„Ist es hier immer so finster?“
Etwas versteckt in der „Enfilade“ der Prunkräume des Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen befindet sich ein kleiner dunkler Raum. Der Zugang erfolgt über das „Paradeschlafzimmer“. Am „Paradebett“ vorbei, das laut Prospekt ausschließlich zeremoniellen Charakter hatte, gelangt man in einen vergleichsweise winzigen Raum, der sich mit seinem Altar als Kapelle zu erkennen gibt. Neben mir versucht sich ein älteres Ehepaar zu orientieren. Dann meint die Frau: „Ist es hier immer so finster?“; „Ja“, meint der Mann, „vor allem seit die Sozialisten hier regiert haben. Die haben die Kapelle ja nie benutzt“.
Mit der Wiedereröffnung des „Wohn- und Residenzpalais“ des großen Retters vor der Türkengefahr zählt die Himmelpfortgasse zu den belebtesten Orten der Stadt. Viele tausende WienerInnen, die ansonsten nie freiwillig das Finanzministerium betreten würden, nutzten in den vergangenen Tagen die Chance, die imposante Prachtentfaltung des wohl berühmtesten Feldherren des Hauses Österreich auf seinem weg zur Großmacht innerhalb Europas gratis bestaunen zu dürfen und sich zumindest für ein paar Minuten noch einmal eins zu wissen mit der glorreichen Vergangenheit ihres kleinen Landes.
Statt Bücher Schlachtengemälde
Die Renovierung des traditionsreichen Gebäudes, das später von Kaiserin Maria Theresia erworben und als Hofkammer und dann als Finanzministerium genutzt wurde, hat insgesamt acht Jahre gedauert. Die Beschäftigen des Finanzministeriums (inklusive der amtierenden Ministerin) waren zuletzt alles andere als glücklich, in die alten Gemäuer zurückkehren zu sollen, nachdem sie die Vorteile eines modernen Bürobetriebes in Wien Mitte kennen gelernt hatten. Für die Nutzung der Prunkräume wurde lange und vergeblich eine Fremdnutzung gesucht (ein Umstand, der die Baufortschritte nachhaltig verzögerte). Bis die beiden Damen Maria Fekter und Agnes Husslein auf die „Königsidee“ kamen, die Prunkräume in ein Barockmuseum umzuwandeln und bei der Gelegenheit die museale Nutzung der verschiedenen Residenzen des glorreichen Feldherren unter einem Dach zu vereinen.
Also erstrahlen sowohl die renovierten Räume wie das Image der umtriebigen Museumsdirektorin, die sich damit einen beträchtlichen Prestigezugewinn gegenüber ihren Konkurrenten zuschreiben kann, in neuem Glanz. Im wiederhergestellten Ambiente fehlen freilich die Bücher in den Bibliotheksräumen. Sie sind durch überdimensionale Schlachtengemälde ersetzt, die das, um was es geht, auf den Punkt bringen: Visuelle Überwältigung. Und so reiht sich der massenwirksame Event nahtlos in den Befund zur aktuellen Lage der österreichischen Kulturpolitik, die der Kurator Martin Fritz mit „Wir sind wieder Kaiser!“ beschrieben hat, ein. Dazu ein paar Indizien, die Fritz zusammen getragen hat:
Wir sind wieder Kaiser!
Im aktuellen Programm des Kunsthistorischen Museums „kaisert“ es gleich zweimal: „Kaiser Karl V. erobert Tunis“ heißt es im 2.Stock des Haupthauses, während eine kleine Neuaufstellung in der „Hofjagd- und Rüstkammer“ mit „Der Kaiser und die Jagd“ beworben wird. Die Neuaufstellung der Kunstkammer geriet ohnehin zur habsburgischen Familienaufstellung, deren Höhepunkt jener Huldigungsraum darstellt, in dem alle Vitrinen sternförmig auf eine Büste Rudolf II. ausgerichtet wurden. Im „Hofmobiliendepot“ gibt man „Maximilian von Mexiko – der Traum vom Herrschen“ und in der Spanischen Hofreitschule fand diesen Sommer erstmals eine „Fête Impériale“ statt.
Alle Schauplätze wurden erst in der jüngeren Vergangenheit wieder „höfisch“: Die Hofjagd- und Rüstkammer hieß bis 1989 schlicht und treffend: „Waffensammlung“. Die „Kunstkammer“ firmierte bis 1990 unter dem sachlicheren Titel: „Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe“. Sie wird heute unter anderem mit dem Kombiticket „Schätze der Habsburger“ beworben. Das „Hofmobiliendepot“ hieß für den größten Teil des 20. Jahrhunderts „Staats-“ oder „Bundesmobiliendepot“ und änderte erst 1998 seinen Namen als es – nach einer Schließzeit – renoviert und „professionalisiert“ wieder eröffnet wurde. Kurz danach schloss die „Graphische Sammlung Albertina“ ihre Pforten, die während der Schließung zwar den Namensteil „Graphische Sammlung“ verlor, seither aber auch die „Prunkräume der Habsburger“ für jene mitvermarktet, denen Gottfried Helnwein alleine nicht populär genug ist.
