Über eine Reise an den Rand Europas und den Anspruch, die Kunst der wenigen mit den Kulturen der vielen zu verknüpfen
Wie tief sich doch der Eiserne Vorhang in mich über das Ende der kommunistischen Ära von 1989 hinaus eingegraben hat. Daran musste ich bei meinem jüngsten Besuch in Košice denken. Diese zweitgrößte Stadt der Slowakei liegt ungefähr ebenso weit weg von Wien wie Innsbruck, nur eben in die andere Richtung und damit außerhalb unseres medial aufbereiteten Erfahrungshorizonts. Daran ändert auch nur wenig, dass Košice heuer zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt wurde (siehe auch Video-Beitrag über Košice). Sie bleibt für uns am nur schwer erreichbaren fernen Rand dessen, was Europa in diesen Tagen scheinbar ausmacht.
Umso erstaunter war ich, durch eine Altstadt zu spazieren, die mich frappant an St. Pölten erinnert, wenn sich gotische, barocke Bauten und Jugendstilhäuser eng aneinanderreihen, ein Mehrspartentheater und eine Philharmonie ihr europäisches Mainstreamprogramm anbieten und der Wiedergänger des Doms in Xanten am Rhein in Gestalt des Elisabeth Doms dem Markplatz seinen Stempel aufdrückt.
Rund um die Stadt haben kommunistische Architekten ganze Arbeit geleistet. Eine Vielzahl von Plattenbauagglomerationen beherbergen bis heute vor allem die Arbeiterschaft des größten Stahlwerks des Landes. Diese ist heute im Besitz von „US Steel“, deren Betreiber sich den Verbleib mit vielfältigen Steuer- und Umweltvergünstigungen haben abkaufen lassen.
Der Grund meines Besuches im Rahmen eines Evaluierungsauftrags des Goethe-Instituts war die Beobachtung des künstlerischen Projektes „X Wohnungen“, das es BesucherInnen jeweils zu zweit erlaubt, in zum Teil sehr private Orte zu gelangen und auf diese Weise ganz neue, künstlerisch verdichtete Erfahrungen zu sammeln, wie Menschen zusammenleben. Dabei verlief eine Runde aus sieben Stationen im Zentrum der Stadt, während die zweite einen Einblick in die Lebensverhältnisse im Vorort Saca erlaubte. Diese sind geprägt von Roma- und Sinti-BewohnerInnen, die hier zum Teil unter aberwitzigen Bedingungen leben. Und so wurden für die verunsicherten BesucherInnen die gesellschaftlichen Brüche, mit denen europäische Gesellschaften fertig werden müssen, unmittelbar deutlich.
Die österreichischen Nationalratswahlen – Es lebe die rechte Hegemonie!
Mein Besuch in Košice fiel mit den österreichischen Nationalratswahlen zusammen. Und ich erinnere mich, wie ich am schmucken Hauptplatz die ersten Hochrechnungen verfolgt habe und sich in mir ein zunehmendes Gefühl der Depression breit machte. Gerade nach den so einprägsamen Erfahrungen in Saca erschien es mir besonders bedrohlich, dass es einer FPÖ trotz (oder gerade wegen) all dessen, was sie in den letzten Jahren angerichtet hat, gelingen würde, wie ein Phönix aus der Asche zu steigen und nicht nur mit ihren Gesängen wie „Steht auf, wenn ihr für HC seid!“ das Image das Landes für die nächsten Jahre zu dominieren. Da bot sich als einziger Hoffnungsstrahl das relativ schwache Abschneiden der Stronach-Partei an, die mit ihrem Vorsitzenden drauf und dran war, Politik in ein käufliches Gut überzuführen.
Eine Veränderung des politischen Klimas ist möglich!
