Über das schleichende Ende von KulturpotentatInnen
Es begann alles mit Peter Noevers selbstherrlichen Managementpraktiken im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK). Mit den Jahren ist seine dortige Tätigkeit zunehmend darauf hinausgelaufen, Berufliches und Privates gleich zu setzen. Mit seinem unerwarteten Rücktritt im Februar 2011 kam der Künstler-Direktor der überfälligen Entscheidung der kulturpolitischen Verantwortlichen Claudia Schmied zuvor, ihn von seiner leitenden Position abzuberufen. Als unmittelbare Reaktion aus dem Kunstfeld kam es zur Einrichtung einer „Pro-Noever-Website“, an der sich das Who-is-Who der KünstlerInnen-Szene beteiligte. Die Beiträge denunzierten die Noever-KritikerInnen als „bigotte Erbsenzähler“ und erzählten wahlweise von einer „Hexenjagd“, vom „Schlagen von politischem Kleingeld“, von einer „nicht nachvollziehbaren Kampagne“ oder von einer „Tragödie“.
Es folgten die Fälle Gerald Matt/Kunsthalle Wien und Matthias Hartmann/Burgtheater Wien; aktuell rankt sich um die Generaldirektorin des Bundesmuseums Belvedere Agnes Husslein-Arco eine kontroverse öffentliche Diskussion um ihre Amtsführung. Wiederum haben sich namhafte UnterstützerInnen gefunden und einen offenen Brief formuliert. Sie führen darin die heraussagenden Leistungen von Husslein-Arco für das Haus und darüber hinaus für die gesamte Kunstszene an, die die Wiederbestellung unabdingbar machen würde. Der neu ins Amt gekommene Kunstminister Thomas Drozda hat sich nach einigem Lavieren dazu entschieden, keine Wiederbestellung vorzunehmen. Seine Entscheidungsfindung erwies sich als umso schwieriger, als mit der öffentlichen Infragestellung der Generaldirektorin die Umrisse einer krimihaften internen Intrige deutlich wurden, die eine Bewertung dessen, was Sache ist, nachgerade unmöglich machen. Unwidersprochen ist aber die Tatsache, dass die Auseinandersetzung einmal mehr von einem selbstherrlichen Ineinanderfallen von Beruflichem und Privatem geprägt ist, ein Umstand, den Husslein-Arco mit der Rückzahlung ursprünglich in Anspruch genommener Mittel faktisch auch nicht mehr in Abrede stellt.
Die jüngste Häufung von Fällen, in denen der Führungsstil führender Kräfte des österreichischen Kulturbetriebs zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung wird, bringt mich zu zwei, miteinander verbundenen kulturpolitischen Thesen, die ich in diesem Blog gerne kurz erläutern möchte.
Kommt es zu einer schleichenden Kräfteverschiebung zwischen Kulturpolitik und Kulturbetrieb?
Da ist zum einen die Vermutung, dass die gehäuften Erregungen um den autoritativen Führungsstil von KulturmanagerInnen eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen kulturpolitischen EntscheidungsträgerInnen und den Führungskräften des öffentlichen Kulturbetriebs bedeuten könnten. Ganz offensichtlich versuchen Kulturpolitiker mit starken Ansagen (Abberufungen, Nichtwiederbestellungen) eine Gegenbewegung in Gang zu setzen, die eine spätestens mit der Verankerung der „Freiheit der Kunst“ in der Bundesverfassung 1988 manifest gewordene Verselbständigung des Managements der führenden Häuser wieder einzufangen versucht. Vor allem die VertreterInnen einer sich zumindest nach außen hin liberal gebenden sozialdemokratischen Kulturpolitik wollten nach der Aufbruchsstimmung der 1970er Jahre ihr fortschrittliches Image gegen einen traditionell interventionistischen Konservativismus nicht gerne in Zweifel stellen lassen und hüteten sich – oft wider besseren Wissens – vor jedem Anschein einer politischen Intervention in alle kulturbetriebliche Belange. (Dies ging so weit, dass SPÖ-KulturpolitikerInnen das Wüten Otto Mühls am Friedrichshof unter dem Vorzeichen der künstlerischen Autonomie zu verteidigen suchten, während es als strafrechtlicher Tatbestand bereits offenkundig war). Die Gründe dieser Zurückhaltung lagen u.a. in einem kollektiv schlechten Gewissen begründet, in Bezug auf eine verspätete staatliche Akzeptanz einer künstlerischen Moderne. So hat sich ein künstlerischer Autonomieanspruch in Österreich besonders spät durchgesetzt, was sich u.a. daran zeigt, dass die parlamentarischen kulturpolitischen Debatten der 1970er und 1980er Jahre noch stark von Zensurvorwürfen geprägt waren.
