Ostermayer post portas
Historische Phasen haben es so an sich, dass man ihnen nicht ansieht, wenn sie an ihr Ende kommen. Kontinuitäten in den äußeren Erscheinungsbildern täuschen nur zu leicht darüber hinweg, dass sich dahinter bereits ganz andere Szenarien abzeichnen. Dieser Verdacht hat mich bei der Lektüre von Rüdiger Wischenbarts jüngstem Kommentar über das „Verschwinden des Neuen aus der Kulturpolitik“ überkommen. Er rechnet dort vor, dass die Veränderungen in Art und Ausmaß der Bundeskunstförderung der letzten zehn Jahre marginal gewesen sind. Den veröffentlichten Daten zufolge kam es zu einer weitgehenden Fortschreibung einer routinisierten Förderungspraxis, die bis in die Details einen immer gleichen Kreis an NutznießerInnen begünstigt hat.
Nicht unbedingt ein überzeugender Ausweis für einen unbändigen kulturpolitischen Gestaltungswillen. Statt dessen fast schon eine Garantieerklärung für eine in die Jahre gekommene Klientel, die sich im Gefühl wiegen kann, ihre staatliche Privilegierung auf Dauer gepachtet zu haben. Kein Wunder, dass von dieser Seite kein großer Änderungsbedarf angemeldet wird. Ganz im Sinne des amtierenden Kunstministers Josef Ostermayer soll alles möglichst so bleiben wie es ist. Seine diesbezügliche Taktik macht er in einem Kurier-Interview deutlich, wenn er öffentlich macht, dass er alle neuen Förderwerber nicht mit seinen eigenen Schwerpunkten sondern mit der Frage traktiert „Wem soll ich Geld wegnehmen“.
Diese Form der Kontinuität macht nur all zu leicht vergessen, dass außerhalb dieses in die Jahre gekommenen Förderbetriebes kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Es sind vor allem technologische Entwicklungen in den Bereichen der Produktion und Distribution sowie demographische und soziale Verschiebungen im Bereich der Rezeption, die die traditionellen kulturpolitischen Entscheidungsgrundlagen nachhaltig in Frage stellen. Entstanden ist eine ganz neue Generation von KünstlerInnen und Kulturschaffenden aber auch NutzerInnen und mit dieser Form der Bewahrhaltung könnte man den Eindruck gewinnen, eine weitgehend selbstreferenziell gewordene Kulturpolitik habe sie noch gar nicht wahrgenommen und so an der kulturellen Dynamik unseres Landes vorbeiagiert.
Als die Förderung von Gegenwartskunst zum Anliegen staatlicher Kulturpolitik wurde
In den1970er Jahren wuchs dem Staat zunehmend die Aufgabe zu, sich insbesondere um aktuelle Kunst – und Kulturströmungen zu bemühen, diese in der Öffentlichkeit zu vertreten und ihre Realisierungsmöglichkeiten mittels neuer Förderungsprogramme zu verbessern. Das Ergebnis war der sukzessive Aufbau einer eigenen „Kunstsektion“ (damals im Unterrichtsministerium), deren Auftrag darin bestand – entgegen der herrschenden Skepsis gegenüber Gegenwartskunst – vorrangig avantgardistisches, experimentelles, provozierendes und auch gesellschaftskritisches Kunstschaffen zu stimulieren. Ein eigener kulturpolitischer Maßnahmenkatalog sollte darüber hinaus mithelfen, alle diejenigen – vor allem jungen – Menschen aus nicht Kunst affinen Familien mit der ganzen Vielfalt an ästhetischen Erfahrungen vertraut zu machen. In diesem Bemühen versuchte sich der Bund vor allem gegenüber einer provinziellen Kulturpolitik der Länder zu profilieren, die eine „Kulturhoheit“ für sich reklamiert haben. 1988 gelang es, diesen kulturpolitischen Anspruch nach langem politischem Kampf in die Form eines Bundeskunstförderungsgesetzes zu gießen.
Ja, die Bundesländer haben sich mittlerweile kulturpolitisch profiliert
Von diesem (kultur-)politischen Wollen scheint heute nichts mehr übriggeblieben. In der Tat haben sich die Länder auch kulturell weiterentwickelt. Ihre Highlights beschränken sich nicht mehr auf Heimat- und Brauchtumspflege; gefördert werden nicht nur Volkstanzgruppen und Goldhaubenvereine, auch wenn nach wie vor beträchtliche Mittel dafür bereitgestellt werden. In den meisten Ländern vermochte sich eine beeindruckende kulturelle Infrastruktur zu etablieren. Ihr Programmangebot trägt dazu bei, lieb gewordene regionale Klischeebildungen in Frage zu stellen, jedenfalls solange es der jeweiligen politischen Profilbildung dient. Angesichts dieses Aufholprozesses hat es der Bund zunehmend schwer, noch einmal seine, in den 1970er Jahren so augenscheinliche herausragende kulturpolitische Funktion aufrechtzuerhalten.
