Vom Glanz und vom Elend der österreichischen Kulturpolitik
Anlässlich des österreichischen Nationalfeiertages war ich eingeladen, im Rahmen einer virtuellen Konferenz des Treffpunkt KulturManagement zum Verhältnis von österreichischer Kulturpolitik und nationaler Identitätsbildung zu sprechen.
Anbei einige der wichtigsten Thesen, die ich dort angesprochen habe:
Wer die Logik der österreichischen Kulturpolitik verstehen will, tut gut daran, dem Gründungsmythos der österreichischen Kulturnation auf den Grund zu gehen. Dabei wird rasch klar, dass vieles, was die Welt bis heute als Inbegriff der österreichischen Kultur wahrnimmt, seinen Ursprung in den Repräsentationsbedürfnissen der ausgehenden Habsburger-Monarchie hat. Dabei folgten die feudalen Kulturinvestitionen nicht der Absicht, die BürgerInnen am politischen Leben zu beteiligen; ganz im Gegenteil, es galt, sie mit kulturellen Mitteln davon abzuhalten bzw. ihnen ein durchaus glanzvolles, dafür gesellschaftspolitisch irrelevantes Ersatzfeld zuzuweisen.
Mit 1918 begann die lange Verlust- und Verlierergeschichte des nunmehrigen Kleinstaates Österreich. „L’Autriche, c’est qui reste!“ war fortan der Staat, in dem sich die Unsicherheit des politischen Überlebens mit einer ebenso übergebliebenen wie überdimensionierten kulturellen Infrastruktur auf exemplarische Weise paaren sollte. Es waren vor allem die konservativen bzw. austrofaschistischen Kräfte, die sich in der Konstruktion einer vermeintlich besseren Vergangenheit in Form einer idealisierten antidemokratischen Identität die Existenz dieser exzeptionellen kulturellen Infrastruktur zu Nutze machen sollten, um sie für ihre politischen Zwecke zu nutzen.
Diese politische Instrumentalisierung lässt sich noch einmal in besonderer Weise für die unmittelbare Nachkriegszeit festmachen, als dem Kulturbetrieb im Rahmen der „austriakischen Restauration“ nicht nur die Aufgabe zukam, das Bürgertum von den unmittelbaren Kriegsfolgen abzulenken sondern auch dem Ausland ein rundum positives, in jedem Fall unbelastetes Bild Österreich-Bild zu suggerieren. Damit sollte „Kultur“ mithelfen, die Involvierung vieler, auch österreichischer KünstlerInnnen, in das nationalsozialistische Terrorregime vergessen zu machen und überdies einen Beitrag zur mehr als unterentwickelten nationalen Identitätsbildung als einer „Kulturnation“ leisten.
Retrospektiv kann man sagen, dass diese Strategie voll aufgegangen ist. Mozart und Strauss in ihren institutionellen Verfassungen wurden international zum Synonym für österreichische Lebensfreude, an der zumindest zu Neujahr die ganze Welt teilhaben kann (ein Schelm, der da daran erinnern mag, dass das Neujahrskonzert ursprünglich eine Erfindung der Nazis war, um die Wiener von den Gefahren der heranrückenden Kriegsfront abzulenken). Den Rest des Jahres ist das Publikum eingeladen, als Kulturtouristen das überreiche kulturelle Erbe in seiner ganzen katholisch-barocken Prachtentfaltung zu bewundern.
