Otto, bau keinen Mist
In diesen Tagen errichtete die Magistratabteilung 48 unmittelbar hinter dem Stephansdom eine hausgroße temporäre Toilettenanlage mit der Aufschrift: „Bau keinen Mist“. Sie ist dafür gedacht, den tausenden BesucherInnen der imperialen Begräbnisfeierlichkeiten für Otto Habsburgs Erleichterung zu verschaffen, wenn sie ihren nur allzu menschlichen Bedürfnissen nachgehen.
Der Tod jedes Menschen ist ein schwer aushaltbarer Skandal und Grund zur Trauer für die Angehörigen. Wenn aber am Requiem für den Sohn des letzten Kaisers von Österreichs der amtierende Bundespräsident, die Spitze der Bundesregierung, darüber hinaus eine Vielzahl sogenannter gekrönter Häupter teilnehmen, dann kann man sich des Eindrucks eines, über den individuellen Verlust hinausweisenden symbolischen Aktes mit gesamtstaatlicher Bedeutung nicht erwehren.
Die Kirche und die Habsburger – eine unheilige Allianz
Dem stimmt auch der auch sonst medial sehr umtriebige Dompfarrer von St. Stephan Toni Faber zu, wenn er meint, mit einer solchen Inszenierung entspräche man schlicht der Natur Österreichs, die ohne das viele Jahrhunderte währende Wirken des Hauses Habsburg nicht verstanden werden könnte. Immerhin weiß sich die katholische Kirche (samt ihrem Netzwerk der europäischen Hocharistokratie, das bis heute weit in die informellen Entscheidungsorte in Österreich heínweist) gegenüber den Habsburgern nicht erst seit der Gegenreformation in besondere Weise für den Kampf um die Aufrechterhaltung ihres gesellschaftspolitischen Suprematieanspruches verpflichtet (In diesem Punkt braucht sie den historischen Vergleich mit den islamischen Fundamentalisten von heute in keiner Weise zu scheuen). Dafür darf dann schon die Pummerin für den Nachfahren des vor einigen Jahren selig gesprochenen letzten Kaisers Karl schlagen, deren tiefe Töne ansonsten führenden Repräsentanten der Republik vorbehalten bleiben.
Auch für die Konservativen des Landes scheint dieses Begräbnis von zentraler Bedeutung. Nicht nur der Boulevard sondern auch die Die Presse vom Samstag voriger Woche widmet dem Event gleich ihre ersten sechs Seiten und unterstreicht damit einmal mehr das anhaltende Fehlen von Berührungsängsten gegenüber einem Politiker, der mit dem Franco-Regime sympathisierte, sich als Nachfolger Kurt Schuschniggs zu Ende des Austrofaschismus empfahl, nach 1945 noch einmal versuchte, gegen die provisorische Bundesregierung Karl Renners die Macht an sich zu reißen und bis zu seinem Tod die Opferthese Österreichs im Kampf gegen Hitler-Deutschland vertrat.
Aber auch die Sozialdemokraten scheinen nach anhaltendem Widerstand bis in die 1970er Jahre ihre Vorbehalte gegen das Haus Habsburg aufgegeben zu haben. Wohl deshalb, weil sie die Zustimmung der Bevölkerung auf Wiedererringung politischer Funktionen in Österreich durch Otto Habsburg als vernachlässigenswert einzuschätzen gelernt haben. Also haben sie kein Problem damit, in prominenter Besetzung das medial vermarktbare symbolische Kapital eines Medienereignisses (der ORF überträgt sechs Stunden lang) zu nutzten, das ihnen wohlwollende öffentliche Präsenz verspricht.
Europa – will da jemand zurück in den „Völkerkerker“?