Das ewige Thema: Die „Kulturhoheit der Länder“
Statt aber eine grundsätzliche Standortbestimmung und eine darauf beruhende Neukonzeption einer zeitgemäßen gesamtstaatlichen Kulturpolitik zu versuchen, zeigen sich die Umrisse einer Kulturpolitik, die man am Ausgang der „austriakischen Restauration“ der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Aufbruchstimmung der späten 1960er Jahre zu überwinden getrachtet hat. Zur Bestätigung lässt Kunstminister Ostermayer in öffentlichen Stellungnahmen immer wieder mit dem Verweis aufhorchen, „Kultur“ wäre doch an sich Landessache. Dass er diese Aussage just in der Tiroler Tageszeitung (und damit in einem Bundesland, das traditionell auf seine (kulturelle) Eigenständigkeit pocht) erstmals gemacht hat, scheint mir fast schon programmatisch. Ganz offensichtlich soll hier der Weg frei gemacht werden für eine kulturpolitische Initiative, die den subsidiären Auftrag des Staates zur Förderung eines „überregionalen, innovativen und beispielhaften Kunstschaffens“ (wie im Kunstförderungsgesetz festgelegt) zumindest relativiert, um so die Länder wieder in die Lage zu versetzen, in umfassender Weise für „Kultur“ zuständig zu sein (umso mehr als sie das ja ohnehin immer wollten).
Zusammenlegung der Kultur- und der Kunstsektion oder Das Ende der staatlichen Anwaltschaft für Gegenwartskunst?
Ganz in diese Richtung deuten auch die aktuellen Absichten, die bislang getrennt geführten Sektionen für Kultur und für Kunst im Bundeskanzleramt künftig zusammen zu legen. Mehr als symbolisch wird damit deutlich, dass Gegenwartskunst künftig auf eine speziell für ihre Anliegen tätige Anwaltschaft innerhalb der staatlichen Verwaltung, für die eine kulturpolitische Vorgängergeneration hart gerungen hat, wird verzichten müssen. Ihr Aufgehen in die Pragmatik des allgemeinen Verwaltungshandelns erscheint umso wahrscheinlicher als dass diese Strukturänderung ohne jeden Hinweis auf eine konzeptionelle Neuorientierung der österreichischen Kulturpolitik erfolgt. Vielmehr wurden diesbezügliche Entscheidungen ohne jede diskursive Begleitmusik getroffen und sprechen so allen Hoffnungen auf Realisierung neuer Governance-Strukturen unter Einbeziehung der Betroffenen (wie sie in anderen Ländern zur Zeit erprobt werden) Hohn.
Der große Auslagerungsschmäh – Die großen Tanker sind am Ende
Pragmatisch liegt der wesentliche Grund für die Aufgabe des kulturpolitischen Auftrags des Staates, sich in besonderer Weise „um das Neue“ zu bemühen, in der mehr als schwierigen Situation der großen Bundeskunst- und Kultureinrichtungen, für die der Staat explizit zuständig ist. Josef Ostermayer ist nicht nur mit Malversationen in dem einen oder anderen Institut befasst, er muss mit einer strukturell falsch angelegten Kulturpolitik zurande kommen, die vor nunmehr 15 Jahren gemeint hat, es genüge, den großen staatlichen Kultureinrichtungen mit Hilfe ihrer Auslagerung einen entsprechenden Gestionierungsspielraum zu verschaffen. Dessen Ausgestaltung mit entsprechendem kaufmännischen Geschick würde sie dauerhaft in Stand setzen, die ständig steigenden Kosten durch Erhöhung der Einnahmen (die nicht aus Subventionen kommen) zu kompensieren. Mit der Verweigerung, in den jeweiligen gesetzlichen Grundlagen entsprechende Valorisierungen (vor allem im Hinblick auf jährlich steigende Personalkosten) festzuschreiben, wurden die Einrichtungen auf einen Markt verwiesen, auf dem nicht nur die Extras (darunter firmieren bis dato leider auch Bildungs- und Vermittlungsinitiativen) sondern immer größere Anteile der Basisbudgets erwirtschaftet werden müssen. Das ging – vor allem mit dem Chef der Bundestheaterholding Georg Springer, der seine Aufgabe vor allem darin gesehen hat, den Deckel über die wachsenden Widersprüche zu halten – lange gut; jetzt scheint das Ende der Fahnenstange erreicht und Matthias Hartmann wird in die Geschichte der österreichischen Kulturpolitik eingehen als derjenige, der mit seinem exzessiven Stil deutlich gemacht hat, dass es so insgesamt nicht weiter gehen kann.
Joseph Ostermayer als ungewollter Widergänger von Heinrich Drimmel – oder Befördern uns die wirtschaftlichen Zwänge in eine neue Restaurationszeit?
