Über Weinen und Lachen
Es muss etwas Großes, etwas sehr Großes passiert sein. Mehr als 50 Regierungschefs, die sonst wenig Skrupel haben, im Konfliktfall auch Waffen gegeneinander zu richten demonstrieren in einer medialen Inszenierung Einigkeit gegen den Terror. Von ihnen abgeschottet repräsentieren 1,5 Millionen PariserInnen das Wiedererstarken einer brüchig gewordenen „unité nationale“.
Was aber macht die kategoriale Unterscheidung aus zwischen fast schon täglichen Nachrichten, in einem der arabischen Hauptstädte sei wieder ein Anschlag mit duzenden Opfern verübt worden und dieser singulären Gewalttat im Herzen von Paris? Und warum haben wir uns selbst innerhalb Europas daran gewöhnt, dass in der Ostukraine mittlerweile täglich völlig unbeteiligte Reisende einen gewaltsamen Tod finden und dieser Umstand – bei mittlerweile 5.000 Toten – bestenfalls noch Randnotiz wert ist?
Ich mag nicht glauben, dass hier noch einmal der unterschiedliche Wert von Menschen, die zufällig in unterschiedlichen Weltgegenden zu Hause sind, verhandelt wird (immerhin wäre dann die „Je-suis-Charlie“ – Bewegung eine, wenn auch ungewollte Erneuerung (west-)europäischer Suprematie-Vorstellungen). Weil das nicht sein kann, wird es wohl die scheinbar unterschiedliche geographische Nähe sein, die die Opfer als Basar-Händler oder Käufer, als Wartende an der Bushaltestelle oder Karikaturen-Zeichner im globalen Infotainment zu unterschiedlich politisch verwertbaren Zielen werden lässt. Fakt ist, dass sich vorerst der ganze Abscheu gegen die Ermordung der Mitarbeiter von Charlie Hebdo richtete und es erst einer Intervention der Israelitischen Kultusgemeinde bedurfte, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass auch Kunden eines koscheren Supermarktes unter den Opfern waren.
Zur Einschätzung der jüngsten Bluttaten in Paris ist zuletzt viel Kluges geschrieben und gesagt worden (z.B. von Zygmunt Baumann oder Michael Walzer). Im Kern werden die Konsequenzen wohl darauf hinauslaufen, dass der Charakter der „Überwachungsstaatlichkeit“ der europäischen Gesellschaften weiter zunehmen wird mit der Begründung, damit den medial evozierten wachsenden Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerungen zu entsprechen (siehe dazu das – Sparpaket hin oder konkrete Bedrohungslage her – eilig verabschiedete Sicherheitspaket für die österreichische Innenministerin). Und so werden die in Paris vor die Kameras getretenen Regierungschefs künftig noch weniger Mühe haben, entgegen ihren aktuellen Bekundungen zur Meinungsfreiheit bei ihren nächsten Entscheidungen das Prinzip der präventiven Freiheitseinschränkung über das der Freiheit zu stellen.
A apropos Meinungsfreiheit: PolitikerInnen (fast) aller politischer Richtungen werden zurzeit nicht müde, die grenzenlose Freiheit insbesondere des Satirischen zu beschwören. Auch die konservativsten Kräfte greifen dabei gerne auf den sozialistischen Journalisten und Autor Kurt Tucholsky zurück, der 1919 (!) auf die Frage „Was darf die Satire?“ geantwortet haben soll: „Alles“. Ich weiß nicht, ob er in seinem apodiktischen Anspruch auch schon die menschenverachtenden Karikaturen der nationalsozialistischen Wochenzeitung „Der Stürmer“ (1923 gegründet) antizipiert hat. Studierende, mit denen ich das Thema zuletzt diskutiert habe, zeigten sich jedenfalls ganz überrascht, als sie im Zuge ihrer eigenen Argumentation erkennen mussten, dass die grenzenlose Verteidigung von Meinungsfreiheit auch in die ganz falsche Richtung gehen kann (Zur Erinnerung: Als der Schauspieler Hubsi Kramar im Jahr 2000 in karikierender Absicht in Hitler-Unform am Wiener Opernball erschien, wurde er verhaftet.
KünstlerInnen stehen außerhalb – stehen KünstlerInnen außerhalb?
In der Süddeutschen Zeitung vom 23. Jänner macht sich Andreas Zielcke Gedanken zur Frage: „Was soll Satire? Was soll sie?“. Darin hinterfragt er den Anspruch „grenzenloser Liberalität“ auch und gerade künstlerischen Schaffens. Er bezieht sich dabei auf eine Tradition künstlerischer Autonomie, die die „absolute Freiheit“ der Imagination und des (sprachlichen) Ausdrucks zur unbedingten Notwendigkeit erklärt. Geht es nach Autoren wie Salman Rushdie, dann gerate es nachgerade zur Pflicht des/r Künstlers/in, auf dieser Grundlage mit „radikaler subversiver Fähigkeit“ jegliche Macht und Autorität zu unterminieren. Das Ergebnis wären künstlerische Hervorbringungen, die die „Wahrheit zur Macht„ zum Ausdruck brächten. Diese Form der „Wahrheitsproduktion“ – und das scheint mir eine zumindest hinterfragenswerte Volte dieser Argumentation – lässt den Autor fein raus sein und ermöglicht ihm so den Status einer vermeintlichen Unangreifbarkeit. So sehr er den Mächtigen zusetzen mag, so sehr soll er selbst – um seiner Freiheit willen – von jeder Wirkung seiner Haftung für seine Worte und seine Bilder befreit sein.
