Hinweis für KunstvermittlerInnen: „Die allgegenwärtige Kunstvermarktung macht jede echte und spontane Begegnung mit Kunst unmöglich“
Die großen Kultureinrichtungen müssen zurzeit über viel Geld verfügen. Jedenfalls machen sie uns deutlich, wohin die öffentlichen Mittel, die sie für ihren Betrieb erhalten, vorrangig fließen: in die Vermarktung ihres Angebots. Das führen sie uns vor, wenn in zum Teil ganzseitigen Anzeigen ihre Veranstaltungen beworben werden. Und so tritt uns „Die Kunst der Dürerzeit“, „150 Jahre Klimt“, „Der Ring des Nibelungen“ oder „Ein plötzlicher Todesfall“ von Joanne K. Rowling in derselben, penetrant Aufmerksamkeit heischenden, Form entgegen wie die neue Bauserie eines Automobilherstellers oder die neueste Vermögensdienstleistung einer Bank.
Gut für die Qualitätsmedien, die auf diese Weise großzügig vom öffentlichen Kulturbetrieb bedacht werden. Wobei bei der Gelegenheit viele nicht abgesicherte Kulturinitiativen, vor allem aus dem freien Bereich, schmerzlich daran erinnert werden, dass die Kulturberichterstattung auch in diesen Medien mittlerweile an bezahlte Medienpartnerschaften gebunden ist, ohne die sie überhaupt nicht mehr vorkommen würden.
Nicht ganz so verwöhnt von den sprudelnden Marketingbudgets fühlen sich die VermittlerInnen in den Einrichtungen, die sich dem von den Inseraten angesprochenen Publikum widmen sollen. Sie können nur hoffen, dass die Inserate „funktionieren“ und eine genügende Anzahl von BesucherInnen den Fortbestand ihrer oft prekären Beschäftigungsverhältnisse sichert.
Die aktuellen Kampagnen sind Beleg dafür, dass nunmehr auch der öffentliche Kulturbetrieb am Markt angekommen ist. Das gilt für die großen Kulturtanker, die als öffentlich geförderte Einrichtungen ihre privilegierte Marktstellung zum „Klotzen statt Kleckern“ nutzen können. Das betrifft aber auch neue AkteurInnen, die Kunst zu ihrer ökonomischen Verwertung entdeckt haben. Jüngstes Beispiel dafür ist die „viennafair“, die mit ihrem neuen Eigentümer Sergey Skaterschikov den bislang als unterentwickelt eingeschätzten Wiener Kunstmarkt neu aufmischen möchte. Auch ihm gilt es „die überproportionale Wichtigkeit der Kulturindustrie in der Ökonomie Wiens für den Profit einer internationalen Kunstindustrie“ zu nutzen.
Was wir hier erleben ist das Ende einer Kunstideologie, die darauf bestanden hat, Kunst mit vorrangig (kultur-)politischen Mitteln dem ökonomischen Verwertungsinteresse zu entziehen und ihre besondere Qualität jenseits der Marktlogik festzumachen. Diesbezügliche Hoffnungen verwiesen auf ein Widerstandspotential vor allem von Gegenwartskunst, das mithelfen sollte, sich den Entfremdungsstrategien des Marktes zu widersetzen.
Auf zur umfassenden „Klimtisierung“ unserer Gesellschaft!
Davon ist – schon aus Gründen des aktuellen Zusammenbruchs eines signifikanten kulturpolitischen Diskurses – heute keine Rede mehr. Stattdessen dominiert ganz klar die Durchdringung von ökonomischen Interessen auch den Umgang mit Kunst. Aktuelles Beispiel dafür ist die umfassende Eventisierung des 150sten Geburtstags von Gustav Klimt. Wies schon bisher „Der Kuss“ dem internationalen Tourismusströmen den Weg ins Museum „Oberes Belvedere“, so scheinen heuer die Möglichkeiten der Verwertung einer historischen Kunstfigur schier unbegrenzt. Die Doyenne des österreichischen Journalismus Barbara Coudenvohe-Kalergi hat dazu in der Zeitung „Der Standard“ einen Kommentar unter dem Titel „Klimt kaputtgemacht“ veröffentlicht, der deutlich macht, was aus Kunst werden kann: „Kein Souvenirgeschäft ohne Klimts Kuss auf Kaffeetassen, T-Shirts, Einkaufstaschen und Regenschirmen. Sogar auf Klodeckeln. Keine Konditorei ohne Klimt-Schnitten und Klimt-Torten“.