Kulturmanagement sticht Kulturpolitik
Ich weiß nicht, ob die Wirkungen dieser kategorischen Nichteinmischungsstrategie den Zuständigen wirklich bewusst war. Und doch mussten sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass sich die führenden KulturmacherInnen, einmal im Amt unversehens auch als die führenden KulturpolitikmacherInnen erweisen sollten. Als solche haben sie das kulturelle Geschehen wesentlich einprägsamer bestimmt als die eigentlichen kulturpolitischen FunktionsträgerInnen: Mittlerweile zur Legende gewordene Exponenten wie Claus Peymann, Gerard Mortier oder Winfried Seipel sind dafür nur einige Belegfiguren.
Ihre Stärke bezogen sie naturgemäß auch aus dem Umstand, dass ihre Häuser ungebrochen den Großteil der öffentlichen Fördermittel für sich beanspruchten und im Vergleich dazu der Kulturverwaltung in der Behandlung des bescheidenen Restes nur wenig Gestionierungsspielraum zuwiesen. Interessanter Weise haben sich mit den diversen Auslagerungsverfahren die ungleichen Machtverhältnisse noch einmal dahin gehend verschärft, als mit einer offensiven Marktteilnahme der nunmehr auch juristisch unabhängigen Einrichtungen ein zusätzlicher Faktor in Gestalt der Marktkräfte ins Treffen geführt werden konnte, gegen deren Einfluss sich in einer hegemonial gewordenen neoliberalen Logik jegliche kulturpolitische Einflussnahme verbieten würde.
In der Folge sahen sich Kulturpolitik und Kulturverwaltung, die vermeinten, sich im Rahmen der institutionellen Verselbständigung jeglicher kulturpolitischer Expertise entledigen zu müssen, unversehens an einen undankbaren Rand gedrängt, dessen Zentrum – siehe oben – zunehmend von einer ebenso profilierungswütigen wie selbstherrlich agierenden Führungsriege bestimmt wurde. Formal wurden weiterhin in vierteljährigem Abstand Berichte ans Ministerium gesandt, um dort weitgehend unkommentiert in der Schublade zu verschwinden. Aber was in den Einrichtungen wirklich passierte, das entzog sich zunehmend der ministeriellen Kenntnis. Dies umso mehr als die verbleibenden Aufsichtspflichten an eine Art Pufferinstanz in Gestalt von überforderten Holdings und Kuratorien delegiert wurden, deren pragmatische Aufgabe darin bestehen sollte, nur je keine Wellen aufkommen zu lassen. Das bedeutete, die einen schalten und walten zu lassen, wie sie wollten und die anderen aus ihrer unhintergebaren (kultur-)politischen Zuständigkeit zu entlassen; wahrlich ein undankbarer Job. Als Paradefigur kann in diesem Zusammenhang der langjährige Leiter der Bundestheater-Holding Georg Springer angesehen werden, der sich mit seinem Abgang um die Anerkennung seiner Leistung als virtuoser „Deckelzuhalter“ betrogen fühlte.
In diesem Licht erweisen sich die jüngsten Querelen innerhalb der großen Kulturtanker als ein Beleg für die wachsende Gefahr, dass der weitgehend unkontrollierte Führungsstil von Persönlichkeiten, die nicht an nachvollziehbaren Managementkriterien, sondern an einem überkommenen Künstlerideal gemessen werden wollen, drauf und dran ist, an seinen innerbetrieblichen Widersprüchen zu scheitern. Immerhin waren es nicht Überprüfungen von außen sondern Denunziationen von innen, die die gängigen Praktiken in Zweifel gezogen und mit ihrem Veröffentlichwerden kulturpolitisches Handeln in Gang gesetzt haben. Erst als es in der medialen Dauererregung gar nicht mehr anders ging, haben sich die kulturpolitisch Verantwortlichen dazu entschlossen, Flagge zu zeigen, und konnten in Folge sogar das kalkulierte Lob für ihre vermeintliche Entscheidungsstärke für sich verbuchen.