Diese kunsttheoretische Position wurde in diesen Tagen brutal falsifiziert, entsprechend groß ist die narzisstische Kränkung aller, denen die Freiheit der Kunst ein besonders Anliegen ist. Immerhin erfolgten die Anschläge auf Charlie Hebdo nicht deshalb, weil die Redaktion einen extraterritoriale Position für sich beansprucht hat, sondern ganz im Gegenteil, weil ihre Tätigkeit als Bestandteil des konflikthaften Weltgeschehens begriffen wurde und nicht nur von den Attentätern selbst in vielfacher Beziehung zu dem interpretiert wurde, was sonst noch in der Welt passiert.
Karikaturen als performativer Akt in einem sozialen Umfeld
Wenn wir der Einschätzung folgen, dass Karikaturen einen performativen Akt in einem sozialen Umfeld darstellen, dann kommen wir um den Umstand nicht herum, dass auch das Herstellen dieser Art von Zeichnungen die Notwendigkeit mit sich bringt, für ihre Aussagen und ihre (möglichen) Folgen Verantwortung zu übernehmen. Damit habe nach Zielcke jede satirische Repräsentation der sozialen Situation einen ethischen Gehalt.
Ein solcher Zweifel an einer jenseitigen Unverantwortlichkeit künstlerischer Produktion rechtfertigt in keiner Weise die Ermordung ihrer Autoren. Aber sie erzwingt Überlegungen, wonach eine sich in sozialen Kontexten verortende Kunst nicht nur eine Form des – für die AutorInnen konsequenzlosen – Angriffs auf die Macht darstellt, sondern eine solche immer auch (mit) konstituiert: Sie beteiligt sich also an der sozialen Geltung dessen, was als „unsere Identität“ als unangreifbar gilt und wer dem gegenüber der „Andere“ ist, den man mit Hohn und Spott ausgrenzen darf. Und so geraten wir unweigerlich in ein unauflösbares Dilemma, in dem der Anspruch künstlerischer Autonomie unabdingbar auf einen sozialen Kontext bezogen bleibt, der über die Art und Weise seiner Verwirklichung entscheidet. Dies muss im gegenständigen Fall nicht – wie der Wiener Philosoph Rudolf Burger in einem Interview „Der Terror ist kein politischer Gegner“ in der Wiener Zeitung vom 23. Jänner 2015 gemeint hat – zu einer schleichenden Erosion westlicher, säkularer Lebensformen durch Infiltration islamischen Gedankengutes (für die zuletzt Michel Houellebecq in seinem Roman „die Unterwerfung“ die literarische Vorlage geliefert hat) führen. Es könnte auch bedeuten, dass sich KünstlerInnen mehr als bislang als TeilnehmerInnen eines sozialen Dialoges begreifen, deren Aufgabe sich nicht darin beschränkt, sich in einer Tradition des Geniekultes des 19. Jhdt. zu exponieren („Ich kann nicht anders“) sondern an einem offenen und demokratischen Diskurs mitzuwirken, der ihnen Gestaltungsfreiräume ebenso wie Mitverantwortung zuweist. Grundvoraussetzung dafür ist weniger manische Obsession zur Gestaltung des „Eigenen“ als ein vertieftes Interesse am „Anderen“, das mehr will, als verspottet zu werden.
Lachen als Mittel, sich der eigenen Unzulänglichkeit auszusetzen
Eigentlich wollte ich in diesem Blog über das Lachen schreiben. Immerhin zeichnen sich gute Karikaturen zumindest auch dadurch aus, dass man über sie lachen mag. Mit der Fähigkeit zu lachen ist es ja so eine Sache. Um Lachen zu können, bedarf es einer spezifischen Mischung von Stärke und Schwäche. So richtig lachen können wohl nur die, die über die Fähigkeit verfügen, sich der Unzulänglichkeit der Welt auszusetzen und den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen. Davon sind wir nach den Attentaten von Paris weiter denn je entfernt. Es regiert knochentrockene Ernsthaftigkeit, wohl um über die grassierende politische Hilflosigkeit hinwegzutäuschen. Und es stimmt ja auch, die aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen, mit denen uns die Medien marktschreierisch zumüllen, ohne dass sich da ein Weg auftun würde, sich dazu zu verhalten, geben wenig Grund zu Lachen und doch: Ohne eine lachende Zuversicht, die uns in Karikaturen nicht nur die Unzulänglichkeit der anderen, sondern vor allem die eigene vor Augen führt, werden wir keinen Weg aus der Krise finden.
