
LehrerInnenausbildung Neu und soziale Ungleichheit
In diesen Tagen erschien in der Wiener Programm-Zeitung „Der Falter“ der berührende Bericht eines Lehrers mit dem Titel „Du weißt gar nicht, wo Du anfangen sollst“. Hier erzählt einer von der ganzen Überforderung des Lehrerseins in einer Neuen Mittelschule. Der Lehrer ist ganz offensichtlich in einem Schulsystem tätig, das den konkreten Anforderungen sozialer Integrationsleistungen des Staates immer weniger entspricht. Und so erfahren wir ganz unmittelbar, wie gefordert er und seine KollegInnen angesichts des aktuellen Flüchtlingszuzugs sind:
„Die Flüchtlinge sind völlig verschieden: Die einen sind früher in ein Gymnasium gegangen, andere sind Analphabeten. Einige haben Bilder von zerbombten Städten auf ihren Handys. Andere sind unbegleitet hierhergekommen und müssen unterwegs Dinge erlebt haben, die Du Dir gar nicht vorstellen magst. Da steht jetzt also ein Kollege vor 25 Kindern in der Klasse, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und schaut in große, fragende Augen. Drei Stunden pro Tage kriegen sie einen Deutschkurs, den Rest des Tages muss er sich irgendwas überlegen. Er kriegt das irgendwie hin, weil er ein guter Lehrer ist. Aber wie das wohl bei anderen läuft?“Es sind aber nicht nur die Flüchtlinge, die ihm zu schaffen machen. Es sind vor allem die sozialen Benachteiligungen, welcher die SchülerInnen wie einen schweren Rucksack in die Schule mitbringen, der nicht einfach abgelegt werden kann. Unter ihnen gibt es auch solche, die aus Gymnasien weggeschickt worden sind. Sie empfänden sich in besonderer Weise als VerliererInnen, die fürs Leben vom Gefühl geprägt seien, aussortiert, nicht gut genug, bestenfalls zweite Wahl worden zu sein. Der Lehrer kommt aufgrund ganz persönlicher Erfahrungen zum Schluss, dass mit der überkommenen Aufteilung in Gymnasien, die ihre Schüler auswählen dürfen und Mittelschulen, die zum Auffangbecken aller sozialen und persönlichen Probleme werden, die Lasten ungleich verteilt würden:
„Ich denke mir manchmal schon: Es ist nicht sehr gut verteilt. Die eine Hälfte der Schulen, die Gymnasien tun so, als ginge sie das alles nichts an. Und jenen Mittelschulen in den armen Wohngegenden, die ohnehin schon viele schwierige Aufgaben bewältigen, hängt man jetzt noch mehr Aufgaben um“.Was hat der wortidente Lehrplan 2000 für die Sekundarstufe I gebracht?
Gerade im städtischen Zusammenhang wird so nochmals der „Klassencharakter“ des aktuellen Schulsystems deutlich. Dieser hält die „soziale Vererbung von Bildung“ ungebrochen aufrecht. Eigentlich sollten wir da schon viel weiter gekommen sein, wenn es seit nunmehr bereits 16 Jahren einen für alle Schulen der Sekundarstufe I wortidenten Lehrplan gibt. Er sieht vor, dass ausnahmslos allen 10 – 14jährigen SchülerInnen, egal welche Schulform sie besuchen, dieselben Lehrinhalte vermittelt werden. Dementsprechend geht es seither nicht mehr um das Was sondern um das Wie; noch entscheidender aber ist und bleibt die Frage: Wem? Die Aufrechterhaltung des Aschenputtelprinzips „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ verschärft ungebrochen das gesellschaftliche Auseinanderdriften und zeiht einem bildungspolitischen Anspruch gesellschaftlicher Integration Hohn.
LehrerInnenausbildung Neu und der Institutionenstreit
Als ein neuer Anlauf, diese strukturellen Trennungen zu unterlaufen, kann die gemeinsame LehrerInnenausbildung angesehen werden. Sie tritt für die Sekundarstufe I und II ab dem Schuljahr 2016/17 in Kraft und soll eine neue Generation von LehrerInnen hervorbringen, die in allen Schulformen gleichermaßen tätig sein können. Damit soll dem gegenseitigen Ausspielen von universitär ausgebildeten GymnasiallehrerInnen gegenüber den AbsolventInnen von Pädagogischen Hochschulen ein Ende gesetzt werden, das immer auch Ausdruck des privilegierten sozialen Status einer Minderheit von SchülerInnen in den sogenannten Höheren Schulen gewesen ist.
