Voneinander lernen – Miteinander tätig sein: EDUCULT verstärkt sein Team mit Gottfried Eisl als kaufmännischem Leiter
Es muss jetzt schon mehr als zwanzig Jahre her sein, dass der Österreichische Kultur-Service vom damaligen Unterrichtsministerium beauftragt worden ist, ein Projekt „Miteinander leben – Voneinander lernen“ durchzuführen. Die Bildungspolitik reagierte damit erstmalig auf den Umstand, dass die Klassenzimmer immer bunter wurden und eine Ahnung davon aufkam, dass der Erfolg von Schule künftig wesentlich davon abhängen wird, SchülerInnen mit zum Teil ganz unterschiedlichen ethnischen, kulturellen, sprachlichen und sozialen Hintergründen aufeinander neugierig zu machen und sie für gemeinsames Lernen zu gewinnen. Wir produzierten damals u.a. eine Broschüre, von der der damals zuständige Sektionschef meinte, sie erinnere ihn an einen Linoleum-Katalog und doch hat sich seither eine Vielzahl an gleichlautenden Initiativen gebildet, die die Idee bis heute weiter getragen haben (allein auf Google habe ich 180.000 Einträge gefunden).
An dieses Motto musste ich denken, als ich kürzlich in Amsterdam das Vermittlungsprogramm des, neben dem „Conzertgebouw Orchester“, zweiten großen Orchesters, dem“ Nederlands Philharmonisch Orkest“ (Nepho) kennen lernen konnte. Wie ich bereits kurz berichtet habe, hat sich das Ensemble dazu entschlossen, ihre Proberäume in eine aufgelassene Kirche in einem der sozialen Brennpunkte der Stadt zu verlegen, um ihrem Anspruch, Musik für und mit allen BürgerInnen der Stadt zu machen, nicht nur verbal sondern ganz konkret nachzukommen. Bei ihren Aktivitäten suchen sie unmittelbaren Kontakt mit den Anrainerinnen und schaffen so ganz neue Settings für eine zeitgemäße musikalische Praxis von Profis und interessierten Laien. Die teilnehmenden MusikerInnen widmen sich diesen Tätigkeiten gerne, auch, weil ihre Verträge ein bestimmtes Stundenausmaß an Bildungs- und Vermittlungsaktivitäten vorsehen. Es gehört also zu ihrem professionellen Selbstverständnis, “zu ihrem Geschäft”, an diesen Programmen mitzuwirken und muss nicht – oft mühsam aus Drittmitteln finanziert – als zusätzliche Sondertätigkeit immer wieder neu verhandelt werden.
KünstlerInnen als AgentInnen der Bildung
Was aber bringt SpitzenmusikerInnen inhaltlich dazu, sich mit kunstfremden Metiers, wie Spitälern, Sozialeinrichtungen, Unternehmen oder Schulen auseinander zu setzen. Immerhin ist zu vermuten, dass die erste Motivation für ihren Beruf in erster Linie darin besteht, unter bestmöglichen Bedingungen Musik zu machen. Einer der Gründe liegt wohl – ganz pragmatisch – in einer geänderten kulturpolitischen Auftragslage: Kunstinstitutionen erhoffen sich einen Legitimationszuwachs, wenn sie nachweisen können, dass sie Kunst nicht nur einem kleinen Kreis an Kundigen zugänglich machen sondern auch solchen Menschen, die den klassischen Musikbetrieb bislang nicht einmal von Hören-Sagen kennen. Ein anderer, wohl entscheidenderer Grund liegt in der Neugierde der MusikerInnen, es auch einmal mit anderen Menschen zu tun zu bekommen und bei der Gelegenheit ausprobieren zu können, welche neuen Kommunikationsmöglichkeiten sich mit dem Medium Musik ergeben und wie diese Erfahrungen als erweiterte, offene Weltsicht auf das eigene Musizieren zurück zu wirken vermögen. Die Erwartung liegt also darauf, voneinander zu lernen, um bestmöglich Musik zu machen.
LehrerInnen als AgentInnen der Kunst?
Solche erfreulichen Weiterentwicklungen zeichnen sich nicht nur beim „Nepho“ ab. Auch viele andere Konzertveranstalter und Orchester bieten mittlerweile Bildungs- und Vermittlungsprogramme für bislang vernachlässigte soziale Gruppen an, sodass man meinen könnte, es gehörte mittlerweile zum Profil eines/r KünstlerIn, sich mit Bildung und Vermittlung zu beschäftigen. Wie aber sieht es umgekehrt aus? Zeichnet sich ein ähnlicher Trend auch in die Gegenrichtung ab, der dazu führt, dass auch immer mehr LehrerInnen neugierig auf Kunst werden und durch die Beschäftigung mit Kunst hoffen, ihre pädagogischen Kompetenzen besser realisieren zu können?
