Sie säen Angst vor Flüchtlingen und ernten die Dritte Republik
Die jüngsten Wahlergebnisse in den Bundesländern Steiermark und Oberösterreich berichten von einem sich verfestigenden Trend. Während die ehemaligen staatstragenden Großparteien SPÖ und ÖVP in beiden Bundesländern gemeinsam je rund 18% der Wählerstimmen verlieren, gewinnt die Protestpartei FPÖ 16% dazu. Die Ausgangslage scheint ziemlich egal zu sein: Während es in der Steiermark die regierenden Sozialdemokraten traf, so waren es in Oberösterreich die regierenden Konservativen, die die schwerste Niederlage ihrer Geschichte zu verzeichnen hatten. Während man aber die Ursachen in der Steiermark auf die Missbilligung einer regionalen Verwaltungsreform samt Einsparungen durch die WählerInnen zurückgeführt hat, meinte man bei der Interpretation des oberösterreichischen Wahlergebnisses auf eine Auseinandersetzung um politische Fehler im Land gleich ganz verzichten zu können. „Die europäische Flüchtlingswelle hat uns einfach überrollt“, meinte Landeshauptmann Joseph Pühringer, und die FPÖ habe es halt verstanden, auf dieser Welle am besten zu surfen. Da half auch nichts, dass Pühringer noch in den letzten Tagen vor der Wahl mit Abwehr-Bekenntnissen auf den herrschenden Anti-Flüchtlinge-Trend aufzuspringen versuchte; da war der bislang sakrosankt geglaubte Führungsanspruch seiner konservativen Partei in einem der wohlhabendsten Bundesländer Österreichs bereits verloren.
Die politischen Selbstimmunisierer am Ende
Die rasche Uminterpretation des Wahlergebnisses zu einer Volksabstimmung über das europäische Flüchtlingsproblem als politische „Selbstimmunisierungsstrategie“ lässt nur allzu leicht den Umstand aus dem Blick geraten, dass wir es hier mit keiner neuen Entwicklung zu tun haben, sondern mit der Radikalisierung eben dieser. Immerhin ist es bereits rund 30 Jahre her, dass die FPÖ damals mit dem jungen Jörg Haider an der Spitze angetreten war, die beispiellose Erfolgsgeschichte der beiden Großparteien in Frage zu stellen und eine „Dritte Republik“ auszurufen. Folgt man Michael Fleischhackers Analyse, dann ist diese mit dem oberösterreichischen Wahlergebnis nicht nur herbeigeredet, sondern in Kraft getreten. „Willkommen in der dritten Republik“, ruft er uns in einem Kommentar für die NZZ zu. Er macht darin deutlich, dass es dem politischen Establishment in all den Jahren nicht gelungen sei, eine wirksame Antwort auf die rechtspopulistische Herausforderung zu finden.
Da half es nichts, dass politische Analysten seit vielen Jahren versuchen, dem Begriff der „Dritten Republik“ nicht nur eine zerstörerische, sondern eine perspektivische Seite abzugewinnen (siehe dazu z.B. den Kommentar des Generalsekretärs des Österreichischen Zukunftsfonds Herwig Hösele „Kommt die 3. Republik“ bereits aus dem Jahr 2007, in dem er schon damals die wichtigsten Elemente für einen überfälligen Umbau der Institutionenarchitektur der Zweiten Republik benannt hat. Auf einen aktuellen Vorschlag zur Institutionenreform habe ich bereits im letzten Blog hingewiesen, wenn Maria Weisband in ihrem Beitrag in der Presse „Die Klugheit der Vielen“ Möglichkeiten aufzeigt, das System der repräsentativen Demokratie um neue Formen der (digital unterstützten) direkten Demokratie zu ergänzen ohne in die Falle der FPÖ-Forderungen nach „mehr Volksabstimmungen“ zu tappen.
