Über Schönheit, architektonische Rekonstruktionsversuche und die Repräsentation von Herrschaft
Von Michael Wimmer
Die Aussage ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. In seiner Rede beim jüngsten kulturpolitischen Bundeskongress „Welt.Kultur.Politik“ mischte sich Außenminister Sigmar Gabriel in die öffentliche Diskussion ein, ob das rekonstruierte Berliner Stadtschloss mit einem Kreuz gekrönt werden sollte oder nicht. Seiner Meinung nach sei der Fehler bereits wesentlich früher passiert, als man sich dazu entschlossen hat, eine gigantische Attrappe zur Verherrlichung einer vergangenen, vermeintlich besseren Zeit im Herzen Berlins ins Werk zu setzen. Diese würde – Kreuz hin oder her – zu einer Architektursünde im globalen Maßstab führen. Er sieht im Versuch der Wiedererrichtung der feudalen Repräsentationsarchitektur an diesem symbolträchtigen Ort eine schlagende Ohrfeige für alle Zeitgenossen, die sich mit den ausgesandten politischen Botschaften in ihrem Bemühen um Aufrechterhaltung einer liberal-demokratischen Verfasstheit verhöhnt fühlen müssten.
Bei der Entscheidung zugunsten der Wiedererrichtung dieser Herrschaftsarchitektur war ohne Zweifel ein beträchtliches Kompensationsbedürfnis (um nicht zu sagen Revanchismus) im Spiel, das die Zerstörung eines zentralen Ortes deutscher Geschichte durch die Alliierten, die durch das DDR-Regime komplettiert wurde, wieder gut zu machen suchte. Hinter diesem verbirgt sich aber möglicherweise ein grundsätzlicheres Problem: Immerhin sind die ParteigängerInnen dieses Rekonstruktionsversuchs davon überzeugt, dass den überkommenen architektonischen Ausdrucksformen ein – ungeachtet ihres Herrschaftskontextes – prinzipiell höherer ästhetischer Wert beizumessen ist, was heute konzipiert und gebaut wird. Dieser Hang zum, seit dem 19. Jahrhundert in immer neuen Wellen auftretenden Historismus-Hype, erzählt uns mehr über die Verfasstheit einer in ihren Grundfesten verunsicherten Gesellschaft als uns lieb ist.
Barock als ästhetisches Maß aller Dinge – über seine politische Funktion darf da schon mal hinweggesehen werden
Das gilt insbesondere für den Barock, der gerne als universelle Referenz hochstilisiert wird, an dessen Schönheitsbegriff es gälte, sich bis heute zu orientieren. Zu den Auswirkungen dieser Rückwärtsgewandtheit kann Wien als Zentrum der katholischen Restauration mit seinem MuseumsQuartier nachdrückliche Geschichten beitragen. Als die Architekten Ortner & Ortner eine moderate Modernisierung vor dem Areal des barocken Nutzbaus („Leseturm“) vorschlugen, beschwor eine Reihe von KulturkämpferInnen unter Leitung des Essayisten und Verfassers der Kolumne „anders gesehen“ im Wiener Boulevardblatt Kronen-Zeitung die Authentizität des Barockbaus des von ihnen heilig gesprochenen Fischer von Erlach: „Ein Juwel, in sich perfekt, aus einem Guß. Deshalb ist der kaiserliche Bau auch sakrosankt. Nur renovieren dürfe man ihn und sonst nichts. Eine Republik, die die ehemaligen Hofstallungen verändere, sei von der Barbarei nicht weit entfernt“. Zum Unterschied zum Berliner Stadtschloss, dessen innere Nutzung zur demokratischen Weiterentwicklung außer Frage steht, wollten Nenning und Co die Ex-Hofstallungen wieder mit Pferden besiedeln und, damit ihnen nicht langweilig werde, sie eine Straßenbahn ziehen lassen zwischen Westbahnhof und Messepalast. Das ist – gottlob – nicht passiert; stattdessen ist in das Areal die Kultur eingezogen. Frei nach dem Motto: je versteckter, desto zeitgenössischer.
