Die Autonomie der Kunst
Der Dirigent Teodor Currentzis hat zuletzt für Aufregung gesorgt, die vordergründig nichts mit seinen künstlerischen Tätigkeiten zu tun hat. Die mediale Aufmerksamkeit bezog sich vor allem auf seine Weigerung, im aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine Stellung zu beziehen. Die Wiener Stadtzeitung Falter bezeichnete ihn zuletzt als einen „genialen Wendehals“, der versuchen würde, seine privilegierte Stellung in Putins Russland zu verschleiern, in der Hoffnung, damit in Europa den Starkult um seine Person weiter ausbauen zu können. Schon im Sommer musste deshalb der Intendant der Salzburger Festspiele Markus Hinterhäuser ausrücken, um seinen Stargast zu verteidigen. Jetzt soll sein neues, transnational zusammengesetztes Ensemble „Utopia“ mithelfen, ihn gegenüber zivilgesellschaftlichen Erwartungen seiner politischen Einordnung unangreifbar zu machen bzw. ihn als Künstler über allen gesellschaftlichen Konfliktlinien dahinschweben zu lassen.
Meine Vermutung ist, dass noch vor kurzer Zeit eine mit solcher Vehemenz öffentlich ausgetragene Kontroverse um den gesellschafts-politischen Kontext, in dem Kunst stattfindet, nur wenige kunstaffine Menschen hinter dem Ofen hervorgeholt hätte. Aber ganz offensichtlich sind wir in eine neue Phase der Sensibilität eingetreten. Sie ist u.a. das Ergebnis eines wachsenden Interesses an Fragen von Post-Kolonialismus, Diversität oder Rassismus bzw. der Durchsetzung unteilbarer Menschenrechte auch im Kunstbetrieb, der allen Menschen, damit auch Künstler*innen, denen als potentielle Role Models besondere Bedeutung zukommt, Haltung zu beziehen. Sie sollen sich nicht länger als einzige hinter einem Verteidigungswall aus Kunstautonomie verstecken dürfen, hinter dem alle Arten von Fehlentwicklungen unsanktioniert wuchern dürfen. Das müssen auch Currentzis, seine Förderer (für die russische VTB-Bank ist kurzfristig Servus-TV und die Stiftung Mateschitz eingesprungen) und die ihn engagierenden Kulturmanager*innen (die sich aus verständlichen Gründen nur ungern eine ihrer zur Zeit fettesten Cash-Cows schlecht machen lassen wollen), wenn auch noch weitgehend planlos zur Kenntnis nehmen.
Das Konzept der autonomen Kunst als überkommene Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft?
Zum Ausdruck kommt damit eine zunehmende Ratlosigkeit, wie mit politisch vereinnahmten (bzw. sich politisch vereinnahmen haben lassenden) Künstler*innen umzugehen ist. Umso überfälliger, nochmals über das Konzept der künstlerischen Autonomie nachzudenken. Da trifft es sich, dass der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich jüngst einen Essay „Die Kunst nach dem Ende der Autonomie“ herausgebracht hat. Darin versucht er die kategoriale Differenz zwischen Kunst und Gesellschaft, mit der Künstler*innen ihrer herausragenden Stellung auf immer neue Weise begründet haben, sowohl in Richtung Markt als auch in Richtung Politik einzuebnen und so die Kunst einem neuen Koordinatensystem zu überantworten. Geht es nach Ullrich, soviel kann vorausgeschickt werden, ist diese ideologische Trennung von den Realitäten des Kunstbetriebs längst überholt worden; die Einbettung jeglichen künstlerischen Tuns in seinen (gesellschafts-)politischen Kontext mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden…..
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Bild: ©Michael Wimmer
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