Wien und die Willkommenskultur
Diese prinzipielle Reformunwilligkeit gilt auch für die Bundeshauptstadt Wien, in der in wenigen Tagen Landtags- und Gemeinderatswahlen stattfinden. Im Unterschied zu den beiden anderen Bundesländern besteht die besondere Ausgangslage darin, dass im traditionell roten Wien das konservative Elektorat zur Bedeutungslosigkeit verkommen ist und so die Sozialdemokraten als einzig verbliebene Großpartei die Wahl zu einem Alleingang im Endkampf gegen die FPÖ hochstilisieren. (Aufgrund eines rigiden Ausländerwahlrechts können sie sich dabei nicht der Stimmen von rund 25% der Wiener Bevölkerung bedienen, die als Neuzuwanderer nicht stimmberechtigt sind, sehr wohl aber die Konsequenzen des Wahlausgangs zu tragen haben.)
Dazu gehört auch, dass die Stadt Wien als eine der weltweit am besten verwalteten Großstädte gilt und als besonders lebenswerter Ort eingeschätzt wird. Eigentlich erstaunlich, wenn auch hier die jüngsten Umfragen zeigen, dass die FPÖ – dem allgemeinen Trend folgend – drauf und dran ist, das Ruder in der Stadt zu übernehmen.
Eine weitere Besonderheit in diesem Wiener Wahlkampf besteht darin, dass sich die SPÖ mit ihrem Bürgermeister Michael Häupl an der Spitze als einziges österreichisches Bundesland deutlich für eine „Willkommenskultur“ gegenüber Flüchtlingen ausgesprochen hat und diese mit vielfältigen Maßnahmen wie die Beherbergung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingskindern symbolisch unterstreicht. Sie positioniert sich damit als eine klare Alternative gegenüber den hetzerisch-ausländerfeindlichen Parolen der FPÖ.
Massiv unterstützt wurde diese Entscheidung voriges Wochenende von einer Großdemonstration und einem anschließenden Konzert „Voices for Refugees“, an denen insgesamt weit mehr als 100 000 Menschen teilgenommen haben. Es war dies ein mehr als beindruckendes Lebenszeichen eines zivilgesellschaftlichen Engagements, das für sich beansprucht, die Fahne der Humanität und des unteilbaren Rechtes auf Hilfe und Schutz in lebensbedrohlicher Situation aufrechtzuerhalten.
Über das Offensichtlichwerden eines neuen Verhältnisses zwischen Staat und Zivilgesellschaft
Zur symbolischen Sichtbarkeit kam hier eine sehr grundsätzliche Verlagerung eines gesellschaftlichen Kräftespiels: Während die politische Klasse sich angesichts der wachsenden Flüchtlingsströme, die seit dem Sommer auch über Österreich ziehen, in einem unproduktiven Gezänk verlor, war es die Zivilgesellschaft, die von Anfang an Hand angelegt hat, wenn es darum ging, den Flüchtlingen zu helfen und sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Es war als hätte die Zivilgesellschaft hier einen öffentlichen Auftrag übernommen, den zu leisten der Staat immer weniger in der Lage zu sein schien.
Und so war es wohl kein Zufall, dass die VertreterInnen der politischen Parteien im Rahmen der Demonstration auf ihre Rolle als einfache BürgerInnen verwiesen waren und es dem amtierenden Bundespräsident Heinz Fischer vorbehalten blieb, im Rahmen des Konzerts mit einer berührenden Rede die Erinnerung an eine scheinbar bessere politische Zeit wachzuhalten.
Vielleicht war das bislang der sichtbarste Beleg für eine sehr generelle Kräfteverschiebung, die sich als fundamentales Misstrauen der WählerInnen gegenüber etablierter Politik äußert. In ihrer lesenswerten Analyse zur Geschichte der „Autonomie – Eine Verteidigung“ kommen der Soziologe Harald Welzer und der Philosoph Michael Pauen zum Schluss, dass sich die mit der Moderne freigesetzten Individualisierungstendenzen zunehmend an den Rigiditäten der bestehenden politischen Systeme reiben würden. In dem Maß, in dem der Wunsch nach Selbststeuerung und die Bereitschaft zu individueller Verantwortung steigen würde, schwächt dieser einen politischen Vertretungsanspruch; umso mehr, als dieser immer deutlicher zeigt, dass seine Lösungskompetenz der wachsenden Komplexität der gesellschaftlichen Verfasstheit immer weniger gewachsen ist.