Die jüngsten Anstöße zum Sturz einiger Kulturdenkmäler in Gestalt scheinbar nur sich selbst verantwortlichen Führungskräften kann freilich nicht darüber hinweg täuschen, dass die Beziehungen zwischen Kulturpolitik und Kulturbetrieb mehr denn je ungeklärt sind. Zu deutlich ist da ein weitgehend unverbindliches Nebeneinander zu Lasten der restlichen, in der Regel freien Akteure geworden, die sich zu Recht fragen, warum hier so eklatant mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn ihre VertreterInnen gefordert sind, Ausgaben im zweistelligen Eurobereich auf immer wieder neue Weise zu belegen, während Husslein-Arco die Compliance widrige Verwendung von mindestens 30.000.- in den Bereich der zu vernachlässigenden Nutzung von „Bagatellbeträgen“ verweist.
Die verhängnisvolle Tradition der Ablehnung von Rechtsstaatlichkeit und demokratiepolitischer Errungenschaften durch den Kulturbetrieb
Das bislang ungeklärte Verhältnis von Kulturpolitik und Kulturinstitutionen hat noch eine zweite, möglicherweise noch unangenehmere Dimension. Diese hängt eng mit der ungeklärten Beziehung von künstlerischem Tun und Demokratie bzw. Rechtsstaatlichkeit zusammen: Man stelle sich vor, ein führende/r Vertreter/in von Politik oder Wirtschaft wird öffentlich beschuldigt, Betriebsmittel missbräuchlich verwendet zu haben. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die erste Reaktion aller anderen im Feld Tätigen darin besteht, die inkriminierten Taten zu entschuldigen, als Bagatellfälle hinzustellen oder gegen seine/ihre sonstigen Leistungen aufzurechnen.
Im Kulturbereich ist das ganz offensichtlich anders: Gerne mit dem Leitmedium der Kunst argumentierend, werden dessen Freiheitsansprüche nur all zu leicht dem gesamten Betrieb zugeschrieben, in dem Kunst verhandelt wird. Und unversehens mutieren Kulturbetriebe zu Orten, an denen bestehende Gesetze außer Kraft treten und andere, der Rechtsstaatlichkeit gegenläufige gelten. Und ehe man es sich versieht, werden für den Gesamtbetrieb verantwortliche Führungskräfte zu Verteidigern des Rechts auf die Einlösung unerfüllter Träume, das sie selbst leben, um so die geltende Ordnung als für sie als irrelevant zu erklären, wenn es darum geht, sich als VerteidigerIn eines nicht hinterfragbaren Freiraums aufzuwerfen. Der vormalige Leiter des Museum Moderner Kunst in Wien (mumok) Edelbert Köb hat dazu einen klugen Kommentar verfasst, der zum, für den Kunstbereich eher minoritären Schluss kommt, dass die „Forderung nach einem rechtsfreien Raum in Kunst und Kultur, zumindest nach einem Sonderstatus, wie sie immer wieder aus Unterstützungserklärungen herauszulesen ist“ jedenfalls für ihn nicht akzeptabel ist.
Geht es nach dem kollektiven Aufschreien, dann steht ihm ungebrochen eine einflussreiche Gruppe an KünstlerInnen und Kunstschaffenden gegenüber, die für sich in Anspruch nimmt, in einer Art extraterritorialem Reservat tätig zu sein, in dem es nachgerade Pflicht wäre, sich über bestehende Regeln hinwegzusetzen. Ich halte dieses prekäre Verhältnis von Kunst und Rechtsstaatlichkeit nicht nur, wie Köb meint, „für ärgerlich“. Ich halte sie demokratiepolitisch für gefährlich. Die Gründe liegen in meiner Überzeugung, dass Rechtsstaatlichkeit (für das in anderen Weltgegenden so leidenschaftliche gekämpft wird) die unhintergehbare Grundlage jeglicher demokratiepolitischer Ansprüche darstellt. Vereinfacht gesagt, man kann nicht nein zu Rechtsstaatlichkeit und ja zu Demokratie sagen; beide bedingen einander.
