Ein Kulturbetrieb für die Kunst oder ein Kulturbetrieb für die Menschen
In seiner lesenswerten Studie „Musicking“ geht der neuseeländische Musiklehrer, Chorleiter und Komponist Christopher Small der Frage nach der Bedeutung von Musik in der Gesellschaft nach. Darin geht er von der These aus, dass man nicht wirklich über „Musik“ als etwas in sich Abgeschlossenes und damit für sich Stehendes sprechen kann. Mit diesem Ansatz, Musik in den gesellschaftlichen Verhältnissen zu verankern, war er mir bei meinem Bemühen, mich selbst im Musikgeschehen zu verorten, eine große Argumentationshilfe.
In seinen Überlegungen beschreibt er „Musik“ als Prozess, der es Menschen ermöglicht, miteinander zu kommunizieren: „There is no such thing as music. Music is not a thing at all but an activity, something that people do. The apparent thing ›music‹ is a figment, an abstraction of the action, whose reality vanishes as soon as we examine it at all closely.” Was Menschen machen, wenn sie in eine Beziehung zu Musik treten, das nennt Small „to music”, damit spricht er von etwas, was weit über „to make music“ oder- in seiner deutschsprachigen Entsprechung – „musizieren“ hinausreicht.
Eine solche Sicht auf Musik bricht sich freilich fundamental an einem (klassischen) Musikbetrieb, der seit über hundert Jahren das musikalische Werk zum Maß aller Dinge erklärt hat. In seinen Settings bleibt es einer säkularen Priesterkaste vorbehalten, Hand an dieses Werk zulegen, es zum Klingen zu bringen, während alle anderen auf die stumme Rolle von Zuhörer*innen verwiesen sind. Small aber möchte alle, nicht nur die Musiker*innen in den Act des „musickings“ mitdenken und einbeziehen.
Um den nach wie vor vorherrschenden kategorialen Unterschied zwischen Ausführenden und Publikum auch räumlich deutlich zu machen, hat der Kulturbetrieb eine strenge architektonische Trennung vorgenommen. Diese stellt sicher, dass beide Seiten einander physisch tunlichst nicht begegnen. Ihre gegenseitige Wahrnehmung beschränkt sich auf den Blickkontakt über die unübersteigbare Bühnenrampe hinweg. Sie soll sicherstellen, dass die beiden Akteur*innengruppen einander nicht zu nahekommen. Selbst für das Betreten und Verlassen des Gebäudes, in dem „Musik“ stattfindet, sind unterschiedliche Ein- und Ausgänge vorgesehen; Künstler*innen und Nicht-Künstler*innen sollen dauerhaft auf Distanz gehalten werden, um so den unterschiedlichen Zugang zu Musik zu betonen….
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Bild: Aufnahme vom “Mittendrin” Konzert im Berliner Konzerthaus
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