Vor dem großen Krach?
Es ist jetzt rund 15 Jahre her, dass die großen Kultureinrichtungen der Republik Österreich ihre Rechtsform geändert haben und in die sogenannte Vollrechtsfähigkeit entlassen wurden. Der Kulturökonom Peter Tschmuck hat in „Die ausgegliederte Muse“ den Ausgliederungsprozess im Detail analysiert und auf seine Wirkungen hin untersucht.
Das Ende der Fahnenstange scheint erreicht
Spätestens mit dem Offenbarwerden der Krise des Wiener Burgtheaters scheint das Ende der Erfolgsgeschichte dieser Form der Reorganisation der in öffentlicher Trägerschaft befindlichen kulturellen Infrastruktur eingeläutet. Matthias Hartmann als Burgtheaterdirektor vermeinte, mit seinen exzessiven Selbstdarstellungsansprüchen im künstlerischen Gewand das organisatorische Konstrukt noch einmal so ausreizen zu können, dass dem Staat früher oder später nichts anderes übrig bleiben würde, als für die von ihm verursachten Verluste aufzukommen.
Zur Überraschung vieler scheiterte er daran und wurde – bislang ein unerhörter Fall – von der Politik aus seinem Amt entlassen. Offensichtlich hatte er den Deal unterschätzt, der seitens der Kulturpolitik mit der Vollrechtsfähigkeit verbunden wurde. Immerhin hofften die Entscheidungsträger, künftig mit gleichbleibenden Sockelbeträgen staatlicher Zuwendungen das Auslangen zu finden, während die Kultureinrichtungen in die Freiheit entlassen wurden, Geschäfte aller Art zur Akquisition darüber hinaus notwendiger Mittel tätigen zu können.
Spricht man heute mit VertreterInnen des Managements der großen Kultureinrichtungen, dann klagen alle über das Fehlen zumindest sechsstelliger Beträge, um auch nur den laufenden Betrieb gewährleisten zu können. Gleichzeitig sehen sie die Möglichkeiten weiterer Drittmitteleinwerbung ohne Preisgabe ihrer künstlerischen Ambitionen auf Grund des Sparkurses auch vieler Unternehmen weitgehend ausgereizt.
Wenn das Burgtheater mit rund 46 Mill. Euro eine mehr als doppelt so hohe öffentliche Finanzierung erfährt als irgend eine andere deutschsprachige Bühne, dann wird klar, dass diese Klagen im internationalen Vergleich nach wie vor auf einem hohen Niveau geführt werden. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, etwa das Wiener Konzerthaus, das – lange Zeit als parteipolitischer Fremdkörper der Stadt Wien gesehen – mit der Hälfte an öffentlichen Mitteln auskommen muss, die öffentliche Konzerthäuser im Durchschnitt erhalten, ein Zustand, der das Haus mittlerweile an den Rand des Konkurses geführt hat.
Grundlegende kulturpolitische Entscheidungen stehen an
Diese wenigen Schlaglichter auf die noch immer sehr mächtige kulturelle Infrastruktur des Landes, (die den überwiegenden Anteil der Kulturförderungsmittel für sich beansprucht und dabei alle anderen Akteure zunehmend an den Rand drängt) lassen darauf schließen, dass schon bald einschneidende kulturpolitische Entscheidungen notwendig sein werden. Eine Option zielt darauf ab, nach Jahren der Stagnation schlicht die Förderungen zu erhöhen und so den vollen Betrieb aufrecht zu erhalten. Die Chancen dafür können als gering eingeschätzt werden.
Eine andere Option setzt auf eine neue Welle der Reorganisation und damit verbundener Schwerpunktbildung. Da steht harte Arbeit bevor, etwa wenn so pragmatische Fragen beantwortet werden sollen, ob Wien angesichts dramatischer Änderungen der Bevölkerungsstruktur ein derartiges Ausmaß einer auf eine kleine privilegierte Gruppe zugeschnittenen kulturelle Infrastruktur aus den Zeiten der k. und k. Monarchie braucht oder ob die Bundesmuseen in Zukunft nicht stärker zusammenarbeiten könnten, etwa beim gemeinsamen Sammlungsaufbau, Infrastruktur, Marketing, usw. Und es gibt zumindest noch eine dritte Option, die in der Errichtung einer bereits in den 1990er Jahren versprochenen Bundeskulturstiftung bestehen könnte, um einerseits überkommene administrative Strukturen abzubauen und andererseits mit Hilfe neuer steuerlicher Anreize stagnierende öffentliche Mitteln mit privatem Engagement in signifikanter Weise zu ergänzen.
Und noch eine Option, die wohl zuallererst die erste stärken würde, gilt es zu erwähnen. Sie bezieht sich auf eine Tradition des Ressourcentransfers zur wirtschaftlichen und sozialen Integration der sogenannten Neuen Bundesländer in Deutschland und tritt auf der Suche nach neuen Finanzierungsquellen für einen Solidaritätsbeitrag für Kultur ein.
