Über die alte Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich und die neue Lustigkeit der Wissenschaftsvermittlung
Seit einiger Zeit macht das österreichische Wissenschafts-Kabarett „Science Busters“ – nach eigenen Angaben die „uneingeschränkt schärfste Science Boy-Group der Milchstrasse“ – von sich reden. Die drei Herren Puntigam, Oberhummer und Gruber füllen mit ihren Wissenschaftsvermittlungsprogrammen das Rabenhof-Theater in Wien und werden als mediale Experten gehypt, sei es ihren Senf abzugeben, wenn Felix Baumgartner seinen Stratosphären-Sprung für red bull vermarktet (siehe YouTube) oder Menschen in der Kälte des Winters (siehe YouTube) zu erfrieren drohen.
Unter dem Motto: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ geht es lustig zu, wenn alle möglichen Formen eines überkommenen religiösen Wunderglaubens mit unmittelbar einleuchtenden Experimenten ad absurdum geführt werden (siehe YouTube). Stutzig bin ich geworden, als einem der drei „Busters“, Werner Gruber, im Verlauf eines Radio-Interviews im Cafe-Sonntag kein Klischee zu blöd war, sein Metier der technisch geleiteten Naturwissenschaften gegen sozial- und kulturwissenschaftliche Wissensproduktion auszuspielen. Seither kann ich der Frage nicht mehr entkommen, ob dieser Versuch, mit (klein-)künstlerischen Mitteln ein sich Schenkel klopfend artikulierendes Interesse einer breiten Bevölkerung für naturwissenschaftliche Fragen zu wecken, nicht gleichzeitig eine, von schillernden physikalischen Versuchsanordnungen unbeeindruckbare Wissenschaftsfeindlichkeit bedient, die tiefer geht als das Unwissen darüber, dass eine bestimmte Menge an flüssigem Stickstoff ein geringeres Volumen einnimmt als dieselbe im gasförmigen Zustand (und diese Erkenntnis für die Konstruktion eines Geschoßes zu nutzen, mit dem man lustig aufeinander losgehen kann).
Wissenschaft und Kunst auf einem gemeinsamen Weg
Dass Wissensvermittlung im Bereich der Physik nicht nur auf „hardcore“ Basis funktioniert, beweisen in diesen Tagen Anton Zeilinger und sein Team. Sie waren von der Leiterin der documenta 13 Carolyn Christov-Bakargiev im Sommer letzten Jahres eingeladen worden, „Dinge zu zeigen, die mit dem Verstand nicht zu fassen sind“. Zeilinger verglich seine Installation mit zweieiigen Zwillingen, die Quantenphysik und Kunst einander annähern lassen. Immerhin gäbe es eine grundlegende Gemeinsamkeit von Wissenschaft und Kunst, die darin bestehe, „dem Menschen einen Weg zu ebnen, sich der Wirklichkeit zu nähern“.
Zeilingers Experiment wird zurzeit in der Wiener Galerie Ulysses wiederholt. Ihr Leiter John Sailer führte den Gedanken des Physikers weiter, wenn er anlässlich der Eröffnung meinte, „die Unterschiede zwischen Maschinen und Kunst (wären) manchmal nur undeutlich erkennbar“ und belegte dies mit Beispielen aus der Antike, etwa dem Trojanischen Pferd, das für ihnen ebenso als Maschine als auch als ein Kunstwerk „funktioniert“ habe.
Während Zeilinger neue Formen der Interdisziplinarität zwischen Naturwissenschaft und Kunst erprobt, die ihre Entsprechung in der zunehmenden Komplexität von Welterfahrung finden, können sich die Programme der Science Busters auf pragmatischere Defizite beziehen. Sie bestehen schlicht in dem Umstand, dass sich immer weniger Menschen für technisch-naturwissenschaftliche Fragen interessieren.
Das zeigt sich auch und gerade im Rahmen eines schulischen Unterrichts, wenn immer weniger junge Menschen im Bereich der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Information, Naturwissenschaften und Technik) für so attraktiv halten, dass sie sich in der Folge eine entsprechende Berufslaufbahn vorstellen können. Diese schulsystemische Schwäche hat zuletzt auch die Industriellen-Vereinigung (iv) auf den Plan gerufen, die um ihren gut ausgebildeten und motivierten Nachwuchs fürchtet. In einem ersten Schritt beauftragte sie den Klagenfurter Erziehungswissenschafter Konrad Krainer mit der Ausarbeitung neuer „Entwicklungslinien für einen innovativen MINT-Unterricht in Österreich“.
