Geschichten aus einem kleinen Österreich, dessen führendes Personal gerne der Versuchung unterliegt, sich größer zu machen.
Zwei Formen großangelegter Malversationen konnten sich zuletzt über eine breite öffentliche Aufmerksamkeit nicht beklagen. Da ist zum einen der Zusammenbruch einer regionalen Bank, dessen Wirkungen drauf und dran sind, den österreichischen Staatshaushalt in der Höhe von zumindest 12 Mrd. Euro (so genau weiß das niemand) nachhaltig zu beschädigen. Und da ist das Offenkundigwerden einer kreativen Gestionierung am Wiener Burgtheater, die zu einem Verlust inklusive Steuernachzahlungen von 12 Mio. Euro geführt hat. Gelernte ÖsterreicherInnen könnten dazu neigen, den zweiten Fall als „nebbich“ abzutun; immerhin macht der Fehlbetrag der ersten Bühne des Landes bestenfalls ein Tausendstel des Hypo-Desasters aus, ein Klacks also, wie zuletzt der Architekt Wolf Prix in einer Podiumsdiskussion mit dem neuen Kunstminister Josef Ostermayer meinte. Und doch haben beide Fälle für ein ähnlich hohes Erregungsniveau geführt, was darauf schließen lässt, dass hier sehr Grundsätzliches verhandelt wird.
Geht es nach wirtschaftlichen Parametern, dann zählte Kärnten lange Zeit zu den Schlusslichtern regionaler Entwicklung. Als damals der begnadete Rechtspopulist Jörg Haider das politische Ruder übernahm, versprach er in bester Gutsherrenmanier eine prosperierende Zukunft. Der Deal, den Haider anbot, bestand im Tausch von bedingungsloser Zustimmung zu allen, wenn auch noch zu zweifelhaften Entscheidungen und der Aufwertung der Wichtigkeit Kärntens über seine Landesgrenzen hinaus, und sei es in der traditionellen Ablehnung der slowenischen Minderheit.
Und schon klangen die traurigen Kärntner Lieder, die bei keinem Anlass fehlen durften, viel selbstsicherer. Dazu verteilte der Landeshauptmann Haider persönlich am Vorplatz seines Amtssitzes Hundert Euro Scheine an sozial Bedürftige und verdeutlichte damit sein Selbstverständnis von Sozialhilfe. Für seine zum Teil hypertrophen Vorhaben brauchte Haider Geld, viel Geld. Als weithin uneingeschränkt tätiger Landesfürst bediente er sich bei „seiner Bank“, der Hypo Alpe-Adria, wo seine willfährigen Gehilfen sich bereitfanden, auch noch die obskursten Geschäfte in seinem Sinn zu tätigen. Zur Sicherung verfügte Haider Haftungen im Ausmaß mehrerer Jahresbudgets des Landes, die einen Schuldenberg haben auftürmen lassen, den – nach den jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung – nunmehr alle ÖsterreicherInnen aus Steuermitteln abtragen werden. Der Sonnenkönig aus dem Süden hingegen kann nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Er hat sich mit einem spektakulären Verkehrsunfall selbst aus dem Spiel genommen und damit – wohl ungewollt – bestätigt, dass die Zeche für das Ausleben eines manipulativen Größenwahns immer die anderen zahlen.
Eine ganz andere Ausgangsituation im zweiten Fall: Das Burgtheater steht in keiner Tradition des Mauerblümchendaseins – ganz im Gegenteil. Stattdessen galt es lange Zeit als erste Adresse bürgerlicher Repräsentation und in seinem Wirken auf Augenhöhe mit den politischen Entscheidungsprozessen. Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung charakterisiert das Haus im Jahr 2014 so: „Mächtig erhebt sich das Haus wie eine Trutzburg des Schönen-Wahren-Guten in Nachbarschaft zum Rathaus, zur Hofburg und zum Parlament. „K. K. Hofburgtheater“ steht in goldenen Lettern über dem Hauptportal – Das Kaiserlich-Königliche ist ihm buchstäblich eingeschrieben. Die „Burgschauspieler“ werden wir Hollywoodstars verehrt, der Direktor ist der King“ [sic].
