
Ich bin zwar Teil davon, habe aber nichts damit zu tun
Die Saison hat wieder begonnen und damit lebt auch die Hoffnung wieder auf, der kulturpolitische Diskurs, der über das selbstherrliche Verhalten einzelner Museums- und Kunsthallenleiter hinausweist, könnte sich nochmals intensivieren
Gründe gäbe es genug, wenn sich der Kulturbetrieb angesichts mangelnder Steuerungsvorgaben der öffentlichen Hand zunehmend der hektischen Betriebsamkeit des Marktes ausgesetzt sieht und auch die öffentliche Finanzierung dessen, was der Musiksoziologe Kurt Blaukopf einmal „wertorientierte Marktkorrektur“ genannt hat, im Korruptionssumpf zu versinken drohen ( allein die zur Zeit in den Medien kursierenden Höhen der Schmiermittel für den Ankauf der sogenannten Euro-Fighter von 100 Mio Euro in der Zeit von Schwarz-Blau-Orange übertreffen die gesamten Mittel der jährlichen Bundeskunstförderung bei weitem – Spätestens mit der Veröffentlichung dieser Informationen zur Decouvrierung der Bereicherungswut des blau-schwarz-orangen Politpersonals wage keiner mehr den Ausspruch: Wir müssen alle unser „Schärflein“ zur Krisenbewältigung beitragen).
Wenn angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise allerorten die Rückkehr zum Primat des Politischen gefordert wird, so findet diese Losung ausgerechnet im Bereich der Kulturpolitik keinerlei Entsprechung. Da kann sich die IG Kultur seit geraumer Zeit mit ihrer Artikelreihe „Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik“ noch so sehr bemühen, das Gespräch zwischen den kulturpolitisch Verantwortlichen und der Szene wieder in Gang zu setzen.
Die bisher veröffentlichte Antwort auf die „brennenden Fragen an Bundesministerin Claudia Schmied“ lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass es innerhalb des Ministeriums irgend jemanden gibt, der ernstlich daran arbeitet, den Primat des Politischen“ in ein konkretes kulturpolitisches Konzept zu übersetzen. Zu sehr scheint angesichts der vielen offenen Baustellen im Bildungsbereich alles darauf gerichtet, dass im Kunstbetrieb „nichts passiert“, was das politische Überleben erschweren könnte. So ist es nur konsequent, wenn sich das Kunst- und Kulturministerium in einer Stellungnahme mit dem Titel „Künstlerisches Schaffen und intellektuelle Kritik sind Motor für die gesellschaftliche Entwicklung “ auf die Wiederholung auf die Wiederholung von Allgemeinplätzen, die schon in der Wahl der Sprache alles andere als die Bereitschaft zur Aufnahme eines gemeinsamen Diskurses darstellen.
Unter dem Titel „Abschminken ist angesagt!“, habe ich mich im Rahmen der Artikelserie der IG Kultur bereits vor ein paar Monaten skeptisch dazu geäußert, dass die derzeitige Bundesregierung willens und in der Lage ist, der gegenwärtigen kulturpolitische Lähmung entgegen zu wirken. Vieles spricht im Gegenteil dafür, dass sie diese Form der Agonie wesentlich mit verursacht, wenn ihren führenden RepräsentantInnen die Akzeptanz beim Boulevard bereits rein pekuniär wesentlich mehr bedeutet als die Mitwirkung an einem öffentlichen Diskurs mit Kulturschaffenden mit unterschiedlichen Sichtweisen.
Unerwartete Verstärkung dieser These habe ich in einem Beitrag von Gottfried Wagner „Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm?“ gefunden. Darin entwirft der ehemalige Leiter von KulturKontakt Austria und der European Culture Foundation eine tour d’horizon zu einer Reihe von europäischen Initiativen und Einrichtungen, die auf verschiedene Weise versuchen würden, den öffentlichen Diskurs zu Fragen der Kulturpolitik aufrecht zu erhalten.
Österreich kommt in seinen Überlegungen überhaupt nicht vor; auch KulturKontakt Austria, dessen Leiter Gottried Wagner lange Jahre war, als große ministerielle Vorfeldorganisation eigentlich ein idealer Promotor einer breiten kulturpolitischen Öffentlichkeit findet keinerlei Erwähnung. Statt dessen lässt er in selbstdeklarierter Privatheit an den Wänden des Ministeriums abprallen und ortet -ohne die ministerielle Zuständigkeiten auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen – in der Szene, eine „Weite-Strecken-Absenz der österreichischen Interessensorganisationen auf dem Feld der Kulturpolitik“ zuschreibt, weil „Service und Lobbying“ alle Energien binden würden.
