Von einem, der auszog, die österreichische Kulturpolitik mit wissenschaftlichen Mitteln zu fassen – und daran scheiterte
Mit meiner Geschäftsführer-Tätigkeit beim Österreichischen Kulturservice (ÖKS) waren meine Ambitionen, einen strategischeren Zugang zu Kulturpolitik – wie in anderen Ländern längst üblich – auch in Österreich zu verankern, nicht mehr meine erste berufliche Priorität. Angesagt war ab sofort praktisches kulturpolitisches Handeln, in der Hoffnung, den von Deutschland übernommenen Slogan „Kultur für Alle“ (Hilmar Hoffmann) Wirklichkeit werden zu lassen.
Kulturpolitisches Handeln, ja schon, aber ohne jede Evidenzanalyse der Wirkungen
Im Nachhinein kann ich nur staunend zur Kenntnis nehmen, dass wir uns bei allen Bemühungen auf keinerlei empirische Evidenzen bezogen. Nicht, weil wir nicht wollten, sondern weil es uns erst gar nicht in den Sinn gekommen ist und wohl auch, weil es solche, jedenfalls in aufbereiteter bzw. systematisierter Form überhaupt nicht gegeben hat.
Die Gründe lagen wohl in einer im katholischen Österreich l lang tradierten ideologischen Präformierung, wonach , dass Kunst als das schiere Gegenteil von Wissenschaft zu sehen sei: hochindividualisiert, subjektiv, sinnlich, alles Zuschreibungen, die wissenschaftlichen Ansprüchen der Objektivität und Allgemeingültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis zuwider laufen. Mit wissenschaftlichen, zumal sozialwissenschaftlichen Methoden – so der Tenor des Kulturbetriebs – wäre der Kunst nicht beizukommen; sie würde durch kunstfremde Beobachtung gefährdet, verwässert und ihrer Einmaligkeit beraubt. Daraus ergab sich ein kulturpolitisches Handeln mit einem hohen Maß an Informalität und Personalisierung; was zählte, das war in erster Intuition des führenden Personals und nicht wissenschaftliche Evidenzen. Einen guten Riecher musste man haben sowie taktisches Geschick, wenn es darum ging, sich mithilfe von Seilschaften in den jeweiligen politischen Machtverhältnissen durchzusetzen.
Für den ÖKS bedeutete dies u.a., dass die getroffenen Maßnahmen keinerlei systematischen Evaluierung unterzogen wurde. Eine solche für das gesamte Unternehmen sollte erst viele Jahre später erfolgen, als der parteipolitische Druck zunahm, und das konservativ geführte Ministerium begann, Daten für eine allfällige Schließung (oder zumindest meinen Hinauswurf) zu sammeln. Es genügte, wenn die Kolleg*innen die eine oder andere Projektidee entwickelten, die – sofern wir die finanzielle Bedeckung auftrieben – realisierten. Um uns nach Abschluss neuen Projekten zuzuwenden.
Der sogenannte „Wie-Wars?-Folder“, der zur finanziellen Zusage von Dialogveranstaltungen ausgeschickt wurde, war lange Zeit das einzige Instrument, um seitens der Lehrer*innen dokumentierbares Feedback zu erhalten (das heißt nicht, dass uns Lehrer*innen nicht in zum Teil überbordenden Elogen telephonisch davon berichten wollten, wie schwierig die Situation vor Ort wäre. Das stellte die Fachreferent*innen des ÖKS immer wieder vor große Herausforderungen, wenn sie die Rolle von Kummerkästen einnehmen sollten, freilich ohne jede Handhabe, die Situation zu verändern). Aber selbst diese Anforderung an die Lehrkräfte, nach dem Abschluss der Dialogveranstaltung einige wenige Fragen zu beantworten, wurde nur zu oft als eine weitere bürokratische Hürde angesehen. Die Unterstellung lautete: Die Rückmeldungen würden ja ohnehin früher oder später in den Schubladen verschwinden. Und angesichts des Fehlens jeglicher Analyseinstrumente hatten sie damit nicht ganz unrecht.