Der „King“ hat einfach zu hoch gepokert
Für dieses Haus wählte der vormalige Kunststaatssekretär einer konservativ-rechtspopulistischen Regierung und selbst Mitglied des Burgtheater-Ensembles 2006 den Regisseur Matthias Hartmann zum Direktor. Seine Aufgabe sollte – im Gegensatz zu Kärnten – nicht darin bestehen, eine lange Phase der demütigenden Nichtbeachtung zu beenden. Vielmehr sollte er eine aus feudalen Zeiten überkommene Institution – das mit knapp 50 Mio. Jahressubvention zu den weltweit am höchsten geförderten Theatern gehört) im wahrsten Sinn am Sprechen halten, um damit den mythischen Glanz dieses zentralen Symbols des österreichischen Kulturbetriebs zu mehren. Dabei stattete Morak (bzw. seine Nachfolger) Hartmann freilich mit einem Bleifuß aus, der darin bestand, nicht wie der Kärntner Landeshauptmann scheinbar beliebig über finanzielle Mittel oder gar über eine eigene Bank verfügen zu können, statt dessen mit zwar sehr hohen, aber stagnierenden Subventionen auskommen zu müssen. Dies stellt eine schmerzhafte Beschränkung einer zu ähnlicher Hypertrophie neigenden Persönlichkeit (um nicht zu sagen Gier – die im Fall Haider als einer, der sich auf der Grundlage arisierten Vermögens keinerlei finanzielle Sorgen machen musste, nach politischer Anerkennung lechzte, während Hartmann da wohl schon materieller dachte) dar. Hartmanns Ausweg bestand schlicht darin, als Direktor für sich zu entscheiden – Geschäftsführer hin oder her – für den finanziellen Teil unzuständig zu sein und andere die Konsequenzen aus seiner künstlerischen Umtriebigkeit ziehen zu lassen.
Mit einer solch beschränkten Wahrnehmung seiner Aufgabe, ist Matthias Hartmann am Ende nicht durchgekommen. Zur Überraschung vieler, hat der zuständige Kulturpolitiker Josef Ostermayer die Notbremse gezogen und – erstmals in der Geschichte des Hauses – eine fristlose Entlassung ausgesprochen. Damit hat er zumindest eine Ahnung aufkommen lassen, dass der Machtkampf zwischen Kulturmanagement und Kulturpolitik doch noch nicht endgültig entschieden ist, wenn zumindest dieses eine Mal ein maßloser Kulturmanager den amtierenden Kulturpolitiker nicht am Nasenring durch die Manege treiben sondern für sein Handeln gerade stehen muss. Entstanden ist darüber eine breite kulturpolitische Diskussion, die angestoßen zu haben, man Hartmann dankbar sein muss. Die VetreterInnen des Establishments, in der Sorge Hartmann könnte zu weit gegangen sein, bringen jede Menge Vorschläge ein, wie man möglichst rasch wieder in die gewohnten Bahnen des Hauses, als Inbegriff ihres kulturellen Hegemonieanspruches, zurückkehren kann, während andere, wie der Kurator Martin Fritz, den österreichischen Kulturbetrieb insgesamt an einem Scheideweg sehen und in der gegenwärtigen Konstellation eine gewisse Chance sehen, den feudalen Charakter der österreichischen Kulturpolitik abzuschütteln.
Wenn der Schwanz mit dem Hund zu wedeln versucht
Dazu an dieser Stelle zwei Beobachtungen: In den vielstimmigen Versuchen, das Handeln von Matthias Hartmann nachzuvollziehen, wird immer wieder der Anspruch strapaziert, gute Kunst erfordere einen Ausnahmezustand, der nicht nach dem dafür notwendigen Mitteln fragt. Die sollten ohne viel Fragerei einfach bereitgestellt werden, letztlich egal ob sie verbrannt oder produktiv gemacht werden. Frank Castorf etwa meinte in einem Interview, beim Burgtheater handle es sich um ein „anachronistisch theatrales Großreich“, dem man zu seiner Aufrechterhaltung einfach das nötige Geld zu geben habe, wenn man es sich leisten wolle. In eine ähnliche Kerbe schlug der Ensemble-Vertreter Roland Koch, der in einer Radiodiskussion zum Thema „Theater ums Theater“ meinte, der organisierte Wahnsinn am Theater ließe sich nicht in Geld messen, ermögliche dafür aber schon mal, Gerd Voss über dem Boden schweben zu sehen.
Mit dieser Haltung heraus, so denke ich, hat sich ein Selbstverständnis führender KulturmanagerInnen erhalten, der darauf abzielt, einen solchen Kunstanspruch gegen alle kulturpolitischen Vorgaben zur Verteidigung ihrer eigenen Privilegien durchzusetzen. Entstanden ist daraus eine Optik, nach der – erst einmal bestellt – das führende Personal der österreichischen Kulturbetriebe, jeden kulturpolitischen Steuerungsversuch ad absurdum führen. Stattdessen fühlen sich ihre VertreterInnen als die eigentlichen Hüter einer Kulturpolitik, die eine – gerne als ignorant abgewertete – Politik zu bestätigen und nicht zu steuern hat. Erste Vorschläge aus dem Haus, wie der aktuellen Krise des Burgtheaters beizukommen wäre, nämlich vorrangig das Bildungs- und Vermittlungsprogramm für junge Menschen („Junge Burg“) zu streichen, weisen in genau diese Richtung.
