Von wegen frei
In diesen Tagen gab die Freie Szene in Wien ein Lebenszeichen. Die Interessensgemeinschaften der verschiedenen Kunstsparten luden zu einen zweitägigen Symposium „Freie Szene – Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit – Fair Pay. Konkrete Strukturen und Ideen für Wien“ im Wiener Gartenbau-Kino. Viele von den kulturpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre frustrierte Künstler*innen und Kulturschaffende waren gekommen; sie alle erhofften sich im Dialog mit der neuen Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler eine Verbesserung ihrer prekären Arbeitsbedingungen. In der mehr als einjährigen Vorbereitungszeit hatten die Standesvertreter*innen u.a. eine Reihe deutscher Initiativen wie Ausstellungshonorare oder Mindesthonorare studiert, um nach Jahren der Marginalisierung die materiellen Voraussetzungen der Freien Szene im Wiener Kulturleben im Zeichen einer „Utopie der Gerechtigkeit“ noch einmal nachhaltig zu verbessern.
In Österreich war das staatliche Interesse an der Freien Szene in den letzten Jahren – euphemistisch gesprochen – enden wollend. Die führenden Vertreter*innen der Kulturpolitik auf Bundesebene, aber auch in Wien zeigten immer weniger Bereitschaft, auch nur den regelmäßigen Dialog aufrecht zu erhalten. Stetig sinkende Fördermittel deuteten darauf hin, dass das kulturpolitische Potential des Sektors als weitgehend erschöpft eingeschätzt wurde und die Kulturpolitik sich zunehmend darauf beschränkte, seine Akteure als lästige Bittsteller mit Almosen abzuspeisen.
Wir kommen um die Frage nicht herum: Was leistet die Freie Szene (noch) für die Gesellschaft?
Im Mittelpunkt der Präsentationen aus den verschiedenen Fachbereichen stand der Anspruch der gerechten Bezahlung einer künstlerisch-kulturellen Tätigkeit, die zumindest für sich selbst ungebrochen gesellschaftliche Relevanz beansprucht. Also ging es vordergründig ums Geld, konkret um mehr Geld, das nach Jahren der sukzessiven Kürzungen der öffentlichen Mittel ein Auskommen jenseits der Armutsgrenze ermöglichen soll. Und doch waberte über den einzelnen Präsentationen die unausweichliche Frage nach einer Erneuerung der von der Freien Szene repräsentierten politisch-inhaltlichen Ansprüche, die Forderungen nach besserer materieller bzw. sozialer Absicherung überhaupt erst begründbar erscheinen lassen. Noch so berechtigte Forderungen nach mehr materiellen Ressourcen (Bezahlung, soziale Absicherung,…) werden – so steht zu befürchten – ohne hinreichende Klärung der gesellschaftlichen Gegenleistungen in einem zunehmend umkämpften kulturpolitischen Kampffeld nicht ausreichen, um eine breite politische Zustimmung zu erfahren.
Ganz offensichtlich ist es im öffentlichen Bewusstsein zu einem schleichenden Paradigmenwechsel gekommen. Ein solcher führte dazu, die Arbeit in der Freien Szene zu einer Privatsache zu erklären, ohne dass sich daraus nochmals eine Verpflichtung der öffentlichen Hand zu ihrer Ermöglichung bzw. Aufrechterhaltung abgeleitet werden könnte. Beispielhaft brachte dies die feministische Kulturtheoretikerin Bojana Kunst in ihrem Eingangsstatement zum Ausdruck, wenn sie ein Portrait einer Künstlerin auf der Suche nach einer nichtentfremdeten und damit autonomen künstlerischen Existenz präsentierte. Diese bezahlt ihren Anspruch mit der Prekarität ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse, ohne dass eine öffentliche Instanz noch einmal bereit wäre, für dieses Auseinanderklaffen von ideellem Anspruch und realer Umsetzung zumindest Mitverantwortung zu übernehmen.
