Wenn ich von zwei Übeln das geringere wählen soll, dann wähle ich keines“ (Karl Kraus)
Die Auseinandersetzung rund um die Volksbefragung zur Zukunft des österreichischen Bundesheeres geht in die Endrunde. Die Kontrahenten haben ihre Feuerwerke an Pro- und Kontra-Argumenten abgeschossen; jetzt soll das Volk sagen, was es will.
Wenn alle Meinungsforscher davon ausgehen, dass nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung bereit zu sein scheint, dieser Einladung zu folgen, dann mag es auch daran liegen, dass der Kern dessen, um den es bei einem Heer geht, in der aktuellen Diskussion überhaupt nicht berührt wurde. Stattdessen scheint es, als ergäbe sich die Begründung für ein Heer ausschließlich aus dessen diversen Nebennutzen. Am beeindruckendsten ist dabei die ÖVP in ihrer Argumentation zugunsten der allgemeinen Wehrpflicht, wenn sie im Rahmen dieses Probegalopps zur Nationalratswahl 2013 versucht, sich als glühende Anwältin des Zivildienstes zu gerieren. Vergessen die Zeiten, in denen die Zivildiener als bevorzugte Fußabstreifer für ihr führendes Personal herhalten mussten, das nicht müde wurde, sich auf deren Kosten mit Vokalen wie „unpatriotisch“, „unmännlich“, „feig“ oder „duckmäuserisch“ politisch zu profilieren. Fehlt nur noch, dass die Konservativen jetzt auch noch das traditionelle Argument der SPÖ für sich okkupieren, die allgemeine Wehrpflicht sei „in Stein gemeißelt“ (Originalzitat von Norbert Darabos wenige Tage vor dem Kurswechsel seiner Partei), weil nur so der Gefahr eines Einsatzes des Heeres gegen die eigene Bevölkerung, wie es sich im Rahmen der Errichtung der austro-faschistischen Diktatur 1934 erwiesen hat, vorgebeugt werden könne.
Diverse Nebennutzen begründen nicht die Existenz eines bewaffneten Heeres
Aber auch die Behauptungen, Schimeisterschaften könnten ohne Unterstützung des Bundesheeres nicht durchgeführt werden, der Katastrophenschutz oder der Grenzschutz zur Verhinderung von illegaler Einwanderung wären nicht mehr gewährleistet, verschleiern mehr die Funktion des Heeres, als dass sie sie erhellen würden. Diese zeigt sich noch am ehesten an den sogenannten „Auslandseinsätzen“, bei denen österreichische SoldatInnen an friedenserhaltenden Maßnahmen teilnehmen, in denen bewaffnete Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden können. Ich kann mich an keine öffentliche Bekanntmachung der aktuellen Verlustzahlen erinnern. Entsprechend einem Foreneintrags der Bundesheer-Infoecke fände sich im Eingangsbereich des Streitkräfte Führungskommandos in Graz eine Gedenktafel, mit allen im Auslandseinsatz gefallenen Kameraden: „Da stehen so in etwa 40 Namen drauf, wenn ich mich richtig erinnern kann. Da sind auch jene dabei, die ohne „Feindeinwirkung“ verstorben sind, wie bei Unfällen usw.“
Von möglichen Verlusten an Leib und Leben will man naturgemäß lieber nicht sprechen; stattdessen umso mehr von gemeinschaftstiftendem sozialen Lernen der RekrutInnen über gesellschaftliche Schranken hinweg (auch wenn dieses nur darin besteht, im Rahmen von Bestandssicherung Ofenrohre zu putzen, Geschirr zu waschen oder Generäle zu chauffieren), um zuletzt auch noch den Popanz einer von der EU erzwungenen Geschlechterparität ins traditionell Männer dominierte Gefecht zu werfen.
Es war einmal ein Anti-Bundesheer-Volksbegehren
Bei der Vorbereitung meiner eigenen Entscheidung auf diese Volksbefragung habe ich mich daran erinnert, dass ich 1969 einer von rund 28 000 ProponentInnen eines Volksbegehrens zur Auflösung des österreichischen Bundesheeres war. Unter der Ägide der Zeitschrift „Neues Forum“ riefen damals der Präsident der Journalistengewerkschaft Günther Nenning und der Publizist Winfried Daim zu einer „Anti-Bundeheer-Aktion“ auf, die für mich als einer, der sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, auf Befehl auf einen anderen Menschen zu schießen, einen Ausweg aus einem – im wahrsten Sinn – existentiellen Gewissenskonflikt ermöglichte.
