Über das Ende eines überkommenen kulturpolitischen Deals
Die Freiheit der Kunst hat in Österreich eine kurze Geschichte. Erst 1982 gelang es, diese in der Bundesverfassung zu verankern. Begleitet wurde dieser neue Autonomieanspruch von einem ausdifferenzierten Förderwesen, das bis heute die Arbeitsgrundlagen vieler Künstler*innen bildet.
Dies blieb nicht ohne Folgen, wenn sich seither sowohl die Anzahl der Künstler*innen (und damit Förderanspruchsberechtigten) beträchtlich vergrößert als auch die kulturelle Infrastruktur des Landes eine wesentliche Ausweitung erfahren hat. Dafür war freilich kein geringer Preis zu bezahlen. Dem patriarchalen Grundverständnis der Kulturpolitik der damaligen Zeit entsprechend kam es zu einem informellen Deal, der staatliche Fördermaßnahmen gegen gesellschaftliche Wirkungslosigkeit tauschen ließ. Entstanden ist so ein unsichtbarer Glassturz, der immer mehr Künstler*innen eine ästhetische Spielwiese eröffnete, ohne damit noch einmal nachhaltigen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen zu können. Während die Kulturverwaltung ihre Modelle des Gewährens staatlicher Zuwendungen perfektionierte, achtete sie in der Regel peinlich darauf, unter Einhaltung des Autonomie-Gebots die inhaltliche Eigenständigkeit künstlerischer Hervorbringungen nicht in Frage zu stellen: In einem Geflecht wechselseitiger Abhängigkeit kam dem Staat die Aufgabe zu, zu zahlen, während der Betrieb produzieren sollte. Ob die daraus resultierenden Angebote auch auf ein hinlängliches Interesse seitens der Bevölkerung stießen, blieb vergleichsweise nebensächlich. Also werden weite Teile des staatlich geförderten Kulturbetriebs bis heute von einer kleinen Minderheit der Bevölkerung getragen, ohne dass versucht würde, kulturpolitisch gegen zu steuern. Und auch was sonst noch in der Welt passiert ist, musste diese Zwangspartnerschaft nicht weiter interessieren. Und die FPÖ hatte ihr Vernaderer-Thema, wenn unliebsame Künstler*innen des „Staatskünstlertums“ geziehen wurden, egal ob sie öffentliche Förderungen in Anspruch nahmen oder nicht.
Der Deal über die staatliche Schutzzuständigkeit wurde bereits in den 1990er Jahren einseitig aufgekündigt
Nachhaltig relativiert wurde dieser Deal mit der Durchsetzung neoliberaler Vorstellungen auch im Kulturbetrieb spätestens seit den 1990er Jahren. Mit Maßnahmen der Teil- bzw. Vollrechtsfähigkeit sollten die großen Kulturtanker aus der engen staatlichen Abhängigkeit entlassen werden und sich fortan sollten auch die Kulturakteure stärker an den Marktgegebenheiten orientieren – in ihrem Schlepptau sollten die kleineren Einrichtungen und Initiativen sukzessive dem neuen Wirtschaftsparadigma folgen. In dem Maß, in dem der Staat seine schützende Hand zurücknahm, sollten private Sponsoren einspringen. Mit der Preisgabe der kulturpolitischen Kompetenzen des Staats verloren sich jegliche politische Ansprüche an den Kulturbetrieb; statt dessen sollten künftig Art und Ausmaß der Drittmittelakquisition sowie gute Auslastungszahlen zu den entscheidenden Erfolgskriterien werden, um so den Betrieb in die Logik der Tourismusindustrie integrieren zu können.
Erstaunlich unverändert aber blieb die Rhetorik von der „Kulturnation Österreich“, in der – jedenfalls aus der Sicht der in die Jahre gekommenen Kulturschaffenden – dem Staat weiterhin die Aufgabe zukäme, das kulturelle Geschehen zu befördern und seinen Bestand zu garantieren. Während sich aber der Staat immer weiter zurückzog, veränderte sich das kulturelle Verhalten weiter Teile der Bevölkerung in grundlegender Weise. In dem Maß, in dem sich Kulturpolitik diesen neuen Herausforderungen verweigerte, übernahmen die Propagandist*innen einer kulturwirtschaftlichen Sichtweise das Ruder. Während sich das führende Personal in Konkurrenzkämpfen am boomenden Kulturmarkt erging, wurde dem Kulturbetrieb jegliche utopische Ambition ausgetrieben. Und die Kulturpolitik beschränkte sich darauf, so zu tun, als wäre es ihr Verdienst, den Status quo aufrecht zu erhalten.
Mit dem Ausbruch der Pandemie und den damit verbundenen gravierenden Maßnahmen der Betriebseinschränkung, erweist sich die sich die in all den Jahren verfestigte Konstellation zwischen staatlicher Erstarrung und betrieblicher Selbstreferenzialität als fatal. Allerorts erheben sich die Stimmen, die nach staatlicher Hilfe rufen und sich dabei nochmals auf ihre Ausnahmeposition beziehen: Mit seinen, völlig „kulturfremden“ Eingriffen in die betriebliche Freiheit habe der Staat von einem zum anderen Tag dem Kulturbetrieb die Existenzgrundlagen entzogen; als sein traditioneller Hüter solle er jetzt schauen, wie es weiter gehen kann: Wenn er – auch aus besten gesundheitspolitischen Gründen – schon die Nachfrage zerstört dann soll er wenigsten dafür sorgen, dass das Angebot weiter erhalten bliebt.
Und so sollen sie noch einmal zusammengezwungen werden, die beiden Hauptakteure der 1980er Jahre, die vorgeben, nach einer kurzen Zwischenphase wieder dort weiter machen zu können, wo der Ausbruch der Pandemie sie unterbrochen hat.
Es gehört zu den mutigen Äußerungen der Kultursprecherin der Grünen Eva Blimlinger, die in einer „Im Zentrum“-Sendung erstmals öffentlich ausgesprochen hat, dass die Chancen eines auch nur halbwegs unbeschadeten betrieblichen Wiederbeginns nach der Eindämmung des Virus mehr als gering sind. Sie hat diesem Befund hinzugefügt, dass Kulturpolitik und Kulturverwaltung nicht in der Lage sein werden, auch nur halbwegs verlässliche Handlungsanleitungen dafür zu bieten, wie es weiter gehen könnte…..
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Bild: unsplash/Ebuen Clemente. CC BY-NC-SA.
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