„Ich versteh nichts!“
Unschlüssig steht der Vortragende vor seinem Pult. Er nimmt dann seine Zettel zur Hand und versucht, mit dem mangelnden Licht zu Recht zu kommen. Zuvor waren die Vorhänge im Saal zugezogen worden, um die Projektion sichtbar zu machen. Daneben werkt zunehmend verzweifelt eine Kollegin am Computer, um die Power Point Präsentation doch noch in Gang zu setzen. Der Vortragende wendet sein Gesicht hilfesuchend an die Moderatorin, die ihren Blick absichtsvoll abwendet. Dann meint er halblaut: „Na ja, dann fange ich halt an“.
Das Publikum wartet in der Zwischenzeit ergeben im Halbdunkel. Sie werfen sich vereinzelte Blicke zu. In einem langen schlauchartigen Raum können die in den hinteren Reihen Sitzenden kaum verfolgen, was vorne vorgeht. Alle leiden sichtbar am überheizten Raumklima. Der Vortragende ist vollauf beschäftigt, in der Schummrigkeit seinen Text zu entziffern. Entsprechend holprig findet seine leise Lesestimme den Weg zu den ZuhörerInnen. Als er wiederholt von einem Projekt „Jump and Ramn (oder so ähnlich)“ spricht, durchbricht einer der gepeinigten Zuhörer die einschläfernde Lethargie und ruft laut: „Wie heißt das Projekt? Ich versteh nichts!“. „Jump and Ramn“ erwidert der verduzte Vortragende zaghaft. „Was?“ ruft der Zuhörer zurück. Schließlich entsteht ein allgemeines Raunen „Jump and Run“, „Jump and Run“, das den fragenden Zuhörer mit einem „Ach so“ in die Ausgangsposition zurückkehren lässt. Die ersten verlassen den Raum.
Und ich merke, wie sich bei mir Ärger breit macht, dass es möglich ist, über Vermittlung in derart unvermittelter Weise zu sprechen. Weil die geschilderte Situation – zugegeben überspitzt – keinen Einzelfall darstellt, möchte ich gerne draufkommen, worin denn die Gründe für die eklatante Verweigerung liegen könnten, sich mit den Formaten des wissenschaftlichen Diskurses ähnlich elaboriert zu beschäftigen wie mit seinen Inhalten.
Meine erste Vermutung liegt im wissenschaftlichen Selbstverständnis der Akteure selbst. Dieses realisiert sich offenbar ungebrochen in einem wissenschaftlichen Text, in unserem Fall zufällig zum Thema Vermittlung. Dieser hat spezifischen Standards (die in der Regel den Vermittlungsaspekt ausklammern) zu entsprechen, deren Einhaltung über den Verlauf von wissenschaftlichen Karrieren entscheidet. Dies gilt ganz offensichtlich in besonderer Weise für das wissenschaftlich bislang nur sehr schwach abgesicherte Feld der Vermittlung, dessen VertreterInnen nach wie vor um ihr prekäres Standing fürchten müssen. Also gilt es, sich zu allererst als WissenschaftlerIn und eben nicht als VermittlerIn zu positionieren.
Und also gehört es zu meinem beruflichen Alltag, mich mit hochtrabenden wissenschaftlichen Texten herumzuschlagen, die gerade im Bereich der Vermittlung nur so von leeren Worthülsen wimmeln, um – jedenfalls bei mir – eher den Eindruck der Selbstreferentialität einer gefährdeten Szene am Rande des Wissenschaftsbetriebs denn einer nachvollziehbaren Verbesserung des Erkenntnisstandes hinterlassen.
Auch bei mündlichen Präsentationen fungiert der wissenschaftliche Text als Maß aller Dinge, während diejenigen, die gekommen sind, um etwas über den Inhalt des Textes zu erfahren, von den Vortragenden als vernachlässigbare Größe („Hörvieh“ wäre für mich der passendste Ausdruck) verhandelt werden. Das umso mehr als diejenigen, auf die es den Vortragenden wirklich ankommt, möglicher Weise gar nicht im Saal sitzen; als Reviewer von wissenschaftlichen Texten setzen sie auf ganz andere Kommunikationsformen.
Die EngländerInnen machen es uns vor
Zwei Lösungen bieten sich an. Die eine bestünde darin, sich ein Beispiel am englisch sprachigen Wissenschaftsbetrieb zu nehmen. Verfolgt man einschlägige Texte der anglo-sächsischen Wissenschaftskultur, nicht nur im naturwissenschaftlich-technischen Bereich (dort sowieso) sondern auch solche kultur- und sozialwissenschaftlicher Provenienz, so kommt man zur überraschenden Erkenntnis, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht notwendiger Weise in einem verschwurbelt abweisenden Jargon zur krampfhaften Erzeugung von Distinktion vermittelt werden müssen. Stattdessen erweist sich ihre Qualität der jeweiligen wissenschaftlichen Arbeit in erster Linie darin, ob die getroffenen Aussagen klar und nachvollziehbar auf den Punkt gebracht werden können.
Eine hermetische Sprachregelung, die über Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zur „Scientific Community“ entscheidet, ist hier offensichtlich nicht notwendig. Und ich bin immer wieder erstaunt, in welch ebenso überzeugender und eingängiger Rhetorik englischsprachige Vortragende (Ken Robinson ist da nur ein, wenn auch sehr gutes Beispiel) ihre Thesen vorzutragen vermögen (was mich im Anspruch einer engen Verknüpfung von „Research“ und „Advocacy“ manchmal durchaus zum umgekehrten Verdacht bringt, hier dominiere das „Wie“ über das „Was“).