Die Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich Yvonne Gimpel machte in ihrer Einführung deutlich, dass Österreich bei diesem sukzessiven Bedeutungsverlust der Freien Szene keine Ausnahme darstellt. Vielmehr ließe sich in fast allen westeuropäischen Staaten ein sinkendes Engagement der öffentlichen Hand für kulturelle Belange ganz insgesamt und für den Freien Sektor im Besonderen feststellen (eine Ausnahme bildeten einige osteuropäische Länder, die freilich von einem anderen Niveau aus starten). Das verbleibende Engagement orientiere sich zunehmend an einer marktwirtschaftlichen Logik der Output Orientierung und außerästhetischer Erfolgsbemessung; so seien strukturfördernde Maßnahmen zunehmend von Einzelprojektförderungen abgelöst worden.
Wenn Gimpel angesichts eines solchen kulturpolitischen Mainstreamings noch einmal die Frage aufwarf, ob gerechte Bezahlung für künstlerische Arbeit im Freien Bereich eine machbare Utopie darstellt, dann lohnt eine kurze historische Rückschau, um diese Frage besser beantworten zu können.
Über einen alten Konflikt, den neoliberale Allverfügbarkeit vergessen zu machen droht
Dazu eine notwendige Vorbemerkung: Es schien lange Zeit zu einem konstitutiven Bestimmungsstück des bürgerlichen Kulturbetriebes zu gehören, das Thema Freiheit zu problematisieren. Ihre zentralen Funktionsträger gingen von einer kategorialen Differenz zwischen einem „Reich der Notwendigkeit“ und einem „Reich der Freiheit“ aus. Während in ersterem mehr oder wenig mühsam (entfremdete) Arbeit geleistet wurde, sollte in zweiterem der Mensch als kulturelles Wesen mithilfe der Künste zu sich kommen. Institutionalisiert wurde dieses Reich der Freiheit in einem Kulturbetrieb, der eigenen Regeln gehorchte und Produzent*innen ebenso wie Rezipient*innen als zentraler Ort der Selbstvergewisserung diente. Beide Seiten konnten hier – zumindest für die Dauer einer Aufführung – in eine utopische Welt eintauchen, um dort eine Ahnung eines Lebens als Ganzes zu erfahren.
Gegen diese Form der kollektiven Schizophrenie versuchten sich künstlerische Avantgarden im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer wieder abzuarbeiten. Sie forderten eine Zusammenführung dieser beiden Reiche und damit eine Wiedervereinigung von Arbeit und Leben in Gestalt einer nicht entfremdeten Existenzweise, die mit vorrangig künstlerischen Mittel geschaffen werden sollte.
In den 1970er Jahren sollte dieser Widerspruch kulminieren, wenn selbst prononcierte Vertreter*innen des traditionellen Kulturbetriebs seine weitgehende Erstarrung beklagten. Mit seinem strikt arbeitsteiligen Angebot würde er das Gegenteil von dem bewirken, was er einst versprochen hatte: die Trennung von Arbeit und Leben zu überwinden. Dazu würde er zu einer gesellschaftlichen Spaltung beitragen wonach eine gut gebildete und in der Regel wohlhabende Minderheit, die als kulturell interessiert in einem wertenden Gegensatz zur großen Mehrheit gebracht wurde, die als Nichtnutzer*innen als „kulturlos“ etikettiert werden konnte. „Schlachtet die heiligen Kühe!“, meinte damals Pierre Boulez, um sich auf die Suche nach alternativen kulturellen Ausdrucksformen zu machen.
Die Freie Szene als Garant für eine neue Ästhetik
Dies war wohl die Geburtsstunde einer „Freien Szene“. Ihre Vertreter*innen wollten sich nicht mehr der überkommenen Logik des etablierten Betriebs unterwerfen. Stattdessen suchten sie Anschluss an bisher vernachlässigte Teile der Gesellschaft, die in der damaligen Aufbruchsstimmung als Zukunftsträger gegen das rückwärtsgewandte Establishment angesehen wurden. In einer solchen Konstellation erwuchsen zumindest zwei Charakteristika, die für die Freie Szene kennzeichnend werden sollten: Da war einerseits der Anspruch, eine neue Ästhetik zu entwickeln, die mit experimentellen Mitteln die erstarrten künstlerischen Ausdrucksformen des Betriebs konterkarieren sollte: Künstlerische Produktion sollte nicht mehr auf Traditionen aufbauen sondern sich neu erfinden und so vielfältige Gegenentwürfe gegen die Hegemonialansprüche eines künstlerischen „Old-Boys-Network“ zu schaffen.