Naturwissenschaftliche Wissensvermittlung und ihr kultureller Kontext
Auf faszinierende Weise kommt er zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen wie Anton Zeilinger, wenn er empfiehlt, den technisch-naturwissenschaftlichen Unterricht „kulturell anzureichern“, um auf diese Weise die Vermittlung des spezifischen Fachwissens mit der kulturell geprägten Welterfahrung der SchülerInnen in ein stimulierendes Interesse und Neugierde stiftendes Verhältnis zu setzen.
Ganz offensichtlich setzt auch Krainer auf eine lange, vergessene Tradition der Gemeinsamkeiten von Wissenschaft und Kunst, die ursprünglich im Begriff des „ingeniums“ repräsentiert war (um im Laufe der wachsenden Arbeitsteilung und damit verbundenen Abgrenzungsbedürfnissen der Moderne sukzessive abhanden zu kommen), wenn er in seiner Präsentation einer neuen Unterrichts auf ein handlungsleitendes Zitat von Albert Einstein verweist: „Das schönste Erlebnis ist die Begegnung mit dem Geheimnisvollen. Sie ist der Ursprung der wahren Kunst und Wissenschaft. Wer nie diese Erfahrung gemacht hat, wer keiner Begeisterung fähig ist und nicht starr vor Staunen dastehen kann, ist so gut wie tot: Seine Augen sind geschlossen“.
Im Gegensatz zu den Dominanzphantasien der Science Busters, die noch einmal eine Dominanz technisch-naturwissenschaftlichen Denkens herbeilachen machen wollen, äußert sich anhand der Versuche von Zeilinger und Krainer ein Neuverständnis des Zusammenwirkens verschiedener, „harter“ ebenso wie „weicher“ Wissenschaftsdisziplinen, die zusammen mit Kunst Welterfahrung reicher und umfassender machen kann, als jede für sich allein.
Diesen Bemühungen im Wege steht freilich ein nachhaltiger Verlust der Einflussnahme der Kultur- und Sozialwissenschaften auf die Interpretation der gesellschaftlichen Zustände und damit auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die nicht erst mit dem Aufkommen der aktuellen Krisenerscheinungen von einem „ökonomisch-naturwissenschaftlich-technologischen Komplex“ dominiert werden.
Nicht nur vom früheren Finanzminister Karl-Heinz Grasser lustvoll als „Orchideenfächer“ abqualifiziert sind sie in den letzten Jahren auf Grund sinkender öffentlicher Finanzierung unter besonderen Druck geraten, umso mehr, als sich Politiker eher erhoffen, sich mit technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu profilieren als mit solchen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften.
Kultur- und Sozialwissenschaften als Technologiezentren der Welt
Welcher eingeschränkten Sichtweise das entspricht, hat bereits 2004 der deutsche Soziologe Armin Nassehi in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ausgeführt, an dessen Ausführungen mit dem Titel „Wasser auf dem Mars, Leben auf der Erde“ ich hier mit einem längeren Zitat erinnern möchte. Immerhin sind nach ihm die Kultur- und Sozialwissenschaften die eigentlichen Technologiezentren der modernen Welt: „Sie produzieren nichts Geringeres als jene Denk- und Erfahrungschiffren, mit denen wir uns in unserer Welt bewegen. Gäbe es die Idee des selbstverantwortlichen, leistungsstarken und mit sich identischen, zugleich aber revisionsfähigen Subjekts ohne seine kulturwissenschaftliche Erfindung? Gäbe es den heroischen Manager ohne das Heldensubjekt? Gäbe es Deutschland ohne die Philologie und die historischen Wissenschaften? Und was wären der Nationalstaat und die Demokratie ohne ihre sozialwissenschaftliche Legitimation? Haben wir nicht sogar Modernität als grundlegende gesellschaftliche Selbstbeschreibung erfunden, kollektive Moralen ebenso wie den Gegensatz von Individuum und Gesellschaft, die Adressierbarkeit politischer Kollektive ebenso wie die Muster, uns als solche ansprechbar zu machen?
Sind nicht jene kollektiven Adressaten, an die uns zu wenden wir gewohnt sind, kategoriale Erfindungen sowohl der historischen Kulturwissenschaften wie der systematischen Sozialwissenschaften? Könnten wir wirklich als Individuen „handeln“, würden wir nicht mit jener Idee versorgt, dass alles, was im sozialen Raum geschieht, auf die Intention von Akteuren zurückgeht? Hat man je soziale Klassen gesehen, ohne dass man zuvor wissenschaftlich definiert hätte, welche Klassenmerkmale wie klassifizieren? Gäbe es Bildung und Ausbildung ohne die Erfindung der menschlichen Bildsamkeit? Gäbe es Völker ohne den Volksgeist und diesen ohne seine Reflexion in kulturwissenschaftlichen Begriffen; und gäbe es ihre Dekonstruktion zu Verfassungspatriotismen oder wiederentdeckten Kosmopolitismen ohne die technologische Arbeit unserer Weltdeuter?