Aus der Sicht der „cultural industries“ könnte man dieser Form der Vernutzung durchaus Positives abgewinnen, wenn hier ein „Kunst-Nebengewerbe“ Profite lukriert, die sich der Künstler nie hätte vorstellen können. Wie überhaupt diese Form umfassender Verwertung auf ein Spezifika der Enteignung des Künstlers/der Künstlerin (Urheberrecht hin oder her) durch den Markt verweist. Als Nicht-Klimt-Spezialist habe ich zu wenig Einsicht in die Beweggründe Klimts, seine Kunst zu schaffen. Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit aber ist davon auszugehen, dass die aktuelle Verkitschung mit dem, was Klimt sichtbar und begreifbar machen wollte, nichts zu tun hat; vielmehr hat der gesellschaftliche Kontext, in dem die aktuelle Klimt-Verwertung stattfindet, sein Werk ohne sein Zutun völlig verändert.
In freier Interpretation des Wahlspruchs der Wiener Secession: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ findet hier eine spezifische Form der Enteignung (und damit Unfreiheit) statt, der Klimt zusammen mit vielen KollegInnen ausgesetzt ist. Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an die „wunderbare Rezeptionsgeschichte“ der Wiener Aktionisten, wenn in späten 1960er Jahren Künstler wie Günter Brus auf Grund ihrer künstlerischen Provokationen Österreich verlassen mussten, weil sie hier gerichtlich verfolgt wurden. Nur wenige Jahre später eröffnete der damals amtierenden Bundeskanzler Franz Vranitzky persönlich eine Ausstellung ihrer Arbeiten. Und wohl auch die Wahrnehmung der Arbeiten von Hermann Nitsch im von Landeshauptmann Erwin Pröll eröffneten Museum in Mistelbach hat nur mehr wenig gemein mit der aus dem Jahr 1962, als sich Muehl, Frohner und Nitsch zum Wiener Aktionismus zusammengeschlossen haben.
Das Wien Museum bietet im Rahmen der aktuellen Klimt-Verwertung eine etwas andere Ausstellung seiner eigenen Klimt-Bestände. Sie versucht, mit einigen kritischen Fragen zum heutigen Umgang mit Klimt, zur unkritischen Verehrung bzw. umfassenden „Klimtisierung“ beim Publikum Widerstandskräfte zu mobilisieren und die Aufmerksamkeit auf den ursprünglichen künstlerischen Anspruch zurückzuverweisen. Persönliche Rückmeldungen aus dem Haus, „die Leute würden ohnehin nur den Kuss sehen wollen, alles andere interessiert sie nicht“ deuten darauf hin, dass sich die Erfolge bislang in Grenzen halten.
Einen möglichen Grund dafür benennt Coudenhove-Kalergi in ihrem Kommentar, wenn sie meint, die aktuelle Totalisierung der „Kunstvermarktung richtet etwas an, was ihr vermutlich gar nicht bewusst ist: Sie macht jede echte und spontane Begegnung mit Kunst unmöglich“. Zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass die gegenwärtige Durchdringung des Kulturbetriebs von Verwertungsinteressen dessen wichtigste Ressource, nämlich die Kunst selbst bzw. eine ihr angemessene Form der Rezeption, an ihr Ende bringen würde.
Kann die Welt an der Kunst genesen?
Dieser Gedanke hat mich insbesondere im Rahmen unserer jüngsten Beschäftigung mit dem Kunst- und Kulturprogramm der George Soros Open Society Foundations beschäftigt. Das Programm ist von der Idee geleitet, dass Kunst, vor allem frei bzw. unabhängig produzierte Gegenwartskunst, einen positiven Beitrag zu einer offenen, demokratischen Entwicklung der begünstigten Gesellschaften zu leisten vermag. In seinem Anspruch appelliert es an die Widerstandskräfte einer KünstlerInnenschaft, die sich mit ihren Arbeiten den herrschenden politischen Zwängen entgegenstellen wollen.
