Ebola
Vor rund zehn Monaten wurde zum ersten Mal bei einem Kleinkind in Guinea die tödliche Seuche Ebola diagnostiziert. Bereits vier Tage später ist das Kind gestorben, bald nach ihr ihre Schwester, die Mutter und die Großmutter. Die Weltgesundheitsorganisation spricht in diesen Tagen von rund 4.500 Todesfällen. Darüber hinaus gelten rund 9 000 Menschen als mit dem Virus infiziert; Tendenz ungebrochen exponentiell steigend.
Außerhalb Westafrikas gab es bislang nur einige wenige Fälle; umso größer ist die öffentliche Erregung vor allem in Europa und den USA, deren Wortführer auf eine möglichst umfassende Abschottung gegenüber dem afrikanischen Kontinent drängen. Die Stimmung angesichts insgesamt dreier Ansteckungsfälle erscheint mittlerweile derart hysterisch, dass sie US-Präsident Barack Obama persönlich vor übertriebener Panik warnen ließ.
Fast hat es den Anschein, als gierten die Medien nach neuen Verdachtsfällen in den Zentren der westlichen Welt, um mit reißerischen Überschriften die Auflagen zu steigern. Wenn diese nicht und nicht auftreten wollen, dann wird das Publikum zumindest mit Detailbeschreibungen von Schutzkleidung und ihrer Verwendung auf hohem angstlüsternem Niveau gehalten. Und wenn auch das nicht hilft, dann muss eben der Hund einer verstorbenen Krankenschwester in Spanien herhalten, dessen Tötung zur Eindämmung des menschlichen Übertragungsrisikos zum medialen Hypes geriet.
Diese Form der Verseuchung eines grassierenden Verdummungsjournalismus täuscht nur unzulänglich darüber hinweg, wofür Ebola bei Anerkennung individueller und kollektiver Schutzbedürfnisse zu aller erst steht: für „eine Schande für die Welt“ zum einen und für das Sichtbarwerden des Fortbestands eines postkolonialen Rassismus zum anderen.
Über die Kontinuität des heiligen St. Florian-Prinzips: Verschon mein Haus, zünd‘ andere an
Wieso eigentlich hat die Weltgesundheitsbehörde so spät und unzulänglich auf den Ausbruch der Epidemie reagiert? Warum wurden die Hilferufe von Organisationen, wie Ärzte ohne Grenzen viele Monate nicht gehört? Warum war es bislang nicht möglich, die völlig unzureichenden Gesundheitssysteme in Ländern wie Guinea oder Liberia (es sind dort insgesamt 50 ausgebildete Ärzte für vier Millionen Einwohner zuständig) nachhaltig zu unterstützen? Warum hat die Forschung zur rechtzeitigen Entwicklung eines Impfstoffes völlig versagt?
Das sind nur einige Fragen, die den Verdacht nähren, der Umstand, dass in Westafrika eine Seuche wütet, reiche nicht aus, um die Weltöffentlichkeit zu interessieren oder gar zum Handeln zu motivieren. Solange die Gefahr „nur“ einer dunklen Masse von Afrikanern, deren Heimatländer die meisten EuropäerInnen noch immer Schwierigkeiten haben, auch nur auf der Landkarte zu verorten, besteht offenbar kein Handlungsbedarf (außer allenfalls zu entscheiden, Flüge nicht nur in die Krisenregion sondern auch in andere Länder Afrikas zu vermeiden, deren Hauptstädte zwar weiter von Monrovia oder Conakry entfernt sind als Berlin oder Paris aber auch in Afrika gelegen sind). Das offizielle Österreich liegt da voll im Trend, wenn die Bundesregierung bislang darauf beschränkt hat, sage und schreibe 200.000 Euro für Schutzanzüge und medizinische Ausbildung locker zu machen, während insgesamt fünf(!) Helfer vor Ort ihr Leben riskieren, um anderen zu helfen.
„Afrika ist auf dem Weg, der Welt das neue Gesicht einer afrikanischen Modernität zu zeigen“ (Achille Mbembe)
Zu tief eingegraben hat sich das Bild Afrikas in den Augen des Westens, Ort eines ebenso unvermeidlichen, wie anonymen millionenfachen Todes zu sein; eine lapidare Zuschreibung, die es weitgehend unbeeindruckt hinzunehmen gilt. Allein in Liberia sind bis heute rund 100 Gesundheitskräfte an der Epidemie gestorben. Kein einziger von ihnen hat es mit Namen in die Nachrichten westlicher Medien geschafft; stattdessen der spanische Hund mit Namen Exkalibur, der so ungewollt zum Symbol für die Ungebrochenheit eines rassistischen Blicks westlicher Medien mutiert.
Zu dieser Einseitigkeit gehört auch, dass die Medien in afrikanischen Ländern offenbar nicht in der Lage sind, die westliche Medienhegemonie zu durchbrechen und sich über ihre Landesgrenzen hinweg Gehör zu verschaffen. Und so erfahren wir nichts über die aktuelle Situation aus erster Hand. Die am schwersten Betroffenen bleiben in aller Regel stumm; ihre Bedeutung erschöpft sich bestenfalls in Ziffern, die in Form von Statistiken den Eindruck eines Bedrohungspotentials verstärken.