Dabei ist es faszinierend, ihm aus seiner reichen europäischen Erfahrung entlang der großen Themen wie „Kunst des Überlebens“, „Kunst, Konkurrenz und Kooperation zu verbinden“ und „Kunst, transnationale Demokratie zu organisieren“ zu folgen und dann auch noch bestätigt zu bekommen, dass Österreich „eine besondere Position, was die Rolle von Kunst, Kultur und Kulturerbe als gesamtökonomisch überdurchschnittlich wichtige „Produktivkräfte“ betrifft“ einnehmen würde.
Einmal in Fahrt gekommen, schließt Gottfried Wagner mit der Bekundung, „dass es interessant wäre, u n s im europäischen kulturpolitischen Kontext neu und systematisch zu verorten, um einen Brückenschlag von fundamentalen gesellschaftspolitischen Fragen zu konkreter Kulturpolitik entlang vieler gemeinsamer Reflexionen vorzuschlagen.
Und ich muss mir die Augen reiben. Von welchem „u n s“ ist da die Rede. Wer soll sich da angesprochen fühlen, wenn es darum geht, die angesprochenen fundamentalen gesellschaftspolitischen Fragen zu lösen und haben wir es dabei etwa nicht mehr mit sehr unterschiedlichen politischen Konzepten zu tun, dessen interessensgeladenen Widerstreit durch den Beobachter durch das magische Vokabel „Kultur“ nicht beliebig außer Kraft gesetzt werden können?
Kulturpolitik tut sich seit jeher schwer mit der Machtfrage. In den Niederungen der Parteipolitik will sie sich nicht schmutzig machen und kokettiert doch gerne mit den aktuellen Mobilisierungen, die einen ganz unmittelbaren Ausdruck der wachsenden Interessenskonflikte in Europa sind.
Gottfried Wagner geht aber noch einen Schritt weiter; er fordert
u n s auf, Politik „nicht mehr bloß zu delegieren, sondern selbst Verantwortung zu übernehmen“. Nun ist es das eine, Sympathien für die prostestierenden arbeitslosen Jugendlichen in Spanien zu hegen und das als Mitverantwortung zu verkaufen. Was aber heißt das im Bezug auf den Zustand des österreichischen Kulturbetriebs. Soll, kann und wenn ja in welcher Form kann ich Verantwortung dafür übernehmen, dass KünstlerInnen wie Anna Netrebko und ihre Freunde in Massenveranstaltungen (die hier gezeigte Veranstaltung in Berlin hat in ganz ähnlicher Form auch in der Wiener Stadthalle stattgefunden) das musikalische Erbe zu Höchstpreisen verscherbeln und das den unbedarften ZuseherInnen vom öffentlichen Rundfunk auch noch als „Event des Jahres“ angedient wird?
Um was geht es denn eigentlich? Geht es darum, öffentliche Kulturpolitik von ihrem Auftrag zu befreien, Verantwortung für den Kulturbetrieb zu übernehmen, weil sich der ohnehin mangels überprüfbarer Vorgaben verselbständigt hat (also ums Zusperren des Kunst- und Kulturministeriums)? Oder geht es darum, gesellschaftspolitische Interessenskonflikte aus den Arenen der repräsentativen Demokratie wieder stärker in den außerparlarlamentarischen Raum, vulgo auf die Strasse zu tragen?. Ich kann mir vorstellen, dass das gut ankommt, vor allem bei denen, die sich politisch immer weniger vertreten fühlen, nicht zweimal sagen muss. Wie das geht, zeigen uns englische Jugendliche gerade ganz unmittelbar vor. Den Rechtsradikalen wirds freuen.
Sie werden den Rat als das lesen, was er auch ist, als Rat zur vorschnellen Verabschiedung von Zuständigkeiten des gegenwärtigen politischen Personals, dem damit seine (in der Tat zur Zeit nur sehr schwach wahrgenommenen) Zuständigkeiten abgesprochen werden, obwohl diese den Kern des demokratischen Systems ausmachen. Womit wir bei der traditionellen Demokratieskepsis zumindest eines Teils des Kulturbetriebs angelangt wären, die uns suggeriert, Kulturschaffende wüssten besser als die etablierte Politik, wie gesellschaftliche Organisation funktioniert. Dagegen also mein Stehsatz: Nein, auch in der Kulturnation Österreich sind KünstlerInnen nicht per se die besseren PolitikerInnen.
