Endzeit und Überdruss
Eine politische Endzeitstimmung hat das Land erfasst. Es ist, als ob nichts mehr ginge, jedenfalls in die richtige Richtung. Ich kann mich noch gut an eine Aussage eines führenden SPÖ-Politikers zu Ende der 1980er Jahre erinnern, der damals angesichts des kometenhaften Aufstiegs Jörg Haiders bei gleichzeitiger Unfähigkeit seiner Partei, darauf eine adäquate Antwort zu finden, meinte, wir sollten uns nicht täuschen, es würde noch viel schlimmer kommen, noch seien nicht alle Eiterbeulen aufgebrochen. Er sollte Recht behalten, die politischen Angebote beschränkten sich seither zunehmend darauf, sich in immer neuer Selbstüberwältigung für das jeweils kleinere Übel zu entscheiden. Und jetzt sind wir dort, wo das kleine nicht mehr vom großen Übel zu unterscheiden ist, weil einfach alles von Übel ist.
Dabei ist der Anlass der aktuellen Übelkeit vergleichsweise klein. In zwei Bundesländern wurde gewählt. Und es passierte das, woran wir uns weitgehend gewöhnt haben: SPÖ und ÖVP verlieren, FPÖ gewinnt, die anderen Oppositionsparteien stagnieren. In Prozentsätzen diesmal noch offensichtlicher; aber alles zusammen ein einmal mehr erwartetes Ergebnis. Die Besonderheit liegt in den Konsequenzen, wenn sich diesmal der SPÖ-Landesvorsitzende Hans Niessl als Wahlverlierer nicht einfach in sein Schicksal fügen wollte. Stattdessen nahm er eine taktische Anleihe vom vormaligen ÖVP-Vorsitzenden Wolfgang Schüssel vor 15 Jahren und lässt sich in einem offensichtlich vor der Wahl abgekarteten Deal mit den Stimmen der FPÖ zum Landeshauptmann küren. Jetzt ist die Erregung vor allem unter aufrechten SPÖ-Parteigängern groß, die auf einen gültigen Parteitagsbeschluss verweisen, der eine Zusammenarbeit mit der FPÖ auf allen politischen Ebenen ausschließt. Eine gute Gelegenheit, ihrer Abneigung gegenüber der politischen Bagage im Dunstkreis HC Straches freien Lauf zu lassen.
Ist der Ruf erst ruiniert…
Zusätzlich sorgt der Wechsel des SPÖ-Bundesgeschäftsführers Norbert Darabos in die nunmehrige burgenländische SPÖ-FPÖ-Landesregierung für einen weiteren Zusammenbruch politischer Glaubwürdigkeit. Hatte sein Wirken bisher im Wesentlichen in der Abgrenzung seiner Partei von den Bösewichten am rechten Rand des politischen Spektrums bestanden so ergeht er sich in seiner neuen Funktion in Beschwörungen der weitgehenden politischen Übereinstimmung mit der FPÖ (Wie kaum ein anderer Politiker wird damit Darabos zu einer Symbolfigur des unbedingten Machterhalts, der ja bereits im Rahmen des Bundesheer-Volksbegehren beeindruckende Umfaller-Qualitäten gezeigt hatte, wenn die allgemeine Wehrpflicht für ihn solange „in Stein gemeißelt“ war, bis ihn ein Zuruf des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl zu einem unbedingten Befürworter eines Berufsheeres machte. Da scheint die Nichteinlösung der Aussage des steirischen Landeshauptmanns Franz Voves, bei einem Wahlresultat seiner Partei unter 30% zurücktreten zu wollen, fast schon eine Lappalie.
Zwischen all diesen Absonderlichkeiten laviert der SPÖ-Bundesparteivorsitzende Werner Faymann weitgehend planlos herum. Ohne klare politische Linie versucht er es einmal mehr allen recht zu machen und schickt einen seiner präsumtiven Nachfolger Rudolf Hundstorfer vor, die aus regionalem Anlass offenkundig politische Ratlosigkeit einer breiteren Öffentlichkeit zu erklären. Und niemand möchte sich vorstellen, wie sich eine solche Konzeptlosigkeit einer politischen Führung auswirkt, wenn es nicht um regionalen Postenschacher, sondern um die Verteidigung österreichischer Interessen im globalen Wettbewerb geht. Während sich bei denjenigen, die sich bisher an das kleinere Übel geklammert haben, das Austrittsfieber ausbreitet, lacht sich der Koalitionspartner ÖVP still ins Fäustchen. Er kann seinerseits – nunmehr auch vom Verhalten der SPÖ legitimiert – mit Koalitionsspielen mit der FPÖ beginnen.
In einem Kommentar im Standard erschien in diesen Tagen ein heftig diskutierter Kommentar des Jugendforschers Bernhard Heinzlmaier, in dem er die Entscheidung des burgenländischen Landeshauptmanns als einen Befreiungsschlag interpretiert, der es erlaube – und sei es mit einer Chaostruppe FPÖ – die Umsetzung wesentlicher politischer Inhalte zu retten, die in einer Fortdauer der Zusammenarbeit mit der ÖVP verloren gegangen wären.