Die Tendenz zur feudalen Machtrepräsentation der österreichischen Politik ist nicht neu. So gehört es zu den unhinterfragten Selbstverständlichkeiten, dass der amtierende Bundespräsident das führende politische Personal bis heute im früheren Schlafzimmer Maria Theresias angelobt. Mit der friedlichen Erstürmung des Winterpalais steuert die ästhetische Verklärung imperialer Herrschaft just zu einem Zeitpunkt auf einen Höhepunkt zu, an dem die beiden ehedem staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP – die es zusammen noch einmal ganz knapp über 50 Prozent geschafft haben – versuchen, wohl ein letztes Mal eine „Große Koalition“ zu bilden. Mich hat diese Koinzidenz fasziniert, als ich versucht habe, mir einen Weg durch die Massen der BesucherInnen zu bahnen und in ihren Augen die nostalgische Sehnsucht nach klaren Herrschaftsstrukturen gelesen habe in einer Zeit, in der sich Macht noch so eindeutig und pompös präsentieren durfte; „Ja, damals waren wir noch wer!“.
Je schlechter die Zukunft, desto besser die Vergangenheit
Die aktuellen Kommentare scheinen die Hoffnungen auf eine herzeigbare Erneuerung der koalitionären Widergänger weitgehend aufgegeben zu haben. Stattdessen werden sie den „WutbürgerInnen“, die medial in ein Klima der wachsenden Politikverdrossenheit eingeübt werden, als „letztes Aufgebot“ präsentiert, dessen Alternativlosigkeit sich aus dem Wahlergebnis ergeben würde.
Weitgehend ausgeklammert bleibt dabei die Fortdauer eines durchaus feudalen Aspekts österreichischen Regierens, bei dem sich die führenden Funktionäre die Republik weitgehend unter sich aufgeteilt haben, um auf diese Weise die weitgehende Einflusslosigkeit weiter Teile der Bevölkerung zu perpetuieren (in dem Zusammenhang mutieren die aktuellen Versuche, den ORF noch einmal groß koalitionär auf Linie zu bringen zum expliziten Zerstörungswillen einer noch verbliebenen demokratischen Öffentlichkeit. Die Reaktionen der LeserInnen des jüngsten Leitartikels der Krone: „Politik feilscht um ORF-Führung“ mag ich mir gar nicht vorstellen).
Die FPÖ hat ihren Aufstieg zur Massenpartei u. a. dem Kampf Jörg Haiders gegen das korporatistische System gemeinsamer Besitz- und Einflussnahme durch Rot-Schwarz zu verdanken. Seit 2000 hat sie es mit der Unterstützung der Konservativen verstanden, dieses auf Grundlage seiner weiteren Korrumpierung umfassend für die individuelle Bereicherung seiner eigenen Klientel zu nutzen. Das hat ihr ganz offensichtlich nicht geschadet; statt dessen vermochte sie mit ihrem überzeugend vorgetragenen Machtanspruch zur Stärkung autoritärer Strukturen aus den aktuellen Wahlauseinandersetzungen noch einmal gestärkt hervor gehen, während die Grünen, die sich als „Antikorruptionspartei“ zu profilieren suchten, weitgehend unbedankt geblieben sind. Vielleicht hat auch dieses Ergebnis mehr mit Prinz Eugen zu tun als uns lieb ist, wenn auch dieser seinen ungeheuren Reichtum, den er im Laufe seiner Tätigkeit als Feldherr zu sammeln verstand, von irgendwoher haben musste. Zugute zu halten ist ihm allemal, dass er es verstanden hat, seinen aus den Eroberungsfeldzügen stammenden Besitztümern eine ästhetisch anspruchsvolle Form zu geben.
Fortsetzung der Großen Koalition – Beliebt wie Beulenpest
Zurück in eine Gegenwart, in der die SPÖ in den letzten Jahren die Hälfte ihrer WählerInnen verloren hat und die ÖVP – zum Unterschied von 1999/2000 – nicht mehr groß genug ist, zusammen mit den Rechtspopulisten eine Regierung zu bilden. Da die Weigerung, mit der FPÖ zusammenarbeiten für die SPÖ die letzte verbliebene ideologische Klammer darstellt, stehen alle Weichen auf einer Fortsetzung von Rot-Schwarz. „Beliebt wie Beulenpest“, merkt dazu Armin Thurnher in seinem jüngsten Falter-Kommentar an. Und doch wird diese Regierungsvariante stereotyp – vor allem seitens der SPÖ – als alternativlos präsentiert. Diese Form der Alternativlosigkeit ist im Übrigen keine neue Argumentation. Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit dem langjährigen Fraktionsführer Josef Cap, in dem er angesichts des schon 1983 grassierenden Gefühls des „kleineren Übels“ (damals in Form der kleinen Koalition) gemeint hatte, „die Eiterbeule sei noch nicht reif und würde noch weiter wachsen“.
