Kultur ade?
Es ist schon wieder eine Weile her, dass den Staat die Frage interessiert hat, wie es denn die BürgerInnen mit Kunst und Kultur halten würden: Das 2007 vom Sozialforschungsinstitut „ifes“ erstellte „Kulturmonitoring“ ließ u.a. mit dem Befund aufhorchen, die Zustimmung zu staatlicher Kunst- und Kulturförderung sei im Sinken begriffen und finde insbesondere bei Menschen mit geringem Bildungsgrad keine Mehrheit mehr. Die Kulturpolitik reagierte umgehend mit einem Schwerpunkt zur „Kulturvermittlung“ in der Hoffnung, Kultureinrichtungen würden mit einer stärkeren Publikumsorientierung noch einmal ihre Legitimationsbasis auch außerhalb ihrer bildungsbürgerlichen Stammklientel festigen und so mithelfen, bewährte kulturpolitische Bastionen gegenüber konkurrierenden Interessen anderer Politikfelder zu verteidigen.
In der Zwischenzeit ist viel passiert. So viel, dass eine auf die Aufrechterhaltung eines Status quo gerichtete Kulturpolitik offenbar nur mehr wenig Lust verspürt, eine vergleichbare Untersuchung heute noch einmal zu versuchen. Sie beschränkt sich statt dessen auf Zählungen von ausgesuchten BesucherInnenströmen und doch können selbst beeindruckende Steigerungsraten bei einzelnen Kulturbetrieben immer weniger darüber hinwegtäuschen, dass die grundlegenden kulturbetrieblichen Rahmenbedingungen dabei sind, sich nachhaltig zu verändern; ein Umstand, der auf das kulturelle Verhalten ebenso zurückwirkt, wie auf die Begründbarkeit kulturpolitischer Entscheidungsfindung.
Die bildungsbürgerlichen Mittelschichten und ihr sinkender Einfluss nicht nur auf das Kulturgeschehen
Die Gründe sind mannigfaltig. Aus meiner Sicht lassen sie sich jedoch auf einige wenige zurückführen: Da ist zum einen der Umstand, dass die gebildeten Mittelschichten als traditionelle Träger des Kulturbetriebs zunehmend an gesellschaftlichem Einfluss verlieren. Viele von ihnen haben schlicht andere Sorgen als sich weiterhin an der mühsamen Produktion und der Aufrechterhaltung von symbolischem Kapital zu beteiligen. Dazu erscheinen andere Formen der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung, die vom Abenteuerurlaub bis zum Besuch von Fitnesstempel reichen, neuerdings wesentlich attraktiver als ein Opernbesuch, für dessen vertieftes Verständnis langjährig erworbene Bildungsbemühungen unabdingbar sind. Meine Vermutung ist es, dass hier ein zunehmendes Vakuum entsteht, das durch auch noch so gut gemeinte Vermittlungsbemühungen zur Einbeziehung neuer Zielgruppen nicht mehr gefüllt werden kann. Es steht nicht zu erwarten, dass bislang ausgeschlossene sogenannte bildungsferne Schichten über kurz oder lang den traditionellen Kulturbetrieb in einer Weise durchdringen werden, die diesen dazu zwingt, das Programmangebot in deren Sinn zu verändern bzw. künftige kulturpolitische Entscheidungen nachhaltig in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Über die wachsende Entfremdung von Kultur und Politik
Daraus ergibt sich ein zweiter Umstand, der von einer zunehmenden Entfremdung der kulturellen und politischen Sphäre erzählt. Immerhin waren es vor allem VertreterInnen des Bildungsbürgertums, die es als ihren Auftrag angesehen haben, bei PolitikerInnen jeglicher Couleur Überzeugungsarbeit zu leisten und auf der Grundlage eines gemeinsamen Selbstverständnisses sie in der Sache der Kunst und Kultur an der Stange zu halten. Entstanden sind so gemeinsame Projekte, die die Beteiligten zumindest temporär haben glauben lassen, sie zögen an einem Strang. Ein darauf fußender kulturpolitischer Diskurs sorgte für die Produktion hinreichender Argumente in einer breiteren Öffentlichkeit, um so die minoritäre Sonderstellung von Kunst und Kultur gegenüber den Begehrlichkeiten einer – gerne als ignorant abgewerteten – Mehrheitsgesellschaft aufrecht zu erhalten.
Auf ein gemeinsames Anliegen politischer und kultureller Akteure hat auch früher nur eine kleine Minderheit gesetzt; heute glaubt keiner mehr daran, zumal den politischen Akteuren die programmatische Ausrichtung ebenso abhandengekommen ist, wie dem Kulturbetrieb sein über sein Standing am Markt hinausweisender gesellschaftspolitischer Auftrag. Man könnte diese Entwicklung als Form der Emanzipation des Kulturbetriebs begrüßen, der sich fortan nicht mehr vor politischer Einflussnahme fürchten muss. Der Nachteil liegt darin, dass damit der Kulturpolitik gerade jener Begründungszusammenhang abhanden zu kommen droht, der es ihr bislang erlaubt hat, Kunst und Kultur als einen – im Prinzip für alle BürgerInnen relevanten – gesellschaftlichen Wert zu privilegieren, der über die Vermarktwirtschaftlichung aller Lebensbereiche hinausweist.
