Österreich mag politisch ein Zwerg sein, aber christkindlmarktmäßig sind wir ein Gigant
„Jede demokratisch verfasste Bevölkerung hat die Regierung, die sie verdient.“ Wenn es nach diesem, zugegeben einigermaßen strapazierten alten Spruch geht, dann ist der Kleinstaat Österreich in den Realitäten der europäischen Kräfteverhältnisse angekommen. Während in Europa die Wellen der Interessenskonflikte hochgehen, pflegt das politische Personal hierorts seinen Nimbus der Bedeutungslosigkeit. Auf der Grundlage kann der amtierende Bundeskanzler Faymann einerseits den europafeindlichen Boulevard bedienen und sich andererseits – wie jüngst in der Tageszeitung „Kurier“ als „glühender Europäer“ – outen. Es hat im Grund nichts zu bedeuten. Genau so wenig, wie die stereotype Wiederholung des Stehsatzes „Das ist mir ganz besonders wichtig“ anderer Regierungsmitglieder. Das „Was“ ist dabei weitgehend belanglos, wenn es nur zumindest für den Augenblick gelingt zu verbergen, dass der/die SprecherIn im Grunde nichts zu sagen hat, was über die rhetorische Armut vorgestanzter Marketingfloskeln hinausweisen würde. „Politik der Unwahrheit“ hat das jüngst eine slowenische Kollegin genannt, weniger, um damit die Behauptung aufzustellen, die PolitikerInnen würden die Unwahrheit sagen, als vielmehr, sie hätten überhaupt keine handlungsleitenden Überzeugungen mehr anzubieten, die sich nicht schon morgen in ihr Gegenteil verwandeln könnten.
Die Regierung als Repräsentationsform eines kollektiven „Schlaucherltums“, das weiß, dass es nichts zu sagen hat, dabei aber möglichst überzeugend auftreten möchte. Und schon sind wir bei den mittlerweile unüberschaubaren Malversationen einer schwarz-blau-orangen Abzockerriege, deren Praktiken sich mangels öffentlicher Gegenrede so sehr in den österreichischen Wertehaushalt eingefressen haben, dass sie mehr über die spezifischen Interpretationsformen österreichischer Normalität erzählen als von ihren Ausnahmen. Vor allem den volksnahen Medien dienen sie als unerschöpfliches Futter, das nach allen Richtungen hin ausgewalzt werden will.
Da kann der Satz „Es gilt die Unschuldsvermutung“ zur häufigst verwendeten Phrase der Berichterstattung werden, etwa wenn es darum geht, dem vormaligen Finanzminister mit besonderem Hang zu seinen „Freunderln“ in epischer Breite (wie zuletzt in der Zeitung „Österreich“) Gelegenheit zu geben, sich nochmals zur Identifikationsfigur einer ganzen Bevölkerung hochzustilisieren, der (aus Brüssel, von der Justiz, von Neidern, von den Ausländern…) jedes nur erdenkliche Unrecht erfährt. Die Regierenden schweigen. Nur nicht anstreifen, scheint die Devise, freilich um den Preis, damit die Entwertung des Politischen weiter voranzutreiben.
Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Trend, es sich in diesem politischen Vakuum irgendwie zu richten, nicht vor den Toren von Kultureinrichtungen Halt macht. Als wahrscheinlich letzter gesellschaftlicher Bereich, in dem mit Intransparenz gepaarte Grandiosität zum Strukturmerkmal gehört, ist die Gefahr naturgemäß besonders groß, sich über rechtsstaatlich verfassten Verkehrsformen zu erheben. Peter Noever und Gerald Matt kommt die zweifelhafte Ehre zu, als diesbezügliche Repräsenationsfiguren herhalten zu müssen.
A propos Kultur und Grandiosität: Wenn die Irrelevanz der Politik zu einem Charakteristikum der österreichischen Kleinstaatlichkeit geworden ist, so heißt das noch lange nicht, dass das Land nicht anderweitig punkten könnte. Immerhin ist das touristische Branding mehr denn je darauf gerichtet, Österreich als eine Kulturgroßmacht zu hypen. Das betrifft – wie wir in diesen Tagen nur zu hautnah erfahren dürfen – nicht nur die großen Kultureinrichtungen, die wesentlich zur Attrahierung eines internationalen Publikums beitragen. Es betrifft auch ausgewählte Formen der populärer kultureller Ausdrucksformen, die zumindest quantitativ mit noch vor wenigen Jahren unvorstellbaren Ausmaßen an Grandiosität zu punkten verstehen.
Als ob es darum ginge, die grassierende politische Verschlampung auf dem Boden der Realitäten in das milde Licht einer höheren Kraft von oben zu tauchen, ist es gelungen, die Umwandlung weiter Teile Wiens in einen einzigen Christkindlmarkt erfolgreich abzuschließen. Kein öffentlicher Platz, der nicht zumöbliert mit Standln aller Art die Menschen dazu einladen würde, ihre Freizeit mit Durch-die-Massen-Quälen, Waren-Aller-Art-Kauf und Punschtrinken zu verbringen. Und sie kommen in Massen, in ganzen Busladungen aus dem Umland und auch aus den Nachbarländern, um als träge Gruppen den öffentlichen Verkehr zum Erliegen zu bringen. Wehe denen, die in diesen Tagen nicht die Leidenschaft zu dieser Form der vorweihnachtlichen Eventkultur teilen. Sie bleiben im wahrsten Sinne stecken.
