Erste Lockenhauser Kulturgespräche
Das Gefecht ist eröffnet: In beispielloser Manier forderte in diesen Tagen der Direktor der Albertina Klaus Albrecht Schröder die temporäre Schließung des Theaterbetriebs (und meinte damit wohl auch den Verzicht auf Musikveranstaltungen). Postwendend erhielt er einen polemisch gespickten Ohrenreiber von Operndirektor Staatsopern-Direktor Bogdan Roščić, der ihm schrankenlose Eitelkeit und darüber hinaus völlige Unkenntnis vorwarf.
Und wir durften nach Föttinger und Resetarits einmal mehr die für Österreich typische Art und
Weise, sich kulturpolitisch zu verständigen erleben: Platzhirsche, die sich in der Öffentlichkeit bekämpfen, während alle übrigen Akteure der Szene mehr oder weniger gebannt und schweigsam den Ausgang verfolgen.
Diese Form der Delegation wollten die Veranstalter der Ersten Lockenhauser Kulturgespräche bewusst durchbrechen. Es sollte nicht nur über sie die Rede sein; stattdessen sollten sie sich selbst – tunlichst abseits jeglicher medialer Aufgeregtheit – zu Wortführer*innen machen, zumal fast alles dafürspricht, dass die Auswirkungen der Pandemie sie ganz persönlich betreffen werden (bzw. schon jetzt betreffen).
Bevor ich aber beginne, von den spezifisch kulturpolitischen Erfahrungen dieses Treffens zu berichten, eine kleine Vorgeschichte.
In den angeblich „ach so guten alten Zeiten“, in denen wir uns die Auswirkungen der Pandemie nicht vorstellen konnten
Erst jetzt wird manchem/mancher so richtig klar, dass in der Nachkriegszeit ein spezifisches Musikformat verbindlich gemacht wurde, das bis gestern den Musikbetrieb uneingeschränkt bestimmt hat. Als Inbegriff der „richtigen“ Wahrnehmung von Musik galt das klassische Symphoniekonzert, bei dem eine Hundertschaft von höchstspezialisierten Musikern (erst viel später auch Musikerinnen) auf der Bühne rund 2000 Zuhörer*innen in militärischem Reih und Glied gegenübersaßen. Seine Legitimation erhielt es nicht nur aus dem Umstand, dass hier eine höchst kultivierte Musizierpraxis vor einem kundigen Publikum entfaltet wurde, sondern eng verbunden war damit auch das Selbstverständnis der Akteure, mit ihrem Dabeisein einen Beitrag zur nationalen Identitätsversicherung zu leisten und damit den politischen (in Österreich traditionell konservativ ausgerichteten) Status quo zu verfestigen und zu vertiefen. Das offizielle Österreich bedankte sich dafür, indem es diesen musikalischen Hervorbringungen zuschrieb, dass jene in herausragender Weise die „Kulturnation Österreich“ repräsentierten. Grund genug, damit die staatliche Privilegierung des Musikbetriebes in seiner für ewig gültig erklärten Gestalt zu begründen.
Ein erster Einspruch, der zu More-of-the-same führt
Erstmals signifikanten Einspruch erhielt diese kulturelle Sonderstellung durch die alternativen Kulturbewegungen der 1970er Jahre. Selbst prononcierte Vertreter wie Pierre Boulez sprachen sich damals dafür aus, endlich „die heiligen Kühe zu schlachten“ und damit den Musikbetrieb in seiner traditionellen Form von seiner sich selbst zugeschriebenen Gralshüterfunktion zu befreien. Konkret galt es, die Verfügungsgewalt eines Old-Boys-Netzwerks über den musikalischen Kanon und seiner von ihm streng gehüteten Aufführungspraxis zu brechen.
Aus heutiger Sicht ist es damals zu einer beträchtlichen Ausweitung des musikalischen Angebots gekommen und dank neuer Settings konnte auch der Kreis der Rezipient*innen nachhaltig ausgeweitet werden. Und doch kam der so entstandene „Freie Bereich“ um die Entscheidung nicht herum, sich früher oder später dem Diktat der Platzhirsche zu unterwerfen und zu akzeptieren, dass diese weiterhin als sakrosankte Leitmedien fungierten. Oder zu versuchen, sich in neuer Freiheit zu üben und dabei eine, wenn auch bescheidene Nischenfunktion für speziell Interessierte wahrzunehmen. Der Preis waren prekäre Realisierungsbedingungen am Rande des Musikbetriebs. Und in der Folge – schon aus Überlebensgründen – eine zunehmende Verähnlichung mit der Aufführungspraxis, gegen die ihre Vertreter*innen ursprünglich angetreten waren. Das Ergebnis: More-of-the-same.
Die Kulturpolitik der 1970er Jahre, versuchte erst gar nicht, die dominierende Repräsentationsfunktion der wenigen großen Tanker in Zweifel zu ziehen. Sie begnügte sich damit, den neu entstandenen Freien Bereich mit Almosen abzuspeisen und doch als wichtigen Beitrag zur Demokratisierung der Kultur zu verkaufen. Ansonsten folgte sie in einem Milieu hoher Informalität und Personalisierung den Vorschlägen einiger weniger prominenter Figuren des Kultur- bzw. Musikbetriebs: Die werden schon wissen, was richtig ist, so die kulturpolitische Vermutung……
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