Josef Ostermayer macht bei jeder Gelegenheit deutlich, wie sehr er darum kämpft, ein krisenbedingtes Absenken der staatlichen Kunst- und Kulturförderung zu verhindern. Sein Problem: Selbst eine ungekürzte Fortschreibung der bestehenden Fördermittel kann den Fortbestand der bestehenden Einrichtungen in ihrer jetzigen Form und mit ihrem Programmangebot nicht mehr sicherstellen. Entsprechend wird staatliche Kulturpolitik früher oder später um steuernde Vorgaben gegenüber den betroffenen Einrichtungen, die bislang weitgehend im Freiflug agiert haben, nicht herumkommen.
Entgegen den gut gemeinten Appellen von Rüdiger Wischenbart und anderen, noch einmal ein besonderes Interesse für das Neue zu entwickeln, habe ich die Vermutung, dass der eigentliche kulturpolitische Schwerpunkt des amtierenden Kunst- und Kulturministers im Versuch der Konsolidierung der großen Tanker besteht. Und unversehens finden wir uns in die guten alten Zeiten zurückversetzt, in denen sich der demokratische Staat zur mit der Führung von aus vormodernen Zeiten stammenden Kunst- und Kultureinrichtungen profilierte.
Als in breiten Teilen der Öffentlichkeit verhandelte Akteure haben sie über dies den Vorteil einer raschen und effizienten politischen Profilierungsmöglichkeit; ein Umstand, von dem Ostermayer mit der Absetzung des Direktors des Bundestheaters bereits eindrucksvoll Gebrauch gemacht hat. Auch seine Initiative, bis zu den Jubliäumsfeierlichkeiten zur hundertsten Wiederkehr der Ausrufung der Republik ausgerechnet in der Neuen Burg ein „Haus der Geschichte“ zu realisieren geht in die gleiche Richtung.
Über das Ende eines gemeinsamen (gesellschafts-)politischen Projektes
Zurück bleiben weite Teile des informellen Kultursektors, die den Abschied von ihren lange gehegten kulturpolitischen Hoffnungen noch vor sich haben. Erleichternd wirkt vielleicht der Umstand, dass beiden Seiten die vielleicht wesentlichste Grundlage zu einem gemeinsamen kulturpolitischen Selbstverständnis abhanden gekommen ist: ein gemeinsames (gesellschafts-)politisches Projekt, für das sich KünstlerInnen und Kulturschaffende im Sinne Kreiskys bereit erklären, „ein Stück des Weges“ mitzugehen. Da ist über die Jahre ein gerütteltes Maß an Entfremdung eingetreten, das selbst angesichts des agent provocateur Heinz Christian Strache (das konnte Jörg Haider weit besser) die Entwicklung eines gemeinsamen kulturpolitischen Selbstverständnisses nicht mehr zulässt.
Über Vereinzelung und Wirkungslosigkeit
Man könnte diese Entwicklung als erfreuliche Form der Emanzipation des Kunst- und Kultursektors sehen. Aber jetzt stehen seine weitgehend voneinander getrennt agierenden VertreterInnen in der von Wischenbart erwähnten Bilanzveranstaltung im Bruno-Kreisky-Forum nacheinander auf und bringen zum 100sten Mal ihre zum Teil höchst individuellen Forderungen vor und wundern sich, dass Ostermayer diese in seinen Reaktionen nicht einmal ignoriert. Als politischer Profi weiß er, dass mit dieser Gruppe keine Stimmen (mehr) gewonnen werden können.
In ihrer Machtlosigkeit sind sie dazu verurteilt, sich darüber zu freuen, dass die Mehrwertsteuererhöhung im Rahmen der aktuellen Steuerreformdebatte für Kino-, Museums-, Theater- und Konzertbesuche mit nur 3% glimpflicher ausgefallen ist als befürchtet, während die ermäßigten Sätze für den Buchhandel auf Grund erfolgreichen Lobbyings sogar gleich geblieben sind. Über die genuin kulturpolitische Begründung, warum bei den einen ein erhöhter (und warum gerade in dieser Höhe) und bei den anderen kein erhöhter Satz künftig zur Anwendung kommt, gibt es keine Auskunft. Es darf munter weiter spekuliert werden.
Auch ich wollte mich im Kreisky-Forum zu Wort melden und Josef Ostermayer bitten, wenn schon kein Konzept, so doch zumindest einige Haltegriffe zu seiner kulturpolitischen Schwerpunktsetzung zu benennen und zu begründen. Aber ich bin nicht mehr drangekommen. Der Kunst- und Kulturminister musste sich vorzeitig verabschieden, um rechtzeitig ins Zib2 Studio zu kommen.
Bildnachweis: © Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik @flickr.com (https://www.flickr.com/photos/131778652@N05/16577584330/)
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