Außen vor bleiben dabei freilich die Zwänge, die ein sich weitgehend ungezügelt entwickelnder Markt in vielen Ländern bereit hält und deren Auswüchse wir zurzeit im Hunger nach Verwertung wir am Beispiel der aktuellen Krisenerscheinungen gut studieren können. Also ist es nur folgerichtig, dass sich die förderungswilligen KünstlerInnen danach sehnen, an einem funktionierenden Marktgeschehen teilhaben zu können und auch noch der Freieste unter ihnen es als das geringste Problem ansieht, sich der Logik des Marktes zu unterwerfen (das umso weniger, als die namensgebende Figur der Stiftung die Inkarnation marktwirtschaftlichen Denkens und Handelns darstellt). Damit aber steht einer unserer „Klimtisierung“ vergleichbaren Entwicklung – auch der zentralasiatischen Gesellschaften (ob sie jetzt mehr oder weniger demokratisch verfasst sind) – nichts im Wege, auch wenn entsprechende Branding-Strategien für potentiell geeignete Künstlerfiguren erst entwickelt werden müssen.
Das Thema hat in abgewandelter Form jüngst auch das Festival steirischer herbst beschäftigt. Dazu hat die Intendantin Veronika Kaup-Hasler das sechstägige Marathon-Camp „truth is conrete“ ausgerichtet, das sich mit neuen künstlerischen Widerstandsformen beschäftigen sollte. Dazu hatte sie bereits vor dem Beginn über ihre schwierigen Sponsorenverhandlungen berichtet, deren Erfolg darin bestand, Wirtschaftsunternehmen einzuladen, einen Event mitzufinanzieren, dessen Intention darin bestand, eben diese zu kritisieren. Das sei Kaup-Hasler im Einzelnen gelungen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil zwischen einer Romantik des Widerstands anderswo (immerhin haben Pussy Riot ja nicht im Grazer Dom einen Psalm gegen den amtierenden Bundespräsidenten Heinz Fischer angestimmt) und den Verwertungsmechanismen innerhalb des Kunstbetriebs hierorts (siehe oben) doch eine beträchtliche Lücke klafft.
Herausgekommen ist ein Präsentationsmarathon, der mehr oder weniger lustvoll vorgeführt hat, dass vor allem von jungen Menschen vorgetragene Formen des Protests mehr Spaß machen, wenn diese von KünstlerInnen mitgetragen und mitgestaltet werden. Dass eine Reihe von KünstlerInnen das Setting vor allem dazu genutzt hat, darauf aufmerksam zu machen, wie sehr sie sich schmerzlich ausgegrenzt fühlen und wie sehr sie um gesellschaftliche Anerkennung und – noch mehr – wie sie sich ungerecht behandelt fühlen, wenn es um ihre Bezahlung bzw. Förderung geht, gehört mittlerweile wohl zum Konstitutiv jeglicher KünstlerInnenversammlung.
Die Veranstaltung hat hoffentlich auch zu einer politischen Bewusstseinsbildung der Beteiligten beigetragen, die darin besteht, dass sie selbst der beste Beweis dafür sind, dass die umfassende Ökonomisierung der Gesellschaften mittlerweile auch den Kunstbereich erfasst hat. Das hat sogar in der letzten Ecke einer sich eigenwillig und widerständig verstehenden Kunstszene Auswirkungen, die – schon auf Grund der Tiefe und Komplexität der aktuellen gesellschaftlichen Probleme – gar nicht anders kann, als etwas zu versprechen, was sie nicht halten kann.
Nicht nur zur Ehrenrettung von Klimt und seinen GenossInnen tut es gut, sich an Konzepte zu erinnern, wonach Kunst Ihre Radikalität daraus bezieht, dass sie gemacht wird und nicht darin, was sie bewirkt. Der Rest ist Politik.
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