Die Herren, die Hünderl und die Katastrophen der Öffentlichkeit
Es ist mir mittlerweile eine angenehme Gewohnheit geworden, an der Eröffnung des Brucknerfestes in Linz teilzunehmen. Ich kann da in ein anderes Milieu aus Kulturinteressierten eintauchen, die da jährlich zum Saisonauftakt im Brucknerhaus zusammenkommen: Diese ZuhörerInnen, so mein Eindruck, sind irgendwie bodenständiger, dabei durchaus frohgemut, freundlich und selbstbewusst; jedenfalls ohne diese besondere Wichtigkeitsbehauptung, die vergleichbare Wiener oder Salzburger Kulturaufmärsche schon mal charakterisiert.
Der Unterschied zeigt sich auch in den Reden, vor allem des amtierenden Bürgermeisters Franz Dobusch und des Landeshauptmanns Josef Pühringer. Nach dem Ritual der Abarbeitung einer langen Liste an Namen von Ehrengästen (auch dabei kann man, wie ich lerne, eine beeindruckende Perfektion erwerben) fiel mir vor allem der Enthusiasmus und das Engagement der beiden Politiker für die konkreten Anliegen des Kulturstandortes Linz auf. Sie können immer wieder glaubhaft vermitteln, dass ihnen die Sache der Kultur ein ganz wichtiges Anliegen ist und dass sie bereit sind, sich dafür einzusetzen.
Nirgendwo sonst in Österreich wurden zuletzt so viele Kulturbauten errichtet wie in Linz
Und sie können etwas herzeigen: Allein die beindruckende Anzahl an neueren Kulturbauten, die in den letzten Jahren in Linz errichtet worden sind (darunter das Brucknerhaus, Lentos, AEC, Posthof, Stifterhaus, Schlossmuseum oder Wissensturm). Dazu kommen der Neubau der Anton Bruckner Privatuniversität und das Musiktheater, die, Krise hin oder her, in nächster Zeit fertiggestellt werden. Dies macht deutlich, dass in dieser Stadt über einen Imagewandel nicht nur geredet, sondern dass in diesen Sektor öffentliche Mittel investiert werden.
Naturgemäß war beiden Politikern die geplante Eröffnung des künftigen Musiktheaters ein besonderes Thema. Immerhin stieß dessen Realisierung ursprünglich auf heftigen Widerstand vor allem von Seiten der Freiheitlichen Partei und musste erst das negative Ergebnis einer oberösterreichweiten Volksbefragung verdauen.
Nun kann man sagen, dass in Linz lange Zeit ein besonderer Nachholbedarf im Bereich der kulturellen Infrastruktur geherrscht hat. Trotzdem fällt auf, dass man ein ähnlich politisch gestütztes Kulturbewusstsein in anderen österreichischen Städten (inklusive Wien) vergeblich sucht.
Einer der Gründe mag im systematischen Zugang der Stadt zu Fragen der Kulturpolitik liegen, wenn nunmehr bereits zum zweiten Mal ein Prozess einer Kulturentwicklungsplanung in Gang gesetzt wurde. Auch dieser Durchgang (der erste bereitete die Ausrichtung von Linz als Europäische Kulturhauptstadt 2009 vor) war breit angelegt und sollte vielen Stimmen Gelegenheit geben, sich zu artikulieren und den künftigen kulturpolitischen Kurs der Landeshauptstadt mitzubestimmen (dabei nehmen Fragen der Vermittlung durchaus einen wichtigen Stellenwert ein).
Im Rahmen der politischen Behandlung vielfältiger Kulturvorhaben der Stadt war es umso auffallender, dass die amtierende Kunst- und Kulturministerin Claudia Schmied darauf mit keinem Wort einging und sich stattdessen darauf beschränkte, eine kurze Vorlesung zum Verhältnis von Globalisierung und Kosmopolitismus zu halten.