Diese stark retrospektive Mythenbildung hatte freilich seinen Preis, der in einer massiven Diskriminierung der zeitgenössischen Kunst bestand, gegen die mit der ganzen Macht der Gesetze vorgegangen wurde (z.B. dem Gesetz gegen Schmutz und Schund). Und so sind ausgewählte US-amerikanische KulturwissenschafterInnen, die ich zuletzt nach dem Kulturimage Wiens befragt habe, wahrscheinlich keine Ausnahme, wenn sie meinten, Wien sei „the representation of a former civilisation“. Beweis gefällig: Nennen Sie bitte fünf klassische Komponisten aus Österreich. Und dann atmen Sie durch und nennen fünf zeitgenössische österreichische KomponistInnen………
Kulturpolitisch war diese Form der politischen Instrumentalisierung eines überdimensionierten Kulturbetriebs insofern von nachhaltiger Wirkung, als dieser die diversen, zum Teil dramatischen Wechsel der politischen Systeme im Laufe des 20. Jadts in seiner inneren Struktur und Logik weitgehend unverändert überstanden hat. Signifikante Veränderungen gab es erst mit dem Übergreifen neoliberaler Politikkonzepte auch auf den Kulturbereich ab den 1990er Jahren, die zuerst zur Teilrechts- und danach zur Vollrechtsfähigkeit führen sollten. Das Ergebnis war zuallererst eine wohl unbeabsichtigte weitere Entmachtung von Kulturpolitik, die sich seither noch weniger in der Lage sieht, mit Ausnahme einiger weniger Personalentscheidungen den Kulturbetrieb steuernd zu beeinflussen.
Dieses Zugeständnis gegenüber der grassieren Ökonomisierung funktionierte auch deshalb, weil die ursprünglichen, unmittelbar politischen Aufgaben als weitgehend erfüllt angesehen werden konnten: Mit der Affäre Waldheim erscheint heute die Nazi-Vergangenheit vieler ÖsterreicherInnen in einem anderen Licht, die Kulturmarke „Österreich“ ist nachhaltig durchgesetzt, der Nachkriegsschutt weggeräumt und auch die nationale Identität erscheint bei der überwiegenden Anzahl der ÖsterreicherInnen völlig unhinterfragt.
Geblieben aber ist die starke Position einiger weniger Kunst- und Kultureinrichtungen in der kulturpolitischen Entscheidungsfindung. Nach wie vor geht der überwiegende Teil der öffentlichen Förderungsmittel an nur einige ganz wenige Häuser, eine Entwicklung, die sich mit der Krisenhaftigkeit der öffentlichen Haushalte noch einmal signifikant verschärft. Platt ausgedrückt: Für freie Kunstproduktion (und wohl auch ihrer Vermittlung) bleibt immer weniger.
Es ist also kein Zufall, wenn das Führungspersonal den kulturpolitischen Kurs des Landes nach wie vor bestimmt und dabei die Gestaltungsspielräume von demokratisch legitimierten KulturpolitikerInnen immer weiter einschränkt. Und so entsteht eine neue Form der kulturellen Ungleichzeitigkeit: Während Österreich die museale Glanzproduktion in seiner feudalen Architektur mit beträchtlichen öffentlichen Mitteln perpetuiert, entstehen weitgehend bezugslos dazu eine Vielzahl neuer, fluktuierender „Kulturräume“, die mit den Trends Marktförmigkeit, Interkulturalisierung oder Mediatisierung nur ungenügend beschrieben werden können.
In Ermangelung jeglicher öffentlicher Diskussion (die sich im Augenblick ausschließlich auf die Malversationen einzelner selbstherrlicher Museums- und Kunsthallendirektoren beschränkt) erscheint eine an den etablierten Kulturbetrieb gefesselte Kulturpolitik immer weniger in der Lage, diese neuen Entwicklungen auch nur wahrzunehmen, geschweige denn für eine neue Generation kulturpolitischer Programme zu antizipieren.
Die Folge ist eine fortschreitende Musealisierung nicht nur der österreichischen Kulturproduktion sondern auch seiner Kulturpolitik, die sich zunehmend damit begnügt, sich im Abendlicht einer vermeintlich besseren Vergangenheit zu sonnen. Einer mit immer mehr Unsicherheit kontrollierten Welt gefällt’s. Ausbaden müssen es all diejenigen, denen es nicht genügt, einmal im Leben die Wiener Staatsoper zu besuchen sondern die sich um die Ausgestaltung neuer Kulturräume bemühen, ohne von so etwas wie Kulturpolitik überhaupt noch wahrgenommen zu werden.
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