Was wüsste die Politik und was die Wirtschaft (und wohl auch der Kulturbetrieb – Anm. MW) von ihrem Publikum, hätten die Sozialwissenschaften nicht die Kategorien für Milieu, Meinungs- und Konsumstile erfunden, die ohne diese Kategorisierungen gar nichts von sich wüssten? Ist nicht selbst ein zünftiger Krieg gegen vorderasiatische Völker nur möglich, wenn man vorher den „Orient“ erfunden hat? Und reagiert dieser „Orient“ nicht erst, als sei er einer, seit man ihn so sehen kann? Ist nicht das Beobachtungsschema „Kultur“ selbst das erfolgreichste Technologikum, das in den letzten zwei Jahrhunderten produziert wurde? Kann es sich nicht gar mit der Kernspaltung messen, oder ist es nicht wenigstens mindestens so wirkmächtig wie das Klonen?“
Politik und die Angst vor evidence
Leider hat sich diese Interpretation auch zehn Jahre später dort, wo kultur- und sozialwissenschaftliche Wissensproduktion beauftragt und diesbezügliche Resultate in die politische Entscheidung einfließen (oder eben nicht) noch lange nicht durchgesprochen. Vieles deutet eher darauf hin, dass seither eine Reihe weiterer Rückschritte zu verzeichnen sind, etwa wenn 2010 – quasi über Nacht und ohne jede Evaluierung der erbrachten Leistungen – seitens des österreichischen Wissenschaftsministeriums die außeruniversitäre Forschung einem drastischen Kahlschlag unterzogen wurde, eine Maßnahme, die in erster Linie kultur- und sozialwissenschaftliche Forschungseinrichtungen betraf.
Anders als ursprünglich erhofft, entwickelte sich auch das Versprechen auf mehr „evidence based policy“ im Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik. Was wir zurzeit erleben ist stattdessen eine sinkende Bereitschaft, handlungsleitende Daten erheben zu lassen, geschweige denn, diese in strategische Überlegungen einfließen zu lassen.
Dazu kommt die Weigerung, die wenigen beauftragten Analysen zu veröffentlichen und damit einen breiteren Fachdiskurs zu ermöglichen. Als ein Beispiel mag die „Kulturstatistik Austria“ dienen, die trotz der langjährigen Bemühungen vor allem des Instituts für kulturelles Management und Kulturwissenschaft (IKM) nach wie vor ein Schattendasein fristet, wodurch die von ihr aufbereiteten Daten einen nur sehr bescheidenen Einfluss auf kulturpolitische Entscheidungen haben.
Es gilt also umzugehen mit einer fundamentalen Dichotomie der österreichischen Gesellschaft, die auf eine lange Zeit der Wissenschaftsfeindlichkeit (Stichwort: „Zur Vertreibung des Geistigen aus Österreich“), die die auf das politische Überleben angewiesene EntscheidungsträgerInnen mit neuen kultur- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen nur ungern irritieren will und der aktuellen Euphorie rund um die neue Lustigkeit von (natur-)wissenschaftlicher Wissensvermittlung á la Science Busters.
Der Papa wird’s schon richten – Wird’s der Papa wirklich richten?
Stronachs Werte versprechen Wahrheit, Fairness und auch Transparenz. Seine bisherige Performance und die seiner MitstreiterInnen lassen nicht erwarten, dass deren konkrete Umsetzungsversuche eine neue Hausse im Bereich der Kultur- und Sozialwissenschaften (und damit verbundener Rationalisierung von Politik) auszulösen vermögen.
Das weiß auch die noch am Ruder befindliche Kulturverwaltung. Sie setzt auf Bewährtes und hat den Science Busters den Preis der Wiener Volksbildung verliehen. Dazu wurde der Wahl-Kabarettist Werner Gruber mit experimentalphysikalischen Hintergrund zum neuen Leiter der astronomischen Einrichtungen der Volkshochschulen (VHS) Wien – Planetarium Wien, der Kuffner Sternwarte sowie der Urania Sternwarte gemacht. Für Heiterkeit im Wissenschaftsbetrieb ist also bis auf Weiteres gesorgt!
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