Der afrikanische Historiker und Politikwissenschafter Achille Mbembe hat in einem jüngst erschienenen Interview „Ebola ist wie wir: Mobil“ in der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit (N° 43/2014) noch einmal darauf hingewiesen, wie sehr Ebola bestehende Stereotypien über den afrikanischen Kontinent verfestigt. Einmal mehr werden AfrikanerInnen von den Gutwilligen auf ihre Rolle als Opfer und von allen anderen als Bedrohung festgelegt. Den unangenehmen Nebenwirkungen sieht Mbembe einmal mehr in der öffentlichen Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents, sich selbst nicht regieren zu können, zugleich aber nichts mit seinen BewohnerInnen zu tun haben zu wollen. Anstatt das Selbstbewusstsein und seine Kraft zur Selbstregierung der afrikanischen Gesellschaften zu stärken überwiege der Befund, in Permanenz auf Unterstützung und Kontrolle von außen angewiesen zu sein: „Es gehört zu den fatalen Wirkungen solcher Einsätze von außen, dass sich dieser Eindruck der Unmündigkeit verbreitet“.
Auf eine fatale Weise bestätigt Ebola den weiteren Ausbau der Festung Europa, deren verunsicherte BürgerInnen darin bestätigt werden, sich gegenüber allen Zuzugsversuchen aus dem Süden abzugrenzen. Eigentlich – so Mbembe – sei es „unendlich absurd, dass ein riesiger Kontinent voller Rohstoffe, voller Entwicklungsmöglichkeiten seine junge Generation unter Lebensgefahr in Länder aufbrechen sieht, die sie nicht haben wollen“. Einer der Gründe liegt in der Weigerung einer medialen Öffentlichkeit, ein differenzierteres Bild des afrikanischen Kontinents zu entwerfen, auf dem – wie überall – vernunftbegabte Akteure tätig sind, nur dass sie in Afrika unter postkolonialen Bedingungen handeln. Stattdessen beschränken sie sich auf die Vermittlung des Bildes eines „einfältigen großen Kindes“, dem der Westen zu zeigen hat, wo es lang geht.
Verbesserung der Mobilität als innereuropäisches Ziel – aber bitte nicht aus Afrika
Eine Richtung der Mobilität für das einfältige große Kind bleibt – mit Ebola umso mehr – ausgeschossen. Es ist kaum anzunehmen, dass angesichts der Bedrohung durch die Ebola Epidemie in Afrika europäische Politik stark genug ist, seine Migrationspolitik den Realitäten anzupassen. Also endet jeder Mobilitätsversuch bereits in Afrika an den Grenzzäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, in denen sich zuletzt wieder hunderte Flüchtlinge verfangen haben. Die vielen anderen, die sich auf die gefährliche Reise übers Mittelmeer machen, werden in Zukunft noch häufiger vom Tod durch Ertrinken bedroht sein. Die italienische Initiative mit dem euphemistischen Namen Mare Nostrum, die bislang rund 150 000 Menschen das Leben gerettet hat und als Konsequenz auf die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa vor einem Jahr, in der rund 600 Flüchtlinge wegen fehlender Hilfeleistungen umgekommen sind, eingeführt worden ist, steht vor dem Ende. Die anderen europäischen Länder können sich nicht darauf einigen, Italien zu unterstützen und eine gemeinsame Finanzierung sicher zu stellen.
Wider die Gewöhnung: Das ist einfach unerträglich!
Uns wird die Aufgabe zugemutet, uns an die Bilder toter AfrikanerInnen zu gewöhnen, es irgendwie als Normalität europäischen Zusammenlebens zu sehen, dass an seinem südlichen Rand Menschen wie die Fliegen verrecken, ohne dass noch irgendjemand ein besonderes Aufheben darüber machen wollte; jedenfalls solange die Bedrohung nicht die unmittelbaren eigenen Lebensverhältnisse tangiert.
Europa ist dabei, sich eine harte Haut wachsen zu lassen. Da mögen im Nahen Osten jeden Tag aufs Neue hunderte Tote bei Attentaten umkommen oder tausende Menschen in einem Teil Afrikas an Ebola sterben; Europas Rolle beschränkt sich zunehmend auf die des Zählens der Opfer und des Sicherstellens, selbst möglichst unberührt davon zu bleiben.
Dieses Verhalten mag pragmatisch verständlich erscheinen; mit der Idee eines Kontinents, der sich einmal als Ort humaner und damit kultureller Selbstvergewisserung mit globaler Ausstrahlungskraft verstanden hat, hat das nichts mehr zu tun. Der Prozess des „Dwarfing of Europe“ geht weiter.
Kulturelle Bildung mit Haltung kann helfen
Was das mit kultureller Bildung zu tun hat? Vielleicht mehr als uns lieb ist. Da ist zum einen der Bedarf, schlicht mehr zu wissen von den kulturellen Verfasstheiten in anderen Weltgegenden, um die Menschen dort besser verstehen und ihnen auf Augenhöhe begegnen zu können. Und zum anderen schreien die Umstände, mit denen wir zurzeit konfrontiert sind, nach einer durchaus erlernbaren Haltung, die unser kulturelles und damit gesellschaftspolitisches Selbstverständnis ganz unmittelbar berührt. Neben dem notwendigen Wissen ist es die Haltung, die die Voraussetzung dafür bildet, um das, was da in und rund um Europa passiert nach wie vor als das zu bezeichnen, was es ist:
Als ein unerträglicher Skandal hingenommener Verelendung, der – trotz aller gegenwärtigen politischen und medialen Verblendung – nicht nur die unmittelbar Betroffenen angeht sondern in Form einer Mischung aus Zynismus und Gleichgültigkeit auch auf die zurückwirkt, die meinen, sich damit arrangieren zu sollen und keinen Willen mehr aufzubringen vermögen, dagegen Widerspruch einzulegen.
Die dafür genutzten ästhetischen Ausdrucksformen dürfen durchaus unterschiedlich sein.
Bildnachweis: © fronterasur_flickr.com
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