KünstlerInnen und GünstlerInnen
„Wenn einige, die zunächst niemals die Gesamtheit der Bürger sind und am Anfang sogar nur eine winzige Minderheit sein dürfen, obwohl sie objektiv im allgemeinen Interesse handeln, es nicht auf sich nehmen, zu opponieren und die Funktion des Dissidenten auszuüben, dann gibt es nur passive Bürger und schließlich überhaupt keine Bürger mehr, sondern nur noch mehr oder weniger teilnehmende, mehr oder weniger leicht „regierbare“ Verwaltungsbürger oder Untertanen der Macht.“ (Ètienne Balibar)
Vier SchauspielerInnen steigen auf die Schank im Salon 5, einer Off-Bühne im 15. Bezirk in Wien und shaken sich weg: „Ohne mich. Da spiel ich einfach nicht mehr mit. Schau, da kommt einer, na, du weißt schon, kommt und sagt, dass er alles anders machen wird. Ja, ja. Solange sie nicht oben sind, da wissen alle wo es lang geht, aber kaum sind sie am Ruder, schwups und hoppala, da wissen sie’s auf einmal nicht mehr. Die tun doch nur so. Und dann geht’s wieder los. Wie ich immer sage: zweimal lass ich mich nicht verarschen.“
Sie sind die ProtagonistInnen einer Produktion des jungen Schweizer Autors Jerome Junod „Postdemokratische Variationen – Suite für vier Stimmen und Körper“, die sich mit dem beklagenswerten Zustand der Demokratie auseinandersetzt. Inhaltlich bezieht sich das Stück auf das Buch des englischen Soziologen Colin Crouch „Postdemokratie“, der darin einen gefährlichen Verfall der politischen Kommunikation konstatiert.
Formal aber thematisiert das Stück die Sprache selbst, in der sich Menschen über Politik verständigen. In der Durchführung als Präludium, Fuge, Walzer oder Sarabande trennt sich die sprachliche Form zunehmend von ihrem Inhalt. Und so stellt sich beim Zuseher ein Erschrecken ein, in dem sich die famose Musikalität des Gebotenen mit der Beliebigkeit seiner Aussage verbindet. Was wir erleben, ist die theatralische Selbstzerstörung einer auf politischen Haltungen begründeten Sprache, deren Sprecher sich davon verabschiedet haben, etwas bewirken zu wollen.
Die Prinzipalin Anna Maria Krassnigg des Salon 5 hat sich entschlossen, auf die Aufführungen Gespräche mit ExpertInnen folgen zu lassen. Ich selbst habe die Diskussion mit dem Kultursprecher der Wiener Grünen Klaus Werner-Lobo miterlebt und war vor allem fasziniert, wie nahtlos und damit „vermittlungslos“ diese die künstlerische Aufführung in gelebte Wirklichkeit zu überführen vermochte.
Als Theater und politische Diskussion auseinander trifteten
Und so machte uns Werner-Lobo vertraut mit seiner Einschätzung der politischen Diskussion im Wiener Gemeinderat, dessen Mitglied er ist, ohne dessen Debatten noch etwas Positives abgewinnen zu können. Aus der Tradition der neuen sozialen Bewegungen kommend forderte er die Überwindung des repräsentativen demokratischen Systems durch die Entwicklung neuer Partizipationsmodelle.
Krassnigg outete sich als jemand, der schon mehrfach gefragt worden sei, in die Politik zu gehen während das Publikum je unterschiedliche Interpretationen über den politischen Zustand der Welt beisteuerte ohne ein einziges Mal auf das zuvor gesehene Theaterstück Bezug zu nehmen. Und so erwies sich die Diskussion als weitgehende Fortsetzung desselben, freilich ohne an die dramaturgischen und musikalischen Kompetenzen der SchauspielerInnen anknüpfen zu können aber mit demselben Ergebnis: Zu beobachten war die weitgehende Wirkungslosigkeit einer Rede, die sich – als Beleg für die Thesen von Colin Crouch – weitgehend von dem verabschiedet hat, was politisch der Fall ist.
Das ist einem interessierten Theaterpublikum nicht vorzuwerfen. Statt dessen ist zu fragen, ob die Ursache nicht bei denen liegt, die solche Diskussionen derart konzeptlos anbieten (und moderieren), in der vagen Hoffung, irgend etwas würde schon hängen bleiben. Und sich dann wundern/ärgern, dass das nicht passiert.
Als die FPÖ noch zum Neinsagen zwang
Vielleicht gibt es noch ein grundsätzlicheres Problem, das etwas über den schleichenden Wandel des Stellenwertes von Kunst (bzw. von KünstlerInnen) im demokratischen Prozess erzählt.