Als die SPÖ-Funktionäre so werden wollten wie die ÖVP
Seine Überlegungen bringen mich zu einer historischen Rückschau des Verhältnisses der österreichischen Parteien zueinander. Vor allem aus kulturpolitischer Sicht lässt sich unschwer erkennen, dass die SPÖ nach 1945 bereit war, sich zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens dem hegemonialen Willen einer rechten Mehrheit zu unterwerfen. Vergessen war der Traum der Zwischenkriegszeit von der Verwirklichung eines eigenen linken Projekts; stattdessen die Hoffnung, die eigene Klientel sukzessive an die Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft heranzuführen und sie zu NutznießerInnen einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte zu machen.
Nur noch einmal sollte sich rund um den Ausnahmepolitiker Bruno Kreisky der Wunsch regen, die ideologischen Mehrheitsverhältnisse nachhaltig nach links zu wenden. Bezeichnenderweise hatte ausgerechnet der Sohn aus bourgeoisem Haus aus wenig Berührungsängste, die nationalsozialistisch-belastete FPÖ als Mehrheitsbeschafferin zu instrumentalisieren. Und doch sollte am Ende das Beharrungsvermögen der konservativen Grundstrukturen des Landes sicherstellen, dass die linken Träume (z. B. der kulturellen Selbstbestimmung aller BürgerInnen) nicht in den Himmel wuchsen. Was blieb war – bis auf wenige Ausnahmen – die Kompetensation eines strukturellen Minderwertigkeitskomplexes, der mit der Durchsetzung einer Aufsteigermentalität innerhalb der SPÖ geheilt werden sollte. Damit wollten deren VertreterInnen endlich auch dorthin kommen, wo die der ÖVP immer schon waren (eine Entwicklung, die Bruno Kreisky nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik anwiderte und ihn den Ehrenvorsitz seiner Partei zurückgeben ließ). Ein politisches Hase-und-Igel-Spiel also, dessen Besonderheit darin liegt, dass beide Spieler zunehmend ununterscheidbar wurden. Beide hatten es gleichermaßen geschafft, am Spiel teilnehmen zu dürfen, ernstgenommen zu werden und sich einbilden zu können, die Geschicke lenken zu können.
Der Kampf um den Aufstieg bringt es mit sich, dass immer wenn die einen aufsteigen, die anderen zurückbleiben. In der ideologischen Tradition der ÖVP ist das kein Problem; ihr Weltbild unterscheidet klar zwischen FührerInnen und Geführten. Etwas widersprüchlicher gestaltet sich die Situation innerhalb der SPÖ, deren Funktionäre einerseits die Interessen der nicht oder noch nicht Aufgestiegenen vertreten sollen und gleichzeitig nichts mehr erwarten, als endlich selbst als Aufgestiegene anerkannt zu werden (vor allem vom politischen Gegner). In erhellender Rückschau waren es die politischen Führungsfiguren, die – beginnend beim Großbürger Viktor Adler – sich ihrer bourgeoisen Stellung bewusst waren, um sich auf dieser Grundlage rückhaltlos auf die Verfolgung der politischen Interessen ihrer Klientel konzentrieren zu können (ohne dabei auf die Zustimmung von falscher Seite her angewiesen zu sein). Diejenigen aber, die selbst alle Hände voll zu tun, hatten, die gesellschaftliche Stufenleiter hinaufzuklettern, sahen sich irgendwann in einem existentiellen Widerspruch zwischen dem Milieu, dem sie selbst entstammen (und das zu vertreten sie politisch aufgebrochen waren) und dem Milieu, von dem sie sich sehnlichst die Anerkennung erwarten, die sie als Zugehörige ausweist. Und genauso schaut sie jetzt aus, die SPÖ-Führungsriege, die endlich angekommen in den ersehnten Funktionen, alles tut, um auch dort zu bleiben. Nur zu gerne wird dabei aller Ballast abgeworfen, der noch einmal an die eigene Herkunft erinnern könnte. Dieser Bezug aber wäre die Voraussetzung für jegliche politische Verortung, ohne die sozialdemokratische Politik zur selbstreferentiellen Taktik des Machterhalts einiger weniger Funktionäre verkommt. Diese haben jegliche Empathie gegenüber ihrer eigenen Herkunft hinter sich gelassen; in ihrer Orientierungslosigkeit konsultieren sie den von ihnen aufgepäppelten Boulevard, um sich in ihren politischen Entscheidungen inspirieren zu lassen (auch dazu gibt es eine persönliche Erinnerung, in der ich – während eines Schiurlaubs – führende SPÖ-Manager bei der morgendlichen Lektüre von Krone und Österreich beobachten konnte, die unmittelbar nach diesem Studium ihre taktischen Anweisungen an die Parteizentrale durchgegeben haben).