Einen neuen Begründungszusammenhang einer wertorientierten Kulturpolitik aber kann ich nicht erkennen. Es zeigen sich also die Umrisse eines kulturpolitischen Kaisers in neuen Kleidern, der glaubt, einfach wie bisher weiter tun zu können, ohne dass jemand merken würde, wie sehr er sich bereits seiner argumentativen Kleider entledigt hat.
Zwei Fliegen auf einem Schlag: Gleichheit vor dem Markt und ein Körberlgeld für den Finanzminister
Und die Reaktionen mit dem Ziel, dieses Vakuum von außen zu füllen erfolgen prompt: Wenn mit Kunst und Kultur kein politisches Federl mehr gewonnen werden kann, was spricht dann noch dagegen, sie gleich zu behandeln wie alle anderen Güter auf dem Markt (und dazu durch Abschaffung den begünstigten Mehrwertsteuersatz auf kulturelle Produkte zusätzliche öffentliche Mittel zu lukrieren)? Geht es nach den BefürworterInnen im Finanzministerium, dann soll künftig ausschließlich der Markt entscheiden, ob Menschen kulturelle Angebote nutzen oder nicht. Noch widersprechen einzelne Kulturpolitiker wie zuletzt der Wiener Kulturstadtrat, der in der Sorge, der Standort Wien könnte international an Attraktivität verlieren, von einer “Schnapsidee“ spricht. Und auch der Kultursprecher der Grünen Wolfgang Zinggl versucht nochmals Gründe dafür anzuführen, dass eine steuerliche „Gleichbehandlung“ kultureller Güter zu einer Verengung des Zugangs und damit zu einem „Ausklinken von weniger Betuchten aus dem kulturellen Diskurs“ führen würde. Aus dem für Kunst und Kultur zuständigen Bundeskanzleramt sind mir keine diesbezüglichen Äußerungen bekannt.
Auch einzelne besonders betroffene Akteursgruppen haben – jeder für sich – zuletzt zu Protesten aufgerufen. So hat die österreichische Filmwirtschaft die Unterschriftenaktion www.wehrt-euch.at ins Leben gerufen und damit ebenso die Initiative ergriffen wie darauf aufmerksam gemacht, wie zersplittert und wenig aufeinander bezogen der österreichische Kulturbetrieb ist, wenn es darum geht, gemeinsame Interessen zu artikulieren und durchzusetzen.
Besonders interessant habe ich in diesem Zusammenhang die Werbekampagne des Wiener Theaters in der Josefstadt "Kultur kostet Geld. Kulturlosigkeit noch viel mehr" gefunden, die sich traut, in einer breiteren Öffentlichkeit noch einmal das prekäre Verhältnis von Kulturproduktion und öffentlicher Förderung zu thematisieren. Mit dem Begriff der „Kulturlosigkeit“ rekurriert das Haus freilich noch einmal auf das Ausgrenzungsbedürfnis eines aussterbenden Stammpublikums, das lange Zeit seine kulturelle Identität daraus abzuleiten versucht hat, sich mit ihrem Theaterkonsum vom Rest der Gesellschaft abzugrenzen.
„kulturlos“ – na und?
Ich vermute, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung mit der Vorstellung von „Kulturlosigkeit“ heute gar nichts mehr anfangen kann. Das hat auch und vor allem damit zu tun, dass immer mehr Menschen – siehe oben – jegliche konkrete Vorstellung von „Kultur“ abhanden zu kommen droht und also ihr Verlust in Form der Zuschreibung von „Kulturlosigkeit“ – sieht man von einigen wenigen SpezialistInnen ab – von niemand mehr bedauert wird.
In dem Zusammenhang bin ich auf den Umstand gestoßen, dass Merriam Webster ausgerechnet „Culture“ für 2014 zum Wort des Jahres erklärt hat. Die Entscheidung ergibt sich schlicht daraus, dass „Culture“ von den KundInnen dieses internationalen Sprachinstituts am häufigsten angeklickt wurde. Die Schlussfolgerung daraus: Wenn in der Konsequenz der Durchsetzung eines „breiten Kulturbegriffs“ Kultur im Prinzip ohnehin alles sein kann, dann wissen immer weniger, um was es eigentlich geht, wenn von „Kultur“ die Rede ist. Ganz offensichtlich ist die Benutzung dieses „Containerbegriffs“ weniger denn je selbstverständlich und zwingt zur Überlegung, ob sich dessen Verwendung überhaupt noch lohnt (und wenn ja wozu)?