Woher kommt die Energie zum Leben? – Als Politik sich noch als Kampffeld für eine bessere Welt verstand
Ich habe in diesen Tagen noch einmal die Romantrilogie „Wie eine Träne im Ozean“ von Manes Sperber zur Hand genommen. Auf mehr als tausend Seiten arbeitet sich dieser aus Ostgalizien stammende österreichisch-französische Autor, Sozialpsychologie und Philosoph an seiner Enttäuschung über die Entartungen des kommunistischen Sowjetregimes ab. Anhand einer Vielzahl von Figuren wird die überragende Bedeutung des Politischen deutlich, dem alles andere untergeordnet wird. Sie sind bereit, sich nahezu bedingungslos für ihre politischen Ideen einzusetzen, dafür zu kämpfen und wenn notwendig, auch dafür zu sterben. Ihr politischer Glaube macht selbst dort nicht halt, wo nicht der politische Gegner sondern die eigenen GenossInnen sich gegen sie wenden und zu vernichten suchen. Nicht nur für Sperber war es ein langer und leidvoller Prozess, sich in diesem literarischen Befreiungsschlag von diesem unbedingten Glauben zu lösen, um schließlich ins Lager der Antikommunisten zu wechseln.
Besonders fasziniert hat mich bei der Lektüre vor allem die Einsicht, wie wichtig den AkteurInnen Politik und damit das Streben nach einer besseren Gesellschaft als lebensentscheidende Richtschnur war. Und ja, ihre Überzeugung, der richtigen Sache zu dienen, schloss im heroischen Kampf die Tötung von Gegnern mit ein.
Es gehört zu den großen europäischen Mythen der Nachkriegszeit, die mit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems noch einmal eine umfassende Bestätigung erfahren sollten, dass zumindest auf diesem Kontinent dieser heroische Kampf sein Ende gefunden hat (die Balkankriege der 1990er Jahre stellten bestenfalls eine Ausnahme von der neuen Regel dar). Begründet war dieser Mythos auf einem politischen Deal, das Kriegsbeil des Klassenkampfes zu begraben und soziale Ungleichheiten nicht mehr beliebig ausarten zu lassen. 70 Jahre später spricht vieles für die Aufkündigung dieser Vereinbarung. Studien berichten von einer zunehmend ungerecht verteilten Welt, die immer mehr Menschen den Glauben an eine sinnvolle Zukunftsgestaltung nimmt. Und Augenzeugen berichten uns aus den Vorstädten europäischer Städte, die mehr und mehr an die Hoffnungslosigkeit der Ausgesteuerten der Nachkriegszeit erinnern lassen. Und weit und breit keine Politik, die diesen Ball überzeugend aufnehmen wollte.
Der Verlust des Politischen ist der Gewinn des Religösen
Zum Unterschied von damals entwickelt sich kein neuer politischer Glaubenskrieg. Die aktuelle politische Führung unternimmt erst gar nicht mehr den Versuch, ein besseres Morgen zu konzipieren; sie scheitert bereits bei der Organisation des Heute. Als einzige Nutznießerin eines “postheroischen Zeitalters“ vermochte sich bislang eine populistische Rechte mit ihren vereinfachten Schuldzuweisungen zu profilieren (Bei denen dürfen auch die Schwachen stark sein) während die europäische Linke, sofern sie sich noch an den Schalthebeln der Macht weiß als Handlanger „des Marktes“ bar jeglicher Perspektiven wirkt.
Dieses Vakuum, so meine Vermutung, will gefüllt werden, wenn nicht von innen dann von außen. Und wenn ich mich in die Rolle eines depravierten Jugendlichen in einem Banlieu versetze, der nichts zu lachen, weil nichts zu verlieren hat, dann kann ich angesichts des Fehlens jeglichen politischen Angebotes des politischen Establishments seine/ihre Bereitschaft nachvollziehen, mich Heilsbringern von wo auch immer zu überantworten. Mögen sie religiös argumentieren oder nicht, Hauptsache sie machen mich die eigene Schwäche vergessen und weisen mir eine Rolle als Macher und nicht als Leidtragender zu.
Wenn aber diese These nachvollziehbar ist, dann reden wir anlässlich der Attentate von Paris nicht von der Zukunft des Karikaturwesens sondern vom Wiederaufflackern eines Klassenkampfes, diesmal nicht im Gewand politischer Kommissare sondern religiöser Eiferer.
Slavoj Zizek weist in einem jüngsten Interview in der deutschen Tageszeitung taz darauf hin, dass es für die Linke höchste Zeit ist, mit überzeugenden Gegenprogrammen die Herausforderung anzunehmen – ansonsten brauchen wir über liberale Ansprüche von KünstlerInnen und auch allen anderen erst gar nicht mehr zu sprechen. Die Konsequenten aus den politischen Entscheidungen in Griechenland und darüber hinaus im gesamten Süden Europas werden bald zeigen, ob die Botschaft verstanden wurde.
Bildnachweis: "Aftermath of a car bomb" © Aaron Keene (https://www.flickr.com/photos/60556583@N00/82272497)
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