Und da war andererseits der Anspruch, es mit anderen Menschen zu tun zu bekommen, vor allem mit versprengten Jugendszenen, die bislang als bestenfalls geduldete Subkulturen weitgehend isoliert in städtischen Nischen Vorlieb nehmen mussten. Für diesbezügliche Begegnungen sollten neue Orte gefunden werden, die – möglichst nahe an den Arbeits- und Lebensverhältnissen der Menschen – neue Vorstellungen einer egalitären Kultur, in der die Grenzen zwischen Produktion und Rezeption verschwinden, möglich machen sollten.
Es war einmal: Die Freie Szene als treibende Kraft gesellschaftlicher Entwicklung
Aufmerksame Kulturpolitiker*innen der damaligen Ära erkannten bald die Bedeutung dieser Entwicklungen und versuchten ihnen in verschiedener Weise Rechnung zu tragen. Die Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk verzehnfachte in den 1980er Jahren das Fördervolumen für die Freie Theaterszene. Sie versprach sich von der Freien Szene einen wichtigen Beitrag zur Realisierung eines Modernisierungskonzeptes der Stadt. Sie sollte ein nachhaltiges Gegengewicht gegen die dröge gewordenen Kulturtanker schaffen, von denen keinerlei ästhetische Innovationen mehr ausgingen. Auch auf Bundesebene kam es zu einer stetigen Ausweitung des Förderinstrumentariums, das neben der Bestandserhaltung der zentralen kulturellen Infrastruktur in zunehmendem Ausmaß auch die unterschiedlichen Sparten einer „freien“ Kunstausübung miteinbezog. Mit der Implementierung der neuen Förderkategorie „regionale Kulturinitiativen“ sollte vor allem dem Anspruch eines „breiten Kulturbegriffs“ Rechnung getragen werden. Ihr Angebot sollte sich nicht nur an eine kleine kundige Elite richten sondern –möglichst niederschwellig – möglichst viele Menschen in das kulturelle Geschehen einbeziehen, um so die traditionellen kulturellen Differenzen zumindest zu relativieren.
Aus heutiger Sicht lassen sich zwei Erfolgsgeschichten der Freien Szene ausmachen: Da sind zum einen die nachhaltigen ästhetischen Impulse, die mittlerweile tief in den etablierten Bereich hineinwirken. Dies äußert sich auch in einer zunehmenden Durchlässigkeit: Immer mehr freie Künstler*innen sehen sich nicht mehr in unversöhnlicher Opposition gegen die überkommenen Institutionen sondern wechseln ganz pragmatisch schon mal die Seiten, um die Vorteile institutioneller Sicherheiten zu nutzen. Dies bewirkt eine neue Gemengelage zwischen Freier Szene und institutionellem Betrieb, in der keine Seite mehr das ästhetische Innovationsmonopol für sich zu beanspruchen vermag, im besten Fall gegenseitige Ergänzung stattfinden kann.
Die Freie Szene steht für eine nachhaltige Ausweitung des Kunst- und Kulturangebotes
Und da ist zum anderen die schiere Vermehrung einer kulturinteressierten Öffentlichkeit. „So viel Kunst war nie“. Und die Freie Szene hat sicher wesentlich dazu beigetragen, um den Preis der eigenen Institutionalisierung das Kulturangebot nachhaltig auszuweiten und mehr Menschen dafür zu gewinnen. Die utopischen Erwartungen, mit Kunst ein neues Verhältnis zwischen Arbeit und Leben bei den großen Mehrheiten stiften zu können, blieben dabei weitgehend auf der Strecke. Als Möglichkeit einer angenehmen Freizeitgestaltung aber machen mehr Menschen denn je von einem vielfältigen Kulturprogramm Gebrauch. Wer als Veranstalter jeweils dahinter steht, ist für sie in der Regel bestenfalls zweitrangig geworden.
