Noch einmal “Kulturnation” und ich schreie
Mit den aktuellen Öffnungen des Kulturbetriebs macht sich Hoffnung breit, es könnte bald wieder so werden, wie es einmal war. Die Warten hat ein Ende; the show can go on. Ende, damit verfliegt auch so mancher Zorn darüber, von der (Kultur-)Politik an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden zu sein. Kulturpolitik und Kulturbetrieb ziehen wieder an einem Strang; zumindest, wenn es darum geht, das Publikum zurückzuholen. So soll das Programm „Neustart“ mithelfen, den Künstler*innen wieder ein Publikum zu schaffen und damit das kulturelle Leben wieder in Gang zu setzen zu können.
Vergessen die Frustration vieler Künstler*innen über die Erfahrung, während des Lockdowns von der Politik als nicht so bedeutend eingeschätzt worden zu sein wie es für sie zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Selbst schwere Geschütze wie die Beschwörung der „Kulturnation Österreich“ konnten da schon mal ins Leere gehen. Ging es nach den Reaktionen der Regierenden, dann hatte sich spätestens mit der Schließung aller Kultureinrichtungen ein bislang äußerst erfolgreicher Mythos von der überragenden Bedeutung von Kunst in Politik und Gesellschaft in Luft aufgelöst. Und diejenigen, die sich die längste Zeit als die wahre Vertretung Österreichs hielten, fanden sich mit der Kurz’schen Apostrophierung als eine Minderheit von „Kulturverliebten“ ins gesellschaftliche Abseits gestellt.
„Kulturnation“ oder wie ich lernte, mich als Künstler*in über die Politik zu erheben
Das Beharren auf der Verwendung des Begriffs der „Kulturnation“ beschränkt sich in der Regel auf den Versuch, den Staat in Geiselhaft zu nehmen. So soll der Staat an seine Schutz- und Förderfunktion gegenüber dem Kulturbetrieb („Kulturauftrag des Staates“) erinnert werden. Und irgendwie funktionierte dieses Totschlagargument auch die längste Zeit. Und wenn nicht, konnte man immer noch die angesprochenen Politiker*innen, die es wagten, nicht mit einer reflexhaften Bestätigung antworteten, als desinteressiert, ignorant, fahrlässig, ja geist- und kulturlos zu denunzieren. Als Folge lässt sich eine lange Geschichte der kollektiven Abwertung von Politiker*innen seitens des Kulturbetriebs erzählen. Sie führt entlang einem lang gehegten Widerspruchsverhältnis, wenn Künstler*innen einerseits für sich beanspruchen, weit über den Niederungen der Politik zu stehen, und andererseits immer wieder die Erfahrung eines erniedrigenden Bittstellertum machen zu müssen, wenn eben diese in Grunde jene Politik verachten, die über die wesentlichen Ressourcen verfügt und damit die eigenen Produktionsbedingungen nachhaltig beeinflusst. Nicht eben eine gute Verhandlungsbasis auf gleicher Augenhöhe.
Entstanden ist so eine spezifisch apolitische Haltung in weiten Teilen des Kulturbetriebs, der sich kulturpolitisch im Wesentlichen darauf konzentriert, ein möglichst großes Stück aus dem Kuchen herauszureißen und es gleichzeitig zu schaffen, sich über das dreckige Geschäft der Politik zu erheben.
Mit einer solchen Überhöhung kann leicht die eminent politische Bedeutung, die gerade der Begriff der „Kulturnation“ begleitet, vergessen werden. Wirklich verstehbar ist das Konzept der „Kulturnation“ nur in Bezug auf den aufkommenden Nationalismus der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Gerade weil sich der politische Prozess der Nationenbildung vor allem in Mitteleuropa als besonders schwierig erwies, setzten die herrschenden Eliten auf Sprache, Traditionen, maßstabsetzenden künstlerischen Personals sowie auf die Zelebration einer Auswahl von Symbolen mit dem Anspruch auf eine vornationale Vergemeinschaftung als kulturelle Ausdrucksmittel. Mit dem Anspruch, einer für alle darunter Fallenden als verbindlich erachteten Kultur, wollte sich eine durch Geburt an zusammengeschweißte „Blutsbrüderschaft“ von den anderen abgrenzen, nicht, um aus der politischen Sphäre herauszutreten, sondern ganz im Gegenteil, um ihren sehr konkreten politischen Zielen eine größere Durchschlagskraft zu verleihen…..
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Bild: APA/TECHT HANS KLAUS
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