Dieser unverbrüchliche Zusammenhang ist einer der Gründe, warum ich in meinem letzten Blog so heftig auf die Äußerungen Konrad Paul Liessmanns zur Eröffnung der Salzburger Festspiele reagiert habe. Ihm zufolge ließe sich „Kunst mit unseren Gleichheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen ohnehin nicht vereinbaren“. Er stellte sich und die Kunst außerhalb eines demokratiepolitischen Anspruchsdenkens, das die europäische Moderne durchzieht. Ja, es stimmt schon, es gab immer wieder, zum Teil höchst befähigte KünstlerInnen, die sich mit totalitären Regimen arrangiert, ja – um des eigenen Vorteils oder aus Überzeugung wegen – diese aktiv unterstützt haben. Und es gab die vielen, unter ihnen so prominenten Namen wie Herbert von Karajan oder Paula Wessely, die gemeint haben, mit einer vermeintlich apolitischen Haltung ihren eigenen Gesetzen folgen zu können, um auf diese Weise, wenn auch ungewollt, das bestehende Unrechtsregime zu stützen. Aber als nachahmenswert halte ich eine solche Haltung nicht ansehen.
Anderswo stehen KünstlerInnen für demokratischen Fortschritt
Während sich in anderen Ländern, wie etwa in Frankreich, KünstlerInnen in Antizipation der schlechten Erfahrungen, die sie mit der Aufrechterhaltung ihrer apolitischen Fahnen gemacht haben, zu WortführerInnen des gesellschafts- und demokratiepolitischen Diskurses gemacht haben, kultiviert das Gros der österreichischen Künstlerschaft ungebrochen ihren Gegensatz zur Idee des Politischen im demokratischen Rechtsstaat, in der Hoffnung, im Licht wachsender Ressentiments gegen den politischen Betrieb bei denen, die sie als ihre natürlichen Verbündeten erkennen, nur umso heller zu strahlen.
Würde man eben diese UnterstützerInnen dieser Formen von rechtsstaatwidrigen Praktiken innerhalb des Kulturbetriebs fragen, ob sie sich als GegnerInnen des grassierenden Rechtsradikalismus bezeichnen, sie würden sich im Brustton der Überzeugung auf der richtigen, auf der fortschrittlichen Seite zu erkennen geben. Und doch ist es gerade ihre permanente Relativierung rechtsstaatlicher und damit demokratischer Grundsätze, die das Geschäft der Rechtspopulisten betreibt. Es sind ihre VertreterInnen, die bei ihrer Klientel (die schon bei kleinsten Delikten in die Mühlen rechtsstaatlicher Sanktionierungen zu kommen droht) darauf hinweisen kann, dass gerade diejenigen, die sich als Statthalter gesellschaftlicher Errungenschaften begreifen, am wenigsten bereit sind, sich an die von ihnen aufgestellten Regeln zu halten. In der Folge wächst der verhängnisvolle Eindruck bei den einfachen Leuten, dass es sich da ein paar KünstlerInnen gerichtet haben und auf Kosten aller anderen das Recht so auslegen, wie es ihnen genehm ist.
Einmal mehr: Rechtsstaatverweigerung und Demokratieskepsis im Kunstfeld als Zulieferer für den politischen Neoautoritarismus
Wenn Husslein-Arco bar jeglicher gesellschaftspolitischer Sensibilität von Bagatellbeträgen spricht und die sich in einem Bereich befinden, die normale Menschen im Jahr verdienen, dann hat sie jegliche Glaubwürdigkeit bei der Vermittlung künstlerischer Anliegen in Bezugnahme zu den Lebensverhältnissen zu den Menschen, für die sie bestellt wurde, verloren. Ihre mindeste Aufgabe wäre es gewesen, gerade im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang mit äußerster Sorgfalt vorzugehen, um Glaubwürdigkeit bei denen zu erlangen, die sie für künstlerische Grenzüberschreitungen gewinnen möchte. Wenn es ihr aber um diese Menschen gar nicht geht, weil sie mit einigen wenigen Gleichgesinnten in einem selbstgezimmerten Reich der Freiheit lebt, in dem andere Gesetze gelten, dann sollte sie – in demokratischen Zeiten – in öffentlichen Einrichtungen nichts verloren haben.
Ihr sei es gegönnt, sich privat und auf eigene Rechnung ihren künstlerischen Ausnahmeansprüchen hinzugeben. Gesellschaftlich hat sie nichts (mehr) zu sagen.
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