Möglicherweise sind es gerade diese Erfolgsgeschichten, die fragen lassen, ob es eine Freie Szene mit ihrem utopischen Anspruchsdenken heute noch braucht. Könnte es sein, dass die zum Teil skandalösen Arbeitsverhältnisse im freien Bereich Ausdruck von Marktverhältnissen ist, in denen von ihr erbrachten Leistungen nur mehr ein geringer Wert zugemessen wird? Dies umso mehr, als sich Politik (und damit auch Kulturpolitik) immer weniger als eine Form der wertorientierten Marktkorrektor versteht, um so vor allem kulturellen Ausdrucksformen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, die von sich aus nicht in der Lage sind, sich hinreichend am Markt zu realisieren.
Bereits die kulturpolitische Schwerpunktverlagerung zu Beginn der 2000er Jahre zugunsten von „Creative und Cultural Industries“ hat den Auftrag des Staates, seine Förderpolitik komplementär zur herrschenden Marktlogik auszurichten, nachhaltig geschwächt. Dazu kommt die weitgehende „Vermarktförmigung“ selbst der großen öffentlichen Kultureinrichtungen, die als die zentralen Kulturanbieter immer weniger kulturpolitische Gegensteuerung erfahren. Als solche bestimmen sie unter Beibehaltung extrem ungleicher Wettbewerbsverhältnisse wesentlich das auch für die Freie Szene existenzentscheidende Verhältnis von Angebot und Nachfrage.
Der „freie“ Künstler/die „freie“ Künstlerin als paradigmatischer Ausdruck neoliberaler Lebens- und Arbeitsweise
Besonders deutlich wurde mir dieser umfassende gesellschaftliche Transformationsprozess just an der Figur des/der „freien“ Künstlers/Künstlerin. Mit ihrer Selbstbeschreibung als besonders flexibel, als mobil, als kreativ, resilient gegenüber Unerwartetem und Frustrierendem, in der Regel kinderlos und alleinstehend erweist er/sie nicht mehr als besonders beispielhafter Ausdruck einer nichtentfremdeten Existenz. Er/sie fungiert viel mehr als ein Role Model eines neoliberalen Weltbildes, das jede verbindliche Regelung kollektiver Sicherung als hinderlich für eine bestmögliche Durchsetzung individueller Erfolgsstrategien erklärt.
Die besondere Infamie in der Zuschreibung einer solchen neuen Avantgarde liegt – nicht nur im Freien Kulturbereich – in der besonderen Prekarität der damit verursachten Arbeits- und Lebensverhältnisse, die diesbezügliche Utopien der 1970er Jahre in ihr schieres Gegenteil verkehren. Und so erfahren wir ungewollt von einem neuen Widerspruch, wonach die in freier künstlerischer Tätigkeit inkorporierte moderne Arbeits- und Lebensweise einerseits für immer mehr Menschen als einzig überlebensfähiges Zukunftsmodell gepriesen wird und genau dieses Modell immer mehr Menschen in Armut und Bedürftigkeit nach staatlicher Alimentierung führt.
So erfreulich die zumindest partielle Öffnung des etablierten Kulturbetriebs gegenüber nicht institutionalisierten künstlerischen Ausdrucksformen erscheinen mag, so sehr hat diese der Freien Szene ihr Alleinstellungsmerkmal als sowohl ästhetisch als auch sozial innovative Kraft beraubt. Zum Ausdruck kommt hier eine Ermüdung im permanenten Überlebenskampf, die es der Freien Szene immer schwerer macht, ästhetisch mit dem institutionalisierten Sektor Schritt zu halten, der im Rahmen vielfältiger Bildungs- und Vermittlungsaktivitäten viel Energie darauf verwendet, sich auch sozial gegenüber neuen, bislang vernachlässigten sozialen Gruppen zu positionieren.
Die digitale Revolution als großer blinder Fleck
Noch wesentlich einschneidender aber scheinen die Folgen der aktuellen technologischen Revolution. Ihre Betreiber*innen verstehen es, mit ihren großen Zukunftsversprechen die kreativen und innovativen Potentiale zu binden, die sich noch vor wenigen Jahren im freien Sektor engagiert hätten. Es war für mich faszinierend festzustellen, dass an beiden Tagen der Tagung der Begriff der Digitalisierung kein einziges Mal gefallen ist. Also erlebte ich eine Freie Szene, die sich weitgehend unbeeindruckt von der Tatsache gezeigt hat, dass sich zurzeit ein ganz neuer Kulturraum auftut, der alles, was bislang kulturell der Fall war, zur Disposition stellt. Und so wurde dieser blinde Fleck zum beredtsten Ausdruck für einen Wechsel von einer Avantgarde, die von neuen Lebens- und Arbeitsverhältnissen mit künstlerischen Mitteln zu berichten weiß
hin zu einer Derrieregarde, die aus einer Verteidigungshaltung heraus noch einmal versucht, zu retten, was zu retten ist.
