Die pakistanische Schülerin Malala Yousafzai zeigt es uns mit dem Einsatz ihres Lebens vor
Endlich einmal wollte ich den Boulevard loben. Immerhin lässt zurzeit die Kronenzeitung auf Plakaten das Bild eines Herrn Karl Weissenböck (47) affichieren, der sagt: „Meine Kinder verdienen die beste Bildung“. Bislang ist das Sujet nicht auf allzu große Resonanz gestoßen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob just diese Aussage viele neue LeserInnen zur Kronen-Zeitung wird greifen lassen.
Dem radikal-konservativen Ex-Chefredakteur von Presse und Wiener Zeitung Andreas Unterberger reicht der Werbespruch immerhin für eine scharfe Polemik. Darin äußert er den Verdacht, die SPÖ hätte – ganz im Stil der aktuellen Inseratenaffäre – auch in diesem Fall die Krone gekauft, um für ihre Gesamtschul-Kampagne Stimmung zu machen. Ganz offensichtlich ist ihm der Anspruch, dass das beste Bildungsangebot nicht ausschließlich seinesgleichen vorbehalten bleiben, sondern auch an den durchschnittlichen Krone-Leser gerichtet sein soll, Hinweis genug, für einen weiteren Versuch der politischen Agitation mit boulvardesken Mitteln. Dahinter lauert das Konzept der Gesamtschule: „Damit soll den Menschen eingeredet werden, die Bildung unserer Kinder würde durch die zwangsweise Gesamtschule besser. Zwar wissen alle Eltern und Lehrer, dass das Gegenteil der Fall ist. Aber SPÖ und Krone hoffen offenbar, dass die – im Grund schon seit 90 Jahren versuchte – Gesamtschul-Gehirnwäsche irgendwann doch zu einem Erfolg führt. So wie es ja beim Tiroler Intelligenzpolitiker Platter der Fall war“, so Andreas Unterberger.
Das da ein selbsternannter Don Quijote der traditionellen Bildungseliten noch einmal um den Fortbestand von wohl erworbenen Privilegien seiner Gruppe rittert, zeugt davon, wie viele Widerstände auf dem Weg nach gerecht verteilten Bildungschancen noch zu überwinden sein werden.
Was mich aber nachdenklich gemacht hat, ist der Umstand, dass eine solche Forderung überhaupt noch gestellt werden muss. Als ob es sich für Eltern nicht von selbst verstehen würde, „seinen Kindern die beste Bildung“ zu ermöglichen, weil diese Absicht unmittelbar die Wertvorstellungen, die Eltern von ihren Kindern haben, berührt. Wo sind die, die überzeugt das Gegenteil behaupten wollten: „Nein, mein Kind braucht keine gute Bildung“ oder „Eine schlechte Bildung genügt“.
Die Ermüdung der Bildung
Zu vermuten ist, dass es nach wie vor (oder sogar mehr denn je?) eine beträchtliche Anzahl von Eltern gibt, die der Bildung ihrer Kinder keinen allzu großen Stellenwert einräumen. Sei es, dass sie aufgrund ihrer eigenen sozialen Stellung gar nicht wollen (oder keine Chancen sehen), dass ihre Kinder mit Hilfe von Bildung aus dem eigenen Milieu ausbrechen oder sei es, dass immer mehr hoch und höchst ausgebildete junge Menschen die Früchte ihrer Bemühungen (in Form entsprechender Jobangebote und damit entsprechendes Sozialprestige) nicht mehr zu ernten vermögen und sie daher schlicht „drauf pfeifen“. Immer deutlicher spüren wir, dass der traditionelle Gesellschaftsvertrag, wonach der Grad der Bildung über den Erfolg im Leben bestimmt, zwar nicht aufgelöst, aber stark an Überzeugungskraft eingebüßt hat. Als hätten wir es mit Ermüdung der Hoffnungsproduktion zu tun, die wir mit dem Begriff der Bildung verbinden.