Ja, die Zeiten waren andere und vom damaligen Heereswesen repräsentierte Werte wie unbedingter Gehorsam und damit verbundene Unterwerfung in bestehende Hierarchie- und Machtverhältnisse fanden noch die unhinterfragte Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung. Entsprechend radikal muteten die Versuche an, sich dagegen zur Wehr zu setzen: Die Doyenne der österreichischen JournalistInnen Barbara Coudenhove-Calergi berichtete dazu im Jänner 1970 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ für die deutschen LeserInnen von einer – einem Kunst-Happening vergleichbaren – Aktion eines jungen Mannes, Harry Mild, der sich im Winter nackt und fröstelnd auf die Wiener Kärntnerstraße gestellt und Flugzettel verteilt hatte. Auf die Brust war der Satz geschrieben: „Bin ich verrückt, weil ich nicht töten lernen will?“ Und auf dem Rücken: „Bin ich kriminell, weil ich nicht töten lernen will?“ Mild, der zu diesem Zeitpunkt als Wehrdienstverweigerer bereits schlimme Erfahrungen sowohl in Kasernen als auch in Gefängnissen hinter sich hatte, wurde innerhalb kürzester Zeit verhaftet. Nach eigener Aussage wollte ihn ein Kriminalbeamter an einen Laternenpfahl binden und jeder Vorbeikommende sollte ihn anpinkeln.
Bereits damals hegte der „Volksbegehrensantrag“ erhebliche Zweifel nicht nur an der allgemeinen Wehrpflicht sondern darüber hinaus an der Sinnhaftigkeit eines bewaffneten österreichischen Bundesheeres: „Die strategische Lage Österreichs, seine ökonomische Potenz und staatsvertraglichen Beschränkungen seiner Rüstung machen eine ernsthafte Verteidigung des Landes unmöglich… Auch in Österreich gibt es sehr viele soziale und kulturelle Aufgaben, die sinnlose Budgetposten unverantwortlich machen.“
Das Heer und der staatliche Souveränitätsanspruch, über Leben und Tod zu entscheiden
In der Zwischenzeit ist viel passiert. Die geopolitische Landkarte Europas hat sich grundlegend gewandelt und mit ihr Österreichs Position an der Demarkationslinie des rüstungsgetriebenen Ost-West-Konflikts. Das hat auch zu einer nachhaltigen Veränderung der Stellung des österreichischen Bundesheeres (und damit auch ihr Begründungszusammenhang) in der Gesellschaft geführt. Kaum jemand, der sich noch einen massenhaften Einsatz bewaffneter Truppenverbände, sei es an den Grenzen oder im Inneren des Landes, vorstellen kann. Und so strömen, statt vor aufmarschierenden Panzern wegzulaufen, am 26. Oktober hunderttausende WienerInnen auf den Heldenplatz, um das etwas verstaubte Waffenarsenal des Heeres (selbst die korruptionsanfälligen Euro-Fighter lassen sich nicht mehr als fabrikneu verkaufen) hautnah zu erleben.
Es ist, als ob mit dieser Form der Eventisierung die Substanz dessen, was ein Heer ist, aus dem Blick gerückt werden wollte. Und doch erzählen diese Gerätschaften über eine spezifische Fähigkeit des Staates, seine Souveränität im gegebenen Fall mit Gewalt durchzusetzen. Ein solches Machtmonopol aber hat existentielle Auswirkungen auf alle BürgerInnen. Während sich andere staatliche Institutionen darauf beschränken, im jeweiligen Anlassfall die Freiheitsrechte bloß einzuschränken (Polizei, Gerichte, …), bleibt das Heer diejenige Instanz, die ihre Befugnisse bis zur äußersten Konsequenz zu treiben vermag, wenn ihre Organe Entscheidungen über Leben und Tod treffen.
Und spätestens jetzt lässt sich der Endzweck eines Heeres nicht mehr verschleiern. Er liegt nicht in diversen Unterstützungsleistungen, sondern darin, gesellschaftliche Konflikte im letzten mit Waffengewalt (und damit unter Inkaufnahme menschlicher Verluste) zu lösen.