Auffallend ist die völlige Entkontextualisierung des Herrschaftszusammenhangs, der der hypostasierten Stilrichtung Barock ihre entscheidende Funktion im Zuge der Gegenreformation aberkennt und ein vermeintlich zeitloses Schönheitsempfinden reduziert. Die Folgen liegen im kollektiven Verlernen der politischen Codes im jeweiligen architektonischen Gewand, ein Phänomen, das wesentlich zur wachsenden Geschichtsvergessenheit beigetragen hat (Diese naive Form der Entkontextualisierung betrifft auch die Vermittlungsbemühungen in historischen Kulturräumen (Oper-, Theaterhäuser oder Museumsbauten des 19. Jahrhunderts), deren Architekturen ursprünglich auf die symbolische Repräsentanz spezifischer sozialer Gruppen gerichtet waren, die diese auch ausschließlich für sich beansprucht haben. Und es zeigt sich, dass bislang ausgeschlossene „bildungsferne Schichten“ ein feineres Sensorium haben für die Ausschlussfunktion dieser Architekturen als die Mehrzahl der VermittlerInnen, deren sozialer Hintergrund mit den ursprünglichen NutzerInnen-Gruppen wesentlich besser korreliert).
Das Heute legitimiert sich durch Geschichte – Und Geschichte schreiben die Sieger
Von politischen Zuschreibungen scheinbar befreit, haben wir es offensichtlich mit einer breiten Sehnsucht nach der guten alten Zeit zu tun. Im Gegenzug gehen Anhänger moderner Architektur schweren Zeiten entgegen. Anhand der Entscheidungen zur Neugestaltung des Areals am Wiener Heumarkt wird die Parteienstellung des Denkmalschutzes in diesem Spannungsverhältnis alt – neu deutlich, wenn sich die Entscheidungsgrundlagen von ICOMOS Austria über die Höhe des zu errichtenden Turms einmal mehr an Vorgaben aus dem 18. Jahrhundert („Canaletto-Blick“) orientieren.
In einem Beitrag der taz „Die Maske der Vergangenheit“ habe ich interessante Überlegungen zur aktuellen Euphorie rund um die historisierende Rekonstruktionsversuche der Außenfassade des Humboldt-Forums gefunden, das die Kulturstaatsministerin Monika Grütters – ganz im Gegensatz zu Siegmar Gabriel – vom „bedeutendsten Kulturprojekt Deutschlands, auf das die ganze Welt schaut“ sprechen lässt. Der Autor Ronald Berg deutet den Bau zuallererst als Ausdruck einer kollektiven Verunsicherung, um sich auf diese Art „über die Fragwürdigkeit des eigenen Selbst“ hinweg zu helfen. In Ermangelung überzeugender Zukunftserzählungen suchten vor allem die Eliten ihre Vorlagen und Vorbilder nicht mehr in utopischen Entwürfen, sondern in einer vermeintlich besseren Vergangenheit. Wir sind damit bei der Infragestellung der Grundfesten der Moderne angelangt, die keine Heilsversprechen mehr zu bieten hat und sich mit der Verteidigung eines jeweils kleineren Übels begnügt. In dem Maß, in dem ihr die Ursache der existentiellen Unbehaustheit einer anonymen Massengesellschaft zugesprochen wird, die ihren vorrangigen architektonischen Ausdruck in unwirtlichen Großsiedlungen am Stadtrand gefunden hat, ist es kein Wunder, dass man sich nur zu gerne der architektonischen Imagination von Glanz und Gloria, Prunk und Gloria eines feudalen Herrschaftssystems hingibt – und dabei die wenig erstrebenswerte Rolle als obrigkeitshöriger Untertan vergisst.
Dresden – Eine ganze Altstadt ganz neu gebaut
Katja Marek hat sich in ihrer Dissertation "Rekonstruktion und Kulturgesellschaft" noch einmal sehr grundsätzlich mit der Problematik auseinander gesetzt, zumal diese Form der architektonischen Nostalgie nicht nur Berlin als neue, alte Bundeshauptstadt betrifft, sondern mittlerweile auch auf eine Reihe anderer deutscher Städte übergegriffen ist.