Kein Wunder, dass sich – nunmehr auch innerhalb der SPÖ – immer mehr Kräfte zu Wort melden, die sich – kurz vor zwölf – für einen Tabubruch zugunsten von „Rot-Blau“ aussprechen. Den öffentlichkeitswirksamen Luftballon hat jüngst der Rechtsanwalt Alfred Noll in Form eines Kommentars in der Zeitschrift „profil“ mit dem Titel „Für Rot-Blau. Die SPÖ muss mit den Strache-Wählern koalieren, wenn sie eine politische Zukunft haben will“ steigen lassen. Darin listet er die Aufgaben auf, die es gälte, politisch zu bearbeiten, um dann der SPÖ zu attestieren, sie hätte sich weitgehend verbraucht; entsprechend sei sie nicht (mehr) in der Lage, den aktuellen Krisen- und Zukunftsherausforderungen gewachsen zu sein. Und so empfiehlt er der Partei, diesmal die FPÖ zu Koalitionsverhandlungen einzuladen. Immerhin fischten beide Parteien im selben Wählerreservoir. Sie verbände eine Reihe von gemeinsamen politischen Anliegen wie soziale Sicherung, ökologischer Umbau und effiziente Verwaltung. Die SPÖ erhalte so die Chance, sich gegenüber dem „schwarz gewandeten Club der Hausherrenfreunde und Bankenbüttel, der Bildungsreformverweigerer und Föderalismusapologetiker“ klar abzugrenzen.
„Scheiss drauf“, könnte man mit dem Kulturjournalisten Thomas Miesgang meinen, der in diesen Tagen sein neues Buch zur vermeintlich neuen „Kultur der Unhöflichkeit“ herausgebracht hat. Nun, so neu ist diese Form der Unhöflichkeit in der Politik nicht, wenn ich mich gut an Aussagen des Nationalratspräsidenten Andreas Khol erinnere, der dem Kunststaatssekretär der schwarz-blauen Regierung Franz Morak empfahl, nunmehr „Schluss mit dem roten Gesindel“ zu machen. Wahr aber ist, dass – 40 Jahre Große Koalition hin oder her – zwischen roten und schwarzen WählerInnen nach wie vor eine große Kluft ist, deren weltanschauliche Trennlinien der Ehemann in der feldherrlichen Kapelle treffend zum Ausdruck gebracht hat.
Wie wär‘s mit Kreativität – auch im politischen Denken
Es steht zu befürchten, dass die Bereitschaft der SPÖ-Führung, mit der FPÖ zu koalieren, die ohnehin bereits erodierende Partei zerbrechen ließe, um so zur weiteren Fragmentierung der österreichischen Parteienlandschaft zu führen. Entgegen Noll plädiert Turnherr für eine Regierungsvariante, die bislang kaum Berücksichtigung gefunden hat: eine Minderheitsregierung aus SPÖ, Grünen und Neos. Sein Argument: „Das hieße wirklich neu regieren.Dieser Konstellation wäre zuzutrauen, ihre Energien nicht auf gegenseitige Blockade zu richten, sondern auf ein vernünftiges Regierungsprogramm. Dieser Konstellation wäre zuzutrauen, zu Organisationen der Zivilgesellschaft eine nicht nur informelle, sondern funktionierende Beziehung zu pflegen“.
In meinem Blog vom 9.Oktober habe ich über die deutsche Diskussion berichtet, die eine Große Koalition als Form des „bequemen Regierens“ denunziert, die zugunsten einer lebendigen Demokratie bestenfalls die Ausnahme bilden sollte. Österreich ist drauf und dran, zu Lasten der Bereitschaft zur politischen Mitwirkung der Bevölkerung diese Ausnahme zu prolongieren. „Die Entscheidungsträger unterschätzen das Ausmaß an politischem Frust“ meint Thurnher. Dagegen sei die SPÖ gefordert, etwas zu unternehmen: „Nicht, weil danach Strache käme. Sondern weil demokratische Politik dabei ist, ihren letzten Kredit zu verspielen“.
Noch sitzen die frustrierten WählerInnen im abgedunkelten Zuschauerraum und rufen unter vorgehaltener Hand „Aufhören, aufhören!“ in Richtung der politischen Bühne. Das, was bei den aktuellen Regierungsverhandlungen herauskommt, wird darüber entscheiden, ob die ÖsterreicherInnen noch einmal bereit sind, sich damit zufrieden zu geben, ihren Frust mithilfe einer ästhetischen Überhöhung imperialer Herrschaftsverhältnisse zu kompensieren. Oder ob sie das, was sie in der Himmelpfortgasse bestaunen, auch real wieder haben wollen; in Form eines bereits überwunden geglaubten autoritären Machtanspruchs, der all das zunichtemachen würde, was – prekär genug – an Demokratisierung bislang erreicht wurde. Wohin dann die Reise gehen könnte, zeigen die politischen Verhältnisse in Ländern wie Ungarn oder Italien vor. Eine neue Finsternis erstreckte sich nicht nur auf eine kleine Kapelle eines momentan gehypten Kulturdenkmals.
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