Auf Grund der mittlerweile aufgehobenen Habsburg-Gesetze war der letzte Kaisersohn gezwungen, sein politisches Glück als CSU-Mitglied von Bayern aus zu versuchen. Als solcher ließ er sich gerne als wegweisender Europapolitiker feiern, der – aus quasi familieninterner Kenntnis – hinreichende Herrschaftserfahrungen im Vielvölkerstaat einbringen konnte. In einer nostalgischen Verklärung feudalistisch organisierten Abhängigkeiten vieler Völker unter einem Familiengeschlecht mit Gott gegebenen Herrschaftsansprüchen fiel es seinen Anhängern nicht schwer darüber hinwegzusehen, dass der habsburgisch regierte „Vielvölkerstaat im Herzen Europas“ nicht grundlos an sein gewaltsames Ende gekommen ist und sein verhängnisvolles idelologisches Erbe den Aufbau demokratischer Verhältnisse vor allem im Nachfolgestaat Österreich nach 1918 nachhaltig erschwert hat.
Das eigentlich Alarmierende an der Affirmation des habsburgischen Europagedankens aber liegt in seiner Rückwärtsgewandtheit, der gescheiterte politische Konzepte von gestern als Gelingensbedingung für ein besseres Morgen verspricht. Und so stehen wir vor dem widersprüchlichen Befund, dass diejenigen, die jetzt Otto Habsburg als wegweisenden Europapolitiker nachtrauern, kein Problem damit haben, selbst tatkräftig mitzuhelfen, die aktuellen Integrationsbemühungen zu desavouieren, um weiter ihr nationalistisches Süppchen zu kochen.
Wenn jetzt in den Medien davon die Rede ist, dass mit dem Tod Otto Habsburgs „eine Ära endgültig an ihr Ende gekommen sei“, dann stimmt das nur bedingt. Ja, es spricht wenig dafür, dass ein Habsburger noch einmal die Herrschaft in Österreich antreten wird (davon war aber schon mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auszugehen: Der Stimmenanteil von 1,5% des Sohnes von Otto Habsburg als Spitzenkandidat der Christlich-Sozialen Allianz für das Europäische Parlament 1999 spricht eine deutliche Sprache).
Umso nachhaltiger aber zeigt die Grandiosität der Inszenierung dieses Staatsbegräbnisses die anhaltende symbolisch-kulturelle Bedeutung des vormaligen Kaiserhauses. Was den ZuseherInnen da vorige Woche geboten wurde, zeugt in erster Linie vom nach wie vor dominierenden kulturellen Selbstverständnis des Landes. Noch einmal wurde das Haus Habsburg anhand seines letzten Kronprinzen als die Instanz vorgeführt, die die wesentlichen Grundlagen für die kulturelle Infrastruktur des Landes gelegt hat.
In England und Monaco wird geheiratet, in Österreich wird gestorben.
Und in der Tat: So wird Österreich bis heute international wahrgenommen: Als Land der barocken Prachtentfaltung und der imperialen Kunst- und Kulturbauten aus dem Geist einer vordemokratischen Ära. Das sind die Attribute, um die uns das Ausland beneidet. Und so spricht vieles für die Annahme des US-amerikanischen Historikers John W- Boyers, das Begräbnis könnte sich als „ein Geschenk Gottes an die Tourismusindustrie“ erweisen, freilich um den Preis der Aufrechterhaltung eines klischierten Österreichbildes, das zumindest einige VertreterInnen der österreichischen Kulturpolitik bislang vergeblich versucht haben, auf nachhaltige Weise zu unterlaufen (Dabei entspricht es einem weiteren Klischee, dass sich England und Monaco jüngst mit aristokratischen Hochzeiten mit dem zugehörigen Versprechen auf eine bessere Zukunft aufwendig medial zu präsentieren vermochten, während österreichischen Tourismusmanagern einmal mehr die Aufgabe zufällt, eine prächtige Rückschau, diesmal in Form eines Begräbnisses tourismuswirksam zu vermarkten).
