Kultur IST Vermittlung – Eine kleine Reise durch das aktuelle Vermittlungsgeschehen
In diesen Tagen war ich in ganz unterschiedlicher Weise mit dem Thema „Vermittlung“ konfrontiert. Grund genug, dem Phänomen genauer nachzugehen.
Es begann alles bei einem Besuch des Unteren Belvedere. Im Hof war ein Mittelalter-Markt aufgebaut. Menschen in mittelalterlicher Verkleidung verkauften Essen und Trinken sowie allen möglichen Trödel, der sonst zu den Attraktionen von Weihnachtsmärkten zählt. Man konnte auf diesen typischen Heurigenbänken Platz nehmen und sich von mittelalterlicher Musik aus der Konserve berieseln lassen. Im Keller traf man auf andere mittelalterlich Verkleidete, diesmal zusammen mit einer Schar von Kindern, die inmitten der zahlreichen Tourist*innen selbstgebastelte Kronen und Burgen vor sich hertrugen.
Von diesem Szenario etwas irritiert machte ich mich auf der Website des Belvedere kundig und fand dort einen Vermittlungsschwerpunkt „Leben im Mittelalter“, der immerhin Bezug nimmt auf die eigene Sammlung mittelalterlicher Kunstwerke im Prunksaal und Schüler*innen doch etwas ganz anderes verhandeln will. Geht es nach den Vermittler*innen, dann erfahren „die Kinder mehr über fromme Herrscher und fleißige Bauersleute, seltsame Tischmanieren und eigenwillige Modetrends“.
Seither hadere ich mit der Frage, ob es wirklich die Aufgabe eines der führenden österreichischen Museen ist, eine derart klischierte Inszenierung von tradierten Vorstellungen über das Mittelalter zu beherbergen und was ein allfälliger, durch Kunst ermöglichter Bildungsgewinn für die Kinder sein könnte, die an solchen Programmen teilnehmen?
Vermittlung als Instrument der eigenen Bestandssicherung
Wahr ist, dass zumal öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen heute nicht mehr darum herumkommen, ein Vermittlungsprogramm anzubieten. Kulturpolitisch wird dieses gerne begründet mit der Notwendigkeit, sich neuen, bislang vernachlässigten Zielgruppen zuzuwenden und ihnen die Welt der Kultur zu eröffnen. Pragmatisch läuft dieser Auftrag gerne auf das Bemühen hinaus, junge Menschen (samt ihren Angehörigen) enger an die Institution zu binden, in der Hoffnung, sie als regelmäßige Besucher*innen gewinnen zu können. Dafür erscheint es sinnvoll, einen positiven Bezug zum aktuellen Programmangebot und darüber hinaus zur gesamten Institution zu ermöglichen (im besten Fall erlaubt diese Strategie auch einen positiven Effekt für die Institution in Form einer zusätzlichen Legitimierung staatlicher Privilegierung: Wir bieten ein Angebot für alle Menschen!)
Werden Kultureinrichtungen a la longue die Aufgaben der Schule übernehmen?
In der Vermittler*innen-Szene wächst aber noch ein weiterer Anspruch. Dieser besteht im Glauben, die wachsenden Defizite in der schulischen kulturellen Bildung kompensieren zu müssen. Jungen Menschen sollte in einem außerschulischen und damit besonders attraktiven Ambiente ein ästhetisches Grundrüstzeug vermittelt werden, um so deren kreative Potentiale entwickeln zu helfen. Dabei geht es bestenfalls peripher um das, was die jeweilige Einrichtung künstlerisch ausmacht. Hauptsache, die jungen Menschen arbeiten sich (siehe oben) an den Bekleidungsformen und Tischmanieren des Mittelalters ab und schaffen dafür „eigene“ Darstellungsformen, wie konventionell diese dann im Details ausfallen mögen. Sicher spielt hier auch ein tief verinnerlichter Befund eine zentrale Rolle, wonach „Kunst“ im Vollsinn nur einer kleinen Elite zugänglich sei und daher unabweisbar auf soziale Ausgrenzung hinziele. Alltagsästhetische Fragen hingegen beträfen alle Menschen und sollten somit auch mit allen verhandelt werden. Dass die Beschäftigung damit gleich auf dem Niveau des beschriebenen Mittelaltermarktes verhandelt werden muss, um nur ja „alle“ zu erreichen, könnte durchaus zu gegenteiligen Effekten führen (ein diesbezüglicher Trend der wachsenden Neo-Segregation kann anhand des aktuellen Hypes rund um Privatschulen, die sich gegen das vermeintlich zu niedrige Niveau der Öffentlichen Schulen abzugrenzen versuchen, gutnachvollzogen werden).
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