Das Recht der ZuhörerInnen, zur Kenntnis genommen zu werden
Die zweite Lösungsstrategie hat etwas mit der Bereitschaft zu tun, den wissenschaftlichen Text nicht nur eins zu eins über die ZuhörerInnen auszuleeren, sondern im Rahmen von Präsentationen seine wesentlichen Inhalte so aufzubereiten, dass diese auch etwas damit anfangen können. Dies hieße, den Vermittlungsaspekt nicht nur in Projekten anderer zu theoretisieren und zu analysieren, sondern in gleicher Weise auf sich selbst anzuwenden.
Dafür ist freilich die Bereitschaft zu zusätzlicher Arbeit gefragt, etwa in Form einer kreativen Leistung, die darauf baut, die eigene wissenschaftliche Erkenntnis ebenso wichtig zu nehmen wie die ZuhörerInnen. Immerhin sollen diese nicht nur – etwa als anwesende StudentInnen – als stumme Zeugen eines weitgehend unverständlichen Rituals auf die traditionelle Logik des Wissenschaftsbetriebs eingestimmt werden, sondern zu aller erst animiert werden, die Sache verstehen zu wollen, wovon die Rede ist. Am Ende stellt sich möglicher Weise heraus, dass sie sogar selbst etwas dazu beizutragen haben. Ein solch offener Zugang aber hat etwas mit Neugierde zu tun, mit Empathie, vor allem aber mit der Kenntnis und der Bereitschaft zur Anwendung von professionellen Vermittlungspraktiken denen gegenüber, denen ich eine Geschichte meiner wissenschaftlichen Erkenntnisse erzählen möchte (und Reaktionen ich erwarte).
Wissensvermittlung zwischen Adoration und Langeweile
In leicht abgeschwächter Weise habe ich jüngst eine, dem obigen Beispiel vergleichbare Erfahrung im Rahmen der Wiener Vorlesungen gemacht. Diese Einrichtung versteht sich mittlerweile als äußerst erfolgreiches „Dialogforum“, um wissenschaftliche Erkenntnisse aller Art einem breiten Publikum zugänglich zu machen. In diesem Rahmen fand in diesen Tagen eine Veranstaltung zu „Straßennamen und Stadtidentität“ statt.
Ich habe mich sehr gefreut, als eine enge Verwandte meinte, sie würde dorthin gerne mit mir hingehen; sie interessiere sich für das Thema und vielleicht könne sie sich ja die eine oder andere Inspiration für die eigene Weiterbeschäftigung holen. Es war gar nicht so leicht, noch Karten zu erhalten. Das Radiokulturhaus in Wien war (fast) bis auf den letzten Platz mit vorwiegend älteren Menschen gefüllt, die sich darauf freuten, einem gelehrten Gespräch zu lauschen. Eigentlich waren es dann ja wissenschaftliche Monologe, wobei sich der Moderator darauf beschränkte, diese mittels ausgewählter Stichworte in Gang halten. Auch hier blieben die Diskutanten ganz unter sich; den BesucherInnen wurde – dank dieser Initiative der Stadt Wien – die Ehre zuteil, daran teilhaben zu dürfen; eine Rolle, die vielen ältereren – und wohl auch einigen wenigen bildungsbeflissenen jüngeren – Menschen offenbar vollauf genügte. Kein Unbehagen über Aussagen, die die DiskutantInnen über „die junge Generation, denen der Nationalsozialismus ein historisch fremdes Phänomen geworden wäre“ trafen, ohne auch nur im Geringsten daran zu denken, diejenigen, die als deren VertreterInnen ganz konkret anwesend waren, einzubeziehen. Von Dialog also keine Spur, statt dessen Adoration bei den einen und Langeweile bei den anderen.
Und so konnte ich zusehen, wie meine Begleitung zunehmend „verfiel“ und dann zum Aufbruch drängte. „Ich hab kaum etwas verstanden“, meinte sie frustriert, um am Ende zu sagen: „Jetzt interessiert mich das ganze Thema nicht mehr“.
Eine andere Form der Vermittlung ist möglich
Ich gebe zu, dass mich diese Geschichte geschreckt hat. Immerhin wurden ja wichtige Themen verhandelt. Aber offenbar in einer Art und Weise, die jedenfalls bei vielen jungen Menschen keinerlei Akzeptanz mehr findet, stattdessen an ihnen wirkungslos vorbeigeht. Und mir wurde klar, wie viel es noch zu tun gilt, um über den wachsenden Graben zwischen etablierten WissensproduzentInnen und ihren potentiellen NutzerInnen nochmals eine glaubwürdige Brücke zu schlagen.
Dass das nicht so sein muss, davon zeugt die Entwicklung neuer Formate, die davon erzählen, dass die Vermittlung von Wissen auch anders funktionieren, Interesse wecken und da oder dort sogar Spaß machen kann. Als nur ein Beispiel seien die Ted Lectures genannt, wo man unter anderem auf anregende Weise auch vieles Wissenswertes über arts education erfährt. Unsere derzeitige Lieblingspräsentation einer jungen Wissenschafterin (der Hinweis kam von meiner Kollegin Tanja Nagel) aber beschäftigt sich ausgerechnet mit dem menschlichen Darm.
Die VermittlungstheoretikerInnen auf ihren Kongressen könnten sich an Giuila Enders ein Beispiel nehmen.
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