Angesichts der anhaltenden Kraft des habsburgischen Kulturmythos scheint es nur konsequent, dass hinter dieser habsburgisch-geprägten Fassade kulturelle Repräsentationsformen, die den demokratischen Errungenschaften eines republikanischen Staatswesen Ausdruck geben, bestenfalls auf Nebenschauplätzen verhandelt werden.
Und wo bleiben die kraftvollen Symbole einer demokratischen Kultur?
Und so lässt sich der republikanische Geist der Demokratie Österreich, jedenfalls in seinen symbolisch-kulturellen Ausformungen nur sehr schwer auf seinen Wahrheitsgehalt prüfen, wenn der Bundespräsident der Republik Österreich bis heute den Amtseid der Bundesregierung und anderen führender Funktionsträgen in den ehemaligen Schlafräumen der Kaiserin Maria Theresia abnimmt. Und es fällt uns nicht einmal mehr auf, dass die wesentlichen bildungspolitischen Entscheidungen nach wie vor im „Audienzsaal“ des Palais Starhemberg (einer der Familienmitglieder Ernst Rüdiger Starhemberg beteiligte sich als führender Heimwehrführer der Zwischenkriegszeit am Kampf gegen die Demokratie) diskutiert werden, in dem das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur seinen Sitz hat.
Zugegeben, die Familie Habsburg hat sich zuletzt nicht der Zuschreibung der Urheberschaft des großen kulturellen Erbes Österreichs begnügt. So ist die Ehefrau Karl Habsburgs Francesca, geborene Thyssen-Bornemisza mittlerweile auch ins Geschäft mit zeitgenössischer Kunst eingestiegen und bringt mit Aktionen wie gegenwärtig „The Morning Line“ auf dem Wiener Schwarzenbergplatz die örtlichen KulturpolitikerInnen gehörig unter Zugzwang.
Und so ist zu vermuten, dass die Wirkungen dieses Staatsaktes zu aller erst kulturpolitisch zu interpretieren sind; als ein weiterer Versuch der weiteren Verfestigung eines kulturell-konservativen Hegemonieanspruches, dem es gelingt, eines auf den demokratischen Errungenschaften basierende Kulturpolitik in die Schranken zu weisen.
Kunst- und Kulturberichte 2010 – Die Prioritäten sind klar.
Von all diesen kulturkämpferischen Auseinandersetzungen findet sich freilich nichts in den aktuell veröffentlichten Kunst- und Kulturberichten des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur für das Jahr 2010. In mittlerweile bewährter gesellschaftspolitischer Bescheidenheit beschränken sich die Informationen auf die Behauptung kontinuierlicher Entwicklungen im Kunst- und Kulturbereich und machen gerade dadurch deutlich, dass sich ein Gutteil der kulturpolitischen Bemühungen auf die Verwaltung des (in der Habsburg Monarchie geschaffenen) kulturellen Erbes konzentriert. In Zahlen ausgedrückt, macht der Anteil für diese Einrichtungen rund 330 Mio aus, während die aktuelle Kunstproduktion mit rund einem Viertel der Mittel (87 Mio) auszukommen hatte.
Im Begleittext zur Veröffentlichung der beiden Berichte betont das bmukk in der ihr eigen gewordenen Marketingsprache nochmals den Willen zur „Stärkung der Teilhabe der Bevölkerung an den Kultur-Angeboten“. Es handelt sich dabei um die Prolongierung einer zentralen kulturpolitischen Forderung aus den 1970er Jahren „Kultur für alle“, in der Annahme, sukzessive alle Menschen mit dem öffentlich geförderten Kunst- und Kulturangebot vertraut machen zu können.
Dass dieser – trotz Einführung einer Reihe einschlägiger kulturpolitischer Maßnahmen – bislang kein nachhaltiger Erfolg beschieden war, ist nicht Gegenstand von Überlegungen. Die kulturpolitische Bedeutung des Begräbnisses von Otto Habsburg könnte immerhin die Frage aufwerfen, ob die Teilnahme an jeder kulturellen Aktivität – zumindest politisch – in gleicher Weise wünschenswert und daher aus der Sicht des Staates förderungswürdig erscheint.
