Dürfen die das?
In seiner Hintergrundanalyse „Wokeness-Test für die Kulturavantgarde“ kritisiert Stefan Weiss entlang diverser antirassistischer Kritiken von Programmentscheidungen die Diskursverweigerung von Kultureinrichtungen. Der Vorwurf lautet, die Verantwortlichen beschränkten sich auf ein Herumlavieren zur Begründung von künstlerischen Entscheidungen, die in der Tat eine Fülle von Fragen aufwerfen.
Die Gründe – so vermute ich – liegen in der weitgehenden Konzeptlosigkeit einer Kulturpolitik, der jegliche Haltegriffe abhandengekommen sind. Gewissheit gibt es nur dort, wo immer deutlicher wird, dass der Kulturbetrieb mitten in einem umfassenden Transformationsprozess steckt und damit die bislang entscheidenden Maßstäbe bei der Entscheidungsfindung ihre Kraft verlieren. Das betrifft handlungsleitende Qualitätsmaßstäbe ebenso wie nachhaltige Veränderungen des kulturellen Verhaltens in einer sozial immer weiter auseinanderklaffenden Gesellschaft, das sich immer weniger an einem, für alle verbindlichen bürgerlichen Kulturempfinden bemisst.
Zurecht hat der Auftritt des Rappers Yung Hurn bei der Eröffnung der diesjährigen Wiener Festwochen für Aufregung gesorgt. Vor allem weibliche Journalist*innen wie Franziska Tschinderle im Profil formulierten eine Philippika gegen die misogynen und gewaltverherrlichenden Texte dieser Kunstfigur, umso mehr, als sie eine beträchtliche Schar an Fans für sich zu begeistern vermag. Und wohl nicht nur mich zum Bekenntnis zwingt, nein, auch „ich will nicht in einer Welt leben, in der so über Frauen gesprochen wird.“
Und ich stelle doch erstaunt fest, dass im Zusammenhang mit dem Auftritt dieses Rappers bei einem repräsentativen Festival ungefragt völlig unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, wenn es um die kategoriale Differenz zwischen Kunst und Leben geht. Während es heute niemandem einfiele, eine Aufführung von „Richard dem Dritten“ als eine Repräsentation von Hochkultur als Aufruf zur Gewaltbereitschaft zu interpretieren, so nehmen vor allem die jetzt so Empörten an, im Bereich der Popularmusik gälte diese Differenz nicht. Kein*e Vertreter*in eines gebildeten Publikums würde annehmen, der Darsteller von Richard dem Dritten würde „wirklich“ seine gesamte Familie ausrotten, um seine unstillbare Machtgier befriedigen. Im Gegensatz dazu aber wird dem Rapper zugemutet, er wäre ident mit seinen Texten; ihm, aber auch seinem Publikum fehle jegliches Differenzierungsvermögen zwischen dem, was auf der Bühne passiert und dem, was es in ihren Wohnquartieren an Gewalttätigkeit täglich erlebt…….
Den Blogbeitrag in voller Länge und weitere Publikationen von Michael Wimmer finden Sie auf Michael Wimmers Kulturservice!
Hier geht’s direkt zum Originaltext!
Bild: Yung Hurn ©Stefan Brending/CC-BY-SA-3.0 de
LETZTE BEITRÄGE
- Hilfe, die Retter nahen
- Kunst, Kultur und Grenzen – Warum Grenzen für ein lebendiges Zusammenleben notwendig sind
- Alles neu macht der Mai – Eine andere Zukunft des Kulturbetriebs ist möglich
- Hype um Chat GPT
- Die Autonomie der Kunst
- Liberale Bürgerlichkeit, hedonistische Massendemokratie oder antidemokratischer Autoritarismus
- Dürfen die das?
- Kulturpolitik in Zeiten des Krieges
- „Das Einzige, was uns zur Zeit hilft, das sind Waffen und Munition“
- Stehen wir am Beginn eines partizipativen Zeitalters? (Miessen)