Stehen wir am Beginn eines partizipativen Zeitalters? (Miessen)
Kultureinrichtungen gehen neuerdings auf bislang abseitsstehende Zielgruppen zu und entwickeln Outdoor-Programme am Stadtrand. Ihre Absicht ist es, bei den lokalen Bewohner*innen Hemmschwellen abzubauen und sie für das eigene Programmangebot zu interessieren.
Im Rahmen dieser Bemühungen ist gern von „Partizipation“ die Rede. Keine Kunst- und Kulturvermittlungsinitiative, kein Programm der kulturellen Bildung, die nicht „kulturelle Partizipation“ verspricht.
Was heißt denn überhaupt „Partizipation“?
Bei allen Versuchen, den Begriff der Partizipation auch nur halbwegs stringent zu fassen, stellt sich bald Ernüchterung ein. Es werden mittlerweile so viele Handlungsoptionen damit verbunden, dass wir mit seiner beliebigen Verwendung irgendwann aufgeben zu erfahren, was wirklich Sache ist. Also müssen wir uns damit anfreunden, dass seine Verwendung mehr über den*die Sprecher*in erzählt als über das, was konkret bezeichnet werden soll. Und so wird schon mal der Besuch klassischer Theater- oder Konzertveranstaltungen gleichermaßen unter Partizipation subsummiert wie die Involvierung in interventionistische Kunstformen oder die aktive Mitwirkung an gemeinsamen Aufführungspraxen. Die Einbeziehung in kulturpolitische Entscheidungsprozesse hingegen bleibt – mit wenigen Ausnahmen in der Diskussion rund um Cultural Governance – gern außerhalb der Vorstellungskraft.
Von jemandem etwas abbekommen, was man selbst nicht hat
Geht es nach einem umgangssprachlichen Verständnis dann bezeichnet „partizipieren“ vor allem den Versuch, von jemandem etwas abzubekommen, was man selbst nicht hat. So einfach, so klar. Das würde – übersetzt in die Sprache des Kulturbetriebs – bedeuten, dass Partizipation den Willen bezeichnet, sich von einer Kultur etwas anzueignen, das andere haben und man selbst nicht. Eine solche Sichtweise setzt freilich voraus, dass da eine Gruppe der Gesellschaft über Kultur verfügt, während alle anderen sich erst einmal der Mühe unterziehen müssen, an diese heranzukommen. Eine solche Verwendung des Begriffs bedingt zudem die Vorstellung eines statischen Kulturbegriffs, der in Gestalt eines ausgewählten Sets an mehr oder weniger manifesten symbolischen Ausdrucksformen von einer kleinen Gruppe okkupiert wird, während er für alle anderen unerreichbar bleibt.
Eine solche Vorstellung von Partizipation spiegelt sich in weiten Teilen des Kulturbetriebs wider. Dieser wird mit seinem immer gleichen Programmangebot ungebrochen von einem kleinen Teil der Gesellschaft als der ihre angesehen. Der größere Teil der Bevölkerung hingegen bleibt davon weitgehend unbetroffen und entscheidet sich nur selten dafür, auch etwas davon abbekommen zu wollen. Nur allzu selten versammeln sich Menschen außerhalb der Blase des Kulturbetriebs vor seinen Toren und begehren nach Einlass. Ihr innerer (und wohl auch äußerer) Antrieb, im Sinne der Kultureinrichtungen partizipieren zu wollen, ist – vorsichtig gesagt – enden wollend. Also macht sich mittlerweile eine Schar an Kunst- und Kulturvermittler*innen auf den Weg zu ihnen, um – siehe oben – all den Menschen am Stadtrand, die nicht von alleine in die heiligen Hallen der Kultur kommen wollen per Outreach ihr kulturelles Glück aufzuzwingen. Sie alle sind geprägt vom Impetus, die von ihnen verwaltete Kultur solle für alle gleichermaßen verfügbar sein bzw. alle sollen an ihr in gleicher Weise partizipieren können. Immerhin wurde rund um das traditionelle Kulturangebot zuletzt eine Vielfalt von Bildungs- und Vermittlungsinitiativen eingeführt. Sie erproben neue Möglichkeiten der Kommunikation bzw. Interaktion und hoffen damit auch Menschen erreichen, die von sich aus nie auf die Idee gekommen wären, die dort verhandelten kulturellen Praktiken hätten etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun……
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Bild: Regionalkonferenz Gütersloh ©Mehr Demokratie(flickr) CC BY 2.0
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