Der ÖKS eingezwängt zwischen Kunst- und Wissenschaftsproduktion
Die Stellung des ÖKS als eine dem Ministerium vorgelagerte Fördereinrichtung brachte – jedenfalls mich – immer wieder in die Defensive sowohl gegenüber dem Kunstbetrieb (der uns vor allem in Gestalt einzelner Interessensverbände entgegentrat) als auch dem Wissenschaftsbetrieb. Gerhard Ruiss von der IG Autoren und Autorinnen gerierte sich lange Zeit als Wortführer einer Künstler*innen-Fraktion, die den ÖKS als eine unnötige Instanz zwischen Fördergeber und Fördernehmer denunzierte. Das Ministerium solle besser der unmittelbaren Schöpferkraft von Künstler*innen vertrauen und sie hinreichend finanzieren. Alles andere würde sich schon von allein regeln.
Und da waren auf der anderen Seite die kunstbezogenen Geisteswissenschaften, die in einem hochelaborierten Jargon einen Kunstdiskurs führten, der jedenfalls im Rahmen von ÖKS-Aktivitäten nicht so einfach übersetzbar und an die Schulen vermittelbar erschien. Im Gegensatz zu heute versuchten sich diese elitären Elfenbeintürme absichtsvoll vom Rest der Welt abzugrenzen, um so ihre eigene Position unantastbar zu machen. Für die Sozialwissenschaften wiederum schien – mit Ausnahme des schon erwähnten ifes-Institutes – der Kulturbereich überhaupt nicht zu existieren. Und die damals en vogue werdenden empirisch geleiteten Bildungswissenschaften und ihrem Anspruch auf Daten geleitete Bildungsplanung hatte mit Kunst und Kultur wiederum nichts am Hut. Es wollte noch eine Weile dauern, bis ein „Cultural Turn“ und sein Hype rund um die Etablierung Kulturwissenschaften die bislang kategorialen Trennlinien zumindest aufweichen würde.
Der ÖKS verstand sich in diesem Kontext lange Zeit als nicht wirklich dazugehörender Fremdkörper, erst gegen Ende meiner Geschäftsführer-Tätigkeit bewarb sich der ÖKS um Fördermittel zur Durchführung einer wissenschaftlichen Studie zur Einschätzung der Bedeutung von Kunst und Kultur in der Schule für das Unterrichtsministerium. Zur selben Zeit unternahm das Unternehmen einen Ausflug in den Sozialbereich. Im Rahmen von „EQUAL“, einer Initiative des Europäischen Sozialfonds anlässlich des damals aktuellen Hypes rund um Cultural and Creative Industries ging der ÖKS zusammen mit einer Reihe von Partnern aus dem Sozialbereich der Frage nach, inwieweit künstlerische Tätigkeiten am Arbeitsmarkt diskriminiert würden. „ARTWORKS – Künstlerische Dienstleitungen im Dritten Sektor“ wurde damit zum Startschuss für eine Neuverortung von Kulturpolitik, die erstmals eine Ahnung davon erhielt, dass isoliert-selbstreferentielle Herangehensweisen auf Dauer das Überleben des Kultursektors nicht würde garantieren können.
Während die Aufgabenstellung des ÖKS als ein Dienstleistungsbetrieb vor allem in der praktischen Umsetzung kulturpolitischer (und später bildungspolitischer) Maßnahmen bestand, wollte ich auf meinen ursprünglichen Plan, ein genuines Politikfeld Kulturpolitik zu implementieren und damit staatliches Handeln zugunsten von Kunst und Kultur stärker konzeptionell zu fassen, nie ganz verzichten.
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Bild: pixabay: “absperrband-knoten-flatterband-rot-4974274“/ Carola68. CC BY-NC-SA.
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