Ob die noch von der früheren Unterrichtsministerin Claudia Schmied eingeleitete Vereinheitlichung des LehrerInnenberufs die von ihr gewünschten sozialpolitischen Konsequenzen haben wird, lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Die heftigen parteipolitischen Auseinandersetzungen rund um die aktuelle Schulreform, die zur in der Sache unbegründbaren Entscheidung geführt hat, bis auf weiteres die Gesamtzahl der Standorte für eine Gesamtschule in einem Bundesland auf 15 Prozent aller Standorte zu beschränken, lassen nichts Gutes erhoffen.
Reden kann man aber schon jetzt über eine sehr wohl begründbare Befürchtung, dass die geänderte LehrerInnenausbildung zu einer gravierenden Verschlechterung im Bereich der künstlerisch-kreativen Fächer führen wird. Der Entscheidung zur Synchronisierung der LehrerInnenprofile waren jahrelange Querelen zwischen den Kunstuniversitäten und den Pädagogischen Hochschulen vorausgegangen. Die Rede war da von gegenseitigen „Übernahmen“, wobei die unterschiedlichen Positionen sich einerseits auf die Aufrechterhaltung künstlerischer Qualitätsvorstellungen und andererseits auf methodisch-didaktische Vermittlungskompetenz, vor allem gegenüber sozial Benachteiligten bezogen haben. Da wollte der vermeintliche Widerspruch zwischen Kunst und Pädagogik noch einmal auf den Punkt gebracht werden. Dazu kam die unterschiedliche Stellung der betroffenen Institutionen, wenn die Kunstuniversitäten auf ihren Autonomiestatus pochen konnten, während sich Pädagogische Hochschulen als weisungsgebundene Dienststellen in einem engeren Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der öffentlichen Verwaltung wussten.
Im Moment spricht vieles dafür, dass die Kunstuniversitäten ihr Ausbildungsangebot weitgehend unverändert aufrechterhalten werden, freilich ohne die zusätzlichen Ressourcen zu erhalten, somit das bisherige Angebot der Pädagogischen Universitäten mit zu übernehmen und damit in ihrem Sinn künstlerisch-qualitativ aufzuwerten. Gleichzeitig sind die Pädagogischen Akademien in den verschiedenen Entwicklungsverbünden drauf und dran, ihr Angebot im künstlerisch-kreativen Bereich drastisch zurückzunehmen, zumal sich die Kooperationen mit den Universitäten bis auf wenige Ausnahmen schwierig gestalten.
Außerschulische Kunstvermittlung kann schulischen Kunstunterricht nicht ersetzen
Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand und bleiben doch – aus mir unverständlichen Gründen – bildungspolitisch bislang weitgehend undiskutiert. Da ist zum einen anzunehmen, dass die künftigen Lehramts-AbsolventInnen wie bisher – sofern sie überhaupt noch eine Schulkarriere anstreben –vorrangig eine Anstellung in einer Höheren Schule ins Auge fassen werden. Das wird umso leichter sein, als es nach wie vor genug Auswahl gibt und sie sich noch immer in 85% aller Standorte für eine Tätigkeit in einer Höheren Schule entscheiden können. Zum anderen wird das Versiegen von AbsolventInnen der künstlerisch-kulturellen Fächer aus den Pädagogischen Hochschulen dazu führen, dass es eher früher als später keinen qualifizierten Nachwuchs an den Standorten der Neuen Mittelschule mehr geben wird. Schon jetzt kommt – trotz einiger halbherziger Incentives des Bildungsministeriums, das kulturelle Profil von Neuen Mittelschulen zu schärfen – diesen Fächern bis auf einige wenige Ausnahmen eine nur sehr nachrangige Rolle zu; sie werden mehrheitlich von ungeprüften Lehrkräften unterrichtet oder die Unterrichtsstunden gänzlich fachfremd genutzt (z.B. „Klassenvorstandsstunde“).
Wir müssen uns wohl oder übel auf einen weitgehenden Verlust eines qualifizierten Personals einstellen, das künftig die Fahne einer fachspezifischen Kunstvermittlung in Schulen, in denen vorrangig sozial Benachteiligte unter zum Teil schwierigsten Bedingungen unterrichtet werden, nicht mehr hochhalten wird können. Geht es nach der aktuellen Arbeitsaufteilung der betroffenen Ausbildungseinrichtungen, dann wird Kunst und Musik in den Neuen Mittelschulen – Lehrplan hin oder her – bald niemand mehr unterrichten wollen und auch nicht können.