Ich habe Sorge, dass sich bislang diese neuen Formen des Miteinander noch sehr ungleich entwickeln. Ich sehe noch zu wenige LehrerInnen, die bereit sind, sich der Erfahrung mit der Sache der Kunst auszusetzen und daraus Konsequenzen für die pädagogische Praxis zu ziehen. Ja, es kann schon mal mühsam und verunsichernd sein, sich auf Kunst als das „gehasste Andere der Erziehung” (Rainer Gahnal) einzulassen, aber so geht es ja auch KünstlerInnen, die versuchen, sich mit dem komplexen System „Schule“ vertraut zu machen.
In jedem Fall kommen wir um die Einsicht nicht herum, dass die Kunst ein der Wissenschaft gleichberechtigtes Erkenntnismittel darstellt und damit ein/e Lehrerin, die/der sich nicht für das, was KünstlerInnen tun, interessiert, ein ähnlich schlechter Pädagogie ist, wie ein/e MusikerIn, die keinen Bezug zu seinem/ihrem Publikum findet. Die SchülerInnen künstlerisch ohne Ambition gelegentlich Singen, Malen oder Tanzen zu lassen, in der Hoffnung, damit ihre Kreativität zu befördern, wird da nicht reichen. Zweifelnden LehrerInnen sei als kleiner Stimulus ein Artikel der US-amerikanischen Erziehungswissenschafters Elliot Eisner “What Education can learn from the Arts” ans Herz gelegt.
„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ (Thomas Morus)
Anlässlich des Todes von Gerard Mortier, ist es mir ein besonderes Anliegen, für die Sache der Kunst (in und außerhalb der Schule) zu werben. Wie kein anderer hat er sich stets klug, mutig und mit großer Wirkung gegen alle Arten von Ignoranz und Widerstand für die anhaltende Wichtigkeit der Kunst in der Gesellschaft eingesetzt. Legendär sind seine Versuche, als Intendant der Salzburger Festspiele, diese verstaubte Institution für junge Menschen zu öffnen und diese davon zu überzeugen, dass Kunst für sie Relevanz haben kann. Dem von ihm oft angesprochenen Zitat von Thomas Morus folgend, wäre es ein ihm gemäßes Vermächtnis, dieses Feuer für die Sache der Kunst im Sinne von “Voneinander lernen” auch und gerade in die Schulen zu tragen.
In diesen Tagen fand die Abschlussveranstaltung des diesjährigen mehrsprachigen Redewettbewerbs „Sags Multi!” im Wiener Rathaus statt. Einmal mehr haben insgesamt über 400 SchülerInnen gezeigt, dass und wie gut zugewanderte junge Menschen (bzw. Kinder von zugewanderten Eltern) in der Lage sind, sich in mehreren Sprachen auszudrücken. Was mich an den Reden aber fast noch mehr beeindruckt hat, das waren die Geschichten selbst, die sie erzählt haben. Viele der jungen Menschen mussten ihre Heimat unter schrecklichen Umständen, oft unter Zurücklassung ihrer Familie oder ihrer Freunde verlassen. Als sie nach Österreich kamen, wurden sie nicht nur willkommen geheißen, sondern mussten erneut Diskriminierung erleiden. Nachdem sie hier in zum Teil sehr kurzer Zeit Deutsch gelernt haben, können diese jungen Menschen in beeindruckender Weise über ihre Erfahrungen sprechen und zugleich den ZuhörerInnen eine positive, Zuversicht verströmende Weltsicht vermitteln, die so manchen alt eingessenen Nörgler beschämt.
Wäre ich als 13jähriger in der Lage gewesen, mich auch nur annähernd so bestimmt, klar und souverän in der Welt zu verhalten wie es mir diese jungen Menschen vorzeigen?
Als Bürgermeister Häupl ganz jovial die TeilnehmerInnen als WienerInnen willkommen hieß, ist mir wieder das Motto “Voneinander lernen” in den Sinn gekommen; diesmal in Form einer Einladung an alle erwachsenen WienerInnen, doch bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass diese jungen Menschen längst WienerInnen geworden sind (und sich als solche fühlen, auch wenn sie auf Grund bestimmter Merkmale immer wieder in die Ausländerschublage gestoßen werden). Mit einem Anteil von mittlerweile mehr als 50% der SchülerInnen in der Volksschule ist diese Form des “Miteinander leben” der jungen WienerInnen längst Alltag geworden. Auf der Grundlage dieser neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit erlaubt der Wettbewerb vor allem Erwachsenen, von den Jungen zu lernen. Mit ihrer positiven Weltsicht, ihrem Lebensmut, ihrer Überzeugungskraft und auch ihrer couragierten Kritikfähigkeit strafen sie alle Analysen zur “gesellschaftlichen Müdigkeit” (Meinhard Creydt) Lügen und machen – jedenfalls mir – große Hoffnung auf eine Zukunft, die von diesen jungen Menschen mitgestaltet wird.