So politisch korrekt der Inhalt, ihre Weigerung, zumindest einen kleinen symbolischen Schritt auf Ihre ZuhörerInnen zuzugehen, war geeignet, die Ressentiments des lokalen Publikums vor Ort zu verstärken, das immer schon die „Abgehobenheit der Wiener“ beklagt. Vielleicht aber haben ihre RedenschreiberInnen nur versucht zu kaschieren, wie sehr die kulturpolitischen Gewichte dabei sind, sich von der Ebene des Bundes in Richtung Länder und Städte zu verschieben, und die nationale Kulturpolitik in Linz einfach zurzeit nichts zu melden hat. Und so vertiefte sich der Eindruck, dass in Ermangelung staatlicher kulturpolitischer Vorgaben es immer mehr die politischen VertreterInnen der anderen Gebietskörperschaften sind, die sagen und bestimmen, was kulturpolitisch Sache ist.
Antisemitische Ästhetik zur politischen Profilierung: „So nicht!“
Für besondere mediale Berichterstattung sorgte die Aussage von Bundespräsident Heinz Fischer, der just diese Eröffnungsansprache dazu nutzte, eine von vielen schon lange erwartete Grundsatzerklärung zur politischen Kultur des Landes abzugeben. Als erster führender Vertreter der Republik wandte er sich gegen die Verwendung einer diskriminierenden politischen Ästhetik durch die FPÖ: „Wenn jemand in den politischen Diskurs eine Karikatur einbringt, wo ein feister Kapitalist mit gekrümmter Hackennase dargestellt wird – nämlich just mit einer gegenüber der ursprünglichen Zeichnung stärker gekrümmten Hakennase – dann ist das eine feige Spekulation mit Überresten des Antisemitismus und somit ein Tiefpunkt politischer Kultur, der allgemeine Verachtung verdient. Dazu kann man nur sagen: So nicht!“
Die Aussage nahm in den folgenden Tagen in den meisten Medien breiten Raum ein und brachte in der Folge zumindest den FPÖ-Funktionär Andreas Mölzer dazu, mit den Worten: „Es ist einfach passiert! Es tut Strache leid“ zumindest eine Teilentschuldigung abzugeben.
Im Verlauf der Eröffnung ist es Usus geworden, eine Uraufführung eines Auftragswerkes zu präsentieren. Dieses stammte diesmal von Karlheinz Schmid und war mit dem Titel „Was morgen geschah“ von der Absicht geprägt, einen Kontrapunkt zum üblichen Setting herzustellen. Folgerichtig „eroberte“ er im Verlauf des Stückes als Saxophonist zusammen mit einigen Kollegen den Zuschauerraum und sorgte mit seinem Versuch, „das Morgen“ herbeizuimprovisieren dafür, dass im Brucknerhaus zumindest auch „Musik der Gegenwart“ gespielt wurde.
„Wiar a Hünderl sein Herrn“ – Das darf nicht mehr wahr sein!
Ganz im Gegensatz dazu das jährliche Ritual des Abspielens der Bundes- und der Landeshymne. Bei der Bundeshymne fiel auf, dass die neue Version „Heimat bist du großer Söhne und Töchter“ beim besten Willen nicht funktioniert und dass bei der Landeshymne der Text als Ganzer, jedenfalls bei mir als einem Nichtoberösterreicher, das Gefühl von „Das darf nicht mehr wahr sein!“ aufkommen lässt. Wenn da ein aus lauter gestandenen EntscheidungsträgerInnen bestehendes Auditorium anhebt zu singen: „Hoamatland, Hoamatland, di han i so gern! Wiar a Kinderl sein Muader, a Hünderl sein Herrn“, schreit es in mir auf: „Aufhören, aufhören!“ (Warum es nicht möglich sein soll, diese Form der patriotischen Traditionspflege zu beenden, weil sich – gottseidank! – die besungenen Abhängigkeitsverhältnisse nachhaltig geändert haben, und einen Auftrag zur kompletten Neugestaltung an AutorInnen und KomponistInnen zu vergeben, um mit ihnen in der Gegenwart anzukommen, leuchtet mir nicht ein.)