Kulturelle Bildung als Einübung in gewaltfreie Konfliktlösung
Und so sind wir unversehens in einer Wertediskussion, die eine spezifisch kulturelle Dimension deutlich macht. In dessen Rahmen stellt die Existenz eines Heeres, wie immer es organisiert ist, die schiere Gegenthese zu einer kulturellen Errungenschaft dar, die darin besteht, jegliche Form der Gewaltanwendung bei der Bewältigung von Konflikten als mögliche Handlungsoption auszuschließen.
Will Kultur mehr sein als die Organisation eines mehr oder weniger attraktiven Freizeitangebots, dann fänden ihre VertreterInnen als Anwälte eines humanen Menschenbildes bei der Entscheidungsfindung zur Zukunft des Bundesheeres eine ideale Bewährungsprobe. Diese erweist sich in der Bereitschaft und der Fähigkeit, die körperliche und geistige Unversehrtheit von Menschen zum Maßstab jeglichen gesellschaftlichen Handelns zu machen und – auch im Konfliktfall – auf die Androhung jeglicher Gewalt zu verzichten.
Das ist nicht leicht. Aber es ist eine wichtige, vielleicht die wichtigste kulturelle Leistung, die eine Gesellschaft hervorzubringen vermag. Auch wenn sich die meisten Kulturschaffenden nicht in den Meinungsbildungsprozess einschalten (warum eigentlich nicht?) ergibt sich hier ein weites Handlungsfeld gerade für kulturelle Bildung, die in besonderer Weise prädestiniert erscheint, an einem Menschen- und Gesellschaftsbild jenseits individueller und kollektiver Gewaltandrohung mitzuwirken.
Die Arbeit an einem gewaltfreien Menschenbild wäre auch das Lernergebnis einer leidvollen historischen Erfahrung, die staatlich legitimierte Gewaltanwendung als das entlarvt, was es am Ende ist: ein Rückfall des Menschen in den Zustand der Barbarei (Wir werden in knapp zwei Jahren anlässlich der hundertsten Wiederkehr des Ersten Weltkrieges viel Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, wie sich aus einer militärischen Gewaltanwendung im Rahmen einer vermeintlich begrenzten militärischen „Bestrafungsaktion“ ein unkontrollierter Weltenbrand mit ungeahnten Folgen zu entzünden vermochte).
Könnten Sie auf Befehl von Darabos und Co. jemanden erschießen?
In diesem Sinne empfehle ich die Beantwortung von ein paar Gewissensfragen, bevor Sie sich auf den Weg zur Wahlurne machen: Wären Sie – ganz persönlich – bereit, auf Befehl einer dieser Wortführer, die zur Zeit die öffentliche Diskussion bestreiten, eine Waffe zu ergreifen, um sie gegen einen anderen Menschen zu richten? Und wären Sie bereit und fähig, die Verantwortung für die Konsequenzen (für sich selbst, für ihre Familienangehörigen, Freunde, Mitmenschen, …) zu tragen?
Ich jedenfalls kann diese Fragen nicht mit ja beantworten. Die Politik gibt mir im Rahmen der Volksbefragung keine Chance, mich im Verteidigungsfall für den dritten Weg eines gewaltfreien Widerstands und damit für die Abschaffung des Bundesheeres in seiner derzeitigen Form zu entscheiden. Bleibt mir, mich in später Würdigung des Mutes von Harry Milds noch einmal als Verweigerer zu outen und der Abstimmung fernzubleiben.
LETZTE BEITRÄGE
- Hilfe, die Retter nahen
- Kunst, Kultur und Grenzen – Warum Grenzen für ein lebendiges Zusammenleben notwendig sind
- Alles neu macht der Mai – Eine andere Zukunft des Kulturbetriebs ist möglich
- Hype um Chat GPT
- Die Autonomie der Kunst
- Liberale Bürgerlichkeit, hedonistische Massendemokratie oder antidemokratischer Autoritarismus
- Dürfen die das?
- Kulturpolitik in Zeiten des Krieges
- „Das Einzige, was uns zur Zeit hilft, das sind Waffen und Munition“
- Stehen wir am Beginn eines partizipativen Zeitalters? (Miessen)