Kulturpolitik als Affirmation oder als Korrektiv einer wachsenden Zweiklassengesellschaft
Die hohen Verluste des Burgtheaters (die die Aufsichtsorgane bei genauerem Hinschauen schon wesentlich früher hätten erkennen können) zusammen mit den exorbitanten Gagen seines Direktors weisen noch auf ein zweites Problem hin, das auf eine wachsende Zweiklassengesellschaft innerhalb des Kulturbetriebs hindeutet. Während im Fall der großen etablierten Häuser ganz offensichtlich ziemlich freihändig mit Millionen jongliert wird (siehe dazu auch die Millionen schwere Nachsubventionierung der Vereinigten Bühnen Wien), sehen sich weite Teile des freien Bereiches einem zunehmend restriktiven Regime öffentlicher Förderung ausgesetzt, das seine Realisierungsbedingungen in den letzten Jahren nachhaltig verschlechtert hat.
Der deutsche Kulturstatistiker Michael Söndermann hat in diesem Zusammenhang zuletzt erhellendes Material veröffentlicht, wonach das mittlere Einkommen im Kulturbereich insgesamt über dem Durchschnittseinkommen und damit auch über dem des Bildungs- oder Sozialbereichs liegt. Ungeachtet dessen machen die Einkommen freier Kunst- und Kulturschaffender gerade einmal 8.000 Euro im Jahr aus und liegen damit weit unter jeder anderen Berufsgruppe. Da muss ganz offensichtlich eine kleine Gruppe privilegierter Kulturschaffender schon sehr gut verdienen, um diese Form der strukturellen Unterbezahlung mehr als zu kompensieren. Dass dann die gut abgesicherten Teile des Kulturbetriebs mit den völlig unzureichenden Mittelausstattungen der Freien hausieren gehen, um ihren eigenen Status nicht nur zu erhalten sondern vielleicht sogar zu verbessern, gehört zu den kleinen Infamien des Betriebs.
Für die Kulturpolitik entsteht daraus – so oder so – der Bedarf nach eine Grundsatzentscheidung: In dem Maße, in dem der privilegierte Sektor – mit oder ohne Matthias Hartmann – einen immer größeren Anteil des Förderkuchens für sich beansprucht, wird Kulturpolitik nicht um die Frage herumkommen, wie sie sich gegenüber den nachkommenden Generationen von Kunst- und Kulturschaffenden zu verhalten gedenkt. In dem Maße, in dem sich der Eindruck verstärkt, dass die, die sich innerhalb institutioneller Strukturen wissen, alles daran setzen werden, drinnen zu bleiben während allen, die es bislang nicht geschafft haben, hinein zu kommen, der Zugang künftig verschlossen bleibt, fungiert Kulturpolitik entweder als Bestätigung wachsender Verungleichung oder als dessen gezieltes Korrektiv. Wir werden bald sehen, ob Josef Ostermayer neben den Entlassungspapieren für Matthias Hartmann noch weitere Maßnahmen im Köcher hat.
Und noch einmal: Das kleine Österreich als Anlassfall für das ganz Große
Und jetzt noch zu etwas ganz anderem: In der aktuellen Diskussion rund um die aktuellen Auseinandersetzungen um den Status der Krim blieb bislang ein historischer Vergleich weitgehend unberücksichtigt, der insbesondere in Österreich zu besonderer Nachdenklichkeit führen könnte. Immerhin war es Österreich, das Hitler 1938 mit überwältigender Zustimmung der – sich damals mehrheitlich als ein Teil einer gemeinsamen deutschen Volksgemeinschaft verstehenden österreichischen Bevölkerung – „heim ins Reich“ holte. Die nachfolgende Appeasement-Politik der Großmächte war – wie wir heute wissen – wenig geeignet, die weiteren Expansionspläne Deutschlands zu stoppen. Nein, das muss deutlich gesagt werden, Putin ist nicht Hitler, aber Österreich hat auf Grund seiner eigenen Vergangenheit allen Grund, das Wissen über mögliche unbeherrschbare Folgen (O-Ton des Präsidenten des EU-Parlaments: „Wir müssen aufpassen, nicht in einen Krieg zu schlittern“) von völkerrechtswidrigen Akten in besonderer Weise zu mobilisieren. Die Erinnerung an Jörg Haider mit seinen Sprüchen zu „Österreich als Teil einer deutschen Kulturnation“ oder „Österreich als einer verunglückten Nation“ mag uns da ein abschreckendes Beispiel sein.
LETZTE BEITRÄGE
- Kunst, Kultur und Grenzen – Warum Grenzen für ein lebendiges Zusammenleben notwendig sind
- Alles neu macht der Mai – Eine andere Zukunft des Kulturbetriebs ist möglich
- Hype um Chat GPT
- Die Autonomie der Kunst
- Liberale Bürgerlichkeit, hedonistische Massendemokratie oder antidemokratischer Autoritarismus
- Dürfen die das?
- Kulturpolitik in Zeiten des Krieges
- „Das Einzige, was uns zur Zeit hilft, das sind Waffen und Munition“
- Stehen wir am Beginn eines partizipativen Zeitalters? (Miessen)
- Über den Wert der Kunst