Dazu ein kleiner Rückblick: Im Wiener Wahlkampf affichierte die FPÖ ein Plakat, um mit „Künstler-Schlechtmache“ zu werben: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk…….. – oder Kunst und Kultur? Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler“. Illustriert wurde der Text mit einer verlassenen Violine, die offenbar keiner der Genannten mehr anfassen wollte.
Es gab damals geharnischten Protest nicht nur seitens der KünstlerInnen, die sich als „Zielscheibe“ (Peymann) ausgesetzt fühlten und denen es „kalt über den Rücken gelaufen sei (Jelinek); Peter Turrini protestierte als einer der ersten auf der Frankfurter Buchmesse gegen eine „gezielte Existenz- und Menschenvernichtung“. Der damalige Leiter der FPÖ-Werbeagentur Gernot Rumpold meinte dazu: „Wir wollten halt ein bisserl Stimmung machen und die Bürgerlichen ansprechen“. Die Abfolge der Namen habe er sich so ausgedacht, um es denen, die immer die FPÖ kritisierten, einmal zurückzugeben: „Wir haben immer schon die witzigsten Plakate gemacht“.
KünstlerInnen als Befürworter bestehender Verhältnisse
Knapp zwanzig Jahr später wurde wieder mit KünstlerInnen wahlgeworben. Das „überparteiliche Personenkomitee für Pröll“ schaltete für den niederösterreichischen Landtagswahlen ein Zeitungsinserat, in dem sich eine Reihe von prominenten KünstlerInnen, unter ihnen Gottfried Helnwein, Rudolf Buchbinder, Marianne Mendt, Ulrich Seidl, Gregor Blóeb, Barbara und Roland Neuwirth, Gerhard Tötschinger, Franzobel und eben auch Peter Turrini (bevor er sich anderen Orts immer wieder heftig gegen jede Form der „Unterschriftstellerei“ ausgesprochen hatte) für die Kulturpolitik des Landeshauptmanns bedankten und sich für seine Wiederwahl aussprachen.
Robert Lugar vom Team Stronach hatte dazu in einer parlamentarischen Rede unterstellt, seitens der mit absoluter Mehrheit regierenden ÖVP sei Druck auf die KünstlerInnen ausgeübt wurden, um dem kunst- und kultursinnigen Landesvater ihre Reverenz zu erweisen. Jetzt kann ich mir nicht vorstellen, welche Druckmittel die ÖVP Niederösterreich konkret in der Hand hat, um streitbare Künstler wie Peter Turrrini, dessen gesamtes Oeuvre darum kreist, mit dem Medien der Literatur und des Theaters politische Bildung und Aufklärung zu betreiben, zu einer Aussage zu zwingen, die sie von sich aus nicht treffen wollen.
Also ist davon auszugehen, dass diese KünstlerInnen aus Überzeugung handeln, wenn sie ihre Anerkennung öffentlich dafür bekunden, dass Erwin Pröll die kulturelle Infrastruktur Niederösterreichs nachhaltig ausgebaut hat und dies in politische Münze umgesetzt sehen wollen (Gregor Blóeb: „Erwin Pröll bemüht sich nicht nur um Kultur, sondern versteht sie als unbedingten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bestandteil des Landes NÖ“; Rosa Roedelius: „Durch Erwin Pröll erfährt die Kunst angemessene Wertschätzung“ oder Martin Vacha: „Kultur und Bildung stellen jenen Unterbau dar, auf dem sich Wirtschaft und Gesellschaft weiterentwickeln können. Dafür steht Erwin Pröll“).
Was bleibt ist das Erschrecken, dass sie ihre Einschätzung über verbesserte Realisierungsbedingungen mit einer politischen Empfehlung verbinden, die auf die Aufrechterhaltung einer politischen Alternativlosigkeit hinausläuft. Immerhin hat das politische Engagement dieser KünstlerInnen, von denen sich viele bereits in vergangenen Wahlkomitees für den Wiener Bürgermeister Michael Häupl engagiert haben, eine breitere öffentliche Diskussion ausgelöst. Der Germanist und Historiker Gerhard Zeillinger etwa kritisierte in einem Standard-Artikel „Erwin Pröll und seine Günstler“ die Renaissance eines vorgeblich unpolitischen Künstlertums, die sich mit einer Kritik der politischen Bedingungen nicht mehr lange aufhält und statt dessen auschließlich auf die Durchsetzung der Eigeninteressen und sei es in Abhängigkeit von der Gunst der jeweils Herrschenden zur Optimierung der eigenen Produktionsbedingungen vertraut.
Besonders eindrücklich sind in diesem Zusammenhang die Erinnerungen von Andrea Zederbauer „Wahlheimat großer Söhne oder: Die hohe Kunst, Nein zu sagen“ in der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift wespennest. Darin verweist sie auf die lange Liste derer, die sich als KünstlerInnen jedweder Unterstützungsleistungen verweigert haben, weil sie solche als unvereinbar mit ihren künstlerischen Intentionen gesehen haben (eine solche Liste existiert im Fall des niederösterreichischen Wahlkampfes nicht. Einer der wenigen, der sich als Neinsager geoutet hat ist der junge Künstler Thomas Sautner, der in einem Standard-Interview seinen Anspruch auf künstlerische Freiheit verteidigt.
