Noch ein Unwort des Jahres: KunstundKultur
Man soll den Menschen kein X für ein U vormachen. Diese Forderung scheint in Zeiten von Fake-News zumindest relativiert. Zum Prinzip erhoben aber hat sie ein Slang, der seit einiger Zeit vor allem im Kunstbetrieb grassiert. Seine Vertreter*innen halten sich nicht lange auf mit der Frage, ob nun ein X oder ein U zu verwenden ist, ob man beide gleichsetzen, addieren oder multiplizieren muss. Wurscht, es interessiert sich ohnehin niemand für exakte Daten. Die Beschäftigung mit Kunst ist eben keine exakte Wissenschaft und der Geist, der weht, wohin er will.
Nun könnte man einwenden, in der Not scheint jedes Mittel recht. Immer mehr Künstler*innen fühlen sich nicht erst seit der Pandemie in ihrer Existenz bedroht. Also versuchen sie, mit allen möglichen Argumenten die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, wie wichtig ihre Tätigkeit ist. Manche schrecken dabei nicht zurück, selbst rassistische Stereotype zu strapazieren, wenn in diesen Tagen noch einmal ein Zitat des hochgepriesenen Maestro Mariss Jansons im Tagesspiegel kursiert, wonach der „Mensch ohne Kunst zum Affen würde“.
Diese zutiefst diskriminierende Rhetorik läuft darauf hinaus, das eigene künstlerische Tun als bestimmend für die Kultur als Ganzes zu erhöhen (und damit allen, die das nicht zu schätzen wissen, das Menschsein abzusprechen). Die Frage, wie aber der Beitrag der Kunst für die Kultur konkret aussieht, muss in einem Milieu der Selbstüberschätzung erst gar nicht mehr beantwortet werden. Es hat sich irgendwie von selbst zu verstehen. Herausgebildet hat sich dafür ein Wortungetüm namens KunstundKultur. In ihm sollen sich beide Begriffe verstärken, ohne dass da noch jemand Zweifel äußern könne oder wollte, um was es dabei eigentlich geht. Kunst ist wichtig, Kultur ist wichtig, also muss KunstundKultur noch viel wichtiger sein. Die Bombastik der rhetorischen Figur kann dann schon mal die Mühe des Nachdenkens ersparen, welche Hilflosigkeit, sich gesellschaftlich zu verorten, dahintersteht…..
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Bild: Kulturpolitisches Manifest ©Michael Wimmer
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