Zwei fundamental entgegen gesetzte Antworten zeichnen sich ab: Die eine besteht in einem „klugen Verhalten“ des Staates, der angesichts der eigenen Grenzen zu neuen Formen der Kooperation mit der Zivilgesellschaft findet und dabei noch einmal die Kraft entwickelt, sich von Grund auf zu erneuern. Trotz des hohen Aufwands zur Realisierung der ersten erscheint mir die zweite Antwort noch gefährlicher. Sie besteht im Wesentlichen im Zuwarten, bis die weitere Politisierung der niedrigsten Instinkte vor allem der aktuellen KrisenverliererInnen das weitgehend marod und kraftlos gewordene herrschende politische System endgültig zusammen brechen lässt. Das Ergebnis: Weitere Polarisierungen, Unregierbarkeit, Autoritarismus, u.v.m. Spätestens mit dem Wahlausgang in Oberösterreich wissen wir, dass das passieren wird – wenn nichts geschieht. Mit „Voices for Refugees“ wissen wir aber auch, dass es dafür eine Alternative gibt.
Kultur ist Kultur ist Kultur: Zur ewigen Wiederkehr der Veranstaltung „Kultur für alle?!“
Kurz berichten möchte ich auch noch von einer Veranstaltung der österreichischen Kulturpolitischen Gesellschaft mit dem wenig originellen Titel „Kultur für alle?!“. Zu Wort kamen dort der langjährige Direktor des Theaters der Jugend Thomas Birkmeir, die neue Chefin des Volkstheaters Anna Badora und die amtierende Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Letztere zog sich tapfer aus Affäre, wenn es darum ging, die Trennung der zuletzt gemeinsam verantworteten Kompetenzen für Unterricht, Kunst und Kultur als kontinuierliche Bemühungen zugunsten von Kunst und Kultur in der Schule erscheinen zu lassen: Es gäbe ja ohnehin eine Reihe von Aktivitäten, vor allem den freien Eintritt für Jugendliche bis 19 Jahre in die Bundesmuseen; Konzepte hingegen zugunsten einer Gesamtstrategie, die gibt es nicht und offensichtlich gehen sie auch niemandem ab.
Anna Badora gab einen Eindruck ihres engagierten Bemühens, mit dem Volkstheater ein neues Publikum erreichen zu wollen. Sie bezog sich dabei auf eine Reihe einschlägiger Vorerfahrungen, sowohl in Polen als auch in Graz bzw. in der Steiermark und vermittelte darüber hinaus den quirlig-überzeugenden Eindruck, dass sie mit Menschen ganz unterschiedlicher Hintergründe sehr konkret etwas zu tun haben möchte und sich einiges Neues einfallen lassen wird, um diese für die Sache des Theaters zu interessieren.
Die Kultur „des Türken“ oder ein kleiner Grundkurs zum überfälligen Entlernen kultureller Zuschreibungen
Hängen geblieben bin ich bei der einen oder anderen Aussage Direktor Birkmeirs, der immer wieder auf die Gefahr von rechts bzw. der Rattenfängerei der FPÖ und ihres Hauptprotagonisten hinwies. In seiner Einschätzung seines Publikums wurde deutlich, wie eine ungenügende Subventionsausstattung dazu führt, dass sich die jungen BesucherInnen seines Hauses auf Grund der steigenden Abonnement-Preise immer mehr auf solche mit wohlhabendem Familienhintergrund verengen.
Darüber hinaus brachte er aber auch bewährte ethnisch-kulturelle Zuschreibungen ins Spiel, wenn er mehrfach darauf hinwies, dass „der Türke“ besondere Anpassungsprobleme (und damit falsches Zuschauerverhalten) mit sich bringen würde, während sich „die Asiaten“ als wesentlich anpassungsfähiger, aufgeschlossener und wissbegieriger erweisen würden. Spätestens mit der Frage Anna Badoras, was „wir“ angesichts der wachsenden Flüchtlingsströme unbedingt verteidigen sollten bzw. worauf sich künftig so etwas wie eine Identität beziehen solle, wurde mir die gefährliche Tragweite einer solchen Publikumseinschätzung bewusst.