Dass die Politik sehr wohl nach wie vor machtvolle kulturpolitische Entscheidungen zu treffen vermag, habe ich mit der Schließung des Österreichischen Kulturservice durch schwarz-blauen Revanchismus am eigenen Leib erfahren. Da bin ich Partei: Dass jetzt ein führender Mitarbeiter des Ministeriums (Gottfried Wagner ist Leiter einer Stabsstelle für kunst- und kulturpolitische Sonderprojekte) die Zuständigkeit seines Arbeitgebers nicht einmal mehr in Erwägung zieht und statt dessen dazu rät, nicht mehr auf die Entscheidungskompetenz des Ministeriums zu bauen und statt dessen die weitere kulturelle Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen, mag gut gemeint sein, entbehrt aber gerade in diesem Kontext nicht den Reiz des Zynischen.
Ja, in einem Punkt stimme ich zu, Kulturpolitik findet – mit Ausnahme der Rechtsradikalen – in der Regierungspolitik zur Zeit keine Entsprechung. Aus der Sicht eines außenstehenden Beobachters komme ich aber zum gegenteiligen Schluss, der darin besteht, diese Zuständigkeit auf immer neue Weise einzufordern, weil ich überzeugt bin, dass ohne die Formulierung expliziter kulturpolitische Ansprüche im Bereich des Politischen der Kulturbetrieb zu schierem Aktionismus verkommt und damit den Status mühsam erkämpfter demokratischer Errungenschaften unterminiert.
A propos kulturpolitisches Konzept: Vorige Woche habe ich die jährliche Auslandskulturpolitiktagung besucht, die diesmal im MAK stattgefunden hat. Der u. a. für Auslandskulturpolitik zuständige Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger hat dort ein neues außenkulturpolitisches Konzept vorgestellt, das immerhin vom Bemühen zeugt, sich strategische Gedanken zur Rolle des Kulturbetriebs im Außenbild des offiziellen Österreichs zu machen. Als Zuhörer konnte ich freilich wenig Neues erkennen (Stärkere Anbindung an UNESCO-Schwerpunkte, regionale Orientierung auf den Donauraum,….). Dass die für Auslandskulturpolitik zuständige Sektion mit den digitalen Medien noch nicht wirklich vertraut ist, musste ich erkennen, als ich versucht habe, das Konzept nachzulesen. Immerhin findet sich auf der diesbezüglichen Website „Auslandskulturkonzept Neu“ noch die Version aus 2001, dessen Strukturen, Schwerpunkte, Strukturen und Aktionsplan offenbar bis heute auf ihre Formulierung warten……….
Und noch ein Blitzlicht aus einer Veranstaltung möchte ich beibringen. In diesen Tagen fand im Rahmen der aktuellen Polischen EU-Ratspräsidentschaft ein Europäischer Kulturkongress in Wrozlaw (Breslau) statt. Ein Riesenspektakel mit rund 1 000 TeilnehmerInnen mit einer Vielzahl von Präsentationen und Beiträgen.
Das Eröffnungsreferat hielt der große alte Europäer Zygmunt Baumann zum Beitrag der Kultur zum weiteren europäischen Einigungsprozess. In luzider Weise machte der auf die Gewordenheit von geographisch verortbaren Nationalkulturen zu sprechen, denen er ein klares Plädoyer zugunsten eines europäischen Selbstverständnisses aus dem Geist der Differenz, der Andersheit, des Nachbarn und der Vielsprachigkeit entgegen setzte.
Zur Begründung berief er sich auf die kulturellen Autonomiebestrebungen Wiens im ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dabei bezog er sich explizit auf die Schrift des Politikers Otto Bauer „Die Nationalitätenfrage“ , um mit wenigen Strichen die anhaltende Bedeutung dieses Leitfadens zur Ausgestaltung eines politisch gefasste und doch geographische Grenzen sprengenden kulturellen Selbstverständnisses zu skizzieren.
Und ich spürte plötzlich den immensen Verlust, den u n s seither eine durchaus politisch motivierte Geschichtsvergessenheit beschert hat. Und so blieb es einem kosmopolitisch engestellten polnisch-britischen Soziologen vorbehalten, in Erinnerung zu rufen, auf welch umfassenden Fundus die österreichische Kulturpolitik aufbauen könnte, wollte sie noch einmal den Mut aufbringen, auf dem aufzubauen, was schon einmal so profund gedacht und wohl auch schmerzlich durchlitten worden ist.
In diesem Sinne empfehle ich Ihnen die Lektüre des im Internet verfügbaren Textes von Otto Bauer, die schlagartig bewusst macht, um wie viel weiter w i r schon einmal waren, als es darum ging, ein politisches Verständnis zu Fragen der Kulturpolitik zu entwickeln.
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