Mit der weitgehenden Aussicht auf „more of the same“, freilich unter verschärften Bedingungen einer rechten Hegemonie in Österreich, lohnen Vergleiche mit anderen Ländern, etwa der Slowakei. Auch dieses Land wurde in den letzten Jahren nicht nur vom Autoritarismus eines Vladimir Meciar, sondern auch von massiven Korruptionsfällen („Gorilla-Affäre“) beherrscht. An deren Aufklärung beteiligte sich die amtierende Premierministerin Iveta Radi?ová, der das Wahlvolk dafür wenig Dank entgegenbrachte. Sie scheiterte an einer Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm. Der darauf folgende Wahlkampf war – ähnlich wie in Österreich – von einer zunehmenden Zersplitterung der Parteienlandschaft geprägt. Das hinderte freilich die linkspopulistische SMER-SD (obwohl selbst auch in die Korruptionsfälle verwickelt) nicht daran, einen klaren Wahlerfolg mit 44,4 % der Stimmen (+9,6 %) einzufahren und damit die politische Landschaft nachhaltig zu verändern.
Eindrucksvoll finde ich auch die Unterschiede im Wahlverhalten in Bezug auf Deutschland. Wenn dort Angela Merkel zuletzt einen ähnlich hohen Wahlsieg von 41,5 % wie Robert Fico mit seiner SMER-SD in der Slowakei einfahren konnte, dann gehört dazu auch der Umstand, dass dort eine der FPÖ vergleichbare Partei erst gar nicht existiert und ich mir gar nicht vorstellen möchte, was dort und darüber hinaus in ganz Europa passierte, würde eine ähnlich auf gesellschaftliche Spaltung abzielende Partei wie die FPÖ Österreich vergleichbare Wahlergebnisse erzielen.
Die Große Koalition und die Schwächung des demokratischen Mitgestaltungswillens
Und noch ein Unterschied wird deutlich, wenn die führende CDU/CSU zurzeit die Fühler nach einer abgeschlagenen SPD ausstreckt, um die Möglichkeiten einer Großen Koalition zu sondieren. Dazu findet sich in der Süddeutschen Zeitung ein Beitrag „Der Anspruch auf bequemes Regieren“, in dem Heribert Prantl die demokratiepolitischen Konsequenzen einer solchen Regierungsform hinterfragt. In seiner Analyse hält er dem Argument, nur eine Große Koalition verfüge über eine ausreichende Stabilität, um große Reformen voranzubringen, Fakten entgegen, die darauf hindeuten, dass es gerade die kleinen Koalitionen waren, die die großen politischen Weichenstellungen in der Vergangenheit bewirkt hätten. Darüber hinaus zitiert er den Kanzler der ersten Großen Koalition (1966 -1969), der in seiner Regierungserklärung gemeint hatte: „Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Missbrauch der Macht ist der feste Wille der Partner der Großen Koalition, diese nur auf Zeit, also bis zum Ende der Legislaturperiode fortzuführen.“
In Österreich hingegen scheint ein diesbezügliches Bewusstsein, dass eine – mittlerweile gegen alle Evidenz schön geredete – Fortsetzung der bewährten Regierungsform negative Auswirkungen auf die Bereitschaft zur politischen Mitwirkung haben könnte, zu fehlen. Also sollten wir uns nicht wundern, dass das offensichtliche Ausmaß des autoritären Charakters der Wählerschaft mittlerweile mehr als 30% erreicht hat. In der Konsequenz steigen die Chancen für H.C. Strache weiter, nicht nur die „Altparteien mit einem nassen Fetzen vor sich herzujagen“ (Jörg Haider), sondern bei den nächsten Wahlen sein Ziel des Einzugs ins Kanzleramt zu schaffen.