Wenn der Staat damit deutlich macht, dass er inhaltlich dabei ist abzudanken so legen die Daten darüber hinaus nahe, dass sich staatliche Kulturpolitik zuletzt auf ein bestimmtes Set an kulturellen Ausdrucksmitteln festgelegt hat, von denen anzunehmen ist, dass diese immer weniger die kulturellen Dispositionen weiter Teile der Bevölkerung berühren. Das wird vor allem dort deutlich, wo beide Berichte weder die zunehmende Bedeutung der demographischen Veränderungen ansprechen noch die anhaltende digitale Revolution, die dabei ist, die bislang herrschenden kulturellen Produktions- ebenso wie die Rezeptionweisen von Grund auf zu verändern.
Viel Geld für das Habsburg-Begräbnis, wenig für die Freie Szene
Der Staat hat sich bereit erklärt, beträchtliche Mittel für die Feierlichkeiten rund um das Begräbnis von Otto Habsburg zur Verfügung zu stellen. Trotz seiner beträchtlichen Bedeutung für die kulturelle Selbstdarstellung des Landes werden diese aller Voraussicht im Kulturbericht 2011 nicht ausgewiesen werden, sodass über ihre Höhe nur vage Vermutungen angestellt werden können.
In jedem Fall ist anzunehmen, dass sie ein Vielfaches von dem ausmachen, was die IG Kultur mit ihrer aktuellen Kampagne „Fair Pay“ für die Honorierung der Aktivitäten im Bereich der freien Kulturarbeit fordert, die in den letzten Jahren an einem unübersehbaren Desinteresse staatlicher Kulturpolitik leidet. Über die Gründe des aktuellen Bedeutungsverlustes für eine Kulturpolitik, die sich verbal demokratischer Errungenschaften, Verbesserung der Zugangschancen, Partizipation und Mitwirkung verpflichtet hat, kann man nur spekulieren.
Diese Form der Negierung ist umso bedauerlicher, als die vielfältigen Initiativen der Freien Szene Zeugnis für ein, auf demokratischen Grundlagen beruhendes kulturelles Leben abgeben. Aber vielleicht liegt es daran, dass sich ihre Intentionen weniger auf die Beschwörung einer besseren Vergangenheit als auf die schwierige Ausverhandlung einer besseren Zukunft richten. Als solche stellten sie einen wichtigen Beitrag für die Überwindung des Bildes einer überkommenen Kulturlandes von Habsburgs Gnaden dar.
Otto Habsburg möge in der Kapuzinergruft in Frieden ruhen. Uns von all dem Mist zu erleichtern, den seine Familie in Jahrhunderten wider ein republikanisches Selbstverständis österreichischer Kulturpolitik angerichtet hat, wird es méhr als das Aufstellen einer Anlage der MA 48 bedürfen. Aber eine gemeinsame Anstrengung könnte uns nachhaltige Erleichterung bereiten.
Erschienen: Michael Wimmer „Kultur und Demokratie – Systematische Darstellung der österreichischen Kulturpolitik“
Und jetzt noch ein Hinweis in eigener Sache. Allen, die sich mit Fragen der österreichischen Kulturpolitik intensiver auseinandersetzen möchten, sei mitgeteilt, dass in diesen Tagen der Band Michael Wimmer „Kultur und Demokratie – Eine systematische Darstellung der österreichischen Kulturpolitik“ im Innsbrucker Studienverlag herausgekommen. Ich habe dort u. a. versucht, die spezifischen Entstehensbedingungen österreichischer Kulturpolitik, wofür das Habsburg-Begräbnis noch einmal symbolisch-beredt Ausdruck gibt, nachzuzeichnen.
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