Robert Menasse hat in seinem Essay „Das B-Wort“ versucht, den sich wandelnden Stellenwert von Bildung in der Gesellschaft (und damit Bildung als ein historisches Phänomen) zu beschreiben. In seiner Analyse kommt er zum Schluss, dass die aktuelle gesellschaftliche Dynamik zu einer Verwahrlosung der öffentlichen Bildungsinstitutionen geführt habe, die die ursprüngliche Kraft, die von dem Begriff ausgegangen sei, weitgehend zum Erliegen gebracht habe.
In der Konsequenz hätten wir es mit einem zwar nach wie vor schönen Ideal zu tun, das aber kein Ideal der Gesellschaft mehr darstelle; es handle sich um eine, von bestimmten InteressensvertreterInnen nach wie vor in Anschlag gebrachte, notwendige Voraussetzung, für die immer weniger wüssten wofür und ja, sie stelle nach wie vor eine stete Notwendigkeit dar, ohne die man aber immer besser auszukommen vermöge.
Als eine wesentliche Ursache ortet Menasse den Verlust, heute noch ein perspektivisches Bild (er spricht von Ideal) des Menschen zu entwerfen. Ins
Spiel kommt hier die notwendige politische Unterfütterung jeglicher Bildungsbemühungen, die in der Lage wären, ein überzeugendes Bild eines gelingenden Gemeinwesens durch die möglichst umfassende Entwicklung der Potentiale seiner Mitglieder zu entwickeln.
Bildung ist die notwendige Voraussetzung für Freiheit
Diesbezügliche Bildungsvorstellungen haben weniger mit dem Erwerb bestimmter Wissensbestände als mit der Übernahme von Verantwortung für ein selbst bestimmtes Leben. Damit aber ist Bildung eine wesentliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Freiheit, die den/die Lernenden erst zu dem machen, die sie sein wollen.
Dabei wurde Bildung von Beginn an als Voraussetzung definiert, um Freiheit erkämpfen zu können und zu politischer Partizipation imstande zu sein. In der politischen Kampfparole „Wissen ist Macht!“ war auch das Wissen eingeschrieben, dass Bildung die wesentlichste Voraussetzung darstellt, wenn es darum geht, Erfolge der politischen Emanzipation zu verteidigen und auszubauen, was an Freiheit errungen wurde.
Auf der Basis ist Menasse durchaus radikal, wenn er mit der wachsenden Unfähigkeit von Bildungsinstitutionen, diese Freiheiten einzuüben, eine Gefahr nicht nur für den einzelnen Lernenden, sondern darüber hinaus für das demokratische Projekt Demokratie sieht. Wenn sich der Mainstream des Bildungsangebotes zunehmend damit begnügt, die SchülerInnen mit einem Set von Kompetenzen auszustatten, auf dass sie in die Lage versetzt werden, sich gegenüber den gegebenen Zwängen als hinlänglich fit und angepasst zu erweisen (und im Fall des Scheiterns den Fehler bei sich selbst zu suchen), dann ist es mit den Freiheitsvorstellungen, diese Zwänge notfalls auch in Frage zu stellen bzw. für ihre Überwindung zu kämpfen, nicht weit her: „Freiheit als politische Organisationsform, also die Garantie von Freiheit auf der Basis von Grundrechten, Verfahrensregeln und ihrer Kontrolle, heißt Demokratie. Aber die errungene Demokratie, in den Formen, in denen wir sie kennen, hat sich offenbar von dieser Notwendigkeit befreit. Die Geschichte als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit ist bei einer Freiheit angelangt, die gegeben erscheint, daher keine weitere geistige Anstrengung erfordert“, so Menasse.