Dies bezieht sich insbesondere auf die ehemalige Residenzstadt August des Starken, die Dresden zu einer Hauptstadt der Nostalgiker gemacht hat. Hier entsteht ein grandioses städtebauliches Phantom, das nicht nur dazu angetan ist, die Verheerungen des Weltkriegs aus dem Blick (und damit aus der Erinnerung) zu nehmen, sondern den BewohnerInnen (und noch mehr den TouristInnen) ein unmittelbares Gefühl der, wenn auch vergangenen Stärke zu vermitteln. Jeder Spaziergang rund um die Frauenkirche und den Neumarkt ist ein Labsal für ein verunsichertes Bürgertum, das in ihre Quartiere zurückgekehrt zur Kenntnis nehmen muss, dass die vielfältige sozio-kulturelle Verfasstheit auch der Dresdener Bevölkerung schon längst nicht mehr den tradierten Bildern deutscher Städte entsprechen, die auf diese Weise wieder auferstehen sollen.
Ist es Zufall, dass sich Pegida und Co ausgerechnet die Dresdner Altstadt-Attrappen für ihre Kundgebungen aussuchen
Bei meinem jüngsten persönlichen Besuch in Dresden, zu dem mich der Deutsche Bühnenverein eingeladen hatte, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, in ein Museum für Demokratiemüde und sich nach vergangener autoritärer Herrschaft Sehnende einzutreten, die hier ein Refugium vor den Unbillen zeitgenössischer Urbanität suchen. Und es ist plötzlich kein Zufall mehr, wenn sich Pegida zusammen mit AfD und Identitären bei ihren Montagsspaziergängen durch die Altstadt bewegt und vor der Semperoper am Theaterplatz zu ihrer Schlusskundgebung zusammenkommt, um sich als Ausdruck des wahren deutschen Volkes zu inszenieren. Und mich beschäftigt die Frage, wie sich die politischen Auseinandersetzungen wohl in einem, von zeitgenössischer Architektur geprägtem Ambiente gestalten würden, das sich nicht damit begnügte, das Vergangene zum einzig gültigen Maßstab zu verklären sondern den Gestaltungswillen einer besseren Zukunft auszudrücken.
KünstlerInnen wehren sich!
Immerhin: Es zeigen sich Formen der Gegenwehr, auch und gerade von KünstlerInnen. Da ist zum z.B. die Produktion von Uli Jäckle von Peter Handkes Stück „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“, die der Regisseur im Willen um künstlerische Wiederaneignung des öffentlichen Raums rund um den Theaterplatz inszenieren. 120 Dresdner BürgerInnen versammelten sich zu diesem theatralen Großprojekt in diesem kontroversen architektonischen Ambiente, das die Beziehungen zwischen DarstellerInnen und PassantInnen zum Verschwinden bringen soll. Dazu hat auch die im Hintergrund finster dräuende Semperoper (1878 in bester Historismus-Manier errichtet) ein Statement abgegeben, wenn sich ihr Personal auf Transparenten für ein Dresden als eine offene Stadt ausspricht.
Und da ist zum anderen die Produktion „Wut – Jelinek, Wagner und ‚Jesus von Nazareth“ ebenfalls eine Produktion des Sächsischen Staatsschauspiels von Christian von Borries diesmal in der rekonstruierten Dresdener Frauenkirche. Die Produktion kombinierte einen Text von Elfriede Jelinek, in dem TerroristInnen und ihre Opfer zu Wort kommen mit einem Fragment von Richard Wagner, der Jesus als Revolutionär feiert.
Beide Produktionen in und rund um die traditionellen Architekturen verstehen sich als aktuelle Kommentare zur politischen Entwicklung in der Stadt. Als solche sind sie auch als Einmischungsversuche in die aktuelle Diskussion um Schönheit und Herrschaft zu verstehen.
Es geht auch anders!
Den bislang überzeugendsten Beleg für die architektonische Überwindung überkommener Herrschaftsanspruche aber habe ich im Dresdener Militärhistorischen Museum gefunden. Hier hat der Architekt Daniel Liebeskind einen massiven zeitgenössischer Keil in die alte Architektur zur historischen Selbstvergewisserung getrieben – und das Ergebnis ist einfach schön.
P.S.: Soeben hat Anton Thuswaldner einen Essay mit dem Titel „Mit dem Barock fängt alles an: Warum Salzburg ist, wie es ist“ zum Spannungsverhältnis Barock und Aufklärung herausgebraucht. Nun sind Berlin und Dresden nicht Salzburg und doch geht es um architektonische Ausgestaltung einer (in Österreich besonders erfolgreichen) restaurativen Ideologie.
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