Abgesehen, dass ich es ungern hätte, wenn – dem Beispiel Birkmeirs folgend – z.B. ein französischer Theaterregisseur „den Österreicher“ (damit mich inkludierend) als hetzerisch und xenophob charakterisiert, liegt hier ein klassischer Fall einer falschen Kulturalisierung vor. Als politischer Kopf meint Birkmeir offenbar, mit einer generalisierenden Zuschreibung kultureller Besonderheiten bestimmte Gruppen von Menschen bezeichnen zu können. In seiner platten Gegenüberstellung eben dieser verweist er auf andere, als „unsere“ apostrophierten kulturellen Besonderheiten, die es gegen erstere zu verteidigen gälte. Er meint damit aber nicht Bräuche wie Schuhplatteln oder Zum-Heurigen-Gehen sondern politische Grundwerte wie Demokratie, Menschenrechte oder Geschlechterparität.
Hoch die internationale Entkulturalisierung!
Letztere aber – und das wäre meine Gegenposition – stellen keine (und seien es europäische) kulturellen Besonderheiten dar. Bei ihnen handelt es sich zuallererst um zivilisatorische Errungenschaften, die entweder universelle oder gar keine Gültigkeit haben. Ihre besondere Qualität besteht ja gerade darin, sich von ihren jeweiligen kulturellen Kontexten befreit zu haben. Die pauschale Unterstellung, „der Türke“ verfüge auf Grund seiner ethnischen/kulturellen/religiösen Besonderheit über diese Werte nicht bzw. müsste diese erst in einem aufwendigen Verfahren von „uns“ lernen ist zutiefst diskriminierend und betreibt unmittelbar das Geschäft von Strache und Co. Es ist darüber hinaus politisch falsch, wenn es mittlerweile in wohl allen Gesellschaften (nicht nur in der türkischen) Menschen gibt, die sich für die Realisierung eben dieser Grundwerte (oft gegen massiven Widerstand) einsetzen und wir gut beraten sind, diese zur Aufrechterhaltung von Humanität und Menschenrechten angesichts zunehmend bedrohlicher Zukunftsszenarien als Bündnispartner zu gewinnen.
Es war bislang der FPÖ vorbehalten, mit kulturellen Zuschreibungen Politik zu machen. Dass dieses Geschäft nunmehr auch von denjenigen (in einem politischen Forum) betrieben wird, die vorgeben, sich den Volksverhetzern in den Weg zu stellen, sollte uns zu denken geben. Einmal mehr offensichtlich wird hier die Gefährlichkeit des kulturellen Diskurses, der vermeint, politisch das Richtige tun zu wollen und dabei die selektive Funktion jeglicher kultureller Zuschreibung negiert.
Da sehe ich übrigens auch eine Gefahr bei einer nachhaltigen Einschätzung von „Voices for Refugees“. So überwältigend und stärkend der Eindruck von diesem Konzert war, könnte uns schon der Ausgang der Wiener Wahl wenige Tage darauf auf den Boden der Realitäten zurückholen: Jedenfalls wird der Tag kommen, an dem angesichts der weitgehend kulturfreien Rache der Modernisierungsverlierer schon mal das gemeinschaftliche Singen und Musizieren vergehen könnte. Spätestens dann sollten wir über neue politische Konzepte nachdenken. Die Dritte Republik kommt, so oder so.
P.S.: All denjenigen, die nicht hinnehmen wollen, dass „Menschen so bleiben wie sie sind“ (siehe dazu auch das Buch von Marco Maurer „Du bleibst, was du bist – Warum bei uns immer noch die soziale Herkunft zählt“) empfehle ich, in das Radiofeature „Mein ungerechtes Land. Bildungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten: Warum in Deutschland noch immer die soziale Herkunft zählt. Feature von Marco Maurer (BR 2015)" hineinzuhören.
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