Die weniger bildungs- als kulturpolitischen Hoffnungen liegen einmal mehr auf den Vermittlungsangeboten von außerschulischen Kunst – und Kultureinrichtungen, die eingeladen sind, kompensatorisch zu wirken und diese Leerstelle mit attraktiven Projekten zu füllen. Zunehmend dringlich werden sie dabei von den Fördergebern eingeladen, sich insbesondere auf sozial benachteiligte Gruppen (damit vorrangig junge Menschen aus den Neuen Mittelschulen) zu konzentrieren. Und so sind wir unversehens mit einer nicht abgesprochenen Aufgabenübertragung konfrontiert, die darin besteht, dass sich die Mittelschulen von einem systematischen Bildungsangebot von Kunst und Kultur verabschieden, während Kunst- und Kultureinrichtungen schon aus Legitimationsgründen nicht umhinkönnen, diese Aufgabe verstärkt wahrzunehmen.
Wir kennen diese Entwicklung aus anderen Ländern, wo – wie z.B. in England der 1980er Jahre – die Beschäftigung mit Kunst und Kultur aus politisch motivierten Gründen aus den schulischen Lehrplänen gestrichen und zur Privatsache erklärt wurde, und stattdessen der Kunstbetrieb gefordert war, Alternativangebote zu entwickeln. (Diese Defizitstrategie war zumindest auch für Österreich insofern inspirierend, als dass damals sehr avancierte Modelle der außerschulischen Musikvermittlung zur Implementierung vergleichbarer Projekte wie „Klangnetze“ geführt haben, obwohl es hierorts damals noch ein sehr gutes, wenn auch nicht auf die Vermittlung von Gegenwartsmusik bezogenes, schulisches Angebot gegeben hat).
„Unsere Kinder wissen genau, dass sie zu den Verlieren gehören. Vom Gymnasium geht‘s noch eine Stufe hinunter, aber unter uns gibt es nichts mehr“
Bei den Befürwortern einer solchen Übertragungsstrategie bleibt freilich gerne der Umstand unberücksichtigt, dass eine systematische, sich über Jahre erstreckende Auseinandersetzung mit künstlerischen Inhalten und Methoden durch in der Regel kurzzeitige, wenn auch noch so attraktive Vermittlungsaktionen nicht ersetzt werden kann. Stattdessen suggerieren diese nur zu leichte eine einfache und voraussetzungslose Zugänglichkeit des Kunstbetriebs, die sich bei genauerem Hinsehen nur als bloße Schimäre zur Beruhigung des sozialen Gewissens der Anbieter erweist. Dazu nochmals der zu Beginn des Textes genannte Lehrer, der sich mit seinen SchülerInnen in eine Universitätsbibliothek wagt:
„Die Kids waren total in Ehrfurcht erstarrt: Darf man diese Bibliothek überhaupt besuchen? Es war ihnen fremd wie Hogwarts. ‘Klar könntet ihr auch auf die Uni gehen‚, sag ich ihnen. ‘Ihr würdet es nicht so leicht haben wie andere, aber möglich wäre es.‘ Aber sie können es sich überhaupt nicht vorstellen. Die Uni ist in ihren Augen nur etwas für Schnöselkinder, nicht für Kinder wie sie.“Claudia Schmied hat sich während ihrer Amtszeit u.a. mit dem Slogan profiliert: „… bis 2013 sollte jede Schule eine Kooperation mit einer Kultureinrichtung eingegangen sein“. Davon spricht heute niemand mehr. (Was nicht bedeutet, dass daraus einige sehr gute, auch nachhaltig wirksame Formen der Kooperationen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen entstanden sind während andere Schulen sich ganz anderen, politisch opportuneren Schwerpunkten zugewandt haben.) Heute steht zu befürchten, dass mehr und mehr Kunst- und Kultureinrichtungen die qualifizierten schulischen Ansprechpartner abhandenkommen, die noch in der Lage wären, solche Kooperationen auf Augenhöhe mitzutragen. Eine breitere öffentliche Diskussion, ob wir eine solche Entwicklung wirklich wollen bzw. ob wir sie mehr oder weniger bewusst in Kauf nehmen, scheint mir überfällig.
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