Claudia Schmied: Ein Abgang mit „großer Grandezza und Souveränität“
Dies wird Claudia Schmied wohl nicht mehr schaffen, wenn sie sich in diesen Tagen „mit großer Grandezza und Souveränität aus dem Amt“ einer Unterrichts-, Kunst- und Kulturministerin zurückgezogen hat. Da sie vor den Wahlen noch heftig ihren Wunsch deponiert hat weiterzuarbeiten, kann über ihren Entschluss nur spekuliert werden. Einer mag darin gelegen haben, dass sie sich in ihren Auseinandersetzungen mit der Lehrergewerkschaft von ihrer Partei nicht genügend unterstützt gefühlt hat. Diese scheint ja für die kommenden Koalitionsverhandlungen nicht abgeneigt, das Unterrichtsministerium gegen das Innenministerium zu tauschen, in der Hoffnung, in der Folge genüsslich am Spielfeldrand einem Match zwischen konservativen BildungspolitikerInnen und konservativen GewerkschafterInnen zur künftigen Ausgestaltung der österreichischen Bildungspolitik beiwohnen zu dürfen.
Noch sehr gut erinnere ich mich an die nachgerade euphorische Stimmung, die Claudia Schmied kurz nach ihrem Amtsantritt mit ihren verkündeten Schwerpunkten in Sachen Kunst- und Kulturvermittlung einerseits und der Propagierung einer anderen Form der kultur- und bildungspolitischen Entscheidungsfindung (Stichwort: „evidence based policy“) andererseits ausgelöst hat. Die Kommentatoren sind sich in ihren Resümees darin einig, dass zumindest im zweiten Bereich nur wenig übrig geblieben ist. Allzu sehr konzentrierte sich Schmied auf ihre Zuständigkeit für die Auswahl des führenden Personals der großen Kunst- und Kultureinrichtungen, die sie im Wesentlichen als einsame Entscheidungsfindung interpretierte.
Claudia Schmied als Repräsentantin des Reichtums des etablierten Kulturbetriebs und die Armut des öffentlichen kulturpolitischen Diskurses
Sie machte damit deutlich, dass ihr jegliches Bewusstsein dafür fehlte, dass Kulturpolitik wesentlich auf einen breiten öffentlichen Diskurs angewiesen ist, dessen Qualität sich aus seiner Vielstimmigkeit und durchaus auch Kontroversität ergibt. Nach innen zeigte sich ihr diesbezüglicher Zugang in einer Überführung einer offenen Kunst- und Kulturverwaltung in eine hermetische Kulturbetrieblichkeit, die sich darin erschöpfte, die Erfolge ihrer Amtsführung („Das ist mir ganz wichtig!“) medial zu zelebrieren und dabei mit Hilfe ihrer Entourage alle (politischen) Angriffsflächen bereits im Vorfeld auszuschließen.
Was übrig bleibt, ist eine weitere kulturpolitische Aufwertung des traditionellen Hochkulturbetriebs (zuletzt wurde diesem im Wahlprogramm der SPÖ auch noch eine jährliche Indexanpassung zugesichert), während der freie Bereich auf ein ähnliches Frustrationsniveau zurückgefallen ist, aus dem er nach den dunklen Jahren von Schwarz-Blau herauszufinden gehofft hat.
Ein neuer kulturpolitischer Anlauf tut not
Wenn zu Claudia Schmieds großen Errungenschaften der freie Eintritt für junge Menschen bis 19 Jahren in die Bundesmuseen zählt, so wünschte jedenfalls ich mir, dass der/die künftig für Kulturpolitik Zuständige wieder einen breiten Diskurs auf Augenhöhe in Gang setzt, der uns erinnern lässt, dass Kultur „als Art und Weise wie der Mensch lebt und arbeitet“ schon einmal mehr war als die marktgerechte Betriebsführung ausgewählter Kulturunternehmen. Vielleicht gibt es ja jemanden unter den möglichen AnwärterInnen, der oder die es schafft, einen überzeugenden kulturpolitischen Anspruch zu formulieren, der in der Lage wäre, die Kunst der wenigen mit den Kultur(en) der vielen produktiv zu verknüpfen.
Welchen herausragenden Beitrag dabei gerade KünstlerInnen abseits der großen Bühnen im Zusammenwirken mit den BewohnerInnen zu leisten vermögen, hat das Projekt „X Wohnungen“ für mich auf inspirierende Weise deutlich gemacht.
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