„Das Ergebnis wäre, alle staatlichen Zahlungen einzustellen……..“
Der Mannheimer Theaterintendant Burkhard C. Kosminski, der diesen Vorschlag in einem offenen Brief an die deutsche Bundesregierung veröffentlicht hat, bemüht bei seiner Argumentation auch die drohenden Auswirkungen von TTIP, dem geplanten Transatlantischen Handelsabkommen, auf den Kulturbereich. Der Journalist Jens Jessen hat in seinem Beitrag „Eine Wahnsinnstat“ die Konsequenzen dieses Abkommens in Form des weitgehenden Zusammenbruchs der öffentlichen Kulturförderung samt seiner demokratiepolitischen Folgen auf den Punkt gebracht. In der Zwischenzeit hat der Chef-Verhandler der Europäischen Kommission Karel de Gucht versucht, Jessens Ängste zu entkräften. Was bleibt ist die Option (vor allem, wenn Frankreich gezwungen ist, seinen Widerstand aufzuweichen) dass dem öffentlichen Kulturförderungswesen, wie wir es heute in weiten Teilen Europas kennen, in wenigen Jahren die Legitimationsgrundlagen entzogen werden könnten – und Kulturpolitik schon aus Gründen des eigenen Fortbestands dieses Szenario als einen Auftrag zur Widerrede verstehen sollte.
Über das notgedrungen veränderte Selbstverständnis von Kulturverbänden
Dass privates Engagement nicht für alle gleichermaßen Vorteile bringt, zeigt zuletzt die deutsche kulturpolitische Diskussion. Nicht nur hier treten neue Akteursgruppen etwa in Gestalt privater Stiftungen mit dem Anspruch zur kulturpolitischen Mitentscheidung auf und bringen andere in eine Identitätskrise. Vor allem diverse Kulturverbände klagen darüber, dass sie sich auf Grund sinkender öffentlicher Förderungen immer weniger in der Lage sehen, ihre Rolle als Interessensvertretungen und darüber hinaus als Ermöglicher einer kritischen Selbstvergewisserung der gesellschaftlichen Funktion ihrer Mitglieder wahrzunehmen. Stattdessen mutierten sie zu auftragsgebundenen Serviceleistern, die versuchen müssen, von Projekt zu Projekt ums eigene Überleben zu kämpfen. Private Stiftungen mit ihren Ressourcen hätten es da viel leichter. Gefeit vom Stigma des Bittstellers finden sie wesentlich leichter Gehör bei den kulturpolitischen Entscheidungsträgern, die darauf hoffen können, mit Hilfe von privaten Mitteln ihre Handlungsspielräume zu erweitern.
Ist der EU die Vielzahl der Akteure im kulturellen Feld über den Kopf gewachsen?
Einmal mehr treffen diese Entwicklungen alle nicht-institutionellen Akteure umso stärker. Sie stehen – ungewollt – unter zunehmendem Konkurrenzdruck untereinander und haben überdies im Rahmen der bestehenden Wettbewerbsbedingungen, die die großen Institutionen begünstigt, in besonderer Weise zu leiden. Diese zeigen sich auch auf europäischer Ebene, wenn sich zunehmend der Eindruck verstärkt, das neue Kulturprogramm der EU „A Creative Europe“ intendiere durchaus absichtsvoll eine Durchforstung des Sektors, in dem es nur mehr größeren Initiativen reale Chancen einräumt, zur Durchführung ihrer Projekte Förderungen zu erhalten. Entsprechende Hinweise in den Calls, doch zu versuchen, sich zu gemeinsamen Vorhaben zusammen zu schließen, erhärten diesen Eindruck.
Auswirkungen der Seismic Shifts innerhalb der staatlichen Kulturförderung mussten wir zuletzt hautnah zur Kenntnis nehmen. Eine Reihe bewährter Kooperationspartner von EDUCULT, die sich in den letzten Jahren beträchtliches fachliches Prestige sowohl national und international erworben haben, gerieten zuletzt in beträchtliche finanzielle Schieflagen. Sie waren gezwungen, sich von ihren besten MitarbeiterInnen zu trennen und neue Geschäftsfelder zu entwickeln, die nur mehr sehr peripher etwas mit ihrer Kernkompetenz zu tun haben. Kaum ein europäisches Meeting europäischer Konsortien, in dem nicht zumindest eine der TeilnehmerInnen darüber spricht, dass ihre Einrichtung dabei ist, aufzugeben und so gezwungen ist, die Gruppe vorzeitig zu verlassen. Andere retten sich damit, dass wesentliche Leistungen mittlerweile von temporär beschäftigten Hilfskräften erbracht werden. Zum Teil kommt es zu einer massiven Ausweitung von Internships, in deren Rahmen studentisches Personal mithilft, die Fixkosten der Initiativen soweit zu senken, dass ein Überleben möglich ist.