Wenn die Kulturtheorie darauf abzielt, dass in demokratisch verfassten Gesellschaften die kategoriale Differenz zwischen „Hochkultur“ und „Massenkultur“ zugunsten einer Vielfalt unterschiedlicher, nebeneinander her laufender kultureller Ausdrucksformen gefallen ist, dann macht ein Lokalaugenschein am Rathausplatz sicher, wohin die Reise geht: Eher nicht vom dortigen Christkindlmarkt ins gegenüberliegende Burgtheater sondern schnurstracks in die andere Richtung.
Was das konkret bedeutet, davon konnte ich mich beim jüngsten Workshop, den EDUCULT mit KulturpolitikforscherInnen aus Osteuropa und der Türkei veranstaltet hat, überzeugen. Allen Berichten war gemeinsam, dass sich die nationalen Kulturbetriebe bis dato nicht von ihrem Bedeutungsverlust, der mit dem Ende der kommunistischen Regime eingesetzt hat, erholt haben. Zu offensichtlich sind bis heute die Schwierigkeiten für den Kulturbetrieb, sich im Rahmen der jeweiligen demokratisch/kapitalistischen Entwicklungen zu behaupten und in deren Rahmen ähnlich privilegierte Stellungen zu erobern. Zahlen gefällig: Kollegin Dessy Gavrilowa aus Bulgarien berichtete, dass sich die Anzahl der TheaterbesucherInnen in ihrem Land in den letzten 15 Jahren von 5 Millionen auf eine Million reduziert haben (ob die Differenz der vier Millionen jetzt anderen kulturellen Ausdrucksformen nachgeht bzw. ob wir sie alle an einem der Christkindlmärkte finden, hat sie nicht gesagt).
Ähnliches wussten die KollegInnen aus Slowenien Vesna Copic und aus der Slowakei Zora Jaurova zu berichten. Die dortigen Kultureinrichtungen würden als weitgehend veränderungsresistent erweisen, um in der Überzeugung eines vermeintlich angestammten Existenzrechtes bislang alle Vorgaben staatlicher Kulturpolitik, den geänderten kulturellen Erwartungen ihrer Publika zu entsprechen, zurückzuweisen. Das aber würde bedeuten, dass diese Einrichtungen immer mehr „am Markt vorbei“ produzierten. Als Ergebnis würde Ihnen in weiten Teilen der Bevölkerung als altmodische, schwerfällige, aus einer früheren Epoche stammende die Legitimation öffentlicher Förderung aberkannt. Dies führe insgesamt zu einer Schwächung staatlicher Kulturpolitik, deren VertreterInnen es immer schwerer falle, sich gegenüber anderen Interessen durchzusetzen.
Exemplarisch hat dazu Asu Aksoy aus Istanbul berichtet, dass es dort in erster Linie private Akteure seien, die den Kulturbetrieb aufrechterhalten und damit den Staat in Zugzwang brächten. Entgegen vieler Stereotype, die insbesondere den islamistischen (weil potentielle fundamentalistischen) Kräften klare kulturelle Werthaltungen verteidigende Positionen zusprechen würden, erweise sich die türkische Kulturpolitik nach Aksoy (noch) als weitgehend inhaltleer und bislang nur wenig gerichtet (auch wenn es darum geht, das ottomanische Erbe zu integrieren).
Insgesamt wurde für mich aus diesen Berichten hautnah erlebbar, wie sehr sich die Bedingungen für den Kulturbetrieb in den postkommunistischen Ländern geändert haben und welche neuen Konstellationen sich in aufstrebenden Ländern wie der Türkei (als einer anderen imperialen Macht mit einem reichen kulturellen Erbe) sich kulturpolitisch auftun.
Ohne allzu vordergründige Analogieschlüsse ziehen zu wollen, machen die Berichte aus den Nachbarländern überdeutlich, dass da einiges an Veränderungsdruck auf Österreich und seiner schizophrenen Positionierung zwischen politischer Inferiorität und kultureller Suprematie zukommen könnte.
Einiger Grund also, dazu eine breite öffentliche Diskussion zu Fragen der Kulturpolitik zu eröffnen. Aber nichts da: Wie in anderen Politikfeldern hat Österreich zur Zeit kulturpolitisch nichts zu melden. Außer, wie schon gesagt; „Das ist mir ganz besonders wichtig!“.
Österreich hat ja ohnehin die großen, mit ewiger Bedeutung ausgestatten Kulturtanker, die sich bislang als über alle politischen Veränderungen hinweg als veränderungsresistent erwiesen haben. Und wenn die nichts Gscheites spielen, können die KulturpolitikerInnen die Standln der Christkindlmärkte ja nicht nur rund um die bestehende kulturelle Infrastruktur bauen sondern auch gleich in sie hinein. Frei nach Heinrich Bölls etwas in Vergessenheit geratene Erzählung „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ könnten sie dort das ganze Jahr über bespielt werden.
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