wenig die Besonderheiten des US-amerikanischen Arbeitsmarktes; sie ließen sich nicht so einfach auf die europäischen Verhältnisse übertragen. Und doch spricht eine vom Arbeitsministerium in Auftrag gegebene OGM-Studie eine ganz ähnliche Sprache. Ihr folgend sprechen sich auch hierzulande bereits mehr als zwei Drittel aller arbeitenden Menschen dafür aus, sich ihre Arbeit flexibel zwischen Büro und Homeoffice einteilen zu wollen. Die Bereitschaft, mögliche Auswirkungen auf die Einkommensverhältnisse in Kauf zu nehmen, wurde in Österreich nicht abgefragt.
Ganz offensichtlich ist da ein umfassender Wandel in den Einstellungen zur Arbeitsorganisation im Gang – mit heute noch gar nicht abschätzbaren Auswirkungen auf die Wohnformen, Beziehungsstrukturen, Arbeitsvertragsverhältnisse, Büroinfrastruktur und vieles mehr. Darüber hinaus deuten diese Haltungsänderungen der arbeitenden Bevölkerung auf einen noch weiter gehenden Veränderungsprozess hin, der die bislang sakrosankten Wertvorstellungen der Arbeitswelt in Frage stellt. „Der Job ist nicht mehr das Leben, vor allem nicht der Job im Büro…“, meinte dazu Karin Bauer (Ressortleiterin Karriere für Der Standard) und deutet damit an, dass – verschärft durch die Auswirkungen der Pandemie – auf die Wende von der materiellen zur immateriellen Produktionsweise schon bald ein Wertewandel folgt, der das Oktroi der Arbeitsgesellschaft, jedenfalls wie wir sie kennen, nachhaltig zu unterlaufen beginnt.
Vor allem junge Menschen wollen sich nicht mehr bedingungslos in das Regime der Arbeitsgesellschaft zwängen lassen
Es sind vor allem jüngere Menschen, die sich immer weniger in die Zwänge der herrschenden Produktions- und Konsumtionslogik hineinpressen lassen. Sie überraschen all diejenigen, die ein Leben lang am Arbeitsmarkt sozialisiert worden sind mit der Forderung nach einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance, für die sie auch bereit sind, Einkommensverluste hinzunehmen und auf allfällige Karrierechancen zu verzichten. Der ÖGB und zuletzt auch die Parteivorsitzende der SPÖ versuchen, auf die geänderten Erwartungen zu regieren und fordern seit Kurzem die 32 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich. Auch wenn sich Rendi-Wagner massiver Kritik auch aus den eigenen Reihen ausgesetzt sah belegen mittlerweile eine Reihe von nationalen Pilotprojekten den volkswirtschaftlichen Nutzen der vorgeschlagenen Arbeitszeitverkürzungen. Aber auch Teile der Unternehmer*innenschaft zeigen sich aufgeschlossen. So hat eine Wiener Social-Media-Agentur in ihrem Unternehmen die 32 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt. Stolz berichtet der Geschäftsführer von einem erheblichen Leistungsanstieg. Dementgegen versuchen konservative Kräfte mit allen Mitteln, den Status quo aufrechtzuerhalten. Und sei es wie zuletzt mit der Forderung, die Möglichkeit von Zusatzeinkünften für Langzeitarbeitslose zu unterbinden, um sie – um fast jeden Preis – auf den Arbeitsmarkt zu zwingen und seiner Logik zu unterwerfen.
Das große Versprechen, Bildung und Leistung führten zu Sicherheit und Wohlstand wurde gebrochen
Einer der Hauptgründe, warum der Wertewandel im Bereich der Arbeitsgesellschaft gerade bei jungen Menschen besondere Wirkung zeigt, mag darin liegen, dass die Arbeitsgesellschaft in ihrer gegenwärtigen Verfassung drauf und dran ist, das große Versprechung des Aufstiegs durch Bildung und Leistung zu brechen. Immer ausgeprägter die Stimmung einer diffusen Verunsicherung in einer nachwachsenden Generation, die sich scheinbar unbeeinflussbaren Entwicklungen auf den Arbeitsmarkt ausgesetzt fühlt, in dem in erster Linie zufällige Erfolge zählen, dessen Zustandekommen sie mit noch so großen Bildungsanstrengungen immer weniger zu beeinflussen vermögen. Dazu kommt das schleichende Gefühl, dass sich die Wohlhabenden dank politischer Unterstützung vom großen Rest der Gesellschaft abkoppeln und solidarisches Handeln an Bedeutung für die Aufrechterhaltung eines gedeihlichen Gemeinwesens verliert.
Auch unter dem Eindruck der großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenvergeudung entwickeln die jungen Menschen nicht nur eine kritische Distanz zu den herrschenden Produktionsbedingungen, sondern überprüfen auch ihr Konsumverhalten und erproben sich als Teil einer Sharing Economy, oft in kritischer Distanz zur Logik der herrschenden Arbeitsverhältnisse…..
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