Nicht jedes Voneinander lernen führt zu einem dauerhaften Miteinander
Der Anspruch, voneinander zu lernen, kann zu sehr unterschiedlichen Resultaten des Miteinander aber auch des Auseinander führen. Im Oktober letzten Jahres habe ich an dieser Stelle berichtet, dass EDUCULT mit Christoph Musik eine Assistenz der Geschäftsführung gefunden hat, um ein neues Kapitel des Unternehmens aufzuschlagen. Die ersten Monate haben uns allen deutlich gemacht, wie herausfordernd es sein kann, für den Erfolg eines unabhängigen Forschungs- und Beratungsunternehmen Verantwortung zu tragen. Und dass abgesicherte universitäre Arbeitsbedingungen nicht einfach auf die Verhältnisse eines noch sehr wenig entwickelten Marktes übertragbar sind. Konkret hat sich Christoph Musik entschlossen, das Unternehmen zu verlassen und statt dessen mit uns künftig als universitärer Kooperationspartner zusammen zu arbeiten. Wir bedanken uns für sein Engagement in den vergangenen Monaten und seine Bereitschaft, diese schwierige Aufgabe zu versuchen und freuen uns, in anderen Zusammenhängen wieder zusammen zu finden.
EDUCULT eröffnet mit Gottfried Eisl ein neues Kapitel
Jetzt aber nochmals zu einem Miteinander: Just in dieser Phase endete die Amtsperiode von Gottfried Eisl als Geschäftsführer und kaufmännischer Leiter an der „Konservatorium Wien“ Privatuniversität. Nun verbindet Gottfried Eisl und mich eine lange gemeinsame Geschichte, als wir gemeinsam die Führung des Österreichischen Kultur-Service wahrgenommen haben. In der Zeit habe ich in ihm einen herausragenden Fachmann kennen und schätzen gelernt, der in der Lage ist, auch in einem schwierigen Umfeld bestmögliche Grundlagen für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens an der Schnittstelle von Kultur- und Bildungspolitik sicher zu stellen. Diese Qualitäten hat er mit seiner kaufmännischen Gestionierung des Konservatoriums unter Beweis gestellt, auch als es darum ging, dieses Haus als Privatuniversität mit höchsten künstlerischen Ansprüchen national und zunehmend auch international zu positionieren. Daneben verfügt Gottfried Eisl als ehemaliger Galerist und aktiver Sammler aber auch beträchtliche Expertise in Sachen Bildender Kunst, die ihn mir zu einem wichtigen inhaltlichen Gesprächspartner über Wirtschaftsdaten hinaus gemacht hat.
So war es nur logisch, dass ich Gottfried Eisl seinem Ausscheiden aus dem Management der Konservatorium Wien Privatuniversität gefragt habe, ob er bereit wäre, künftig die kaufmännischen Geschicke von EDUCULT zu leiten und sich darüber hinaus auch inhaltlich in einzelnen Projekten einzubringen. Über seine Zusage habe ich mich sehr gefreut, zumal wir damit unsere abgebrochene Geschichte des “Voneinander lernens – Miteinander tätig seins” wieder aufnehmen können. Für EDUCULT erhöhen sich damit die Chancen, dass alle Kolleginnen ihre in den letzten Jahren erworbene wissenschaftliche und managerielle Reputation mit zum Teil neuen Partnern auf einer konsolidierten wirtschaftlichen Grundlage umsetzen können. Dazu gehört auch, dass wir nach Ingrid Kapsch (ehemalige Leiterin von KulturKontakt Austria) nun auch Zita Schatzl (als Direktorin der NMS Himberg, eine der herausragenden Persönlichkeiten der aktuellen Schulentwicklung in Österreich) und Barbara Putz-Plecko (Vizerektorin der Universität für angewandte Kunst Wien) für unseren Vorstand gewinnen konnten (dazu demnächst mehr).
Für mich ganz persönlich aber heißt es, meinen ursprünglich beabsichtigten allmählichen Rückzug aus der Geschäftsführung noch für eine Zeit lang zurückzustellen und mich statt dessen mit großer Freude mit den EDUCULT-KollegInnen auf ein neues Kapitel des Unternehmens einlasse, woran direkt oder indirekt teilzunehmen, ich alle unsere LeserInnen sehr herzlich einlade. Die Mitwirkenden von “Sags Multi!”, ebenso wie Gerard Mortier, werden uns dabei Motivation und Auftrag sein.
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