Die Folge dieser hohen Volatilität bei der Akquisition und Umsetzung nicht nur von Kulturprojekten sind neue Formen der Diskriminierung vor allem junger Fachkräfte, die es sich leisten können müssen, sich ihre Existenz von einer Praktikantenstelle zu nächsten organisieren. Getragen werden sie dabei von der oft vergeblichen Hoffnung, dadurch irgendwann eine fixe Stelle zu ergattern. Gerade in Deutschland erfährt dieser Umstand anhand der aktuellen Diskussion um einen Mindestlohn besondere Brisanz.
Die Freiheit der Selbstverwirklichung und die Unfreiheit prekärer Arbeitsverhältnisse
Diese Form der Überlebensstrategie zunehmend nicht nur von freien und nicht geförderten Initiativen findet wohl auch deshalb Akzeptanz, weil gerade im Kulturbereich ein beharrlicher Mythos gepflegt wird, der darauf hinausläuft, das Versprechen auf Selbstverwirklichung und der Möglichkeit zu gesellschaftlichem Engagement mit schlechter oder gar keiner Bezahlung zu verknüpfen. Dieser Deal scheint mir nicht nur beim zurzeit grassierenden Austausch von Fachkräften durch PraktikantInnen symptomatisch.
Das erfahre ich auch selbst als Leiter einer nicht geförderten Einrichtung. Als solcher werde ich immer wieder eingeladen, Fachbeiträge für eine Veröffentlichung oder für eine Veranstaltung zu liefern. Wenn es dann zur Frage nach einer allfälligen Honorierung kommt, dann wird diese in der Regel mit Befremden beantwortet. Es ist, als ob in der Antwort der Verdacht mitschwingte, ich würde nicht genügend für die gemeinsame gute Sache brennen, wenn ich nicht bereit wäre, gerade in diesem Fall entsprechend Gratisleistungen zu erbringen. Dass in den meisten Fällen diese unterschwellige Botschaft von Menschen in gutbezahlten Stellungen kommt, die als VertreterInnen gut dotierter Apparate selbst nie auf die Idee kommen würden, in ihrer Freizeit berufliche Leistungen zu erbringen, macht die Einschätzung des Wertes der zu erbringenden Leistung auch nicht einfacher.
Der Kultursektor als Spiegel gesellschaftlicher Ungleichheit
Es wäre an der Zeit, diesen Mythos zu durchbrechen, vielleicht sogar unter Zuhilfenahme von Daten der Kulturstatistik. Hilfreich könnte etwa ein Blick in jüngste Ergebnisse zu den Einkommensverhältnissen in Kulturberufen des deutschen Kulturstatistikers Michael Söndermann sein, der darauf hinweist, dass die Einkommensverhältnisse im Kulturbereich insgesamt den Vergleich mit anderen Sektoren nicht zu scheuen brauchen. Die Besonderheit läge vor allem in einer überdurchschnittlichen Spreizung der Einkommen, wobei einem kleineren, hoch und höchst privilegierten Anteil an Kulturschaffenden eine Mehrzahl an in prekären Verhältnissen Tätigen gegenübersteht.
Womit wir wieder beim fälligen Reorganisationsbedarf der großen Einrichtungen wären. Matthias Hartmanns Leistung besteht darin, offenkundig gemacht zu haben, wie groß das Ausmaß an Privilegienwirtschaft in weiten Teilen des öffentlichen Kulturbetriebs nach wie vor ist. Neu ist die Erkenntnis, dass um den Preis des Fortbestandes diese Infrastruktur kein Weg an grundlegenden kulturpolitischen Entscheidungen vorbeiführt. Mit der mutigen Entscheidung des neuen österreichischen Kunst- und Kulturministers Josef Ostermayer, den amtierenden Burgtheaterdirektor seines Postens zu entheben (wofür er wohl nicht ohne Grund insbesondere aus den Reihen der freien Szene mit viel Vorschusslorbeer überschüttet wurde), ist erst ein Anfang gemacht. Der kulturpolitische Preis dafür ist die Wiedergewinnung von kulturpolitischen Spielräumen, deren offensive Nutzung den Beweis dafür liefern könnten, das Kulturpolitik mehr ist als die Sicherung eines bestehenden Ungleichheit, die einige wenige aus Tradition begünstigt und die vielen anderen aus Unvermögen diskriminiert.
P.S.: Im Wintersemester halte ich am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität eine Lehrveranstaltung zum Thema „Vor dem großen Krach: Kulturpolitik am Ende?“ ab. Vielleicht kommen ja von den Studierenden verfolgenswerte Vorschläge zur Vermeidung des Krachs.
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