Da half nur wenig, dass der langjährige Vorsitzende der IG Autor*innen Gerhard Ruiss in fast schon virtuoser Manier im Abschlussplenum nochmals 29 Forderungen zu erheben wusste, um kurzfristig zu einer pragmatischen Verbesserung der Arbeitsverhältnisse zu kommen. Entscheidender scheint mir zu sein, ob es der Freien Szene als Repräsentationsform der „unbekannten Künste“ (Selbstzuschreibung eines Szene-Mitglieds) nochmals gelingt, überzeugende Referenzen als dynamische Kraft in der aktuellen gesellschaftspolitischen Verfasstheit beizubringen (Anleihen dazu ließen sich etwa im Rahmen der aktuellen Studie der Deutschen Kulturpolitischen Gesellschaft „Neue Formate und Methoden der soziokulturellen Arbeit“ nehmen).
Zumindest im europäischen Kontext haben sich Versuche, strategische Allianzen mit anderen Teilen der Zivilgesellschaft herzustellen, als besonders erfolgsversprechend erwiesen. Aus Sicht der staatlichen Kulturpolitik läge das besondere Asset der Freien Szene in ihrer gewachsenen Fähigkeit, sich dem marktwirtschaftlichen Stachel zu widersetzen. Während die großen Tanker in den letzten Jahren ohne wesentliche staatliche Steuerung den Marktkräften überlassen wurden, wäre es naheliegend, auf eine „Neue Kulturpolitik“ zu setzen, die sich als ein Korrektiv eben dieser versteht. Dies aber setzte die Wiedergewinnung einer politischen Haltung, im Bereich der Kulturpolitik ebenso wie im Bereich der Freien Szene, voraus, die darauf hinausläuft, nicht nur die (mehr als berichtigten) Interessen von freier Künstler*innen zu vertreten, sondern sich mit ihnen noch einmal an der Utopie besserer Arbeits- und Lebensverhältnisse zu versuchen.
Ich sage das mit aller gebotenen Mentalreservation, wenn sich zur Zeit keine signifikanten politischen Kräfte abzeichnen, die willens und in der Lage wären, noch einmal in Allianz mit der Freien Szene zu neuen gesellschaftlichen Ufern aufzubrechen. Beispielhaft dazu wurde in den letzten Tagen eine Neuauflage des „Civil Society Index“ veröffentlicht, der u.a. eine nachhaltige Verschlechterung der Kommunikation zwischen Politik und Zivilgesellschaft (inklusive dem Kulturbereich) feststellt.
Die Sehnsucht nach einem besseren, nach einem schöneren Leben ist ungebrochen
Und doch: In ihren engagierten Stellungnahmen hat die Kulturstadträtin Kaup-Hasler deutlich gemacht, dass sie auf der Seite der Freien Szene steht. In ihrer Herangehensweise schien es manchmal, sie hätte ihre Intendanten-Tätigkeit vom steirischen herbst auf die Stadt Wien verlagert, um sich auf diese Weise mit „ihren“ Künstler*innen zu verbünden.
Kulturpolitik aber ist mehr: Sie zielt auf die Erneuerung einer kulturellen Hegemonie in einer Öffentlichkeit, die heute tief geprägt ist aus einer Mischung neoliberaler Alternativlosigkeit und sozialer Desintegration. Das Programm der aktuellen Bundesregierung bildet (fast wie der Kulturbetrieb der 1970er Jahre) täglich neue Handhaben, sich dagegen abzuarbeiten. Eine daraus resultierende Profilierung ergäbe nicht nur neue Argumente zur Existenzberechtigung, sondern schüfe auch neue Grundlagen für Fair Pay, im Bereich der Freien Kulturarbeit und anderswo.
Bild: © eSel.at – Lorenz Seidler
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