Das Erstarken von Bildung in der Krise
Was das bedeutet, ist mir erst so richtig mit dem Bericht über das Attentat auf die pakistanische Schülerin Malala Yousafzai klar geworden, die sich in ihrem autoritären Umfeld die Freiheit genommen hat, ihren Bildungsanspruch in die Tat umzusetzen. Sie wurde vor ein paar Tagen von religiösen Fanatikern lebensgefährlich verletzt, weil diese den Schulbesuch von Mädchen als „unislamisch“ ablehnen und in den von ihnen kontrollierten Gebieten bereits hunderte Schulen geschlossen haben. Malada Yousafzai hat sich gegen diese Form der kulturellen Hegemonie aufgelehnt und auf ihr Recht auf Bildung bestanden.
Mit ihrem unbeugsamen Lernwillen hat sie in Pakistan eine heftige Diskussion in Gang gesetzt, der nicht zuletzt die handelnden Politiker unter Zugzwang setzt. Den Medien entnehme ich, dass die 14-Jährige zuletzt die Gründung einer Partei zur Mädchenbildung angekündigt hat und für ihr Engagement einen Friedenspreis erhalten hat. Der Vater von Malada Yousafzai unterstützt seine Tochter und wäre damit wohl die ideale Repräsentation für die Werbebotschaft „Mein Kind verdient Bildung“.
Malada Yousafzai hat sich zu einem role model entwickelt: Wenn wir in diesen Tagen mit Horrorbotschaften über die am meisten von der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise betroffenen Länder verunsichert werden, dann mischen sich darin immer öfter Berichte von SchülerInnen- und StudentInnendemonstrationen, die ihr Recht auf Bildung einfordern. Die offensichtlich negativen Wirkungen haben die jungen Menschen wachgerüttelt, von ihrem Recht einer auf Bildung basierenden Freiheit Gebrauch zu machen und sich gegen ihre, als alternativlos verkaufte, Benachteiligung stark zu machen.
Theater-LehrerInnen als neue Avantgarde des Aufbruchs?
In Österreich ist es um die vereinzelten Widerstandsnester (Stichwort „Uni brennt!“, …) wieder still geworden. Umso erfreulicher, dass sich zuletzt eine Gruppe zu Wort gemeldet hat, von der man es nicht unbedingt vermutet hätte: Ausgerechnet LehrerInnen, die sich um eine Verbesserung der Bedingungen von Theater in der Schule bemühen („SOS – Theater“) haben in Wien zu einem österreichweiten Aktionstag aufgerufen, um auf die prekäre Situation ihres Fachs und bei der Gelegenheit auf das besondere pädagogische Potential theatraler Unterrichtsformen aufmerksam zu machen.
Das Resultat war unter anderem eine Neudefinition des aktuellen kultur- und bildungspolitischen Schwerpunktes, wonach Schulen und Kultureinrichtungen enger zusammenarbeiten sollen: Mit den LehrerInnen haben sich eine Reihe prominenter SchauspielerInnen solidarisiert, unter ihnen Josef Hader und Nicolas Ofzarek.
Die engen Grenzen wurden mit dem Ukas des oberösterreichischen Landesschulratspräsidenten Fritz Enzenhofer (ÖVP) deutlich, der die Teilnahme von SchülerInnen „an einem Schultag“ mit dem Argument verboten hat: „Zwischen einer Demonstration für Anliegen der Schüler und einer Instrumentalisierung der Schüler für die Wichtigkeit eines Gegenstands ist ein Unterschied“. Das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, das nicht müde wird, die positiven Ergebnisse gelingender Zusammenarbeit von LehrerInnen und KünstlerInnen zu propagieren, verweist in diesem Fall auf seine mangelnde Zuständigkeit. Die Forderungen der Gruppe lägen nicht „im Einflussbereich des Bundes“.
Vielleicht hat ja Unterberger doch Recht und eine neue Arbeitsteilung läuft wirklich darauf hinaus, dass die Kronenzeitung für die engagierte Umsetzung der Anliegen der SPÖ-Bildungspolitik steht.
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