Und jetzt steht „Kultur“ auch noch für alle Grauslichkeiten dieser Welt
In dem Zusammenhang ist Ende 2014 im New Yorker ein lesenswerter Beitrag von Joshua Rothman zur Änderung der inhaltlichen Ausrichtung des Begriffs „Kultur“ erschienen. Im Zuge einer kurzen Begriffsgeschichte kommt der Autor zu dem Schluss, dass „Kultur“ drauf und dran sei, ihrer positiven Konnotationen verlustig zu gehen. Ursprünglich mit dem Attribut des Guten versehen, das persönliche ebenso wie gesellschaftliche Bereicherung erlauben würde und auf das man stolz sein könne, drohen sich diese Aspekte zunehmend in ihr Gegenteil zu verkehren. Entsprechend hafte „Kultur“ heute wieder der Hautgout der Herablassung an, der Begriff repräsentiere ein unbewusst ausgrenzendes Gruppendenken und zeichne sich in den übersetzten Worten Rothmans durch einen „verstohlenen, verschatteten, durdringenden, verderblichen und so insgesamt lächerlichen Charakter“ aus.
Nun mag der hier angedeutete Bedeutungswandel in den Vereinigten Staaten weiter fortgeschritten sein als in Österreich. Und doch drängen sich Vergleiche dort auf, wo sich Kulturbetriebe in einer breiten Öffentlichkeit vor allem mit Skandalen der Unfähigkeit und Bereicherung des führenden Personals inszeniert haben, die den Begriff der „Kulturlosigkeit“ in einem ungewollt positiven Licht erscheinen lassen.
Drastische Konsequenzen zeigen sich für Rothmann vor allem dort, wo unter dem Logo der „Kultur“ mittlerweile auch explizit negative Entwicklungen firmieren. Er erwähnt in dem Zusammenhang den Begriff der „Rape Culture“, der durchaus unappetitliche Gruppennormen, die nichts mehr mit dem ursprünglich idealistisch hoch aufgeladenen Begriff zu tun haben und Gewalt an Frauen ebenso inkludieren wie die Ablehnung des Kulturbetriebs. Zumindest innerhalb dieser gewaltbereiten Gruppen mutiert „Kultur“ zu einer inhumanen, böswilligen Kraft (mit der Rechtspopulisten mit ihren Ausgrenzungsstrategien nur zu gerne politisches Kleingeld sammeln). Rothmans Argument geht dahin, dass dieser Bedeutungswandel nicht nur auf spezifische Milieus beschränkt bleibt, sondern Auswirkungen darauf hat, wie wir insgesamt den Betriff in Zukunft verwenden werden (wenn wir ihn denn überhaupt noch verwenden wollen). Durchaus im Einklang mit der skeptischen Grundtönung gesellschaftlicher Zukunftserwartungen kommt er zum Schluss: „The word culture has grown darker, sharper, more skeptical.“ Nicht wirklich gute Voraussetzungen, wenn es darum geht, noch eine Mehrheit für öffentliches Engagement für Kunst und Kultur zu gewinnen.
Um zum Jahresbeginn trotzdem positiv zu enden, möchte ich zwei Blitzlichter benennen, die Grund zur Hoffnung geben.
Der Bundespräsident als letzter Lobbyist für Kunst und Kultur?
Da ist zum einen die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten Heinz Fischer, in der er „Kunst und Kultur“ explizit als zentrale Elemente eines zu formulierenden Projektes zur Bewältigung der aktuellen Krisenerscheinungen benennt. Und da ist der Umstand, dass in der Pause des diesjährigen Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker ein Film über 150 Jahre Wiener Ringstrasse gezeigt wurde, der mit einem „Albanien Blues“ begonnen hat. Und wirklich, zu sehen waren Philharmoniker (ja die alle weiterhin männlich), die zusammen mit „Zigeunern“ musiziert haben. Für mich eine kleine, wenn auch weitgehend unbemerkte Geste, wenn in der Pause eines weltweit übertragenen Konzertes, das ursprünglich von den Nazis als Form der ideologischen Formierung der Wiener Bevölkerung geschaffen wurde, ehedem Verfolgte für Momente mit ihrer Musik gleichberechtigt ins Bild gebracht wurden.
Eine gemeinsame Initiative ALLER Kulturinstitutionen tut not!
Ja und dann hätte ich noch einen Neujahrwunsch: Was spricht eigentlich dagegen, dass der österreichische Kulturbetrieb angesichts der angesagten kulturpolitischen Bedrohungen nicht nur in vereinzelten Aktionen sondern als gemeinsamer Akteur in öffentliche Erscheinung tritt? Immerhin gibt es mittlerweile in allen größeren Einrichtungen ganze Stäbe an ÖffentlichkeitsarbeiterInnen, die – zumindest gelegentlich – ihre Einrichtungen nicht nur in Konkurrenz gegeneinander sondern in entscheidenden Angelegenheiten auch akkordiert miteinander positionieren könnten.
Und jetzt noch eine Idee einer meiner StudentInnen: Sie schlägt vor, allen ZuwanderInnen (sie hat gemeint erstmals für ein Jahr) als Zeichen des Willkommens den Zugang zum österreichischen Kulturbetrieb (nicht nur in Museen!) gratis zu ermöglichen.
Bildnachweis: © https://twitter.com/joseftheater | Theater in der Josefstadt
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