Heinz Fischer hat mit seinem Statement klare Worte gefunden, wenn es darum geht, eine, wenn auch ästhetisch vermittelte, Aussage einer österreichischen Parlamentspartei der allgemeinen Verachtung auszusetzen. Was bleibt ist die Frage, was das bedeutet bzw. ob und wenn ja, welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben.
Die „Festrede“ als Ausdruck des Niedergangs demokratischer Öffentlichkeit
Das war dann auch – ohne auf den konkreten Fall anzuspielen – Thema des Festvortrags von Armin Thurnher, dem langjährigen Chefredakteur und Herausgeber der Wiener Stadtzeitung „Der Falter“ zum Thema „Die Katastrophen der Öffentlichkeit“.
Seine diesbezügliche Grundthese bezog er aus dem alten Griechenland, wo er den Ursprung einer demokratischen Öffentlichkeit verortet. Immerhin hätten in der attischen Agora die Bürger mit ihren Reden einen öffentlichen Raum gebildet, dessen Kraft darin bestand, dass die Bürger nicht nur etwas gesagt haben, sondern auch dafür allenfalls mit ihrem Leben einzustehen hatten. Erst die Machtverschiebung zugunsten einer kleinen Elite (die ihre Interessen fernab der Öffentlichkeit hinter verschlossenen Türen verhandelte) habe diese Form der öffentlichen Auseinandersetzung unter Gleichen abgeschafft, um als Ersatz eine andere Form der Rhetorik, nämlich die „Festrede“ zu kreieren. Diese erschien vielen zwar attraktiver, dafür aber angesichts der neuen Machtverhältnisse weitgehend wirkungslos.
Mit diesen historischen Assoziationen zur aktuellen Entwicklung beschrieb Thurnher seine eigene rhetorische Wirkungslosigkeit. Zentrales Thema war ihm das aktuelle Verhältnis von Politik und Medien, für das er drastische Bilder fand. Noch einmal beschwor er den vor allem von „Qualitätsmedien“ repräsentierten Raum, in dem verschiedene Argumente aufeinandertreffen, um den von Vernunft geleiteten BürgerInnen die Gelegenheit zu geben, das für sich überzeugendste zu wählen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Entgegen diesem Anspruch würde heute selbst ein „qualifiziertes Publikum“ (damit auch die EntscheidungsträgerInnen unter den ZuhörerInnen) auf diese Mühe verzichten, sich „stattdessen seinen Teil denken und die Qualitätsjournalisten reden lassen“.
Als die „Gescheiteren“ wüssten sie, wie Politik in postdemokratischen Zeiten „in Wirklichkeit“ passiert – offenbar dort, wo sich Medienunternehmer als „Herrn“ aufspielen, die sich ihre „Hünderl“ in Form von erfüllungswilligen Politikern halten. Also dort, wo der Boulevard in der Lage ist, abseits der Öffentlichkeit überzeugungslose PolitikerInnen zu erpressen, auf dass mit öffentlichen Mitteln (Inseraten!) die eigenen Profitmargen steigen.
Thurnher benennt in der Folge eine Reihe von Aspekten, die seiner Meinung den Niedergang der Öffentlichkeit (und damit der demokratischen Errungenschaften) charakterisieren würden und träumt am Ende von einer „Selbstverteidigung der öffentlichen Sphäre“.
Ich weiß nicht, ob die ZuhörerInnen verstanden haben, dass sich Thurnhers Verelendungsbefund als eine Handlungsaufforderung auch und gerade an sie als vielfältig Mitbeteiligte gerichtet hat. Als Publikum dankte es jedenfalls frenetisch.
Die Wirkung der „Festrede“ wird sich allenfalls dann ermessen lassen, wenn die ZuhörerInnen als Anwälte einer demokratischen Öffentlichkeit wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt sind und ein neues Sujet zur Verunglimpfung einer sozialen Gruppe in die öffentliche Arena geworfen wird, von der der Bundespräsident meint, es hätte „allgemeine Verachtung verdient“.
Wir werden sehen – und es in den von Thurnher beschriebenen Medien lesen.
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