Die hohe Kunst des Nein-Sagens
Zederbauer spricht von einer „Tradition der hohen Kunst, Nein zu sagen“, die mit der aktuellen Anbiederung von KünstlerInnen an den jeweiligen politischen mainstream verschütt gegangen sei. Und findet herausragende Beispiele, wenn sich Ingmar Bergmann geweigert hat, eine Oscar-Nominierung zu akzeptieren oder Jean-Paul Sartre, den Nobelpreis für Literatur zurückgewiesen hat. Und sie berichtet über Javier Marás, der erst jüngst zur Verleihung des Premio Nacional de Literatura gemeint hat, weder von einer rechten PP-Regierung noch von einer unter Führung der Sozialisten annehmen zu wollen, weil er den Eindruck habe, „unter den nicht Ausgezeichneten in besserer Gesellschaft zu sein als unter den Ausgezeichneten“.
Nun sind die meisten KünstlerInnen im Personenkomitee für Erwin Pröll mit vielfältigen Ehrungen und Preisen dekoriert (sonst wären sie ja nicht um Mitwirkung gebeten worden). Nach dem Wahlerfolg des scheinbar alternativlosen Patriarchen können sie beruhigt „das Lied dessen weiter singen, dessen Brot sie essen“.
Oder sie können die Blätter für deutsche und internationale Politik aufschlagen und dort einen Beitrag des französischen Philosophen Étienne Balibar „Demokratie durch Widerstand – Der Staatsbürger als Rebell“ durchblättern, um noch einmal politisches Bewusstsein zu schärfen. Balibar beschäftigt sich darin mit dem Machtaspekt, der jegliche Bemühung um gesellschaftliche Weiterentwicklung unabdingbar begleitet. Er kommt zum Schluss, dass die Bereitschaft, zu bestehenden Machtverhältnissen (z.B. in Niederösterreich) ja zu sagen, in erster Linie Stillstand und in weiterer Folge Verfall bedeutet.
Gerade KünstlerInnen, die sich gerne selbst die Aufgabe aktiver Bürgerschaft zuweisen (und noch lieber zugewiesen bekommen) bedeute dies, den bestehenden institutionellen Zusammenhang repräsentativer Politik gerade nicht zu bestätigen sondern in Frage zu stellen. Aktive BürgerInnen seien ihren Wesen nach „Rebellen“, die den Mut aufbringen, zur gegebenen Zeit „Nein“ zu sagen oder zumindest die Möglichkeit dafür offen zu halten („wenn wir diese Möglichkeit niemals ausüben, dann fallen wir alle zurück auf die Abtretung von Macht (in unserem Fall an einen absulut(istisch) regierenden Landesvater Erwin Pröll) bzw. auf eine „passive Staatsbürgerschaft“, die sich in einem theoretischen Rückgriff auf die Souveränität einer Basis erschöpft, die in der Demokratie genau so absolut (Legitimität durch Wahlausgang) wie fiktiv (Aufrechterhaltung einer unreflektierten Untertanenmentalität) gerechtfertigt wird.
Wenn sich die betroffenen KünstlerInnen noch vor zwanzig Jahren heftig gegen ihre politische Instrumentalisierung durch die FPÖ mit einem ausdrücklichen „Nein“ gewehrt haben so treten sie nunmehr als aktive Befürworter mit einem deutlichen „Ja“ zur Bestätigung eines politischen Herrschaftssystems auf, weil sie glauben, dass es sie begünstigt.
Die Folge: Alles wird so weiter gehen wie bisher während KünstlerInnen sich der Chance begeben haben, dem von Balibar prognostizierten Stillstand und Verfall eine Alternative entgegen zu setzen.
Künstlerisch inspirierte politische Bildung findet anderswo statt
Zurück im Salon 5 sind wir konfrontiert mit den Konsequenzen: Die BesucherInnen erlebten ein tolles Theaterstück, dessen Qualität darin lag, den politischen Zustand unserer Gesellschaft als ihr Material künstlerisch zu verarbeiten. Die Begeisterung für die Aufführung war groß; die Wirkung auf die nachfolgende Diskussion hingegen tendierte gegen Null.
In Erinnerung blieb in erster Linie das Räsonnement darüber, dass über die Förderung des Salon 5 nicht im Gemeinderat offen und kontrovers debattiert sondern darüber in einem Hinterzimmer des Kulturstadtrates gemauschelt wird. Mit der Information ausgestattet, suchten die BesucherInnen ratlos das Weite.
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