Und wer vertritt diejenigen, die unten bleiben (müssen)
Die aktuelle Situation ist deshalb so dramatisch, weil zurzeit die Anzahl derer, die nicht aufsteigen (können) immer größer wird. Kurz: Die Schwierigkeiten, das tägliche Leben zu meistern, nehmen für immer mehr Menschen zu. Gleichzeitig finden diese in einer abgehobenen Funktionsschicht keine überzeugende Vertretung mehr, die hat – selbst verunsichert – alle Hände voll zu tun, sich gegenseitig an den Machthebeln zu stützen. Mit einer Ausnahme: die FPÖ. Deren Funktionäre sind sich nicht zu schade, hinunterzusteigen zu denen, die Ansprache am dringendsten brauchen. Zugegeben, sie tun das in abgefeimter, weil die Gesellschaft spaltenden Weise. Aber sie tun es und erhalten damit eine Legitimation in Gruppen, um die sich sonst niemand (mehr) bemüht.
Auch Viktor Adler wird bei seinen Besuchen bei den „Ziaglbehm“ (eigentlich „Ziegelböhm“, Arbeiterschaft der Ziegeleien im Süden Wiens des 19. Jhdt., die überwiegend böhmisch/mährischer Abstammung war, Anm.) in ihren Elendsquartieren am Wienerberg mit allen möglichen kruden Vorstellungen, wie die Verhältnisse verbessert werden müssten, konfrontiert worden sein. Und doch hat er sich der Herausforderung gestellt, ist in den Gatsch gestiegen und hat sich nicht nur intellektuell dreckig gemacht. Das Ergebnis war der Beginn einer politischen Bewegung, die sich in den darauf folgenden hundert Jahren zur Aufgabe gemacht hat, das Leben derer, die nicht zu den Aufsteigern gehören, nachhaltig zu verbessern. Heute haben immer mehr derjenigen, denen der Weg nach oben versperrt ist (oder zumindest erscheint) den Eindruck, es hätte sich eine politische Nomenklatur von ihnen abgewandt, verstünde sie nicht mehr und wolle sich nicht mehr die Hände schmutzig machen im Umgang mit ihnen. Warum sie also noch weiter wählen. Umso weniger, als da eine andere Bewegung auf den Plan tritt, die zumindest so tut, als würde sie die Probleme ernstnehmen und Maßnahmen kennen, um ihnen abzuhelfen.
Politische Analysen – Brauch ma ned
Die Sozialdemokratie ist mehrmals in ihrer Geschichte vor ähnlichen Herausforderungen gestanden; sie und ihre Mitglieder mussten in diesem Zusammenhang existentielle Schläge einstecken. Auffallend erscheint, dass sich – etwa im Verlauf der Zwischenkriegszeit – das Führungspersonal der Partei um eine luzide Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse bzw. der Klärung der jeweiligen historischen Rolle ihres Elektorates gerungen hat. Sie hat sich dabei profunder intellektueller Expertise bedient und diese auch in den eigenen Reihen gepflegt. Auch diese Tradition scheint heute weitgehend zusammengebrochen. Wann hat sich zuletzt ein führender Politiker aus der Deckung inhaltsleerer Rhetorik herausgewagt und versucht, Menschen die Lage zu erklären? Stattdessen scheint heute ein Nonplusultra an politisch-intellektueller Auseinandersetzung zu sein, den Universalphilosophen Konrad Paul Liessmann zu ersuchen, ausgewählten Funktionären den Verlust bürgerlicher Existenz erklären zu lassen, nachdem er dieser Aufgabe just zuvor bei der ÖVP nachgekommen ist (by the way: kann sich jemand vorstellen, dass in zehn Jahren die gesammelten Reden Werner Faymanns erscheinen werden, um einer jungen Generation von PolitikerInnen die Chance zu geben, von den strategischen Überlegungen des einstigen Parteiführers zu profitieren?).
Mit oder ohne FPÖ – Die Frage stellt sich nicht (mehr)
Vor diesem Hintergrund relativiert sich die Frage, ob die SPÖ mit der FPÖ koalieren soll oder nicht (zumal die Frage jedenfalls im Burgenland bereits entscheiden ist). Die viel entscheidendere Frage besteht darin, ob diese Partei in ihrem gegenwärtigen personellen und inhaltlich-politischen Zustand noch einmal in der Lage ist, der unseligen Kombination wachsender sozialer Devastierung gepaart mit politischer Verführung durch populistische Nahkämpfer eine überzeugende politische Strategie zur Interessenvertretung derer, die die aktuelle Entwicklung vorrangig erleiden, entgegenzustellen.
Wenn nicht, dann ist es eigentlich wurscht, ob die SPÖ mit der FPÖ koaliert oder nicht. Dann erschöpft sich der aktuelle Aufstand in moralischer Entrüstung, ohne dabei den politischen Kurs zu korrigieren. Das Ergebnis wird Österreich in beiden Fällen dem politischen Ort näherbringen, wo Länder wie Ungarn mangels überzeugender Alternativen bereits heute sind. Es ist die leidvolle Entwicklung der SPÖ selbst, die uns erkennen lassen könnte, dass wir bereits viel näher daran sind, als uns bewusst ist.
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